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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1
StR 563/12
vom
11. April
2013
in der Strafsa[X.]he
gegen
wegen
s[X.]hweren sexuellen Missbrau[X.]hs von Kindern u.a.
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2
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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 11. April
2013
bes[X.]hlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. Juni 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sa[X.]he wird zu neuer Verhandlung und Ents[X.]heidung, au[X.]h über die Kosten des Re[X.]htsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurü[X.]kverwiesen.
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrau[X.]hs von Kindern in Tatmehrheit mit s[X.]hwerem sexuellen Missbrau[X.]hs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Re[X.]hts. Das Re[X.]htsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Revision des Angeklagten ist zulässig erhoben. Zwar rei[X.]ht zur Wahrung einer Re[X.]htsmittelfrist die Einrei[X.]hung einer in fremder Spra[X.]he (hier: [X.]) gehaltenen Re[X.]htsmittels[X.]hrift an si[X.]h ni[X.]ht aus (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 14.
Juli 1981 -
1 [X.], [X.]St 30, 182 unter Hinweis auf §
184 GVG). Bei dem am 8. Juni 2012 bei Geri[X.]ht eingegangenen und nur aus wenigen Zeilen bestehenden S[X.]hreiben des Angeklagten vom 5.
Juni 2012 ist jedo[X.]h bereits der Betreffzeile zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Angeklagte das gegen ihn am 1. Juni 2012 ergangene Urteil des [X.] Mün[X.]hen
I mit dem dafür zulässigen Re[X.]htsmittel (vgl. §
300 StPO) anfe[X.]hten will (§
341 1
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Abs. 1 StPO). Dies genügte hier zur wirksamen Einlegung der Revision. Sie wurde vom Verteidiger des Angeklagten in [X.] begründet.
2. Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Rüge der Verletzung des §
257[X.] Abs.
5 StPO Erfolg. Auf die weiteren [X.] kommt es daher ni[X.]ht mehr an.
a) [X.] liegt folgendes Ges[X.]hehen zugrunde:
Dem Urteil des [X.] ging eine Verständigung gemäß §
257[X.] StPO voraus. Darin si[X.]herte das [X.] dem Angeklagten für den Fall ei-nes Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe von ni[X.]ht mehr als drei Jahren und neun Monaten zu. Eine Belehrung im Sinne des §
257[X.] Abs.
5 StPO wurde dem Angeklagten ni[X.]ht erteilt. Im Hinbli[X.]k
auf die getroffene [X.] räumte der Angeklagte die ihm -
na[X.]h Teileinstellung des Verfahrens ge-mäß §
154 Abs.
2 StPO no[X.]h -
zur Last liegenden Tatvorwürfe vollumfängli[X.]h ein. Das [X.] era[X.]htete das Geständnis des Angeklagten insbesondere deshalb für glaubhaft, weil es si[X.]h mit den Angaben des [X.], eines Kin-des, die dieses im Ermittlungsverfahren und anlässli[X.]h einer ri[X.]hterli[X.]hen
Videovernehmung gema[X.]ht hatte, im Kernberei[X.]h de[X.]kte (UA S.
13). Die [X.] hielt si[X.]h an die Verständigung und verhängte gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.
b) Mit seiner Revision ma[X.]ht der Angeklagte nun geltend, ihm sei zu [X.] vor der Verständigung keine Belehrung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abwei[X.]hung des Geri[X.]hts von dem in Aussi[X.]ht gestellten Ergebnis der Verständigung na[X.]h §
257[X.] Abs.
4 StPO erteilt worden. Dies habe [X.] auf sein Prozessverhalten gehabt. Wäre er gemäß §
257[X.] Abs.
5 StPO 3
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Beweisaufnahme eingewirkt und eventuell weitere Beweisanträge gestellt.
Der Umstand, dass si[X.]h das [X.] an die Verständigung gehalten habe, lasse ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen die Belehrungs-pfli[X.]ht aus §
257[X.] Abs.
5 StPO ni[X.]ht entfallen; denn bei einem Angeklagten, dem ni[X.]ht bewusst sei, dass das Geri[X.]ht von dem in der Verständigung in [X.] gestellten Ergebnis unter den Voraussetzungen des §
257[X.] Abs.
