Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2013, Az. II ZR 54/12

II. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 7856

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZR 54/12
vom

26. Februar 2013

in dem Rechtsstreit

-
2
-

Der I[X.]
Zivilsenat des [X.] hat am 26.
Februar 2013
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Bergmann und die
Richterin
Caliebe sowie die Richter Dr.
Drescher, Born
und Sunder
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers
wird das Urteil des 9.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Celle
vom 11.
Januar 2012
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.300.000

Gründe:

[X.] Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der i.

GmbH (Schuldnerin), das auf Eigenantrag vom 25.
Mai 2005 am 1.
August 2005 eröffnet wurde. Er nimmt den Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin auf Ersatz von 1.300.000

wegen Zahlungen nach Insolvenzreife
in Anspruch (§
64 Abs.
2 Satz
1 GmbHG in der bis
zum 31.
Oktober 2008 geltenden Fassung). In erster Linie stützt er seine Klage auf 1
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3
-

Zahlungen im Zeitraum vom 6.
Oktober 2004 bis zum 24.
Mai 2005 i.H.v. 1.075.926,30

tember 2004 i.H.v. 224.073,70

Parteien streiten im Wesentlichen um die Frage,
ob und gegebenenfalls wann die Schuldnerin bereits vor Stellung des Insolvenzantrags
zahlungsunfähig [X.]. §
17 Abs.
2 Satz
1 InsO war.

Das [X.] hat der Klage stattgegeben.
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die
Nichtzulassungsbeschwerde
des Klägers.

I[X.]
Die Beschwerde ist begründet und führt unter Aufhebung des angefoch-tenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt (§
544 Abs.
7 ZPO).

1. Das Berufungsgericht hat Vorbringen des Klägers zu Tatsachen, die auf eine die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin begründende [X.]. §
17 Abs.
2 Satz
2 InsO hindeuten, in seiner Entscheidung nicht gewürdigt, was den Umständen nach darauf schließen lässt, dass es dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen
und erwogen
hat.

a) Das Berufungsgericht hat seine Würdigung, nach der die Klage bereits unschlüssig ist, darauf gestützt, dass der Kläger eine schon vor dem tatsächlichen Insolvenzantrag eingetretene Zahlungsunfähigkeit nicht dargelegt habe. Dabei hat es sich ausschließlich mit dem umfangreichen Vorbringen des Klägers zur [X.] der Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin
[X.]. §
17 Abs.
2 Satz
1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz
zu den Stichtagen
1.
Februar und 1.
September 2004 auseinandergesetzt. Dies deutet darauf hin, dass das Berufungsgericht ein 2
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4
-

nach der Rechtsprechung des [X.] entscheidungserhebliches
Vor-bringen
des Klägers übersehen
hat.

Die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit anhand einer Liquiditätsbilanz ist entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung (§
17 Abs.
2 Satz
2 InsO) die gesetz-liche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit
begründet ([X.], Urteil vom 20.
Novem-ber 2001
[X.], [X.]Z 149, 178, 184
f.; Urteil vom 12.
Oktober 2006

IX
ZR
228/03, [X.], 2222 Rn.
28; Urteil vom 21.
Juni 2007
IX
ZR
231/04, [X.], 1469
Rn.
27).
Zahlungseinstellung ist dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich also mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte [X.] aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seinen fälligen, einge-forderten Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für die Annahme einer
Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Sogar die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbe-trächtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen
([X.], Urteil vom 30.
Juni 2011

IX
ZR
134/10, [X.], 1416 Rn.
12, 15; Urteil vom 24.
Januar 2012

II
ZR
119/10, [X.], 723 Rn.
13; Urteil vom 27.
März 2012
II
ZR
171/10, [X.], 1174
Rn.
25; Urteil vom 29.
März 2012
IX
ZR
40/10, [X.], 998 Rn.
15; Versäumnisurteil vom 19.
Juni 2012
II
ZR
243/11, [X.], 1557 Rn.
24; Urteil vom 10.
Januar 2013
IX
ZR
13/12, [X.], 174
Rn.
16
Göttinger Gruppe).

