Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.10.2016, Az. 2 StR 46/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 4421

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:061016U2STR46.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 46/15
vom
6. Oktober
2016
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja

-

GG Art.
13 Abs.
1, [X.] §§
105 Abs.
1 Satz
1, 238 Abs.
2, 257 Abs.
1, 344 Abs.
2 Satz
2

1.
Die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, mit der ein Beweisverwertungsverbot we-gen Fehlern bei einer Durchsuchung zur Sicherstellung von [X.] gel-tend gemacht wird, setzt keinen auf den Zeitpunkt des §
257 Abs.
1 [X.] befriste-ten Widerspruch des verteidigten Angeklagten gegen die Verwertung voraus. Es bedarf auch keiner vorgreiflichen Anrufung des Gerichts gemäß §
238 Abs.
2 [X.].
2.
Ist beim Ermittlungsrichter ein Durchsuchungsbeschluss beantragt, ist auch dann, wenn dieser sich außerstande sieht, die Anordnung ohne Vorlage der Akte zu er-lassen, für eine staatsanwaltschaftliche Prüfung des Vorliegens von [X.] regelmäßig kein Raum mehr, es sei denn, es liegen neue Umstände vor, die sich nicht aus dem vorangegangenen Prozess der Prüfung und Entscheidung über den ursprünglichen Antrag auf Durchsuchung ergeben.
3.
Der Hypothese eines möglichen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei gro-ber Verkennung von Bedeutung und Tragweite des [X.]vorbehalts im Rahmen der [X.] über ein Beweisverwertungsverbot keine Bedeutung zu.
[X.], Urteil vom 6. Oktober 2016 -
2 StR 46/15 -
LG [X.]
-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 5.
Oktober 2016 in der Sitzung am 6.
Oktober
2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

die [X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],

Staatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung
-

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 25. Juli 2014 mit den Feststellungen aufge-hoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 23-101, 105-106, 109-110 verurteilt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückver-wiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in 79 Fällen so-wie wegen versuchten Betruges in 25
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und [X.].
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s verabredeten der Angeklagte und der Zeuge H.

im Jahre 2010 bei hälftiger Gewinnteilung, fortan unter
1
2
-
4
-
falschen Identitäten vorgeblich Karten für Fußball-Champions-League-
und [X.] zu verkaufen, um hiermit in einer Vielzahl von Fällen auf se-rienmäßige, betrügerische Weise an Geld zu gelangen. Aufgabe des Zeugen H.

war es dabei im Wesentlichen, mit gefälschten Ausweispapieren Bank-
konten zu eröffnen. Die eigentliche Tatbegehung oblag dem Angeklagten. [X.] schaltete unter falschem Namen bundesweit Zeitungsannoncen, in denen er auf vermeintliche [X.] aufmerksam machte. Zur Kontaktaufnahme nutzte er auf Falschpersonalien lautende E-Mail-Adressen und Handynummern. Per Mail oder Telefon täuschte er den Interessenten gegenüber vor, über [X.] zu verfügen. Dadurch veranlasste er eine Vielzahl von Interessen-ten, Geldbeträge auf die von dem Zeugen H.

eröffneten Konten zu über-
weisen. Wie von vornherein geplant, erhielten die Interessenten nach der Überweisung keine Gegenleistung.
Über einen Zeitraum von jedenfalls zwei Jahren kam es zu einer Vielzahl solcher Geschäfte, die später auch auf [X.] oder angeblich aus [X.] stammende [X.] erstreckt wurden. Die [X.] mit dem Zeugen H.

wurde nach finanziellen Streitigkeiten Ende des
Jahres 2012 beendet. Der Angeklagte setzte [X.] danach allein fort.
Insgesamt gab es zwischen August 2011 und April 2013 104 solcher Verkaufsvorgänge, wobei es in 25
Fällen nicht zu einem Geldeingang auf den vom Angeklagten angegebenen Konten und deshalb auch nicht zu einem Schaden der getäuschten Besteller gekommen ist. 18
Geschäfte initiierte der Angeklagte ab Februar 2013 allein.
Der Angeklagte, der bereits zuvor mit den Tatvorwürfen konfrontiert [X.] war, wurde am 7.
Mai 2013 festgenommen, bei der gleichzeitigen Durch-3
4
5
-
5
-
suchung der Wohnung wurde ein laufendes Netbook vorgefunden und be-schlagnahmt. Ein Koffer mit wichtigen Dokumenten, der in der Wohnung des Angeklagten hinter einer [X.] versteckt war, wurde nach einem Hin-weis der Zeugin [X.]

