Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.05.2013, Az. 1 C 16/12

1. Senat | REWIS RS 2013, 5875

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Gegenstand

Assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht; Verletzung von Mitteilungspflichten; Rechtsmissbrauch


Leitsatz

1. Die anlässlich der Erteilung einer mehrjährigen Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug schriftlich übernommene Verpflichtung, der Ausländerbehörde unverzüglich jede Veränderung der ehelichen Lebensgemeinschaft (z.B. Trennung über einen längeren Zeitraum, Wohnungswechsel oder ähnliche Umstände) mitzuteilen, bedarf für ihre Wirksamkeit keiner Rechtsgrundlage.

2. Ein Ausländer kann sich für Zeiträume, in denen er nach Trennung der Eheleute als Arbeitnehmer tätig war, nicht auf eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 (juris: EWGAssRBes 1/80) berufen, wenn er die übernommene Offenbarungspflicht vorsätzlich verletzt hat (Gedanke des Rechtsmissbrauchs).

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine [X.] Staatsangehörige, begehrt die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 [X.].

2

Die 1973 geborene Klägerin war im Februar 2003 im [X.] aufgegriffen worden, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein. Sie wurde vom Beklagten am 6. Februar 2003 ausgewiesen und in die [X.] abgeschoben.

3

Im September 2004 heiratete sie in der [X.] einen [X.] Staatsangehörigen und erhielt nach Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung im Januar 2006 ein Visum zum Ehegattennachzug. Nach ihrer Einreise beantragte sie bei der Ausländerbehörde in [X.] die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Am 23. Mai 2006 gaben die Klägerin und ihr Ehemann bei der Ausländerbehörde schriftliche Erklärungen über das Bestehen einer auf Dauer angelegten ehelichen Lebensgemeinschaft ab und verpflichteten sich, der Ausländerbehörde jede Veränderung der ehelichen Gemeinschaft unverzüglich mitzuteilen. Daraufhin erhielt die Klägerin am gleichen Tag eine bis zum 22. Mai 2009 gültige Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug.

4

Im Mai 2009 teilte die Klägerin der Ausländerbehörde in [X.] mit, sie habe sich bereits im Februar 2007 von ihrem Ehemann getrennt und sei nach [X.] gezogen, wo sie seit November 2007 beschäftigt sei. Am 13. Mai 2009 meldete sie sich erstmalig mit Hauptwohnsitz in [X.] ([X.]) an und beantragte am 22. Juni 2009 beim Beklagten eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 [X.]. Beigefügt waren u.a. Lohnabrechnungen von November 2007 bis Juni 2009, in denen [X.] als Wohnort der Klägerin angegeben ist.

5

Das [X.] von [X.] teilte dem Beklagten mit, der Ehemann der Klägerin habe sich seit 10. Juli 2007 aus der gemeinsamen Wohnung abgemeldet. Er habe zwei Kinder mit einer [X.] Staatsangehörigen, von denen das erste am 8. Januar 2007 geboren sei. Die Eheleute lebten seit 1. Februar 2007 getrennt, und die Klägerin habe seit Januar 2008 eine Lohnsteuerkarte mit der Steuerklasse [X.] Ihr Ehemann habe erklärt, dass er seit 1. Februar 2007 von seiner Ehefrau dauernd getrennt lebe.

6

Mit Bescheid vom 27. August 2009 lehnte der Beklagte die Ausstellung der beantragten Aufenthaltserlaubnis ab, setzte der Klägerin eine Ausreisefrist von drei Monaten und drohte ihr die Abschiebung in die [X.] an. Der Bescheid wurde darauf gestützt, dass der Aufenthalt der Klägerin nicht ordnungsgemäß im Sinne des Art. 6 Abs. 1 [X.] 1/80 sei. Sie habe spätestens ab November 2007 ihren Lebensmittelpunkt und ihren Arbeitsplatz im [X.] gehabt. Sie sei ihren Meldepflichten nicht nachgekommen, um den Anschein aufrechtzuerhalten, weiterhin in der bisherigen Ehewohnung mit dem Ehemann zusammenzuleben.

