Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2017, Az. I ZR 135/16

I. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 8083

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:130717BIZR135.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZR 135/16
Verkündet am:

13.
Juli 2017

Führinger

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] Woche II
Richtlinie 2011/83/[X.] Art. 2 Nr. 9
Dem Gerichtshof der [X.] werden zur Auslegung von Art.
2 Nr.
9 der Richtlinie 2011/83/[X.] des [X.] und des Rates vom 25.
Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der [X.] und der Richtlinie 1999/44/[X.] des [X.] und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/[X.] des [X.] und des Rates ([X.] Nr.
L 304 vom 22.
November 2011, S.
64) folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Handelt es sich bei einem Messestand in einer [X.], den ein Unternehmer während einer für wenige Tage im Jahr stattfindenden Messe zum Zweck des Verkaufs seiner Produkte nutzt, um einen [X.] Gewerberaum im Sinne von Art.
2 Nr.
9 Buchst.
a der Richtlinie 2011/83/[X.] oder um einen beweglichen Gewerberaum im Sinne von Art.
2 Nr.
9 Buchst.
b der Richtlinie 2011/83/[X.]?
2.
Für den Fall, dass es sich um einen beweglichen Gewerberaum handelt:
Ist die Frage, ob ein Unternehmer seine Tätigkeit "für gewöhnlich" auf Messeständen ausübt, danach zu beantworten,
a)
wie der Unternehmer seine Tätigkeit organisiert oder
b)
ob der Verbraucher mit dem Vertragsschluss über die in Rede stehenden Waren auf der [X.] rechnen muss?
3.
Für den Fall, dass es bei der Antwort auf die zweite Frage auf die Sicht des Verbrauchers ankommt (Frage 2 b):
Ist bei der Frage, ob der Verbraucher mit dem Vertragsschluss über die konkreten Waren auf der in Rede stehenden Messe rechnen muss, darauf abzustellen, wie die Messe in der Öffentlichkeit präsentiert wird, oder darauf, wie die Messe sich dem Verbraucher bei Abgabe der Vertragserklärung tatsächlich darstellt?
[X.], Beschluss vom 13. Juli 2017
I
ZR
135/16
[X.]

[X.]

-
2
-
Der [X.] Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhand-lung vom 11.
Mai 2017 durch [X.]
Dr.
Büscher, die Richter Prof.
Dr.
Schaffert, Dr.
Kirchhoff, Dr.
Löffler und die Richterin Dr.
Schwonke

beschlossen:

[X.]
Das Verfahren wird ausgesetzt.
I[X.]
Dem Gerichtshof der [X.] werden zur Auslegung von Art.
2 Nr.
9 der Richtlinie 2011/83/[X.] des [X.] und des Rates vom 25.
Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der [X.] und der Richtlinie 1999/44/[X.] des [X.] und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/[X.] des [X.] und des Rates ([X.] Nr.
L 304 vom 22.
November 2011, S.
64) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Handelt es sich bei einem Messestand in einer [X.], den
ein Unternehmer während einer für wenige Tage im Jahr stattfindenden Messe zum Zweck des Verkaufs seiner [X.] nutzt, um einen unbeweglichen Gewerberaum im Sinne von Art.
2 Nr.
9 Buchst.
a der Richtlinie 2011/83/[X.] oder um einen beweglichen Gewerberaum im Sinne von Art.
2 Nr.
9 Buchst.
b der Richtlinie 2011/83/[X.]?
2.
Für den Fall, dass es sich um einen beweglichen Gewerbe-raum handelt:
-
3
-
Ist die Frage, ob ein Unternehmer seine Tätigkeit "für ge-wöhnlich" auf Messeständen ausübt, danach
zu beantwor-ten,
a)
wie der Unternehmer seine Tätigkeit organisiert oder
b)
ob der Verbraucher mit dem Vertragsschluss über die in Rede stehenden Waren auf der konkreten Messe rech-nen muss?
3.
Für den Fall, dass es bei der Antwort auf die zweite Frage auf die Sicht des Verbrauchers ankommt
(Frage 2 b):
Ist bei der Frage, ob der Verbraucher mit dem Vertrags-schluss über die konkreten Waren auf der in Rede [X.] rechnen muss, darauf abzustellen, wie die [X.] in der Öffentlichkeit präsentiert wird, oder darauf, wie die Messe sich dem Verbraucher bei Abgabe der [X.] tatsächlich darstellt?

