Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2011, Az. XII ZR 114/10

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 3563

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZR 114/10

vom

7. September
2011

in dem Rechtsstreit

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Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 7.
September 2011 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Hahne
und
die Richter Dose, [X.], Dr. Günter
und Dr.
Nedden-Boeger
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der
Klägerin
wird die Revision ge-gen das Urteil des 22.
Zivilsenats des [X.]s [X.]
vom 27.
Juli
2010 zugelassen.
Auf die Revision der
Klägerin
wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht [X.].
Streitwert: 50.192,95

Gründe:
I.
Die Klägerin macht als Vermieterin Ansprüche aus einem Gewerbemiet-vertrag gegenüber dem Beklagten geltend.
Die Parteien schlossen 1998 einen Mietvertrag über ein mit einem Hotel bebautes Grundstück der Klägerin. Ab dem [X.]
vermietete der Beklagte die Immobilie mit Einverständnis
der Klägerin an die H.
GmbH unter, die eine selbstschuldnerische Bürgschaft für alle Zahlungsverpflichtungen des Beklagten aus dem Hauptmietvertrag übernahm.
Nachdem die geschuldeten Mieten nur 1
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noch schleppend gezahlt wurden, erklärte die Klägerin im Mai 2006
gegenüber dem Beklagten
die fristlose Kündigung des [X.].
Die Untermieterin räumte das Hotel jedoch zunächst nicht.
Wegen rückständiger Mieten bis einschließlich Juli 2006 und Zahlung von Betriebskosten für das [X.] erhob die Klägerin gegen die Untermiete-rin als [X.] Klage. In diesem Verfahren
schlossen die Klägerin und die Un-termieterin in der mündlichen Verhandlung vom 12.
Februar 2007 einen [X.], wonach sich die Untermieterin verpflichtete zum Ausgleich aller wechsel-seitigen Ansprüche an die Klägerin 77.000

zuzüglich 16
% Mehrwertsteuer zu bezahlen. Für den Fall, dass die Untermieterin das Hotel bis zum 31.
März 2007 geräumt an die Klägerin herausgegeben habe und zudem von der Untermieterin ein
Betrag in Höhe von 38.000

zuzüglich 16
% Mehrwertsteuer bis zum 31.
Mai
2007 an die Klägerin bezahlt worden sein sollte, erklärte die Klägerin den Verzicht auf den titulierten Mehrbetrag. Die Untermieterin nahm diesen Verzicht an.
Im unmittelbaren [X.] an den Vergleich erklärte die Klägerin zu Protokoll, dass sie gegen [X.] (den Beklagten
im vorliegenden Verfahren) keine Forderungen geltend machen werde, soweit die Untermieterin
ihrer Ver-pflichtung aus dem soeben geschlossenen Vergleich vollständig nachkommen sollte.
Nach der Räumung durch die Untermieterin gab der Beklagte die Räum-lichkeiten an die Klägerin zurück, wobei das Inventar des [X.] nicht entfernt wurde.
Im August 2007 konnte die Klägerin das Mietobjekt weiterver-mieten.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin Nutzungsentschädigung für die Mona-te April bis Juli 2007 in Höhe eines Betrages von 39.015,20

geltend. Zudem 3
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sei der Beklagte zur Zahlung zusätzlicher Abwassergebühren in Höhe von
5.139,38

ebenso verpflichtet wie zum Ausgleich der Nebenkostenabrechnung für das [X.] in Höhe von 5.975,37