7

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der [X.] hat die Berufung der Klägerin mit Beschluss vom 9. Februar 2012 zurückgewiesen. Er hat seine Entscheidung damit begründet, dass eine Beschäftigung nur dann ordnungsgemäß im Sinne des Art. 6 Abs. 1 [X.] 1/80 sei, wenn sie im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaates stehe. Beschäftigungszeiten aufgrund eines Aufenthaltstitels, der nur aufgrund einer Täuschung erteilt worden sei, seien nicht ordnungsgemäß. Es könne dahinstehen, ob das Unterlassen einer Mitteilung über die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich dem Erwirken einer Aufenthaltserlaubnis durch Täuschung gleichzustellen sei. Jedenfalls in dem hier vorliegenden Fall verstieße es gegen [X.] und Glauben, wenn die Klägerin Aufenthaltsrechte aus einer Erwerbstätigkeit herleiten könnte, die sie nur habe aufnehmen können, weil sie mehr als zwei Jahre ihrer Mitwirkungsverpflichtung nicht nachgekommen sei. Damit habe sie den Ausländerbehörden die Möglichkeit genommen, ihren Aufenthalt vorzeitig zu beenden. Es spreche einiges dafür, dass die Eheleute bereits bei Abgabe der Erklärungen am 23. Mai 2006 nicht in ehelicher Gemeinschaft gelebt hätten und die Erklärungen wahrheitswidrig nur abgegeben worden seien, um der Klägerin ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Das könne aber dahinstehen, da sich jedenfalls das weitere Verhalten der Klägerin als rechtsmissbräuchlich erweise.

8

Zwar ergebe sich die Pflicht zur Mitteilung der veränderten Lebensumstände nicht aus § 82 [X.]. Die Klägerin habe sich aber am 23. Mai 2006 wirksam verpflichtet, der Ausländerbehörde unverzüglich jede Veränderung der ehelichen Lebensgemeinschaft (z.B. Trennung über einen längeren Zeitraum, Wohnungswechsel oder ähnliche Umstände) mitzuteilen. Die schriftliche Erklärung sei inhaltlich hinreichend bestimmt und lasse den [X.] deutlich erkennen. Alternativ zu der die Klägerin weniger belastenden Erklärung hätte die Behörde die Möglichkeit gehabt, die Aufenthaltserlaubnis mit einer kürzeren Geltungsdauer zu erteilen oder den Aufenthaltstitel mit einer Nebenbestimmung zu versehen.

9

Der von ihr übernommenen Verpflichtung sei die Klägerin nicht nachgekommen. Sie habe selbst vorgetragen, bereits seit Juni 2007 in [X.] zu arbeiten. Sie habe sich erst unmittelbar vor Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis in [X.] angemeldet und dabei zum [X.] angegeben, dauerhaft von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Dieses Vorgehen sei offensichtlich von dem Willen getragen gewesen, die ihr zum Zweck der Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis vollumfänglich auszunutzen, bevor sie der Ausländerbehörde die Änderung ihrer Lebensumstände mitgeteilt habe. Angesichts der Gesamtumstände des Falles sei das Unterlassen der entsprechenden Mitteilung der Abgabe unrichtiger Angaben vergleichbar.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, es gebe keine gesetzliche Regelung, die einem Ausländer vorschreibe, ihm ungünstige Umstände der Ausländerbehörde unaufgefordert mitzuteilen. Eine Offenbarungspflicht habe auch nicht durch die von der Klägerin unterzeichnete Erklärung begründet werden können. Ohne gesetzliche Rechtsgrundlage sei diese von ihr abgegebene Erklärung wirkungslos. Der melderechtliche Verstoß der Klägerin lasse eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit zu, führe aber nicht zu einem Verlust ihres assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Damit sei die Beschäftigung der Klägerin ordnungsgemäß im Sinne des Art. 6 Abs. 1 [X.] 1/80.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des Berufungsgerichts und führt aus, dass § 82 [X.] durch § 26 Abs. 2 VwVfG ergänzt werde. Die Ausländerbehörde habe statt einer kürzeren Befristung eine Variante gewählt, die die Klägerin weniger belaste. Daher sei die Übertragung der Mitwirkungspflicht zumutbar. Die Klägerin habe den Behörden sämtliche Prüfungsmöglichkeiten genommen. Deshalb stehe ihr Verhalten einer Täuschung gleich.