b) Der Kläger hat bereits im Verfahren erster Instanz vorgetragen, dass im Zeitraum der streitgegenständlichen Zahlungen fällige Verbindlichkeiten erhebli-6
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chen Umfangs bestanden
hätten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ausgeglichen worden seien. Dieses Vorbringen hat der Kläger auf den Hin-weis des Berufungsgerichts vom 5.
September 2011 hin zumindest im Hinblick auf die bis einschließlich September 2004 fälligen Verbindlichkeiten wiederholt. Mit diesem Vorbringen setzt sich
das Urteil nicht auseinander. Aus dem [X.] wird auch nicht deutlich, dass das Vorbringen vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus betrachtet unerheblich war.

2.
Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich.
Der
Kläger hat unter Angabe des jeweiligen Gläubigers, des [X.] und des Fälligkeits-datums bis August 2004 fällige Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als 15.000

behauptet, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht ausgeglichen wurden. Diese [X.] wuchsen nach den Angaben des Klägers bis Ende September 2004 auf ca.
25.000

Ende Oktober 2004 auf über 43.000

an. Diese Beträge können angesichts der vom Berufungsgericht festgestellten Gesamtverbindlich-keiten von rund 400.000

September 2004 nicht als unerheblich angese-hen werden.

II[X.] Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1. Das Berufungsgericht wird sich mit der Wirksamkeit der fristlosen Kündi-gung der Geschäftsbeziehung durch die D.

Bank mit Schreiben vom 27.
Februar 2003 auseinandersetzen müssen. Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Kündigung berechtigt war, können die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der D.

Bank nicht deswegen unberücksichtigt bleiben, weil der Kläger die [X.] zu den einzelnen Darlehen nicht ausreichend dargelegt hat
oder nicht erkennbar ist, ob und in welchem Umfang die mit der Kündigung fälligen Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen waren. Nach den oben dargestellten Grundsätzen 8
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ist allein der Umstand, dass ein wesentlicher
Teil der zum Jahresende 2003 bestehenden Verbindlichkeiten
gegenüber der D.

Bank nicht (vollständig) ausgeglichen wurde, ein erhebliches Indiz für eine Zahlungseinstellung.

Nach der Bilanz der Schuldnerin zum 31.
Dezember 2003, vorgelegt als Anlage K
24,
bzw. den Vorjahreszahlen der vom Beklagten als Anlage B
14 vorgelegten Bilanz zum 31.
Dezember 2004
haben
zum Jahresende 2003 Verbind-lichkeiten der Schuldnerin gegenüber der D.

Bank im Umfang von rund 310.000

. Die
vom Kläger unter Bezugnahme auf die Anlage BB
10 behaupteten [X.] zum
1.
Januar 2004 weichen hiervon zwar geringfügig ab. Aus dem Gesamtzusammenhang ist jedoch zu ersehen, dass ein wesentlicher Teil der zum Jahresende
2003 fälligen
[X.]
bis zur Eröffnung des [X.] nicht zurückgezahlt wurde. Dies gilt insbesondere für den auf dem Konto Nr.

eingeräumten Kredit, der am 1.
Januar 2004 i.H.v.
170.324,12

-öffnung noch i.H.v. 131.018,57

.