Gründe:

[X.] Die Klägerin ist die
in die Liste nach §
4
Abs.
1 Satz
1 [X.] eingetra-gene [X.]. Die [X.] ist eine Vertriebsgesellschaft, die auf der in [X.] stattfindenden Messe "[X.] Woche" Produkte ausstellt. Nach ihrer Behauptung vertreibt sie ihre Produkte ausschließlich auf Messen.

1
-
4
-

Am 22.
Januar 2015 bestellte ein Kunde am Ausstellungsstand der [X.] auf der Messe "[X.]
Woche" einen Dampfstaubsauger zum Preis von

Die Klägerin ist der Ansicht, die [X.] habe den
Kunden über ein Wi-derrufsrecht informieren müssen, weil dieser den Kaufvertrag außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die [X.] unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurtei-len, es zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen mit Verbrauchern auf der Messe "[X.] Woche" in [X.] Kaufverträge
über die Lieferung von [X.], ohne über das Widerrufsrecht nach §§ 312g, 355 BGB und das Musterwiderrufsformular zu informieren.

Außerdem hat sie die [X.] auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahn-in Anspruch genommen.

Das [X.] hat die Klage abgewiesen ([X.], [X.], 2900). Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben ([X.], [X.], 1026). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, de-ren Zurückweisung die [X.] beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klage [X.].

I[X.] Die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit hängt von der Ausle-gung des Art.
2 Nr.
9 der Richtlinie 2011/83/[X.] ab. Vor einer Entscheidung über die Revision der Klägerin ist deshalb das Verfahren auszusetzen und ge-mäß Art.
267 Abs.
1 Buchst.
b und Abs.
3 A[X.]V eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen.
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3
4
5
6
7
-
5
-

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe ein [X.] weder aus §
8 Abs.
1 und 3 Nr.
3, §
3 Abs.
1, § 3a UWG,
§
4 Nr.
11 UWG aF
in Verbindung mit §
312d BGB und Art.
246a [X.]BGB noch aus §
2 Abs. 1, §
3 [X.] zu. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die [X.] sei nicht verpflichtet
gewesen, als Aussteller auf der Messe "[X.]
Woche" ihre Kunden bei Abgabe einer Bestellung über ein Widerrufs-recht nach §
312g Abs.
1 BGB zu belehren. Sie vertreibe ihre Produkte nicht außerhalb von Geschäftsräumen. Bei ihrem Messestand auf der "[X.]n Wo-che" habe es sich um einen beweglichen Geschäftsraum im Sinne von §
312b Abs.
2 BGB gehandelt,
in dem die [X.] ihre Tätigkeit für gewöhnlich [X.]. Für die Abgrenzung der "für gewöhnlich" betriebenen von einer ausnahms-weise ausgeübten gewerblichen Tätigkeit komme es maßgeblich darauf an, ob der Verbraucher am Ort des Geschäfts mit dem Auftreten des Unternehmers rechnen musste. Dies sei der Fall gewesen. Die [X.] habe an ihrem Stand nicht überraschend ein fachfremdes Produkt verkauft. Die Messe "[X.] Wo-che" in [X.] sei eine Messe mit einem sehr breit gefächerten Sortiment. [X.] aus den traditionellen Bereichen Ernährungswirtschaft, Land-wirtschaft und Gartenbau werde Besuchern eine Vielzahl von Waren aus ande-ren Bereichen angeboten. Dies könne einem Messebesucher bei [X.] Aufmerksamkeit nicht entgehen. Der Stand der [X.]n habe sich in einer Messehalle befunden, in der über 40 verschiedene Anbieter von Haus-haltsgeräten und Haustechnik ihre Produkte ausgestellt hätten. Ein [X.], der diese [X.] besuche, befinde sich in derselben Situation wie eine Per-son, die ohne entsprechende vorherige Planung in einem Geschäftsviertel oder in einem Kaufhaus ein Geschäftslokal oder eine Abteilung aufsuche. Eines [X.] bedürfe der Verbraucher in dieser Situation nicht.
Es könne offen bleiben, ob die [X.] ihre Produkte ohne eigenes Geschäftslokal ausschließ-8
9
-
6
-
lich auf Messen direkt verkaufe und ob sie regelmäßig einen Stand auf der "[X.]n Woche" unterhalte. Auf derartige
Voraussetzungen in der Person der [X.]n komme es nicht an.