Der Vertreter des [X.] hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet. § 82 Abs. 1 [X.] schließe nicht das Recht der Ausländerbehörde aus, die Abgabe einer Verpflichtungserklärung zu verlangen. Durch die Vorschrift werde der allgemeine verfahrensrechtliche Untersuchungsgrundsatz zulasten des Ausländers erweitert und nicht eingeschränkt. Die Übernahme einer Offenbarungspflicht sei in gleicher Weise zulässig wie eine Nebenbestimmung und stelle für den Ausländer ein milderes Mittel dar, da er weniger häufig bei der Ausländerbehörde vorsprechen und seltener Gebühren für die Titelerteilung zahlen müsse.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, die Beschäftigung der Klägerin sei nicht ordnungsgemäß im Sinne des Art. 6 [X.] 1/80, verletzt [X.] (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar ist die Klägerin der von ihr wirksam übernommenen Verpflichtung nicht nachgekommen, der Ausländerbehörde unverzüglich jede Veränderung der ehelichen Lebensgemeinschaft mitzuteilen. Das Berufungsgericht hat es aber versäumt, die für einen Rechtsmissbrauch wegen Täuschung notwendigen tatsächlichen Feststellungen zum Täuschungsvorsatz der Klägerin zu treffen. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung vermag der Senat in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden, so dass der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

1. Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei [X.] auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (st[X.]pr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 [X.] 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = [X.] 402.242 § 32 [X.] Nr. 4). Nichts anderes gilt bei [X.] auf Ausstellung einer (deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 [X.] zum Nachweis eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts (Urteil vom 19. April 2012 - BVerwG 1 [X.] 10.11 - BVerwGE 143, 38 Rn. 11 = [X.] 451.901 Assoziationsrecht Nr. 60). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des [X.] - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 [X.] 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = [X.] 402.25 § 73 AsylVfG [X.]). Der revisionsgerichtlichen Beurteilung ist daher das [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/[X.] und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 ([X.]) zugrunde zu legen. Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

2. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 [X.] wird einem Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen [X.]/[X.] ein Aufenthaltsrecht zusteht und der weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum [X.] besitzt, auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Nach Art. 6 Abs. 1  1. Spiegelstrich [X.] Nr. 1/80 hat ein [X.] Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht, weiterhin eine unselbstständige Erwerbstätigkeit bei dem gleichen Arbeitgeber auszuüben. [X.] Staatsangehörige, die sich auf dieses Recht berufen wollen, müssen mithin drei Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen Arbeitnehmer sein, dem regulären Arbeitsmarkt im Aufnahmemitgliedstaat angehören und dort mindestens ein Jahr beim gleichen Arbeitgeber einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgehen (Urteil vom 19. April 2012 a.a.[X.] Rn. 13 mit Verweis auf [X.], Urteil vom 4. Februar 2010 - [X.]. [X.]-14/09, [X.] - [X.]. 2010, [X.] Rn. 16).

3. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 [X.] abgelehnt hat, halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

Zwar ist die Klägerin zweifellos Arbeitnehmerin. Denn sie übt eine tatsächliche und echte Vollzeitbeschäftigung im Haushalt der Eheleute [X.] nach deren Weisung aus und erhält hierfür eine Vergütung. Sie gehört auch dem regulären Arbeitsmarkt in [X.] an, denn sie hält sich legal im Aufnahmemitgliedstaat auf und geht hier einer legalen Beschäftigung nach (vgl. zu diesen Voraussetzungen Urteil vom 19. April 2012 a.a.[X.] Rn. 12 ff. m.w.[X.]). Aber die Begründung des Berufungsgerichts für seine Annahme, die Klägerin sei nicht ordnungsgemäß beschäftigt bzw. könne sich aus [X.] und Glauben darauf nicht berufen, verletzt [X.].