2. Für die Frage der Zahlungseinstellung kommt es daher auch nicht entscheidend auf den
im Februar 2004 gewährten Zahlungsaufschub an, weil die Verbindlichkeiten
zu diesem
Zeitpunkt bereits mehr als drei Wochen
offen standen. Im Zusammenhang mit dem Zahlungsaufschub
hat das Berufungsgericht im Übrigen verkannt, dass es für die Fälligkeit der Verbindlichkeiten im insolvenz-rechtlichen Sinne nach Ablauf des 30.
Juni 2004 keiner erneuten [X.] bedurfte.
Von der Nichtzahlung einer nach §
271 Abs.
1 BGB fälligen Forderung darf zwar nicht schematisch auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden. Eine Forderung ist vielmehr nur dann zu berücksichtigen, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt. Hierfür genügen sämtliche fälligkeitsbegrün-denden Handlungen des Gläubigers, gleich ob die Fälligkeit aus der ursprüng-11
12
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7
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lichen Vertragsabrede oder aus einer nach Erbringung der Leistung übersandten Rechnung herrührt. Eine zusätzliche Rechtshandlung im Sinne eines Einforderns ist daneben entbehrlich. Dieses Merkmal dient allein dem Zweck, solche fälligen Forderungen bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit auszuschließen, die rein tatsächlich

also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklä-rung

gestundet sind ([X.], Beschluss vom 19.
Juli 2007

IX
ZB
36/07, [X.]Z 173, 286 Rn.
18
f.; Urteil vom 20.
Dezember
2007

IX
ZR
93/06, [X.], 420 Rn.
25
f.;
Urteil
vom 14.
Mai 2009

IX
ZR
63/08, [X.]Z 181, 132 Rn.
22; [X.] vom 14.
Juli 2011

IX
ZB
57/11, [X.], 1875 Rn.
9; Urteil vom 22.
November
2012
IX
ZR
62/10, [X.], 79
Rn.
8).

Die D.

Bank hatte sich bereits mit Schreiben vom 2.
März 2004 alle Maßnahmen zur Beitreibung ihrer Forderungen nach Ablauf des
30.
Juni 2004 vorbehalten und damit ihren Willen, Zahlung zu verlangen, unmissverständlich bekundet.
Dies wird das Berufungsgericht in seiner tatrichterlichen Würdigung zu berücksichtigen haben. Zu würdigen ist
wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat

auch, dass die Ausführung weiterer Überweisungen und die Zu-lassung von [X.] ein Anhaltspunkt dafür sind, dass die D.

Bank der Schuldnerin
wieder Kredit eingeräumt hat und damit zugleich von ihrem Erfüllungsverlangen Abstand genommen haben könnte. In Widerspruch dazu steht es allerdings, dass die D.

Bank das Kontokorrentverhältnis ungeachtet dessen nicht fortgesetzt hat, sondern
wie aus der Anlage [X.] zu ersehen

weiter vom Verzug der Schuldnerin ausgegangen ist (vgl. zur Fortsetzung eines Kontokorrentverhältnisses: [X.], Urteil vom 20.
Mai 2003
XI
ZR
235/02, [X.], 1435, 1436). Näher zu begründen
wäre auch, warum einzelne weitere Belastungen auf dem Konto Nr.

die Fälligkeit sämtlicher Verbindlich-
keiten aus der Geschäftsverbindung in Frage stellen
sollen.

13
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8
-

3. Sollte das Berufungsgericht die Überzeugung von einer
Zahlungs-einstellung [X.]. §
17 Abs.
2 Satz
2 InsO gewinnen, steht es dem
Beklagten offen, die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu widerlegen, indem er etwa konkret vorträgt und gegebenenfalls beweist, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgebenden Zeitraum für die Schuldnerin eine Deckungslücke von weniger als 10
% ausge-wiesen hat
([X.], Urteil vom 24.
Mai 2005
IX
ZR
123/04, [X.]Z 163, 134, 144 ff.; Urteil vom 30.
Juni 2011
IX
ZR
134/10, [X.], 1416
Rn.
20; Urteil vom 15.
März 2012
IX
ZR
239/09, [X.], 735 Rn.
18).

Bergmann

Caliebe

Drescher
Born

Sunder
Vorinstanzen:
[X.], Urteil vom 4. April 2011 O 28/09
[X.], Urteil vom 11. Januar 2012 U 65/11
14

Meta

II ZR 54/12

26.02.2013

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2013, Az. II ZR 54/12 (REWIS RS 2013, 7856)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7856

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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II ZR 54/12

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