, der Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten, am 13.
Mai
2013 sichergestellt.
Der Angeklagte hat eine Zusammenarbeit mit dem Zeugen H.

und
insoweit einige Taten im Zusammenhang mit dem Verkauf von AIDA-Kreuz-fahrten eingeräumt. Er hat darüber hinaus gestanden, nach dem Zerwürfnis mit dem Zeugen die ab Februar 2013 durchgeführten Geschäfte allein betrieben zu haben. Im Übrigen hat er eine Tatbeteiligung bestritten.
Das [X.] hat seine Überzeugung von der Täterschaft in den von
dem Angeklagten eingeräumten Fällen vor allem auf sein Geständnis und im Übrigen insbesondere auf den Inhalt des bei dem Angeklagten sichergestellten Koffers (mit Unterlagen und auf Datenträgern gespeicherten
Daten, die für die Tatbegehung insoweit unerlässlich waren) gestützt.
II.
Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, so-weit sie sich gegen die Verurteilung in den Fällen 23-101, 105-106, 109-110 wendet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1.
Der Angeklagte rügt zu Recht, dass sich das [X.] in den ge-nannten Fällen bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise gestützt hat, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei einer Durchsuchung gewonnen wor-6
7
8
9
-
6
-
den waren, die unter Verstoß gegen den [X.]vorbehalt (§
105 Abs.
1 Satz
1 [X.]) durchgeführt wurden und daher rechtswidrig waren.
a)
Am 13.
Mai 2013 wurde in der Wohnung des Angeklagten hinter einer [X.] versteckt ein Koffer gefunden, in dem
sich wichtige Dokumente und Datenträger befanden. Auf die darin enthaltenen Unterlagen und auf die auf den Datenträgern gespeicherten
Dateien hat sich die [X.] bei ihrer Überzeugungsbildung in den oben genannten Fällen gestützt. Zu der Durchsu-chung, die zur Auffindung dieser Beweismittel führte, kam es wie folgt:
Am 12.
Mai 2013 rief die Zeugin [X.]

, die ehemalige Lebensgefährtin
des Angeklagten, den Zeugen [X.] L.

an und bat um ein Treffen für den
folgenden Tag. Im Rahmen dieses Treffens informierte sie den Polizeibeamten darüber, dass in der Wohnung des Angeklagten, der sich seit dem 7.
Mai 2013 in Untersuchungshaft befand, hinter der [X.] noch ein Koffer mit wich-tigen Dokumenten aufbewahrt sei. [X.] L.

teilte dies der zuständigen

Suchen des Koffers anordnete. Durch [X.] L.

wurde noch am 13.
Mai 2013 in der
Wohnung des Angeklagten ein Koffer mit Inhalt am angegebenen Ort [X.], sichergestellt (UA S.
164
f.)
und sein Inhalt gesichtet.
Dem Vermerk der [X.] vom
13.
Mai 2013 zur Begründung [X.] der Staatsanwaltschaft lässt sich entnehmen, dass sie von [X.] L.

um 16.40
Uhr
darüber
informiert worden sei, dass sich in der Woh-
nung des Angeklagten noch ein Koffer befinde, der bei der am 7.
Mai
2013 er-folgten Durchsuchung nicht gefunden worden sei. Die ehemalige Lebensgefähr-tin des Angeklagten, die im Besitz eines Schlüssels zur Wohnung sei, sei von dessen Verteidigern gebeten
worden, diesen aus der Wohnung zu holen und an 10
11
12
-
7
-
diese zu übergeben. Der Versuch um 16.44
Uhr, einen Haftrichter im Polizei-präsidium

zu erreichen, der bereits mit dem Verfahren befasst gewesen
sei, sei fehlgeschlagen. Um 16.45
Uhr sei im Bereitschaftsdienst des Amtsge-richts

[X.] am Amtsgericht Ki.