3.1 Eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne des Art. 6 [X.] 1/80 setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus. Außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen. Eine in diesem Sinne nur vorläufige Position kann sich zum einen aus verfahrensrechtlichen Vorschriften (etwa zu der Fiktionswirkung eines Antrags oder der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels) ergeben. Beschäftigungszeiten können folglich so lange nicht als ordnungsgemäß angesehen werden, wie nicht endgültig feststeht, dass dem Betroffenen während des fraglichen Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen aus materiellen Gründen zustand (Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 [X.] 13.00 - [X.] 402.240 § 6 AuslG [X.] = NVwZ 2001, 333; [X.], Urteil vom 30. September 1997 - [X.]. [X.]-98/96, Ertanir - [X.]. 1997, [X.] Rn. 47 ff. m.w.[X.]). Zum anderen beruhen auch Beschäftigungszeiten, die ein [X.] Arbeitnehmer während der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt hat, die ihm nur aufgrund einer Täuschung der Behörden erteilt worden ist, nicht auf einer gesicherten Rechtsposition. Sie sind vielmehr als nur aufgrund einer vorläufigen Position zurückgelegt zu betrachten, da dem Ausländer während dieser Zeiten von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht zustand ([X.], Urteile vom 5. Juni 1997 - [X.]. [X.]-285/95, [X.]. 1997, [X.] Rn. 26 f.; vom 30. September 1997 - [X.]. [X.]-36/96, [X.] - [X.]. 1997, [X.] = NVwZ 1999, 283 Rn. 45; vom 30. September 1997 - [X.]. [X.]-98/96, Ertanir - a.a.[X.] Rn. 51; vom 26. November 1998 - [X.]. [X.]-1/97, [X.] - [X.]. 1998, [X.] Rn. 59; vom 11. Mai 2000 - [X.]. [X.]-37/98, [X.] - [X.]. [X.] Rn. 61 f.; vom 29. September 2011 - [X.]. [X.]-187/10, [X.] - NVwZ 2012, 31 Rn. 45 und vom 8. November 2012 - [X.]. [X.]-268/11, [X.] - NVwZ 2012, 1617 Rn. 50 f.).

Der Senat hat bereits entschieden, dass ein [X.] Staatsangehöriger sich auch dann nicht auf ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 6 [X.] 1/80 berufen kann, wenn er wegen der Täuschung der Ausländerbehörde nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden ist (Urteil vom 12. April 2005 - BVerwG 1 [X.] 9.04 - BVerwGE 123, 190 <199 f.> = [X.] 451.901 Assoziationsrecht Nr. 43 mit Verweis auf das Urteil vom 17. Juni 1998 - BVerwG 1 [X.] 27.96 - BVerwGE 107, 58 <71 ff.>). Denn der tragende Grund dafür, die aufenthaltsrechtliche Position des Betroffenen als nicht gefestigt sondern nur vorläufig anzusehen, ist der durch die Täuschung begründete, objektiv vorliegende materielle Mangel des von der Behörde erteilten Aufenthaltstitels, da dem Ausländer während dessen Laufzeit von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht zustand ([X.], Urteile vom 5. Juni 1997 - [X.]. [X.]-285/95, [X.] - a.a.[X.] Rn. 27; vom 11. Mai 2000 - [X.]. [X.]-37/98, [X.] - a.a.[X.] Rn. 61 und vom 29. September 2011 - [X.]. [X.]-187/10, [X.] - NVwZ 2012, 31 Rn. 45). Ebenso ist geklärt, dass es in Fällen einer durch Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis keiner Rücknahme des nationalen Aufenthaltstitels bedarf, um mit Blick auf Art. 6 [X.] 1/80 von einer fehlenden ordnungsgemäßen Beschäftigung auszugehen (Urteil vom 12. April 2005 a.a.[X.] S. 200 f.). Diese Sichtweise, die für das Entstehen eines durch Art. 6 [X.] 1/80 begründeten assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts allein auf das (fehlende) materielle Recht abstellt, wird auch in der systematischen Einordnung der Fallgruppe täuschungsbedingter Nichtentstehung eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts deutlich. In seinem Urteil vom 22. Dezember 2010 - [X.]. [X.]-303/08, [X.] - ([X.]. 2010, [X.] Rn. 47 ff.) hat der Gerichtshof seine o.g. Rechtsprechungslinie in den größeren systematischen Zusammenhang missbräuchlicher Berufung auf Normen des Unionsrechts gestellt. Für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Erwerbs eines Aufenthaltsrechts kommt es aber weder auf eine strafrechtliche Sanktionierung des missbräuchlichen Verhaltens noch auf die rückwirkende Aufhebung des dadurch erwirkten nationalen Aufenthaltstitels an. [X.] unionsrechtliche Zweifelsfragen wurden insoweit weder geltend gemacht noch sind solche für den Senat ersichtlich.

