Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.07.2018, Az. 2 StR 123/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 5902

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Gegenstand

Unmittelbares Ansetzen beim Versuch des sexuellen Missbrauchs eines Kindes


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. Dezember 2017

a) im Schuldspruch im [X.] 1 der Urteilsgründe dahingehend geändert, dass der Angeklagte der versuchten besonders schweren sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchter schwerer Entziehung Minderjähriger, versuchter Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,

b) im Strafausspruch zu [X.] 1 der Urteilsgründe und im [X.] aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller Nötigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, versuchter Entziehung Minderjähriger, versuchter Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten begegnet aus den vom [X.] in seiner Zuschrift dargelegten Gründen mit Ausnahme der Annahme des ([X.] verwirklichten) versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall II. 1 der Urteilsgründe keinen rechtlichen Bedenken.

3

Das [X.] ist insoweit davon ausgegangen, dass der Angeklagte, der der Nebenklägerin doppelseitiges Klebeband auf den Mund geklebt, sie in sein Auto gezerrt, dort auf die Rückbank verbracht hatte und im Begriff war, davon zu fahren, bereits damit zum sexuellen Missbrauch von Kindern angesetzt hatte, obwohl es ihr gelang, die hintere Tür zu öffnen und das Auto zu verlassen. Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Erforderlich ist hierfür nicht die Verwirklichung mindestens eines Tatbestandsmerkmals. Genügend ist vielmehr auch ein für sich gesehen noch nicht tatbestandsmäßiges Handeln, soweit es nach der Vorstellung des [X.] der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals räumlich und zeitlich unmittelbar vorgelagert ist oder nach dem [X.] im ungestörten Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll (st. Rspr.; vgl. [X.] NStZ 2014, 447, 448).

5

Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen der wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls. Maßgeblicher Orientierungspunkt ist dabei angesichts der Fassung des § 22 StGB die Vorstellung des [X.], d. h. der [X.], der über die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium entscheidet.

6

Gemessen daran lässt sich nicht feststellen, dass der Angeklagte, der mit dem Einsatz von Gewalt bereits ein Tatbestandsmerkmal der sexuellen Nötigung nach § 177 StGB verwirklicht hatte und jedenfalls insoweit in das Versuchsstadium gelangt war, mit der Verbringung der Nebenklägerin in sein Kraftfahrzeug auch bereits zum sexuellen Missbrauch eines Kindes nach § 176a StGB angesetzt hatte. Zwar ist das [X.] ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die bereits durchgeführten Handlungen der Vorbereitung sexueller Handlungen dienten und der Angeklagte zur Durchführung der eigentlichen Tat fest entschlossen war. Die weitere Annahme der [X.], der Angeklagte habe das Kind „lediglich noch an einen abgelegenen Ort fahren“ wollen, „wo er nach seiner Vorstellung ohne weitere Zwischenakte sogleich den sexuellen, körperlichen Kontakt aufnehmen wollte“, trägt jedoch nicht den Schluss, der Angeklagte habe damit unmittelbar zur Tat angesetzt. Nähere Feststellungen zum [X.] des die Tat bestreitenden Angeklagten, der sich der Nebenklägerin in [X.]inmitten eines bewohnten Ortsteils bemächtigt hatte, hat die [X.] nicht treffen können. Dass der Angeklagte an einen abgelegenen Ort habe fahren wollen, liegt nahe, lässt aber offen, wo dieser Ort sein sollte und wie lange die Fahrt dorthin dauern würde. Dabei hat die [X.] nicht ohne nähere Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten davon ausgehen können, dass der geplante sexuelle Übergriff in unmittelbarer Nähe des [X.] stattfinden sollte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte weit entfernt in [X.]seinen Wohnsitz hatte und Feststellungen zu den Ortskenntnissen des Angeklagten zur Umgebung von [X.]fehlen. Ob die Fahrt zu einem „abgelegenen Ort“ angesichts dessen ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung münden würde, lässt sich anhand der knappen landgerichtlichen Feststellung zur Vorstellung des Angeklagten nicht feststellen. Eine Strafbarkeit wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern ist damit nicht dargetan.

7

Der [X.] schließt aus, dass ein neuer Tatrichter angesichts des die Tat bestreitenden Angeklagten Feststellungen treffen könnte, die den [X.] erbringen könnten. Er lässt deshalb den diesbezüglichen Schuldvorwurf entfallen und ändert den Schuldspruch entsprechend. Dabei greift der [X.] die weitergehenden Anregungen des [X.]s zur Klarstellung des Urteilstenors im Hinblick auf die Annahme einer versuchten besonders schweren sexuellen Nötigung (statt versuchter sexueller Nötigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs) und einer versuchten schweren Entziehung Minderjähriger (statt versuchter Entziehung Minderjähriger) auf.

8

2. Die Korrektur des Schuldspruchs im Fall II. 1 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung des Einzelstrafausspruchs in diesem Fall und bedingt den Wegfall des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.], das die Verwirklichung mehrerer Straftatbestände zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, zu einer geringeren Einzelfreiheitsstrafe gelangt wäre. Insoweit ist auch zu bedenken, dass die Wertung des [X.]s, beim [X.] verwirklichten Straftatbestand der Entziehung Minderjähriger habe nur noch ein kurzes Zeitmoment bis zur Vollendung gefehlt, jedenfalls nicht unbedenklich erscheint.

9

Da es sich um einen bloßen Wertungsfehler handelt, können die bisher getroffenen Feststellungen bestehen bleiben. Der neue Tatrichter ist aber nicht gehindert, weitere Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

Schäfer   

        

   [X.]   

        

Eschelbach

        

Ri[X.] Grube befindet
sich im Urlaub und ist
deshalb gehindert zu
unterschreiben.

        

Schmidt   

        
        

Schäfer

                          

Meta

2 StR 123/18

17.07.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Marburg, 6. Dezember 2017, Az: 1 Js 13411/12 - 3 KLs

§ 22 StGB, § 176a StGB, § 177 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.07.2018, Az. 2 StR 123/18 (REWIS RS 2018, 5902)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 5902

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Verurteilung wegen versuchter sexueller Nötigung und Vergewaltigung


Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 403/22

2 StR 281/18

3 StR 238/22

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