Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.02.2012, Az. 2 AZR 482/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 8850

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Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. November 2010 - 16 [X.] - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger ist bei der [X.], die mit mehr als 200 Arbeitnehmern Messingprodukte produziert und verarbeitet, seit dem 1. Januar 1998 als „Produktionsmitarbeiter in der Abteilung [X.]“ beschäftigt. Er arbeitete zuletzt in der Funktion eines „Ziehers an einer [X.]/Einteilsägers“ im Bereich [X.].

3

Anfang 2009 verhandelten die [X.] und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat vor dem Hintergrund eines beabsichtigten Personalabbaus im Umfang von 48 Stellen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In einer Absichtserklärung vom 13. Februar 2009 beschrieben die Betriebsparteien bestimmte Maßnahmen als erstrebenswerte Alternativen zu den erwogenen Entlassungen; ua. war die Einführung von Kurzarbeit mit Wirkung zum 1. März 2009 bei einer maximalen Laufzeit von 18 Monaten und verteilt auf jeweils sechs Monate vorgesehen.

4

Am 27. Februar 2009 schlossen die Betriebsparteien mehrere Betriebsvereinbarungen. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 163 wurde in den Produktionsbereichen Gießerei, [X.] und [X.] für die [X.] vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 Kurzarbeit eingeführt. Der Umfang der in der jeweiligen Abteilung verringerten Wochenarbeitszeit ergab sich aus der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung. Diese sah ua. für die „[X.] und die Zieherei Allgemein“ eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 14 Stunden/Woche vor. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 verschoben die Betriebsparteien die zweite Stufe einer Tariferhöhung. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 165 führten sie ein Prämienentgelt und eine außertarifliche Leistungszulage ein. Ab dem 1. Mai 2009 sollte für bestimmte Produktionsmitarbeiter, zu denen auch der Kläger gehörte, eine neue Leistungsentgeltstruktur in Form der Entgeltmethode „Prämie“ gelten. Durch die Absenkung der Vergütung für die betroffenen Arbeitnehmer sollte eine Kostenersparnis im Umfang von 22 Produktionsarbeitsplätzen eintreten. Für die bereits Beschäftigten sollte die Anwendung der neuen Entgeltstruktur durch den Abschluss von [X.] umgesetzt werden. Ziff. 11 der Betriebsvereinbarung Nr. 165 sah weiter vor, dass die [X.] gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die das Angebot eines solchen [X.] annähmen, bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit auf den Ausspruch von ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen verzichte. Auf dieser Grundlage bot die [X.] im März 2009 den in Frage kommenden 127 Arbeitnehmern den Abschluss entsprechender Änderungsverträge an. Das Angebot nahmen 111 Arbeitnehmer an. Der Kläger lehnte es ab.

5

Angesichts weiter rückläufiger Aufträge entschloss sich die [X.] am 19. Mai 2009, zahlreiche Arbeitsplätze, darunter den eines „Ziehers [X.]/Einteilsägers“, ab 1. Oktober 2009 wegfallen zu lassen. Von der Streichung waren fast ausschließlich Arbeitsplätze von Arbeitnehmern betroffen, die das Angebot auf Abschluss eines [X.] abgelehnt hatten.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die [X.] mit Schreiben vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2009.

7

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Produktionsmitarbeiter zu den bisherigen Vertragsbedingungen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Entscheidung der [X.] laufe auf einen bloßen Stellenabbau verbunden mit einer Neuverteilung der bisherigen Tätigkeiten hinaus. Einen dauerhaften Rückgang der Produktion und eine Reduzierung des Arbeitsvolumens habe die [X.] nicht hinreichend dargelegt. Ein Vergleich der Auftrags- und Arbeitsstundenzahlen von Januar bis Mai 2009 mit den gleichen Monaten des Vorjahrs reiche hierfür nicht aus; nur ein längerer Betrachtungszeitraum könne die Basis für eine nachhaltige Prognose bilden. Zudem habe die [X.] nicht berücksichtigt, dass ab 1. März 2009 kurzgearbeitet worden sei. Die spätere Entwicklung belege die Fehlerhaftigkeit der Prognose. Die [X.] habe auch nicht dargelegt, wer welche seiner bisherigen Tätigkeiten in welchem Umfang ohne eine übermäßige dauerhafte Beanspruchung habe übernehmen können. Im Übrigen sei die [X.] fehlerhaft. Statt seiner hätten andere Arbeitnehmer mit deutlich schlechteren [X.] gekündigt werden müssen. Sie seien mit ihm vergleichbar, selbst wenn deren Kündigung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 165 ausgeschlossen sei. Der einzelvertraglich gewährte Sonderkündigungsschutz sei mit ihnen in unzulässiger Weise zu seinen Lasten vereinbart worden. Unter diesem Aspekt stelle sich die Kündigung als eine Maßregelung dar.