2. Ohne Beantwortung der Vorlagefragen
kann nicht beurteilt werden, ob die [X.] bei dem Verkauf eines Dampfstaubsaugers auf der Messe "[X.] Woche" in [X.] am 22.
Januar 2015 Unterrichtungspflichten nach §
312d
Abs.
1 Satz
1
BGB in Verbindung mit Art.
246a [X.]BGB verletzt hat
und der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch und der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten zusteht.

a) Die Informationspflichten der [X.]n hängen zunächst davon ab, ob sie ihre Tätigkeit in unbeweglichen oder in beweglichen Gewerberäumen ausübt. Hierauf zielt die erste Vorlagefrage.

aa) Gemäß §
312d Abs.
1 Satz
1 BGB in Verbindung mit Art.
246a §
1 Abs.
2 [X.]BGB hat der
Unternehmer, wenn dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht nach §
312g Abs.
1
BGB zusteht, diesen
über sein Widerrufs-recht nach §
355 Abs.
1 BGB sowie das Muster-Widerrufsformular zu [X.]. Nach der Legaldefinition in §
312b Abs.
1 Nr.
1 BGB handelt es sich bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen um solche, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des [X.] an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des [X.] ist. Nach §
312b Abs.
2 Satz
1 BGB sind Geschäftsräume im Sinne des §
312b Abs.
1 BGB unbewegliche Gewerberäume, in denen der [X.] seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt.
Die Bestimmungen der §§ 312b und 312g BGB dienen der Umsetzung der Richtlinie 2011/83/[X.]. Der 10
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-
7
-
[X.] Gesetzgeber hat in §
312b Abs.
2 Satz
1 BGB die Begriffsbestim-mung der Geschäftsräume in Art.
2 Nr.
9 der Richtlinie 2011/83/[X.] wörtlich übernommen.

[X.]) Mit der Richtlinie 2011/83/[X.] werden die [X.] den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und die Richtlinie 97/7/[X.] über den Verbraucher-schutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz durch eine einzige Richtlinie ersetzt (Erwägungsgrund 2). Dabei wurde der diesen älteren Richtlinien zu-grunde liegende Mindestharmonisierungsansatz aufgegeben und stattdessen im Grundsatz eine Vollharmonisierung angestrebt (Art.
4 der Richtlinie 2011/83/[X.]). Der durch die Richtlinie 2011/83/[X.] für Verbraucher bei außer-halb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen vorgesehene Schutz in Form eines Widerrufsrechts trägt dem Umstand Rechnung, dass bei
derartigen [X.] möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist (Erwägungsgründe 21 und 37). In Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2011/83/[X.] heißt es hierzu, dass als Ge-schäftsräume alle Arten von Räumlichkeiten (wie Geschäfte, Stände oder Last-wagen) gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhn-lich ausübt. Markt-
und Messestände sollten als Geschäftsräume behandelt werden, wenn sie diese Bedingung erfüllen. Verkaufsstätten, in denen der Un-ternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, beispielsweise während der Frem-denverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, sollten als [X.] angesehen werden, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Ge-schäftsräumen für gewöhnlich ausübt.
Der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmit-tel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie Privatwohnungen oder Arbeitsplätze sollten nicht als Geschäftsräume gelten.
13
-
8
-

