Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2012, Az. VI ZR 126/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7238

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 126/11

vom

17. April 2012

in Sachen

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
17.
April 2012
durch den [X.] [X.], die Richter
Zoll und [X.], die Richterin [X.] und den Richter Stöhr
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 13.
Zivilsenats des [X.] vom 29.
März 2011 aufgehoben.
Die Sache
wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens
der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 22.076

Gründe:
I.
Die Klägerin stürzte am 19.
Juli 2006 in der Parfümerieabteilung einer Fi-liale der Beklagten auf einer farblosen Seifenlauge, die auf hellem Laminatbo-den ausgelaufen war. Sie zog sich einen Bruch des rechten Handgelenks zu.
Nachdem das [X.] dem Schadensersatzanspruch der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 20
% teilweise stattgegeben 1
2
-
3
-

hatte, hat das [X.] auf die Berufung der Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

II.
1. Das angefochtene Urteil ist nach §
544 Abs.
7 ZPO aufzuheben, weil
das Berufungsgericht durch die Zurückweisung des -
erstmals in einem nach der Berufungsverhandlung eingegangenen Schriftsatz
-
erfolgten neuen [X.] und Beweisantritts der Klägerin zum
vergangenen Zeitraum zwischen dem
Erkennen der Seifenlauge bis zum Unfall deren
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gemäß dem
Gewährleistungsgehalt von Art.
103 Abs.
1 GG und §
531 Abs.
2 ZPO, auf den das Berufungsgericht die Zurückweisung gestützt hat,
darf eine
in erster Instanz siegreiche [X.] darauf vertrauen, vom
Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungser-heblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Be-weisantritt für erforderlich hält. Der Hinweis muss so rechtzeitig erfolgen, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann. Danach sind neue Angriffs-
und Verteidigungsmittel in zweiter Instanz
unter anderem
zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten [X.] erkennbar übersehen oder für unerheblich ge-halten worden ist (§
531 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das neue Angriffs-
und Verteidigungsmittel schon in erster Instanz oder in der [X.] hätte vorgebracht werden können. Die [X.]en sollen durch die Vorschrift des §
531 Abs.
2 ZPO nicht zu Darlegungen und [X.] gezwungen werden, die vom Standpunkt des erstinstanzli-3
4
-
4
-

chen Gerichts aus unerheblich sind (vgl. [X.], Urteil vom 30.
Juni 2006 -
V
ZR 148/05, NJW-RR 2006, 1292
Rn.
16; Beschlüsse vom 15.
März 2006 -
IV
ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937
Rn.
4;
vom 26.
Juni 2008 -
V
ZR 225/07, juris Rn.
5
f. [X.]). Der Zulassungsgrund
des
§
531 Abs.
2 Satz
1 Nr.
1 ZPO kommt allerdings nur zum Tragen, wenn ein Gesichtspunkt entweder von allen [X.] übersehen worden ist oder wenn das Gericht erster Instanz schon vor Erlass seines Urteils zu erkennen gegeben hat, dass es einen be-stimmten Gesichtspunkt für unerheblich erachtet. Die Vorschrift findet nämlich
nur unter der weiteren ungeschriebenen Voraussetzung Anwendung, dass die (objektiv fehlerhafte) Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sach-vortrag der [X.] beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfah-rensfehler gegeben wäre, mitursächlich dafür geworden ist, dass sich [X.]-vorbringen in das Berufungsverfahren verlagert (vgl. [X.], Urteile vom 19.
März 2004 -
V
ZR 104/03, [X.]Z 158, 295, 302; vom 19.
Februar 2004 -
III
ZR 147/03, NJW-RR 2004, 927, 928; vom 23.
September 2004 -
VII
ZR 173/03, NJW-RR 2005, 167, 168; vom 30.
Juni 2006 -
V
ZR 148/05, aaO
Rn.
17;
vom 11.
März 2010 -
IX
ZR 104/08, [X.], 946 Rn.
35).
Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht den neuen Vortrag der Klägerin fehlerhaft nach §
531 Abs.
2 ZPO zurückgewiesen und dadurch deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) verletzt. Das erstin-stanzliche Gericht hat
in der mündlichen Verhandlung vom 15.
Juli 2010
darauf hingewiesen, es sei Sache der
Beklagten darzulegen und zu beweisen, dass sie
und die für sie
tätigen Personen kein Verschulden treffe,
und dass die vor-getragenen Umstände nicht ausreichten, ein solches Verschulden auszuschlie-ßen. Aufgrund dieses Hinweises durfte die Klägerin davon ausgehen, dass ihr Vortrag zur Begründetheit der Klage ausreiche und ein Beweisantritt durch die damals tätigen Verkäuferinnen von ihrer Seite aus nicht erforderlich sei. Wenn das Berufungsgericht nunmehr eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, 5
-
5
-

musste es -
wie in der mündlichen Verhandlung geschehen

-
darauf hinweisen und den als Reaktion auf diesen Hinweis unter Beweisantritt erfolgten Vortrag der Klägerin berücksichtigen, dass vom Erkennen der Flüssigkeit auf dem hel-len
Laminatboden bis zum Sturz der Klägerin mindestens zehn Minuten ver-gangen seien und ausreichend Zeit gewesen sei, um die Klägerin zu warnen.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass hinsichtlich der
Darlegungs-
und
Beweislast
bei Unfällen dieser Art

zwischen der Feststellung der objektiven Pflichtwidrigkeit bzw. Verletzung der [X.] und dem Nachweis eines Verschuldens des Schädigers zu un-terscheiden ist.
Hinsichtlich der Feststellung einer objektiven Pflichtwidrigkeit verbleibt es bei der
Beweislast des Geschädigten. Steht eine objektive Pflicht-verletzung fest, muss der Schädiger bei vertraglichen Ansprüchen darlegen und beweisen, dass ihm oder den Personen, für die er einzustehen hat, kein [X.] zur Last fällt. Bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung wird bei einer feststehenden Verletzung der äußeren Sorgfalt entweder die Verletzung der inneren Sorgfalt indiziert oder es spricht ein Anscheinsbeweis für die Verletzung der inneren Sorgfalt
(vgl. Senat, Urteile vom 26. September 1961 -
VI
ZR 92/61, NJW 1962, 31
f.; vom 11.
März 1986 -
VI
ZR 22/85, [X.], 765, 766; vom 31.
Mai 1994 -
VI
ZR 233/93, [X.], 996, 997). Allein aus einem Ausrut-schen auf feuchtem Boden ergibt sich aber noch nicht, dass infolge der Feuch-tigkeit ein objektiv verkehrswidriger Zustand bestanden hat, der für den [X.] zu Beweiserleichterungen bezüglich des von ihm zu erbringenden

6
-
6
-

Verschuldensnachweises führen kann (Senatsurteil vom 5.
Juli 1994 -
VI
ZR 238/93, [X.], 1128, 1129).
Galke
Zoll
[X.]

Diederichsen
Stöhr

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 02.09.2010 -
20 O 13263/09 -

OLG München, Entscheidung vom 29.03.2011 -
13 U 4532/10 -

Meta

VI ZR 126/11

17.04.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2012, Az. VI ZR 126/11 (REWIS RS 2012, 7238)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7238

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VI ZR 126/11

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