.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin in dem landgerichtlichen Verfahren gegen die Untermieterin in der [X.] erklärt habe, auf die Geltendmachung von Forderungen gegen den hiesigen Beklagten zu verzichten, soweit die Untermieterin den zuvor abge-schlossenen Vergleich erfülle. Diese Bedingung sei eingetreten. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Das [X.] hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen rich-tet sich die Nichtzulassungsbeschwerde
der
Klägerin. Sie
begehrt die Zulas-sung der Revision und verfolgt ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige [X.] ist begründet. Die zugelassene Revision
führt zur Aufhebung des Beru-fungsurteils und
zur Zurückverweisung des Rechtsstreits (§
544 Abs.
7 ZPO). Das Berufungsgericht hat, wie die Klägerin
zu Recht rügt, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) verletzt.
1. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) gebietet es, dass sich das Gericht mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags einer Partei auseinandersetzt. Zwar muss nicht jede Erwägung in den Urteilsgründen ausdrücklich erörtert werden (§
313 Abs.
3 ZPO). Aus dem Gesamtzusammen-hang der Gründe muss aber hervorgehen, dass das Gericht das zentrale, ent-scheidungserhebliche Vorbringen einer Partei berücksichtigt und in seine Über-7
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legungen mit einbezogen hat (Senatsbeschluss vom 8.
Februar 2006 -
XII
ZR 86/03
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GuT 2007, 37; [X.] ZIP 1992, 1020, 1023
f.).
In diesem Sinne [X.] Art.
103 Abs.
1 GG i.V. mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge ([X.] Beschluss vom 18.
Januar 2005 -
XI
ZR 340/03
-
[X.]Report 2005, 939
Rn.
5; vgl. auch [X.]E 60, 247, 249 ff.; 65, 305,
307; 69, 141, 143). Zwar gewährt Art.
103 Abs.
1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisange-bots verstößt aber dann gegen Art.
103 Abs.
1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet ([X.] aaO Rn.
5; vgl. [X.]E 50, 32, 36; 60, 250, 252; 65, 305, 307; 69, 141, 144).
a) Nach diesen Grundsätzen ist der Anspruch der Klägerin auf [X.] Gehör nach Art.
103 Abs.
1 GG hier verletzt.
Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung des zwischen der Klägerin und der Untermieterin abgeschlossenen Vergleichs entscheidungserhebliches Vorbringen der
Klägerin
nicht
berücksichtigt.
Die
Klägerin
hat bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass ihre
Erklärun-gen
in dem früheren Verfahren gegen die Untermieterin
ausschließlich auf die dort streitgegenständlichen Ansprüche beschränkt sein sollten. Zweck des [X.]s und
der anschließend von ihr
abgegebenen Erklärung sei gewesen, die Untermieterin nur von einer weiteren Inanspruchnahme durch
den Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen und vergleichsweise geregelten [X.] zu bewahren. Die Annahme, mit dem Vergleich sei bezweckt gewesen, dass für den Fall der Räumung und Zahlung durch die Untermieterin auch sämtliche Ansprüche zwischen den Prozessparteien im vorliegenden Verfahren 10
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erledigt sein sollten, sei schlichtweg falsch. Zum Beweis dieses Vorbringens hat die Klägerin die Person, die als ihre Vertreterin
die fraglichen
Erklärungen
ab-gegeben hat,
und die Geschäftsführerin der Untermieterin
als Zeugen benannt. In
ihrer Berufungsbegründung
hat die Klägerin dieses Vorbringen und die
Be-weisangebote, denen bereits das [X.] nicht nachgegangen ist,
wieder-holt.
b) Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, dass das Berufungsge-richt dieses Vorbringen der Klägerin sowie den Beweisantritt zur Kenntnis ge-nommen und in Erwägung gezogen hat. In den Entscheidungsgründen führt das Berufungsgericht zur Begründung seines Auslegungsergebnisses nur aus, dass der zwischen der Klägerin und der Untermieterin abgeschlossene [X.] seinen Zweck nur erfüllen könne, wenn gegen die Untermieterin nach der Erfüllung des Vergleichs weder von der Klägerin noch von dem Beklagten im Wege des Rückgriffs Forderungen erhoben werden könnten. Deshalb könnten von der Wirkung des Vergleichs lediglich Forderungen ausgenommen sein, de-nen eine eigene Pflichtverletzung des Beklagten zugrunde liege und die vom Beklagten nicht im Wege des Rückgriffs gegen die Untermieterin geltend ge-macht werden könnten. Zu dem beweisbewehrten Vortrag der Klägerin, die Wirkungen des Vergleichs hätten nur die in dem damaligen Verfahren streitge-genständlichen Ansprüche erfassen sollen, verhält sich das Berufungsurteil nicht.
2. Durch das Übergehen des Vortrages und des Beweisantritts der Klä-gerin wird diese in ihrem
Anspruch auf rechtliches Gehör auch in entschei-dungserheblicher Weise verletzt (§
544 Abs.
7 ZPO).
a) Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] die Ermittlung des Inhalts und der Bedeutung von Individualvereinbarungen grund-13
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sätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Die Auslegung durch den Tatrichter kann deshalb vom Revisionsgericht grundsätzlich nur darauf geprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder all-gemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfah-rungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf im Revisionsverfahren ge-rügten Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer [X.] gelassen worden ist
(Senatsurteil vom 21.
Januar 2009 -
XII
ZR 79/07
-
NJW-RR 2009, 593 Rn.
18; [X.] Urteile
vom
14.
Dezember 2000 -
I
ZR 213/98
-
WM 2001, 1379, 1381
und
vom 29.
März 2001 -
I
ZR 312/98
-
NJW-RR 2001, 1612, 1614).
Dies gilt auch für [X.], soweit es deren materiell-rechtlichen Inhalt betrifft (Musielak/Ball
ZPO 8.
Aufl. §
546 Rn.
7).
b) Ein solcher revisionsrechtlich beachtlicher Verfahrensfehler liegt hier jedoch vor, weil das Berufungsgericht wesentliche Umstände für die Auslegung entgegen Art.
103 Abs.
1 GG, mithin
unter Verstoß gegen [X.],
nicht berücksichtigt hat.
(1) Grundsätzlich ist bei der Auslegung einer Vereinbarung in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte [X.] zu berücksichtigen (vgl. [X.]Z 150, 32
= NJW
2002, 3248, 3249; [X.] Urteile
vom
3.
April 2000 -
II
ZR 194/98
-
NJW 2000, 2099
und
vom
17.
Januar 2001 -
VIII
ZR 186/99
-
VersR 2001, 370, 371
mwN).
Der Tatrichter hat bei seiner Willenserforschung insbesondere den mit der Abspra-che verfolgten Zweck und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen ([X.] Urteil vom 13.
März 2003 -
IX
ZR 199/00
-
NJW 2003, 2235, 2236 mwN). Dabei können auch Umstände außerhalb der Urkunde für die Auslegung zu berücksichtigen sein ([X.]Z 150, 32
= NJW
2002, 3248, 3250).
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(2) Dem sind die Auslegungserwägungen
des [X.]s
nicht gerecht geworden.
Das Berufungsgericht stützt sein Auslegungsergebnis allein auf die Inte-ressenlage der Untermieterin, obwohl der [X.] und die anschließend abgegebene Erklärung der Klägerin in dem damaligen Verfahren auch eine an-dere Auslegung zulassen. Insbesondere Ziffer
1
des Vergleichs deutet darauf hin, dass die Klägerin und die Untermieterin mit dem Vergleich nur die in die-sem Verfahren streitgegenständlichen Ansprüche abgelten wollten. Auch die anschließend abgegebene Erklärung der Klägerin, dass sie gegen den [X.] keine Forderungen geltend machen werde, soweit die Untermieterin
ihrer Verpflichtung aus dem abgeschlossenen Vergleich nachkommen sollte, hat nicht zwingend das vom Berufungsgericht vertretene Auslegungsergebnis zur Folge. Diese Erklärung kann auch dahingehend verstanden werden, dass die Klägerin nur bezüglich der in dem damaligen Verfahren streitgegenständlichen Ansprüche auf eine Inanspruchnahme des Beklagten verzichtet. Ein solches Verständnis der Erklärung der Klägerin liegt bereits deshalb nahe, weil der Un-termieterin in Ziffer 3 des Vergleichs die Möglichkeit eingeräumt wurde, durch Zahlung eines [X.] bis zu einem festgelegten Termin ihre Schuld insge-samt zu tilgen. Durch diese Regelung im Vergleich bestand die Gefahr, dass die Klägerin in Höhe des Restbetrags den Beklagten in Anspruch nimmt und dieser dann bei der Untermieterin Regress sucht. In diesem Fall wäre der Un-termieterin der wirtschaftliche Vorteil, den sie durch die Vereinbarung in Ziffer
3 des Vergleichs erreichen konnte, möglicherweise verloren gegangen.
Die von der Klägerin im [X.] an die Protokollierung des Vergleichs abgegebene Erklärung könnte daher auch den Zweck verfolgt haben, die Untermieterin vor dieser Gefahr zu schützen.
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(3) Das Berufungsgericht hätte damit Anlass gehabt, für die Auslegung des Vergleichs und der Erklärung der Klägerin die Interessenlage der [X.] näher aufzuklären.
Wesentliche Erkenntnisse für die Auslegung hätten sich dabei aus der Erhebung der von der Klägerin angebotenen Beweise ergeben können. Das Berufungsgericht hätte daher dieses Vorbringen der Klägerin nicht übergehen dürfen. Die Klägerin wurde dadurch in ihrem Anspruch auf [X.] Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§
544 Abs.
7 ZPO).