[X.]) Das Berufungsgericht ist nach Ansicht des Senats zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Stand der [X.]n auf der Messe "[X.] Woche" in [X.] nicht um
einen
unbeweglichen
Gewerberaum im Sinne von Art.
2
Nr.
9 Buchst. a der Richtlinie 2011/83/[X.] und §
312b Abs.
2 Satz
1 Fall
1 BGB handelt, sondern um einen beweglichen Gewerberaum
im Sinne von Art.
2 Nr.
9 Buchst. b der Richtlinie 2011/83/[X.] und §
312b Abs.
2 Satz
1 Fall
2 BGB.
Die Richtlinie 2011/83/[X.] geht ersichtlich davon aus, dass unter den Begriff "unbewegliche
Gewerberäume" das herkömmliche stationäre Ladengeschäft fällt, in dem der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt. Dagegen finden auf Dauer angelegte unternehmerische
Tätigkeiten, die an wechselnden Orten für jeweils nur kurze Zeiträume außerhalb stationärer Ladengeschäfte -
wie et-wa auf Markt-
und Messeständen -
ausgeübt werden, in "beweglichen
Gewer-beräumen"
statt
([X.], Urteil vom 15.
März 2017 -
3 U 3561/16, juris Rn. 23). Die [X.] wurde zwar auf der Messe "[X.] Woche" in einer [X.] tätig;
nach Ansicht des Senats ist ihre Tätigkeit jedoch -
weil sie dort nicht auf Dauer ausgeübt wird -
im Sinne der Richtlinie als Tätigkeit in beweglichen Ge-werberäumen anzusehen.

b) Sollte
es sich bei dem Stand der [X.]n auf der Messe "[X.] Woche" in [X.] um einen beweglichen Gewerberaum im Sinn des Art.
2 Nr.
9 Buchst.
b der Richtlinie 2011/83/[X.] und §
312b Abs.
2 Satz
1 Fall 2
BGB han-deln, stellt sich weiter die Frage, nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich in diesen Gewerberäumen ausübt. Dies ist Hintergrund der zweiten Vorlagefrage.

aa) Entscheidend für das Erfordernis der Information des Verbrauchers über ein Widerrufsrecht ist nach der Richtlinie 2011/83/[X.] und der sie umset-zenden [X.] Regelung des §
312b Abs.
2 Satz
1 BGB, ob der Vertrags-14
15
16
-
9
-
schluss des Verbrauchers mit dem Unternehmer außerhalb von beweglichen Gewerberäumen erfolgt, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhn-lich ausübt. Die Frage, wie festgestellt wird, ob der Unternehmer seine Tätigkeit am Ort des Vertragsschlusses für gewöhnlich ausübt, ist den Bestimmungen der Richtlinie nicht eindeutig zu entnehmen.

[X.]) Es kommt in Betracht, darauf abzustellen, ob der Unternehmer eine bestimmte Vertriebsmethode für gewöhnlich nutzt, ob er also regelmäßig in be-weglichen Gewerberäumen seine Produkte vertreibt oder ob dies nur aus-nahmsweise geschieht
([X.], NJW 2015, 721, 722; Großkomm.BGB/[X.], §
312b Rn.
35
[Stand: 20.
Juli 2016]; [X.], EuZW 2016, 411). Hierfür spricht der Wortlaut von Art.
2 Nr.
9 Buchst.
b der Richtlinie 2011/83/[X.].
Der [X.] 22 der Richtlinie 2011/83/[X.] erwähnt ebenfalls, dass als Ge-schäftsräume alle Arten von Räumlichkeiten wie Geschäfte, Stände oder Last-wagen gelten sollen, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt. Allerdings führt eine solche Auslegung, die sich an den Verhältnissen des Unternehmers orientiert, nach Auffassung des Senats nicht
zu befriedigenden Ergebnissen.