erreicht worden. Dieser habe den
Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses ohne Vorlage der Akte abgelehnt. [X.] sei das Vorliegen von [X.] geprüft worden. Ein Zuwarten sei angesichts der heutigen Entwicklung nicht möglich. Zum einen sei die Vor-lage der Akte derzeit nicht möglich, da sich diese beim Amtsgericht

mit
dem Antrag auf Erlass eines [X.] befinde. Zum ande-ren bestehe die konkrete Gefahr, dass Beweismittel durch die Zeugin [X.]

beiseite geschafft würden. Überdies habe das Amtsgericht am 7.
Mai 2013 ei-nen Durchsuchungsbeschluss erlassen, so dass davon auszugehen sei, dass ein solcher auch im Hinblick auf die Aussage der Zeugin und die bei der Durch-suchung am 7.
Mai 2013 aufgefundenen Beweismittel erneut erlassen würde. Die Genehmigung zur Wohnungsdurchsuchung sowie zur Öffnung des
Koffers
sei [X.] L.

um 16.50
Uhr mitgeteilt worden.
b)
Die Rüge des Angeklagten, die aus der Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse seien wegen eines Verstoßes gegen den [X.]vorbehalt unver-wertbar, ist zulässig. Es lässt sich der Revisionsbegründung zwar nicht zwei-felsfrei entnehmen, ob der Angeklagte in der Hauptverhandlung bis zu dem in §
257 [X.] genannten Zeitpunkt der Verwertung der bei der Durchsuchung am 13.
Mai 2013 gewonnenen Beweismittel widersprochen hat. Dies steht der Zu-lässigkeit der Rüge mit Blick auf §
344 Abs.
2 Satz 2 [X.] nicht im Wege.
Aus-führungen zum
Zeitpunkt des Widerspruchs wären nur erforderlich, wenn für den verteidigten Angeklagten die Pflicht bestünde, zur Aufrechterhaltung einer Rügemöglichkeit
der Unverwertbarkeit des fehlerhaft im Vorverfahren erhobe-nen Beweises bis zum Zeitpunkt des Äußerungsrechts zu diesbezüglichen [X.]
-
8
-
weiserhebungen in der Hauptverhandlung gemäß §
257 Abs.
1 [X.] zu wider-sprechen.
Dies wird in der Rechtsprechung des [X.] nach der vor allem zu Fällen einer Verletzung der §§
136 Abs.
1 Satz
2, 163a Abs.
4 Satz 2 [X.] entwickelten Widerspruchslösung für unselbständige Beweisverwertungs-verbote gefordert: Hat ein Verteidiger in der Hauptverhandlung mitgewirkt und hat der verteidigte Angeklagte der Verwertung des Inhalts einer ohne Belehrung über sein Recht, sich redend oder schweigend verteidigen und jederzeit den Beistand eines Verteidigers in Anspruch nehmen zu können, zustande gekom-menen Aussage zugestimmt, so besteht kein Verwertungsverbot; dasselbe gilt aber auch, wenn der verteidigte Angeklagte der Verwertung nicht widerspro-chen hat. Der Widerspruch muss spätestens in der Erklärung enthalten sein, die der Angeklagte oder sein Verteidiger im [X.] an diejenige Beweiserhe-bung abgibt, die sich auf den Inhalt der ohne Belehrung gemachten Aussage bezieht ([X.], Beschluss vom 27. Februar 1992 -
5 [X.], [X.]St 38, 214, 225 f.; Urteil vom 12. Januar 1996 -
5 StR 756/94, [X.]St 42, 15, 22
f.). Der rechtzeitige Widerspruch als Bewirkungshandlung ist danach eine Entste-hungsvoraussetzung des Verwertungsverbots ([X.], [X.] des [X.] bei Beweisverwertungsverboten, 2015, S. 17 ff.). Nach dem Zeitpunkt des §
257 Abs.
1 [X.] kann er nicht mehr nachgeholt werden. Daher bedarf der fristgerechte Widerspruch gemäß §
344 Abs.
2 Satz
2 [X.] entspre-chender Darlegungen im Rahmen einer Verfahrensrüge zum Revisionsgericht.
Der [X.] hat bisher aber nicht entschieden, ob diese
Wi-derspruchslösung auch für unselbständige Beweisverwertungsverbote wegen Fehlern bei der Durchsuchung oder Beschlagnahme gilt (vgl. [X.], Urteil
vom 18.
April 2007 -
5
StR
546/06, [X.]St 51, 285, 296
f.). Dagegen spricht, dass 14
15
-
9
-
eine Dispositionsmacht der Verteidigung über den auf diese Weise erfassten [X.], anders als bezüglich der Äußerungen des Beschuldigten, die durch [X.]e Vernehmungen (§§
136 Abs.
1 Satz
2, 163a Abs.
4 Satz
2 [X.]) oder durch [X.] (§§
100a, 100f [X.]; vgl. [X.], Beschluss
vom 7.
März 2006 -
1
StR
316/05, [X.]St 51, 1, 3) im Vorver-fahren erlangt wurden, grundsätzlich nicht besteht. Seine früheren Angaben kann der Angeklagte aus seiner Erinnerung erläutern
und erklären, er kann sie durch eine Sacheinlassung ersetzen oder dementieren; er kann auch aus [X.] Sicht die Äußerungssituation, die zur staatlichen Informationsbeschaffung geführt hat, darstellen. Dann aber erscheint es nachvollziehbar, ihm ferner die Disposition über
die Verwertbarkeit seiner früheren Angaben zu überlassen. Bei der staatlichen Erfassung von [X.] (Urkunden oder Augenscheinsob-jekten) bestehen keine vergleichbaren Dispositionsmöglichkeiten. Die Verteidi-gung darf dem staatlichen Strafverfahren sächliche Beweismittel grundsätzlich nicht entziehen, wenn sie verwertbar und dem hoheitlichen Zugriff ausgesetzt sind. Die Art und Weise der Erlangung solcher [X.]e
durch die Ermitt-lungsbehörden, auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hat, ist deshalb vom Gericht von Amts wegen aufzuklären, soweit Verfahrensfehler bei diesem [X.] in Betracht kommen. Auf einen Widerspruch gegen die Beweisverwertung kommt es dafür nicht an. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich -
wie hier
-
auch ohne besonderen Hinweis der Verteidigung
konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben,
dass die Ermittlungsmaßnahme
nicht den gesetzlichen Eingriffsvo-raussetzungen entspricht.
Versäumnisse der Verteidigung
dürfen insoweit nicht dazu führen, dass an sich rechtswidrig erlangtes
Beweismaterial ohne weiteres zur Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung des Angeklagten
werden kann.