8

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 29. Mai 2009 aufgelöst worden ist,

                 

hilfsweise

                 

die [X.] zu verurteilen, ihn als Produktionsmitarbeiter zu den Bedingungen des am 1. Januar 2009 geschlossenen Arbeitsvertrags wieder einzustellen,

        

2.    

die [X.] zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als Produktionsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

9

Die [X.] hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, Anfang 2009 habe sie geplant, den Personalbestand zu reduzieren, da die Mitarbeiter in der Produktion schon im [X.] nicht ausgelastet gewesen seien. Zwar habe sie zur Vermeidung dieses Personalabbaus mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarungen Nr. 163 bis Nr. 165 geschlossen. Zu diesem [X.]punkt sei der Auftragsbestand aber erst um ca. 25 % geringer gewesen. Nach Einführung der Kurzarbeit habe sich die [X.] weiter verschlechtert. Ab der 14. Kalenderwoche 2009 sei die Auslastung auf rund 60 % derjenigen des Vorjahrs zurückgegangen, die (Grundlagen-)Produktion in der Gießerei habe sich im [X.]raum von Januar bis Mai 2009 um etwa 36 % reduziert.

Vom Rückgang der [X.] seien sämtliche nachgeordneten Bereiche betroffen gewesen. Sowohl im Bereich [X.] als auch im Bereich [X.] sei die Arbeitsmenge im [X.]raum von Januar 2009 bis Mai 2009 um 34,5 % zurückgegangen, was einem um etwa 33 % bzw. ca. 30 % ([X.]) verminderten Arbeitskräftebedarf entspreche. Bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden würden je Arbeitnehmer im Durchschnitt 12,2 Arbeitsstunden wöchentlich nicht mehr benötigt. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zur Steigerung der Effizienz habe sie deshalb die Stelle eines „Ziehers [X.]/Einteilsägers“ gestrichen und dessen Arbeit auf - neun namentlich genannte - Mitarbeiter verteilt. Aufgrund des Rückgangs ihrer eigenen Tätigkeiten seien diese Mitarbeiter nicht mehr ausgelastet gewesen und hätten die Aufgabe des [X.] ohne Weiteres mitübernehmen können. Den Rückgang der Arbeitsmenge habe sie im [X.]punkt des Zugangs der Kündigung als dauerhaft angesehen, Anhaltspunkte für eine Besserung habe es nicht gegeben.

Die [X.] sei zutreffend, da die vom Kläger benannten Mitarbeiter aufgrund ihres Sonderkündigungsschutzes nicht in die Auswahl einzubeziehen gewesen seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung der [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die [X.] ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kündigung der [X.] vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

I. Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 29. Mai 2009 ist nicht aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 [X.] sozial gerechtfertigt.

1. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung).

a) Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten [X.] die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall - dauerhaft - so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht ([X.] 17. Juni 1999 - 2 [X.] - [X.]E 92, 71 und - 2 [X.] - [X.]E 92, 79). Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum [X.]punkt der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des [X.] zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine - kurzfristige - Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist ([X.] 18. Mai 2006 - 2 [X.] - Rn. 18, [X.] § 9 Nr. 7 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146).

b) Ein Rückgang des [X.] kann sich auch daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Eine unternehmerische Organisationsentscheidung kann etwa in der Bestimmung der Zahl der Belegschaftsmitglieder liegen, mit denen die im Betrieb anfallende Arbeitsmenge erledigt werden soll (vgl. [X.] 2. Juni 2005 - 2 [X.] - mwN, [X.]E 115, 92). Unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind ([X.] 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 13, [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 10. Juli 2008 - 2 [X.] 1111/06 - Rn. 24, [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163). [X.] ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist ([X.] 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 13, aaO; 10. Juli 2008 - 2 [X.] 1111/06 - Rn. 24, aaO).

c) Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des [X.] im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. [X.] sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom [X.] selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist ([X.] 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 14, [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 [X.] 522/98 - [X.]E 92, 61). Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führte (Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl [X.] und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird ([X.] 22. Mai 2003 - 2 [X.] 326/02 - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können ([X.] 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 15, aaO; 13. Februar 2008 - 2 [X.] 1041/06 - Rn. 16, [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

d) Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei [X.] noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet (vgl. [X.] 9. September 2010 - 2 [X.] 493/09 - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 185 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 164; 13. Februar 2008 - 2 [X.] 79/06 - Rn. 21, 22; 26. Mai 2011 - 8 [X.] 37/10 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125). Das ist der Fall, wenn im [X.]punkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen ([X.] 23. Februar 2010 - 2 [X.] 268/08 - Rn. 18, [X.]E 133, 240; 27. November 2003 - 2 [X.] 48/03 - [X.]E 109, 40; 12. April 2002 - 2 [X.] 256/01 - zu II 2 a der Gründe, [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118). Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden.

aa) Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und [X.] zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein ([X.] 18. Mai 2006 - 2 [X.] - Rn. 18, [X.] § 9 Nr. 7 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146). Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht ([X.] 18. Mai 2006 - 2 [X.] - Rn. 17, aaO).

bb) Für die Zukunftsprognose ist auch von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurzarbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen [X.] ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften ([X.] 26. Juni 1997 - 2 [X.] 494/96 - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 93). Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen ([X.] 26. Juni 1997 - 2 [X.] 494/96 - aaO).

Da die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, dringend sein müssen, die Kündigung im Interesse des Betriebs also unvermeidbar sein muss, hat der Arbeitgeber zuvor alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die mit dem Ziel geschaffen worden sind und bestehen, durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit betriebsbedingte Kündigungen in [X.]en geringeren [X.] zu vermeiden ([X.] 8. November 2007 - 2 [X.] 418/06 - Rn. 16, [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157, zur Inanspruchnahme von Arbeitszeitkonten). Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, dass den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringendes betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht (vgl. [X.] 8. November 2007 - 2 [X.] 418/06 - aaO).

2. Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze hält die Würdigung des [X.]s, die Beklagte habe für die [X.] nach Ablauf der Kündigungsfrist keine dringenden betrieblichen Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 [X.] dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Bei Ausspruch der Kündigung war die Prognose noch nicht sicher gerechtfertigt, der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des [X.] sei zum 1. Oktober 2009 auf Dauer entfallen. Das hat das [X.] zutreffend erkannt. Einen revisionsrechtlich relevanten Fehler im Zusammenhang mit dieser Würdigung hat die Beklagte nicht aufgezeigt.

a) Aus dem Vortrag der [X.] lässt sich - auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Revisionsbegründung - nicht hinreichend konkret entnehmen, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des [X.] vorgelegen hat. Ihr Entschluss, die Stelle eines „[X.]/Einteilsägers“ zu streichen und dessen Tätigkeiten auf mehrere Mitarbeiter der Rohrzieherei zu verteilen, lag nahe an der Kündigungsentscheidung. Die Beklagte musste demnach die Möglichkeit, ihre Organisationsentscheidung tatsächlich umzusetzen, näher erläutern.