Bietet ein Unternehmer seine Produkte, die er im Wesentlichen in einer stationären gewerblichen Niederlassung vertreibt, zusätzlich auf einer Messe zum Verkauf an, wäre ein Verbraucher, der diese Produkte auf der Messe er-wirbt, bei dem vorstehenden Verständnis des Art.
2 Nr.
9 der Richtlinie 2011/83/[X.] zum Widerruf berechtigt, weil der Unternehmer seine Tätigkeit dort für gewöhnlich nicht ausübt. Würde der Verbraucher dagegen am benachbarten Messestand ein vergleichbares
Produkt erwerben, könnte es sein, dass ihm ein Widerrufsrecht deshalb nicht zusteht, weil der dort tätige Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich auf Messen
ausübt
und kein stationäres Ladengeschäft unterhält. Es erscheint unter dem Gesichtspunkt
des Verbraucherschutzes we-17
18
-
10
-
nig konsequent, dem Verbraucher je nach Betriebsorganisation des [X.] bei im Übrigen identischen äußeren Umständen des Vertragsschlusses in einem Fall ein Widerrufsrecht zu gewähren
und es im anderen Fall [X.].

Wenn die Richtlinie trotz der vorstehenden Erwägungen dahingehend auszulegen wäre, dass es darauf ankommt, wie der Unternehmer seine Tätig-keit organisiert, setzt der Erfolg der Klage im Streitfall voraus, dass die [X.] ihre unternehmerische Tätigkeit für gewöhnlich nicht auf Messen ausübt. Das Berufungsgericht hat zu der Unternehmensorganisation der [X.]n keine Feststellungen getroffen, so dass im Revisionsverfahren zugunsten der Kläge-rin zu unterstellen wäre, dass der Vortrag der [X.]n nicht zutrifft, sie ver-treibe ihre Dampfstaubsauger seit vielen Jahren ausschließlich über Messen. In diesem Fall wäre das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen, damit die notwendigen Feststellungen
zur Ver-triebsstruktur
der [X.]n getroffen werden.

[X.]) Nach anderer Auffassung, die sich auf das [X.] Gesetzge-bungsverfahren bei der Umsetzung der Richtlinie 2011/83/[X.] stützt
([X.], BT-Drucks. 17/12637, Seite 50
zu §
312a BGB des
Entwurfs), kommt es für die Frage, ob der Unternehmer seine Tätigkeit ge-wöhnlich in beweglichen Gewerberäumen ausübt, nicht darauf an, wie der Un-ternehmer seine Vertriebstätigkeit organisiert, sondern auf die Sicht des [X.]. Diese Ansicht beruft sich auf
den Sinn und Zweck des [X.] bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gemäß Art.
9 Abs.
1 der Richtlinie 2011/83/[X.] und des diese Vor-schrift in das [X.] Recht umsetzenden §
312g Abs.
1 BGB. Der [X.] soll vor übereilten Vertragsabschlüssen geschützt werden, zu denen es in einer den Verbraucher überraschenden Situation oder unter psychischem
Druck 19
20
-
11
-
kommt. Für diese Auslegung sprechen die Erwägungsgründe 21 und 37 der Richtlinie 2011/83/[X.]. In diesem Zusammenhang wird danach differenziert, ob auf einem Jahrmarkt oder auf einer
Messe messetypische Produkte zum Kauf angeboten werden, so dass der Verbraucher mit entsprechenden Angeboten rechnen musste, oder ob es sich um fachfremde Produkte handelt, deren [X.] nicht zu erwarten war ([X.] in [X.]/[X.]/
[X.]/[X.]/Würdinger, [X.], 8.
Aufl., Stand: 1.
Dezember 2016, §
312 Rn. 50 ff.; [X.] BGB/Maume, §
312b
Rn.
31, 42.
Edition, Stand: 1.
Februar 2017; [X.], EuZW 2016, 411, 414). Dieser Auffassung haben sich das Berufungsgericht und andere [X.] Gerichte angeschlossen ([X.], Urteil vom 15.
März 2017 -
3
U 3561/16, juris Rn.
26; [X.]], Urteil vom 26.
September 2016 -
16
S
117/15, unveröffentlicht;
AG Pin-neberg, [X.] 2016, 136; [X.], Urteil vom 5.
April 2016
-
18 C 415/15, juris Rn. 19 ff.).