-
10
-
Selbst wenn eine Dispositionsbefugnis der Verteidigung angenommen werden würde, weil sie
-
auch im Hinblick auf ihr günstige Erkenntnisse aus den [X.] erlangten [X.]
-
selbst entscheiden können soll, ob sie die Verwertung dieser Erkenntnisse wünscht (vgl. [X.]
aaO,
[X.]St 51, 1, 3), würde dies nicht bedeuten, dass eine Entscheidung hierüber bis zu dem in §
257
Abs.
1
[X.] genannten Zeitpunkt erfolgt sein muss. Es genügt [X.], wenn der Angeklagte so rechtzeitig auf die mögliche Unverwertbarkeit von Erkenntnissen hinweist, dass das Tatgericht dies in der Beweisaufnahme
prü-fen kann. Eine (zwingende)
Begründung dafür, warum ein Widerspruch unbe-dingt bis zu dem in §
257 Abs.
1 [X.] genannten Zeitpunkt erklärt sein muss, findet sich nicht. §
257 Abs.
1 [X.] ist vielmehr eine Schutzbestimmung zu-gunsten der Verfahrensbeteiligten, wonach ihnen zu den Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung jeweils das rechtliche Gehör zu gewähren ist. Die Ände-rung des Normgehalts in eine Befristung für eine Prozesserklärung zur Herbei-führung eines Beweisverwertungsverbots, das mangels rechtzeitigen Wider-spruchs im gesamten weiteren Instanzenzug präkludiert ist, ergibt sich daraus nicht. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Disponibilität mög-licher Rechtsverstöße ist es nicht geboten, eine frühzeitige Festlegung der Ver-teidigung
zu fordern. Würde
man statt eines Widerspruchs
eine Beanstandung
nach §
238 Abs.
2 [X.] gegen die Anordnung der Beweiserhebung durch den Vorsitzenden fordern (vgl.
[X.] aaO, [X.]St 51, 1, 4), wäre eine solche Bean-standung auch an keine Frist gebunden (vgl. KK/[X.], [X.], 7.
Aufl., §
238 Rn.
17).
Soweit der Angeklagte in seiner Revisionsbegründung jedenfalls vorge-tragen hat,
der Verwertung der Erkenntnisse aus dem sichergestellten Koffer überhaupt widersprochen zu haben, ist seine Rüge damit zulässig erhoben.
16
17
-
11
-
c)
Die Rüge ist auch begründet. Die bei der Durchsuchung des Koffers aufgefundenen Beweismittel unterliegen einem Beweisverwertungsverbot.
Die am 13.
Mai 2013 durchgeführte Durchsuchung war wegen Missach-tung des [X.]vorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß §
105 Abs.
1 Satz
1 [X.] grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die Gestattung der Durchsuchung durch die ermittelnde [X.] beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der sich aus §
105 Abs.
1 Satz
1 [X.] ergebenden Eilkompetenz. [X.] lag nicht vor.
Der deshalb vorliegende Kompetenzmangel bei der Anordnung der Durchsuchung führt hier zur Unverwertbarkeit der auf diesem Wege sichergestellten
Sachbe-weise.
aa)
[X.] ist gegeben, wenn die vorherige Einholung der richterlichen
Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. [X.] 103, 142, 154; [X.]St 51, 285, 288). Ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen [X.]s erwartet werden kann, oder ob bereits eine zeitliche Verzögerung we-gen des Versuchs der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den [X.] gefährden würde und daher eine nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung ergehen darf, haben die Ermittlungsbehörden [X.] selbst zu
prüfen. Dabei darf [X.] nicht vorschnell ange-nommen werden, damit die bei Wohnungsdurchsuchungen auch aus Art.
13 Abs.
2 GG fließende Regelzuständigkeit des [X.]s nicht unterlaufen wird. Aus diesem Grund reichen auf reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermu-tungen nicht aus, [X.] zu begründen (vgl. [X.] 103, 142, 155; 139, 245, 270). Regelmäßig ist daher auch der Versuch zu unternehmen, eine 18
19
20
-
12
-
richterliche Entscheidung herbeizuführen. Haben die Ermittlungsbehörden den zuständigen Ermittlungs-