b) Die Beklagte hat nicht dargetan, dass zum [X.]punkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten könnten von den verbliebenen Mitarbeitern ab dem 1. Oktober 2009 im Rahmen ihrer normalen Verpflichtungen (mit-)übernommen werden. Sie hat zwar das vom Kläger und den fraglichen neun Mitarbeitern zum Kündigungszeitpunkt zu erledigende Arbeitsvolumen dargestellt. Danach waren sie in der Phase der Kurzarbeit bezogen auf ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit sämtlich nicht voll ausgelastet. Das [X.] hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte zur Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines nur geringeren - und damit auf andere Arbeitnehmer aufteilbaren - Arbeitsvolumens des [X.] nicht hinreichend vorgetragen hat. Sie hat sich auf den pauschalen Vortrag beschränkt, das Volumen habe sich zum 30. September 2009 dauerhaft reduziert, Anhaltspunkte für eine Besserung habe sie zum [X.]punkt der Kündigung nicht gehabt, auch seien keine Überstunden geleistet worden. Damit hat sie ihrer Darlegungslast nicht genügt. Bestimmte Tatsachen, aus denen zu schließen wäre, der mögliche Rückgang der Arbeitsmenge im Kündigungszeitpunkt sei als dauerhaft anzusehen, hat sie auf diese Weise nicht behauptet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesem Rückgang nur um einen kurzzeitigen, nicht nachhaltigen Trend gehandelt hat. Aus dem Rückgang der Produktion in den ersten Monaten des Jahres 2009 im Vergleich zum selben [X.]raum im [X.] lässt sich nicht hinreichend sicher folgern, diese Entwicklung werde sich auch im weiteren Verlauf des Jahres fortsetzen. Hierzu hätte es eines näher substantiierten, detaillierten Vortrags bedurft, dem beispielsweise die üblichen Auftragseingangszahlen und Bearbeitungsabläufe aus den Vorjahren zu entnehmen gewesen wären. So kann sich die Situation bei kurzfristig erfolgenden Auftragsabrufen anders darstellen als bei langfristigen und planbaren Auftragserteilungen.

c) Zudem bleibt unklar, ob sich selbst bei Ausschöpfung der vereinbarten Optionen für Kurzarbeit das Arbeitsvolumen so verringert hat, dass ein dringendes Erfordernis für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bestand. Immerhin erlaubten es die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen der [X.], die wöchentlich geschuldete Arbeitszeit der Mitarbeiter auf 14 Stunden abzusenken. Im Streitfall geht es deshalb nicht darum, ob der Arbeitgeber rechtlich gezwungen sein kann, vor dem Ausspruch der Kündigung die Einführung von Kurzarbeit zu betreiben. Hier besaß die Beklagte vielmehr bei Ausspruch der Kündigung bereits die Möglichkeit, die Arbeitszeit der Mitarbeiter rechtswirksam bis auf 14 Wochenstunden zu reduzieren. Von ihr hatte sie wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Gebrauch zu machen. Dass auch dann noch ein Arbeitskräfteüberhang bestanden hätte, ergibt sich aus ihrem Vortrag nicht. Auch hat sie nicht dargelegt, dass die fraglichen neun Arbeitnehmer ausgehend von einem durch Kurzarbeit absenkbaren [X.] überhaupt in der Lage gewesen wären, die verbliebenen Tätigkeiten des [X.] ohne Überschreitung dieses [X.]umfangs mitzuerledigen.

d) Schließlich ist offen, ob im umgekehrten Fall - bei Aufhebung der Kurzarbeit - die fraglichen neun Mitarbeiter die Arbeiten des [X.] weiterhin ohne überobligationsmäßige Zusatzleistungen würden übernehmen können. Die Betriebsparteien gingen, wie die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen zeigen, von einer vorübergehenden, 18-monatigen Reduzierung des [X.]s aus. Dies spricht dafür, dass sie erwarteten, das frühere oder zumindest ein deutlich höheres Arbeitsvolumen als in den ersten Monaten des Jahres 2009 würde in absehbarer [X.] wieder erreicht.

II. Da die Kündigung vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis des [X.] wegen Fehlens dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 [X.] nicht rechtswirksam beendet hat, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die [X.] iSv. § 1 Abs. 3 [X.] und die Kündigung eine unzulässige Maßregelung war.

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Feststellungsbegehren ist dem Senat nicht mehr angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden.

IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Eylert    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Wolf    

                 

Meta

2 AZR 482/11

23.02.2012

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 27. Januar 2010, Az: 17 Ca 11455/09, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.02.2012, Az. 2 AZR 482/11 (REWIS RS 2012, 8850)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8850

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

9 Sa 233/16

9 Sa 135/16

6 Sa 206/16

11 Sa 846/13

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