c)
Aufgrund der Gehörsverletzung ist
das angegriffene Urteil insgesamt aufzuheben. Das Berufungsgericht hat nicht nur den Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Miete für die Monate April bis Juli 2007 aufgrund der von ihm an-genommenen Wirkung des Vergleichs verneint, sondern auch den
geltend ge-machten
Anspruch auf Zahlung von Nebenkosten für das [X.]. Soweit die Klägerin die Erstattung von Abwasserkosten für die Jahre 2004 und 2005 [X.], hat das Berufungsgericht zwar ausgeführt, dass diese Forderung nicht schlüssig dargelegt sei.
In erster Linie
hat das Berufungsgericht jedoch diesen Anspruch ebenfalls mit der Begründung abgewiesen, dass sich die Wirkung des Vergleichs auch auf diese Forderung erstrecke. Für sämtliche streitgegenständ-liche Forderungen kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das [X.] bei einer anderen Auslegung des Vergleichs zu einem abweichen-den Ergebnis gelangt.
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3. Die angefochtene Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben und der Rechtsstreit zur Nachholung der Beweisaufnahme an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Hahne

Dose

Klinkhammer
Günter

Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 30.06.2009 -
20 O 250/09 -

O[X.], Entscheidung vom 27.07.2010 -
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Meta

XII ZR 114/10

07.09.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2011, Az. XII ZR 114/10 (REWIS RS 2011, 3563)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3563

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XII ZR 114/10

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