3.2 Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann sich die Klägerin wegen Rechtsmissbrauchs nicht auf eine ordnungsgemäße Beschäftigung berufen. Es verstieße gegen [X.] und Glauben, wenn sie ein Aufenthaltsrecht aus einer Erwerbstätigkeit herleiten könnte, die sie nur habe aufnehmen können, weil sie mehr als zwei Jahre ihrer Mitwirkungsverpflichtung nicht nachgekommen sei. Diese Begründung verletzt [X.]. Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin sich wirksam verpflichtet hat, der Ausländerbehörde unverzüglich jede Veränderung der ehelichen Lebensgemeinschaft mitzuteilen (3.2.1). Nach seinen Feststellungen hat die Klägerin diese Pflicht auch objektiv verletzt (3.2.2) und dadurch die Ausländerbehörde von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung abgehalten (3.2.3). Das Berufungsgericht hat aber nicht - wie für eine Täuschung erforderlich - festgestellt, dass sich die Klägerin subjektiv vorwerfbar, d.h. [X.] verhalten hat (3.2.4).

3.2.1 Die Klägerin hat sich wirksam verpflichtet, der Ausländerbehörde unverzüglich jede Veränderung der ehelichen Lebensgemeinschaft (z.B. Trennung über einen längeren Zeitraum, Wohnungswechsel oder ähnliche Umstände) mitzuteilen. Die schriftliche, von der Klägerin eigenhändig unterschriebene Erklärung vom 23. Mai 2006 ist inhaltlich klar und eindeutig gefasst, lässt den rechtlich verbindlichen Verpflichtungscharakter deutlich erkennen und erweist sich hinsichtlich der übernommenen Verpflichtung als hinreichend bestimmt.