oder Eilrichter mit der Sache befasst, ist für ihre Eil-kompetenz kein Raum mehr. Sie kann (nur) durch nachträglich eintretende oder neu bekannt werdende tatsächliche Umstände, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung des [X.] und der Entscheidung darüber erge-ben, neu begründet werden ([X.],
Beschluss vom 16.
Juni 2015 -
2
BvR 2718/10, 1849, 2808/11, [X.] 139, 245, 269 ff.).
Gemessen daran ist die Annahme von [X.] nicht tragfähig begründet. Die ermittelnde [X.] hat den Eilrichter erreicht und bei ihm den Erlass einer Durchsuchungsanordnung beantragt. Damit hat sie zu erken-nen gegeben, dass zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer staatsan-waltschaftlichen Eilanordnung nicht gegeben waren. Mit der Befassung des Eil-richters aber endet grundsätzlich die [X.] der Ermittlungsbehörden; es ist nunmehr Sache des Ermittlungsrichters, über den beantragten Eingriff zu entscheiden
([X.] 139, 245, 273 ff.). Auch soweit während des durch den [X.] in Anspruch genommenen [X.] nach dessen [X.] eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher [X.] oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Ent-scheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt (vgl. [X.]
139, 245, 273). Der ermittelnden [X.] war es deshalb verwehrt, erneut in eine eigene Sachprüfung einzutreten, nachdem der Eilrichter eine Entscheidung oh-ne Vorlage der Akte abgelehnt hatte. Es hätte ihr vielmehr oblegen, dem [X.] die Akte zur Verfügung zu stellen, damit dieser in Kenntnis des [X.]
-
13
-
standes sachgerecht über den Antrag entscheiden kann. Dass dies nach ihrer Ansicht nicht möglich gewesen sei, weil diese beim Amtsgericht mit dem Antrag auf Erlass eines [X.] liege, ändert daran nichts. Es er-schließt sich nicht ohne Weiteres, dass es nicht möglich sein soll, eine beim Amtsgericht befindliche Akte einem Eilrichter bei demselben Gericht zugänglich zu machen; selbst wenn damit organisatorische Schwierigkeiten verbunden wä-ren, wäre es zur Gewährleistung des präventiven Rechtsschutzes durch den [X.]
geboten, diese aus dem Weg zu räumen. Wenn die ermittelnde Staats-anwältin bei dieser Sachlage nicht einmal den Versuch unternimmt, die Akten beizubringen, belegt dies eine grundsätzliche Verkennung der Bedeutung des [X.]vorbehalts.
Auch die sich an die unzutreffende Annahme der eigenen Eilkompetenz anschließende Prüfung der [X.], ob weiteres Zuwarten die Gefahr eines Beweismittelverlusts mit sich bringe, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Annahme einer konkreten Gefahr, dass Beweismittel durch die (Ex-)Lebens-gefährtin des Beschuldigten beiseite geschafft würden, ist nicht durch Tatsa-chen belegt, erweist sich vielmehr als bloße, fernliegende Spekulation. Auf an-dere Möglichkeiten eines Beweismittelverlusts etwa durch den Angeklagten oder
Dritte, hat die [X.] weder abgestellt noch sind Umstände er-sichtlich, die konkret darauf hindeuten könnten. Die ehemalige Lebensgefährtin des zu dieser Zeit bereits inhaftierten Beschuldigten, die sich schon zu diesem
Zeitpunkt auch gegenüber den
Ermittlungsbehörden von ihm distanziert hatte, hatte die Ermittlungsbehörden auf die Existenz des Koffers, den sie auf Veran-lassung der Verteidiger des Beschuldigten aus der Wohnung verbringen sollte, hingewiesen und insoweit das Gespräch mit der
ermittelnden Polizei gesucht; die
zuvor bestehende
Möglichkeit, den von ihr in einem Versteck in der [X.] aufgefundenen Koffer beiseite zu schaffen, hatte sie nicht genutzt. [X.]
-
14
-
haltspunkte dafür, dass sie anderen Sinnes geworden sein und nunmehr den Koffer aus der Wohnung schaffen könnte, sind nicht ersichtlich und auch von der [X.] nicht dokumentiert worden. Angesichts ihrer von dem ermit-telnden Polizeibeamten wiedergegebenen Erklärungmit oder für den Beschuldigten etwas zu Unterstützungsleistungen zur Auffindung von den Angeklagten belastenden Beweismitteln (vgl. Aktenvermerk des [X.] L.

