Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2016, Az. 4 StR 266/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16646

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:040216B4STR266.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4
StR 266/15

vom
4. Februar
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
Misshandlung eines Schutzbefohlenen

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 4.
Februar
2016
gemäß §
349 Abs.
4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13.
Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere als Jugend-schutzkammer zuständige [X.] des [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Misshandlung von [X.] durch Unterlassen zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revi-sion des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte zusammen mit seiner [X.] und dem gemeinsamen am 5.
Dezember
2011 geborenen [X.] J.

in
1
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3
-
einer Wohnung. Die Versorgung des Kindes übernahmen arbeitsteilig aus-schließlich beide Elternteile. Das Kind wurde öfter misshandelt, so dass es [X.] Verletzungen in Form von sichtbaren Prellungen aufwies. Welcher Elternteil dem Kind welche Verletzungen zugefügt hatte, hat nicht festgestellt werden können. Sicher ist jedoch, dass sowohl die Mutter als auch der Angeklagte wussten, dass das Kind Verletzungen durch elterliche Misshandlungen erlitten hatte.
Am Abend des 11.
April 2012 erhielten der Angeklagte und seine Verlob-te Besuch von einem Bekannten, mit dem sie gemeinsam im Wohnzimmer die Fernsehübertragung eines Fußballspiels anschauten. Gegen 22.30
Uhr wurde das Kind ins Bett gebracht. Nach 23.30
Uhr, als der Angeklagte von der Toilette kommend sich anschickte, das Wohnzimmer wieder zu betreten, machte J.

durch Geräusche auf sich aufmerksam, worauf beide Elternteile gemeinsam in das Kinderzimmer gingen, um nach dem Kind zu sehen. Kurz darauf ertönte aus dem Kinderzimmer ein krachendes Geräusch. Die [X.] geht zu-gunsten des Angeklagten davon aus, dass bei dem im Kinderzimmer befind-lichen Kinderbett drei der vier Fixierungen des Lattenrostes aus dem Rahmen gebrochen waren, was zur Folge hatte, dass der sich auf die Bettumrandung stützende Angeklagte mit den Händen auf den Kopfbereich von J.

stürzte
und dies bei dem Kind zu Hämatomen am Kopf, einer
Einblutung an der Zunge sowie einer Quetsch-Rissverletzung unter dem Auge führte. Wenige Minuten später, gegen 23.45
Uhr, als beide Elternteile sich noch gemeinsam im Kinder-zimmer befanden, wurde das Kind von einem Elternteil für den anderen er-kennbar über einen Zeitraum von mindestens fünf bis zehn Sekunden heftig geschüttelt. Die [X.], die nicht hat feststellen können, wer aktiv handel-te, geht zugunsten des Angeklagten davon aus, dass das Schütteln durch die Mutter erfolgte. Der Angeklagte erkannte aber zumindest die [X.]
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4
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lung an dem Kind. Es war ihm bewusst, dass es durch das rohe Schütteln er-heblich verletzt werden wird, und er hatte auch die Möglichkeit, durch ein schnelles Eingreifen die Tat zu verhindern. Es kam ihm darauf an, dass das Kind aufhört zu schreien und er selbst wieder seine Ruhe hat.
J.