Zwar ergibt sich - wie die Revision zu Recht einwendet - eine solche Offenbarungspflicht außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens weder aus § 82 [X.] noch aus § 26 Abs. 2 VwVfG. Auch ist die Übernahme einer Offenbarungspflicht durch Willenserklärung gesetzlich nicht vorgesehen. Eine gesetzliche Rechtsgrundlage (Befugnisnorm) ist aber nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes nur für die einseitig hoheitliche Auferlegung von Pflichten durch die Verwaltung notwendig, nicht aber für deren Übernahme im Wege der Selbstverpflichtung des Betroffenen. Zudem steht der Inhalt der übernommenen Offenbarungspflicht im Einklang mit den Regelungen des [X.]es. Denn die übernommene Mitwirkungspflicht hätte - worauf der Vertreter des [X.] zutreffend hinweist - gemäß § 12 Abs. 2 [X.] und § 36 VwVfG auch durch eine der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug beigefügte Auflage rechtmäßig verfügt werden können (vgl. Urteil vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 [X.] 20.03 - BVerwGE 121, 86 <90> = [X.] 402.240 § 19 AuslG Nr. 10). Zwar ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem [X.] gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] als gebundene Entscheidung ausgestaltet, aber bei der Ersterteilung steht die Befristung über ein Jahr hinaus (§ 27 Abs. 4 Satz 4 [X.]) im Auswahlermessen der Ausländerbehörde. Des Weiteren betrifft die Offenbarungspflicht entscheidungserhebliche Tatsachen aus der Sphäre der Klägerin (§ 27 Abs. 1 [X.]), die der Ausländerbehörde nicht ohne Weiteres bekannt werden. Daher ist die Übernahme der Offenbarungspflicht auch aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten mit Blick auf die Verantwortungssphären von Ausländer und Behörde legitim. Hätte die Ausländerbehörde die Verpflichtung der Klägerin, jede Veränderung der ehelichen Gemeinschaft unverzüglich mitzuteilen, im Wege einer Auflage zur Aufenthaltserlaubnis verfügt, wäre das mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben zur Ermessensausübung in § 36 Abs. 3 und § 40 VwVfG nicht zu beanstanden. Dann ist aber nicht ersichtlich, warum die entsprechende Selbstverpflichtung der Klägerin nicht wirksam sein sollte. Schließlich hätte die Ausländerbehörde alternativ auch die Aufenthaltserlaubnis kürzer als drei Jahre befristen können, um das Vorliegen oder den Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft in kürzeren Intervallen zu überprüfen. Insoweit erweist sich die von ihr gewählte Vorgehensweise nur als günstig für den betroffenen Ausländer, der weniger oft bei der Behörde vorsprechen muss und für den seltener Gebühren wegen der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anfallen.

3.2.2 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin diese Offenbarungspflicht objektiv verletzt. Denn sie hat der Ausländerbehörde nicht unverzüglich, sondern erst im Mai 2009 - kurz vor Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis - mitgeteilt, dass sie sich bereits im Februar 2007 von ihrem Ehemann getrennt hat. Zudem hat sie sich im Mai 2009 erstmals in H. angemeldet.

3.2.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch festgestellt, dass die Verletzung der Offenbarungspflicht kausal war für die nicht früher erfolgte Aufenthaltsbeendigung der Klägerin und die ihr damit erst mögliche Aufnahme einer Beschäftigung. Denn er hat ausgeführt, dass es angesichts des nur kurzen Aufenthalts der Klägerin im [X.] bis zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft und des Fehlens besonderer Umstände zu erwarten gewesen wäre, dass die Ausländerbehörde das ihr durch § 7 Abs. 2 Satz 2 [X.] eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt hätte, eine nachträgliche Befristung zu verfügen. Es kann dahinstehen, ob die Erwägungen des Berufungsgerichts zutreffen, dass eine (nicht von Anfang an rechtswidrige) Aufenthaltserlaubnis nicht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 [X.] nachträglich mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Trennung der Eheleute hätte befristet werden können (so aber [X.], in: [X.], [X.], 9. Aufl. 2011, § 7 [X.] Rn. 43; [X.], Beschluss vom 2. Februar 2010 - 1 [X.]/09 - Inf[X.] 2010, 193 <195>). Aus der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 23. Mai 1995 - BVerwG 1 [X.] 3.94 - BVerwGE 98, 298 <302 ff.>) ergibt sich das jedenfalls nicht.