vom 14.
Mai 2013) wird
deutlich, dass die von der ermittelnden [X.] angegebenen Gründe vorgeschoben sind und die darauf gestützte Annahme von [X.] objektiv nicht vertretbar war. Dies gilt in besonderem Maße mit Blick darauf, dass das Vorgehen der Ermittlungsbehörden hier nicht allein auf eine Beweissi-cherung durch eine Sicherstellung des Koffers beschränkt war, sondern die [X.] durch die Staatsanwaltschaft ohne Weiteres auch zur Öffnung des Koffers und dessen inhaltlicher Sichtung führte.
bb)
Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung ge-wonnenen Beweismittel.
Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei de-nen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer [X.] gelassen worden sind, geboten ([X.], Beschluss vom 12.
April 2005
-
2
BvR
1027/02, [X.] 113, 29, 61; Beschluss vom 16.
März 2006
-
2
BvR
954/02, [X.], 2684, 2686; Beschluss vom 20.
Mai 2011
-
2
BvR
2017/10, NJW 2011, 2783, 2784). Ein schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Die ermittelnde [X.] hat die Bedeutung des [X.]vorbehalts grundlegend verkannt, als sie nach 23
24
-
15
-
der Befassung des [X.] in der Sache -
ohne dass sich gegenüber der Sachlage zuvor etwas Neues ergeben hätte
-
ihre eigene Eilkompetenz allein deshalb wieder aufleben ließ, weil der Eilrichter sich zu einer Entscheidung [X.] nicht in der Lage gesehen hat. Dass sie keine Anstrengungen unter-nommen
hat, dem Ermittlungsrichter die Akten beizubringen, entbehrt eines nachvollziehbaren Grundes. Schon dies
stellt angesichts der dargelegten Be-sonderheiten des Falles für sich gesehen -
ungeachtet des Umstands, dass die Entscheidung
des [X.], die den Vorrang der richterli-chen Entscheidung vor einer Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nach [X.] Befassung festgestellt hat, zum Zeitpunkt der Eilanordnung der [X.] noch nicht ergangen war
-
eine grundlegende Verkennung der Bedeu-tung des [X.]vorbehalts dar.
Hinzu kommt die objektiv unvertretbare Annahme eines durch die Ex-Lebensgefährtin des Beschuldigten drohenden Beweismittelverlusts, der ange-sichts ihrer kooperativen Mitarbeit keinerlei tatsächliche Grundlage hat und auch nicht durch allgemeine kriminalistische Erwägungen gestützt wird. Dies gilt trotz des Umstands, dass bereits am 7.
Mai 2013 in der Sache ein Durchsu-chungsbeschluss erlassen worden war
und die die Ermittlung führende Staats-anwältin davon ausging, das Amtsgericht würde im Hinblick auf die Angaben der Zeugin [X.]

