Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2012, Az. 2 StR 180/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 2512

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 180/12
vom
9.
Oktober 2012
in der Strafsache
gegen

wegen
Vergewaltigung

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 9.
Oktober 2012 gemäß §
349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31.
Januar 2012 -
auch soweit der Angeklagte frei-gesprochen worden ist -
mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen [X.] leidet der Angeklagte seit 1997 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizo-phrenie mit inhaltlichen Denkstörungen, paranoider Symptomatik und teilweise eindeutig wahndeterminiertem Verhalten. Eine im Jahr 2004 angeordnete Un-terbringung nach §
63 StGB wurde zur Bewährung ausgesetzt und der Ange-klagte lebte in der Folgezeit in derselben Therapieeinrichtung wie die später Geschädigte. [X.] nahm er wiederholt die ihm verordneten Medika-1
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mente nicht vollständig ein und zeigte sich erhöht aggressiv. Von den [X.] Bewohnern der Therapieeinrichtung sah er sich zu sexuellen Handlungen gedrängt. Anfang Dezember 2010 fragte er die im Rollstuhl sitzende [X.], ob sie "etwas mit ihm machen wolle". Die Geschädigte lehnte ab und fuhr in [X.]. Der Angeklagte folgte ihr und führte dort an der schwerstbehin-derten Geschädigten, die aufgrund diverser Lähmungen lediglich das rechte Bein, den linken Arm und die Hand eingeschränkt bewegen und nur leise und undeutlich sprechen konnte, gegen deren Willen den Oralverkehr durch.
Die [X.] ist davon ausgegangen, der Angeklagte sei bei Bege-hung der Tat schuldunfähig gewesen (§
20 StGB). Unter dem Einfluss seiner Erkrankung habe bei ihm eine erhöhte Bereitschaft bestanden, dem Sexualtrieb nachzugehen, ohne zuvor andere Handlungsmöglichkeiten zu bedenken. An-gesichts seiner Wahnideen sei davon auszugehen, dass er nicht in der Lage war, das Unrecht seines Tuns einzusehen.
2. Der [X.] hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus werden nicht hinreichend belegt. Die Urteilsfeststellungen tragen nicht die für die Anordnung der Maßregel nach §
63
StGB erforderliche Gefährlichkeits-prognose.
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB ist eine außerordentlich belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn neben weiteren Anordnungsvoraussetzungen eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge
seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Stö-3
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rungen des Rechtsfriedens besorgen lassen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18.
März 2008 -
4 [X.], Rn. 5; vom 16. Juli 2008 -
2 StR 161/08, Rn.
7; jeweils mwN). Die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus ([X.], Beschlüsse vom 10. September 2008 -
2 [X.], Rn. 7; vom 11.
März 2009 -
2 StR 42/09, Rn. 10, [X.], 198).
Diese Anordnungsvoraussetzungen werden vorliegend nicht hinreichend belegt. Ungeachtet dessen, dass letztlich unklar bleibt, welche erheblichen rechtswidrigen Taten zur Überzeugung der [X.] künftig zu erwarten sind, tragen die widersprüchlichen und ungenauen Ausführungen des Landge-richts nicht die Annahme einer Wahrscheinlichkeit "höheren Grades" für die künftige Begehung dieser Straftaten:
Die [X.] ist nach den Ausführungen des von ihr herangezoge-nen Sachverständigen davon ausgegangen, dass sich "mit hoher Wahrschein-lichkeit"
eine ähnliche wie die vom Angeklagten begangene Tat wiederholen könne. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei zwar die Bereit-schaft des Angeklagten für den Einsatz von Gewalt eher gering bis moderat ausgeprägt und eine Bereitschaft für [X.] nicht erkennbar. Auch sei die [X.] als ein eher zufallsbedingtes Geschehen ohne zielstrebige Tatrealisation zu werten. Der Angeklagte übernehme aber keine Verantwortung für sein Handeln, zeige keine Empathie und sei nicht fähig, sich mit der Tat auseinanderzusetzen. Es liege daher eine "moderate bis deutliche Rückfallge-fahr"
vor; ohne Therapie oder andere risikosenkende Maßnahmen sei eine [X.] zwar möglich, jedoch nicht wahrscheinlich. Im Weiteren wird ausgeführt, die Legalprognose sei "aktuell sehr ungünstig, im günstigsten Fall neutral". In Freiheit sei mit "deutlicher"
Wahrscheinlichkeit wieder mit [X.] zu rechnen; bei nicht genügender Medikation sei "durchaus"
mit Gewalt-delikten, wie Körperverletzungen aber auch mit Sexualstraftaten und Tötungs-6
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delikten zu rechnen. Im
Anschluss an den Sachverständigen ist die [X.] schließlich davon ausgegangen, dass zumindest langfristig mit erneuten schwerwiegenden Straftaten "zu rechnen"
sei.
3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Ent-scheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Re-vision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§
358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. [X.] StraFo 2010, 55 mwN). Zwar begegnet die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung im Hinblick auf die zum Nachteil der Geschädigten begangene rechtswidrige [X.] keinen rechtli-chen Bedenken. Die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten wird indes nicht widerspruchsfrei begründet. Soweit das [X.] ausgeführt hat, bei dem Angeklagten habe krankheitsbedingt offenbar eine erhöhte Bereit-schaft bestanden, ohne vorherige Erwägung anderer Handlungsmöglichkeiten dem Sexualtrieb nachzugehen, spricht dies eher dafür, dass der Angeklagte nicht oder nur erheblich eingeschränkt in der Lage war, sein Verhalten entspre-chend seiner noch vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern. Demgegenüber ist die [X.] im Ergebnis davon ausgegangen, der Angeklagte sei [X.] schon nicht in der Lage gewesen,
das Unrecht seines Handels zu erkennen. Im Hinblick darauf und um dem Tatrichter einheitliche Feststellungen zu ermöglichen, war auch der den Angeklagten für sich genommenen nicht be-schwerende Freispruch aufzuheben.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass ins-besondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte vorliegend nur mit einer [X.] in Erscheinung getreten ist, die zudem nicht mit der Anwendung von körperlicher Gewalt verbunden war, auch das delinquente Vorleben des Ange-klagten näherer Betrachtung bedarf. Auch dürfen die Zeiträume vor und nach der Tat, in denen der Angeklagte unauffällig geblieben ist, nicht unerörtert blei-8
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ben ([X.], Urteil vom 2. März 2011 -
2 StR 550/10,
Rn. 11, [X.], 240, 241). Von daher sind
auch Feststellungen dazu erforderlich, wie der An-geklagte, der die Therapieeinrichtung im Dezember 2010 verlassen hat und im Juli 2011 nach §
126a StPO vorläufig untergebracht worden ist, sich im Nach-gang zu der [X.] verhalten und ob er weitere strafrechtlich relevante und gefährliche Handlungen begangen hat.

[X.]

Ri[X.] Prof. Dr. [X.] ist

[X.]

erkrankt und daher gehindert

zu unterschreiben.

[X.]

Krehl

Ott

Meta

2 StR 180/12

09.10.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2012, Az. 2 StR 180/12 (REWIS RS 2012, 2512)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2512

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