3.2.4 Die angefochtene Entscheidung verletzt jedoch [X.], da der Verwaltungsgerichtshof von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten der Klägerin ausgegangen ist, ohne die für einen Rechtsmissbrauch infolge Täuschung notwendigen tatsächlichen Feststellungen zum Täuschungsvorsatz der Klägerin zu treffen. Seine Erwägungen in den Entscheidungsgründen, das Vorgehen der Klägerin sei "offensichtlich von dem Willen getragen, die ihr zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis vollumfänglich auszunutzen" ([X.]) und die Einschätzung, "dass die Klägerin offensichtlich keine Bedenken hat, falsche Angaben zu machen, wenn sie sich davon eine Verbesserung ihrer aufenthaltsrechtlichen Position verspricht ..." ([X.]), reichen dafür nicht aus. Vielmehr bedarf es der aufgrund ordnungsgemäßer Beweiswürdigung gewonnenen Überzeugungsgewissheit des Tatrichters, dass sich die Klägerin bewusst ihrer Verpflichtung zuwider verhalten hat.

Diese innere Tatsache ist auch entscheidungserheblich, denn allein ein objektiver Mangel des materiellen Aufenthaltsrechts, der nach nationalem Recht eine nachträgliche Befristung der erteilten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 [X.] gerechtfertigt hätte, reicht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] nicht aus, um einen Missbrauch unionsrechtlicher Rechte anzunehmen (Urteil vom 29. September 2011 - [X.]. [X.]-187/10, [X.] - NVwZ 2012, 31 Rn. 48 ff.). Der Gerichtshof hat entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 [X.] 1/80 die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats daran hindert, die Aufenthaltserlaubnis eines [X.] Staatsangehörigen rückwirkend auf den Zeitpunkt zu widerrufen, von dem an der im nationalen Recht vorgesehene Grund für ihre Erteilung nicht mehr besteht, wenn der Arbeitnehmer keine Täuschung begangen hat und der Widerruf nach Ablauf des in Art. 6 Abs. 1  1. Spiegelstrich genannten Zeitraums von einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung erfolgt. Diese Entscheidung macht deutlich, dass dem [X.] Arbeitnehmer in einer solchen Fallkonstellation ohne vorsätzliches Verhalten auch kein Rechtsmissbrauch entgegengehalten werden kann, wenn er das Ende der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unverzüglich der Ausländerbehörde offenbart, obwohl er eine entsprechende Mitwirkungspflicht übernommen hat.

4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts zur subjektiven Seite vermag der Senat in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Weder erweist sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) noch hätte das Begehren der Klägerin unabhängig vom Vorliegen [X.]en Verhaltens Erfolg. Da sich die Klägerin gegenüber der Ausländerbehörde zur unverzüglichen Mitteilung verpflichtet hatte, entspräche - den Vorsatz zu ihren Lasten unterstellt - die unterlassene Offenlegung der Tatsache, dass die eheliche Lebensgemeinschaft beendet ist, in der Gewichtung einer aktiven Täuschung. Entgegen der Auffassung der Revision erweisen sich, wenn ein Ausländer eine entsprechende Offenbarungspflicht übernommen hat, bei wissentlichem und willentlichen Verschweigen der offenzulegenden Umstände [X.] und Unterlassen unter dem Aspekt des Rechtsmissbrauchs als gleichwertig (a.A. [X.], Beschluss vom 2. Februar 2010 a.a.[X.] S. 195). Daher hängt die Entscheidung des Falles von der Frage ab, ob die Klägerin die Trennung von ihrem Ehemann bewusst verschwiegen hat. Somit ist der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Meta

1 C 16/12

14.05.2013

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 9. Februar 2012, Az: 9 A 1864/10, Beschluss

§ 4 Abs 5 AufenthG 2004, § 7 Abs 2 AufenthG 2004, § 12 Abs 2 AufenthG 2004, § 27 Abs 1 AufenthG 2004, § 27 Abs 4 S 4 AufenthG 2004, § 28 Abs 1 S 1 AufenthG 2004, § 82 AufenthG 2004, Art 6 Abs 1 EWGAssRBes 1/80, § 26 Abs 2 VwVfG, § 36 Abs 3 VwVfG, § 40 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.05.2013, Az. 1 C 16/12 (REWIS RS 2013, 5875)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5875

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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