Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2021, Az. 6 StR 307/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2021, 3761

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Gegenstand

Bestellung eines Pflichtverteidigers für den Angeklagten: Erstreckung auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge


Tenor

Der Antrag des Angeklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der das Urteil mit der Sachrüge angreifende Angeklagte beantragt, ihm für die Revisionsinstanz zur Verteidigung gegen den [X.] Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin zu bewilligen. Der Antrag hat keinen Erfolg.

2

Auch soweit die Revision des Angeklagten betreffend die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden der Adhäsionsklägerin Aussicht auf einen Teilerfolg hat, steht dem Angeklagten keine Prozesskostenhilfe zu. Denn ihm ist bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Diese Beiordnung erstreckt sich auf das Adhäsionsverfahren.

3

1. Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juni 2011 - I Ws 166/11; [X.], Beschluss vom 29. Juni 2005 - 2 Ws 254/05; [X.], Beschluss vom 31. Mai 2001 - 2 [s] Sbd. 6-87/01; [X.], Beschluss vom 30. Juli 1997 - 1 [X.], [X.], 101; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 143 Rn. 1; KK-[X.]/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 404 Rn. 21; [X.]/[X.], [X.] Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 [X.] Rn. 21; HK-[X.]/[X.], 8. Aufl., [X.] [X.] 4141 Rn. 22; [X.], [X.], 24. Aufl., [X.] 4143, 4144 Rn. 5, jeweils mwN), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. [X.], Beschluss vom 27. März 2013 - 3 Ws 2/13; KG, Beschluss vom 24. Juni 2010 - 1 Ws 22/09; [X.], Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 1 Ws 576/08; [X.], 114; MüKo-[X.]/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; [X.]/von [X.]/[X.], [X.], Stand 2020, § 404 Rn. 29; SSW-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 404 Rn. 19; [X.]/[X.]/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., [X.] [X.] Nr. 4141 - 4147 Rn. 41, jeweils mwN). Der [X.] hat die Frage - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 2 StR 351/13).

4

2. Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst.

5

a) Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 [X.], so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 [X.]), mithin auch auf die Verteidigung gegen [X.] (KK-[X.]/Willnow, aaO).

6

Dies ergibt sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen - in der Regel untrennbaren - Verbindung zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 30. März 2001 - 3 StR 25/01, [X.]R [X.] § 397a Abs. 1 Beistand 4). Die sich aus der strafprozessualen Verknüpfung von Tat und Anspruch resultierende Effizienz ist gerade Zweck des Adhäsionsverfahrens (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Mai 2001 - 2 [s] Sbd. 6 - 87/01). Auch der Gesetzgeber ist mit der Regelung der Nr. 4143 [X.]-[X.] davon ausgegangen, dass die das Adhäsionsverfahren betreffende Gebühr ohne Weiteres dem „Pflichtverteidiger“ zusteht (vgl. BT-Drucks. 15/1971, [X.]; siehe außerdem [X.]/[X.], [X.] Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 [X.], Rn. 21).

7

Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Wirkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist überdies der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 ([X.] I, [X.]128) neugefassten Vorschrift des § 143 Abs. 1 [X.] zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber hat die Richtlinie 2016/1919 des [X.] und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren ([X.] [X.] vom 4.11.2016, [X.], „PKH-Richtlinie“) unter Beibehaltung des Systems der notwendigen Verteidigung in nationales Recht umgesetzt (vgl. BT-Drucks. 19/13829, [X.]). Er hat eine Entscheidung gegen die „antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung“ getroffen (vgl. BT-Drucks. 19/13829, [X.], 27), weil es „keine Vorteile mit sich bringen würde“. Daraus wird deutlich, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Strafverfahren kein Nebeneinander von Prozesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.

8

b) Die Vorschrift des § 404 Abs. 5 [X.], die die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Angeschuldigten im Adhäsionsverfahren zulässt, gebietet keine andere Wertung, denn sie bleibt zumindest für die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 140 [X.] nicht vorliegen, von Bedeutung.

Sander     

        

König     

        

Feilcke

        

Tiemann     

        

von [X.]     

        

Meta

6 StR 307/21

27.07.2021

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 27. Juli 2021, Az: 6 StR 307/21, Beschluss

§ 140 StPO, § 143 Abs 1 StPO, § 403 StPO, § 404 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2021, Az. 6 StR 307/21 (REWIS RS 2021, 3761)

Papier­fundstellen: NJW 2021, 2901 REWIS RS 2021, 3761

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