4 StPO abwei[X.]hen darf, liege es nahe, dass er als Risiko seines Handelns -
insbeson-dere seines Geständnisses -
nur eine Verurteilung im Rahmen der geri[X.]htli[X.]hen Geständnis ablege, könne aber anders ausfallen, wenn dieser die Vorausset-zungen kenne, unter denen die Bindung des Geri[X.]hts an die Verständigung entfalle.
[X.]) Der vom Angeklagten geltend gema[X.]hte Re[X.]htsfehler liegt vor. Die Belehrung gemäß §
257[X.] Abs.
5 StPO ist eine wesentli[X.]he Förmli[X.]hkeit, die in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen gewesen wäre (vgl. §
273 Abs.
1a Satz
2 StPO). Da es hieran fehlt, ergibt si[X.]h im Hinbli[X.]k auf die negative Beweiskraft des Protokolls (§
274 Satz
1 StPO), dass der Angeklagte ni[X.]ht gemäß §
257[X.] Abs.
5 StPO darüber belehrt wurde, unter wel[X.]hen Voraussetzungen und mit wel[X.]hen Folgen das Geri[X.]ht von dem in Aussi[X.]ht gestellten Ergebnis abwei-[X.]hen kann. Der Angeklagte wurde daher vom Geri[X.]ht ni[X.]ht in die Lage versetzt, eine autonome Ents[X.]heidung über seine Mitwirkung an der Verständigung zu treffen (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 19. März 2013 -
2
BvR 2628/10, 2
BvR
2883/10 und 2 BvR 2155/11 -
Rn.
99, [X.], 1058, 1067).
d) Auf diesem Re[X.]htsfehler beruht das Urteil. Die Voraussetzungen, un-ter denen na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des Bundesverfassungsgeri[X.]hts aus-7
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nahmsweise ein Beruhen des Urteils auf der Verletzung der Belehrungspfli[X.]ht aus §
257[X.] Abs.
5 StPO ausges[X.]hlossen werden kann (vgl. [X.] aaO Rn.
99), liegen ni[X.]ht vor. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem ni[X.]ht vorbestraften Angeklagten au[X.]h ohne entspre[X.]hende Beleh-rung dur[X.]h das Geri[X.]ht -
etwa aus anderen Strafverfahren oder Gesprä[X.]hen mit seinem Verteidiger -
bekannt gewesen sein könnte, wann die Bindung des Ge-ri[X.]hts an eine Verständigung entfällt.
Der [X.] kann ni[X.]ht auss[X.]hließen, dass si[X.]h der Verstoß gegen die Be-lehrungspfli[X.]ht aus §
257[X.] Abs.
5 StPO hier in der Weise ursä[X.]hli[X.]h auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt hat, dass er kein Geständnis abgelegt und si[X.]h vielmehr gegen den Tatvorwurf verteidigt hätte, wenn er [X.] belehrt worden wäre. Sol[X.]hes liegt zwar im Hinbli[X.]k auf die
Be-weislage bei Anklageerhebung ni[X.]ht nahe, ist aber angesi[X.]hts des Umstandes, dass ohne das Geständnis des Angeklagten letztli[X.]h im Wesentli[X.]hen die
Fra-ge der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Kindes zu den Vorwürfen an ihm [X.] Taten (s[X.]hweren) sexuellen Missbrau[X.]hs gemäß §§
176, 176a StGB für den Tatna[X.]hweis auss[X.]hlaggebend sein könnte, au[X.]h ni[X.]ht ledigli[X.]h eine entfernte Mögli[X.]hkeit. Insoweit
in Betra[X.]ht kommende Beweisanträge liegen auf der Hand. Der Umstand, dass die Bindung des Geri[X.]hts an die Verständigung 10
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hier ni[X.]ht gemäß §
257[X.] Abs.
4 StPO entfallen ist und das [X.] die zu-gesagte Strafobergrenze eingehalten hat, s[X.]hließt das Beruhen des Urteils auf dem [X.] ni[X.]ht aus (vgl. [X.] aaO Rn.
127).
[X.] Graf Jäger
Cirener
Radtke
Meta
11.04.2013
Bundesgerichtshof 1. Strafsenat
Sachgebiet: StR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2013, Az. 1 StR 563/12 (REWIS RS 2013, 6697)
Papierfundstellen: REWIS RS 2013, 6697
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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