c) Sollte bei der Frage, ob der Unternehmer seine Tätigkeit in bewegli-chen Gewerberäumen gewöhnlich ausübt, auf die Sicht des Verbrauchers ab-zustellen sein, wäre im Streitfall zu prüfen, ob es sich bei der Messe "[X.] Woche" in [X.] um eine Messe handelt, bei der der Verbraucher mit dem [X.] rechnen muss. Dabei stellt sich die weitere Frage, wie die Verbrauchersicht zu bestimmen ist. Darauf zielt die dritte Vorla-gefrage.

aa) Die Revision macht geltend, der Besucher einer Messe könne entge-gen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht mit dem Besucher eines Ge-schäftsviertels oder eines Kaufhauses verglichen werden,
also mit Besuchern stationärer Ladengeschäfte, die in unbeweglichen Gewerberäumen betrieben werden. Für die ein Überraschungsmoment ausschließende Erkennbarkeit der zu erwartenden Angebote könne nicht auf die Situation des Verbrauchers bei 21
22
-
12
-
seiner Ankunft auf dem [X.] abgestellt werden. Vielmehr sei maß-geblich, wie die Messe in der Öffentlichkeit präsentiert werde und welche Er-wartungshaltung der Verbraucher aus dem Thema der Messe gewinnen könne. Die "[X.] Messe" in [X.] werde
als "[X.], Landwirtschaft und Gartenbau"
bezeichnet.
Auf einer solchen Messe müsse ein Verbraucher nicht mit einem Verkauf von Haushaltsgeräten rechnen.

[X.]) Das Berufungsgericht ist demgegenüber davon ausgegangen, es komme darauf an, ob auf der in Rede stehenden Messe regelmäßig Haushalts-geräte und Haustechnik angeboten werde. Es hat festgestellt, dass dies der Fall
ist
und der Verbraucher deshalb mit entsprechenden Angeboten rechnen [X.].

[X.]) Für die Beantwortung dieser Frage kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Schutz des Verbrauchers einsetzen soll. Wenn auf den Zeitpunkt abgestellt wird, in dem er sich entschließt, eine Messe zu besuchen, sind die tatsächlichen Gegebenheiten auf der Messe unerheblich. Entscheidend ist dann, welche Erwartungen der Verbraucher nach den ihm verfügbaren [X.] über das Waren-
und Dienstleistungsangebot auf der Messe haben konnte. Wenn dagegen auf den Zeitpunkt abgestellt wird, in dem der [X.] seine Vertragserklärung abgibt, kommt es auf die tatsächlichen [X.] an
Ort und Stelle
an. Zu der Präsentation der Messe in der Öffentlichkeit und der daraus resultierenden Erwartungshaltung eines Verbrauchers bei seiner Entscheidung, die Messe zu besuchen, hat das Berufungsgericht keine Fest-stellungen getroffen, so dass, wenn es auf diesen Zeitpunkt ankommen sollte, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht
23
24
-
13
-
zurückverwiesen werden müsste, damit diese Feststellungen nachgeholt wer-den. Sollte es auf den Zeitpunkt der Vertragserklärung ankommen, sind die er-forderlichen Feststellungen getroffen, nach denen der Verbraucher angesichts der äußeren Umstände bei Abschluss des Vertrags über den Kauf eines Dampfstaubsaugers mit einem entsprechenden Angebot
rechnen musste.

Büscher
Schaffert
Kirchhoff

Löffler
Schwonke
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.10.2015 -
14 [X.]/15 -

[X.], Entscheidung vom 10.06.2016 -
4 [X.] -

Meta

I ZR 135/16

13.07.2017

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2017, Az. I ZR 135/16 (REWIS RS 2017, 8083)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8083

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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I ZR 135/16

3 U 3561/16

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