und die bei der Durchsuchung am 7.
Mai 2013 aufgefunde-
nen Beweismittel
erneut einen Durchsuchungsbeschluss erlassen.
Dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsver-laufs (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 18.
November 2003 -
1
StR 455/03, [X.]R [X.] §
105 Abs.
1 Durchsuchung
4) kommt bei -
wie hier
-
grober Ver-kennung des [X.]vorbehalts ohnehin keine Bedeutung zu (vgl. auch [X.], Urteil vom 18.
April 2007 -
5
StR
546/06, [X.]St 51, 285, 295
f.; Beschluss vom 25
26
-
16
-
30.
August 2011 -
3
StR
210/11, [X.]R [X.] §
105 Abs.
1 Durchsuchung
8; Beschluss vom 21.
April 2016 -
2
StR
394/15, [X.], 338). Hier kommt hinzu, dass es eine verbindliche und abschließende richterliche Entscheidung
gibt, ohne Aktenvorlage die beantragte Maßnahme abzulehnen. Die ist von der Staatsanwaltschaft zu respektieren und
verbietet den Rückgriff auf einen o-

der dem Antrag stattgegeben hätte.
2.
Die Verurteilung in den Fällen
23-101, 105-106, 109-110, in denen wesentliche Verurteilungsgrundlage die in dem Koffer aufgefundenen Unterla-gen waren (UA S.
174), kann danach keinen Bestand haben. Es ist nicht aus-zuschließen, dass das [X.] in diesen Fällen ohne Berücksichtigung des in dem Koffer enthaltenen Materials nicht zu einer Verurteilung gelangt wäre. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung; angesichts der weiteren ge-gen den Angeklagten sprechenden Umstände (UA S.
191
ff.) ist es
möglich, dass in einer neuen Hauptverhandlung auch ohne Verwertung aller anlässlich der Durchsuchung
vom 13.
Mai 2013
gewonnenen Erkenntnisse noch [X.] getroffen werden können,
die einen Schuldspruch tragen.
Fischer

[X.] Eschelbach

[X.] [X.]

27

Meta

2 StR 46/15

06.10.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.10.2016, Az. 2 StR 46/15 (REWIS RS 2016, 4421)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4421

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 46/15 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Zulässigkeit einer Verfahrensrüge zur Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbots wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei der …


5 StR 165/23 (Bundesgerichtshof)


2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11 (Bundesverfassungsgericht)

Zu den Grenzen der Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden für die Anordnung einer Durchsuchung gem §§ 102, …


1 RVs 227/16 (Oberlandesgericht Köln)


3 StR 210/11 (Bundesgerichtshof)

Beweiswürdigung im Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten: Beweisverwertungsverbot bei grober Missachtung des Richtervorbehalts infolge der Verkennung einer …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 StR 46/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.