Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2023, Az. 1 StR 85/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2026

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Oktober 2022 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Urteile des [X.] vom 30. September 2020 und vom 20. November 2020 zu einer [X.] von drei Jahren verurteilt. Den in dem erstbenannten einbezogenen Urteil gegen den Angeklagten verhängten und vollstreckten Jugendarrest hat es auf die [X.] angerechnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Der Ausspruch über die Rechtsfolgen hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das [X.] hat die Prüfung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterlassen, obwohl sich diese nach den Urteilsfeststellungen zum Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten und seinen Auswirkungen aufdrängte. Dies führt hier auch zur Aufhebung der gegen den Angeklagten festgesetzten Jugendstrafe. Der [X.] hat hierzu zutreffend ausgeführt:

„I. Nach den getroffenen Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem dreizehnten Lebensjahr mit Unterbrechungen Alkohol, wodurch es vor allem an Wochenenden zu [X.] kam. Zeitweise trat auch ein Konsum von Kokain, Cannabis und Speed hinzu. Jenes Konsumverhalten setzte er auch unter dem Eindruck seiner Verurteilungen vom 30. September und 20. November 2020 sowie laufender Bewährungsüberwachung fort. Dem folgend befand er sich im Zeitpunkt der Urteilsfindung im vorliegenden Verfahren zur Entgiftung im [X.] M.       und strebte eine Entzugstherapie an ([X.]). Jedenfalls zwei seiner drei vorgeahndeten Straftaten verübte er unter dem Eindruck alkoholischer Enthemmung ([X.] f.). Auch bei dem verfahrensgegenständlichen Geschehen stand der Angeklagte unter Alkoholeinfluss ([X.] und 30) und war dadurch leicht enthemmt (UA S. 33).

II. [X.] jener Feststellungen, die das [X.] zur Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten unter Einschaltung eines Sachverständigen bewogen hatten ([X.]), hätte sich das [X.] in den Urteilsgründen mit der Frage befassen müssen, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen ist. Ob des langjährigen Alkoholkonsums mit [X.] und der daraus resultierenden Notwendigkeit der Entgiftung im Zeitpunkt der Urteilsfindung lag die Annahme eines sowohl zum Tatzeitpunkt als auch beim Urteilsspruch gegebenen Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB nahe. Überdies deutete die alkoholbedingte Enthemmung beim Tatgeschehen auf einen symptomatischen Zusammenhang hin. Auch die weiteren Voraussetzungen könnten gegeben sein, weil eine hangbedingte schwere Gewalttat die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr in der Regel indiziert (vgl. [X.], Beschluss vom 25. November 2014 - 5 StR 509/14 -, juris Rn. 2) und eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregelbehandlung im Sinne des § 64 Satz 2 StGB mit Blick auf die vom Angeklagten nicht nur artikulierte, sondern auch durch die Entgiftung und Beantragung eines Therapieplatzes dokumentierte Therapiebereitschaft ([X.] und 33) nicht fernliegend erscheint.

III. Einer neuen Verhandlung und Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt steht nicht entgegen, dass nur er Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO), zumal er sich explizit gegen die [X.] wendet ([X.] ff.) und diese damit nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 8. September 2021 - 3 StR 251/21 -, juris Rn. 8).

IV. Der Strafausspruch ist wegen des durch § 5 Abs. 3 [X.] vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung auch aufzuheben (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Juli 2022 - 1 [X.] -, juris Rn. 4 mwN), wenngleich er für sich genommen Rechtsfehler nicht erkennen lässt.“

3

Dem schließt sich der Senat an. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO).

Jäger     

  

Bellay     

  

Fischer

  

Wimmer     

  

Allgayer     

  

Meta

1 StR 85/23

05.04.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Deggendorf, 21. Oktober 2022, Az: 1 KLs 4 Js 2166/21 jug

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2023, Az. 1 StR 85/23 (REWIS RS 2023, 2026)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2026

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1 StR 108/22

5 StR 509/14

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