hörte unmittelbar nach dem Schütteln auf zu schreien, er röchelte
und es stellten sich Atemaussetzer ein. Die Mutter kam mit dem Kind auf dem Arm in Begleitung des Angeklagten aus dem Kinderzimmer zurück ins [X.]. Beide Eltern schwiegen und zeigten sich betroffen. Anschließend alar-mierte der Bekannte auf Aufforderung des Angeklagten den Notarzt, der das Kind ins Krankenhaus verbrachte. Bei einer am Folgetag durchgeführten rechtsmedizinischen Untersuchung des Kindes wurden neben alten Hämato-men u.a. eine Knochenhautabhebung am rechten
Oberarmknochen, ein Korti-kalisdefekt an der linken Elle, massive ubiquitäre zirkumskripte Blutungen in der Netzhaut und chronische subdurale Hämatome mit frischen Anteilen [X.]. Die Verletzungen sind zwischenzeitlich ohne dauerhafte Schädigung aus-geheilt.
Das [X.] sieht den Tatbestand des §
225 Abs.
1 StGB in der
Alternative des rohen Misshandelns durch Unterlassen verwirklicht und stützt die rechtliche Bewertung darauf, dem Angeklagten als Beschützergarant
sei aus den Vorverletzungen
bekannt gewesen, dass das Kind entweder durch ihn selbst oder die Mutter misshandelt worden sei, wobei ihm aus beiden Varianten eine besondere Fürsorgepflicht erwachsen sei. Zumindest sei dem Angeklagten eine schadensabwendende Intervention gegenüber der Mutter möglich gewe-sen, weil er sich in unmittelbarer Nähe des Tatgeschehens befunden und es unmittelbar mitbekommen habe.
4
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-
5
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II.
Die Verurteilung hat keinen Bestand.
Der Tatbestand des §
225 Abs.
1 StGB kann in den Tatalternativen des [X.] und des rohen Misshandelns auch durch Unterlassen verwirklicht
werden (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
Januar 1991 -
4
StR
560/90, NStZ 1991, 234).
Das [X.] ist daher im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass in Fällen, in denen nicht festgestellt werden kann, wer
von beiden Elternteilen die Misshandlung zum Nachteil des gemeinsamen Kindes vornahm, in Anwen-dung des Zweifelssatzes eine Strafbarkeit wegen Unterlassungstäterschaft in Betracht
kommt (vgl. [X.], Urteil vom 3.
Juli 2003 -
4
StR
190/03, [X.], 94; Beschluss vom 21.
November 2002 -
4
StR
444/02, [X.], 450). Die Erwägungen, mit denen die [X.] eine Handlungspflicht des Angeklag-ten angenommen und die
für ihn bestehende Möglichkeit der Erfolgsabwen-dung bejaht hat, halten indes einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1.
Soweit die [X.] die Pflicht des Angeklagten, zum Schutz sei-nes [X.]es tätig zu werden, auf dessen Kenntnis von früheren elterlichen Misshandlungen gestützt hat, hat sie übersehen, dass eine solche Handlungs-pflicht des Angeklagten nur existierte, falls die früheren Misshandlungen durch die Mutter des Kindes begangen worden waren. In diesem Fall hätte der [X.] bereits im Vorfeld der neuerlichen Gewalttat durch die Mutter [X.] Maßnahmen ergreifen müssen, um weitere drohende Übergriffe von dem Kind abzuwenden (vgl. [X.], Urteil vom 3.
Juli 2003 -
4
StR
190/03 aaO; [X.] vom 21.
November 2002 -
4
StR
444/02 aaO; Urteil vom 30.
März 1995 -
4
StR 768/94, [X.]St 41, 113, 117). Hatte dagegen der Angeklagte selbst die früheren Misshandlungen vorgenommen, bestand für ihn keine Verpflichtung, 6
7
8
-
6
-
seinen [X.] vor der Mutter zu schützen, da nach seinem Kenntnisstand von ihr keine Gefahren für das Kind ausgingen (vgl. [X.], Urteil vom 4.
Juli 2002
-
3
StR 64/02). Von welchem Elternteil die dem Tatgeschehen vorausgegange-nen Übergriffe zum Nachteil des gemeinsamen [X.]es verübt worden waren, hat das [X.] aber gerade nicht feststellen können.
2.
Auch den Erwägungen, mit denen die [X.] die Pflicht und die Möglichkeit der
Erfolgsabwendung aus dem konkreten Tatgeschehen abgeleitet hat, begegnen durchgreifende rechtliche Bedenken. Denn für die Feststellung, wonach der Angeklagte die Verletzungshandlung an J.

erkannte und die
Möglichkeit hatte, die Tat durch schnelles Eingreifen zu verhindern, fehlt im Rahmen der Ausführungen zur Beweiswürdigung jede Begründung, so dass nicht nachvollzogen werden kann, auf welcher Tatsachengrundlage der Tatrich-ter zu seiner Überzeugung gelangt ist. Dass der Angeklagte das
-
zu seinen Gunsten angenommen
nur fünf Sekunden dauernde
-
Verletzungsgeschehen unmittelbar mitbekam und noch rechtzeitig hätte eingreifen können, versteht sich auch angesichts des Umstands, dass sich beide Elternteile in dem über-sichtlich möblierten Kinderzimmer aufhielten, nicht von selbst, zumal der
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-
7
-
Aufenthalt ca. 15
Minuten dauerte und es vor dem eigentlichen Tatgeschehen zu der Beschädigung des Kinderbettes kam.
Sost-Scheible
Rin[X.] Roggenbuck ist urlaubs-bedingt abwesend und deshalb ge-hindert zu unterschreiben.
Sost-Scheible
Cierniak
Franke
Bender

Meta

4 StR 266/15

04.02.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2016, Az. 4 StR 266/15 (REWIS RS 2016, 16646)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16646

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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