Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 23.05.2012, Az. 7 B 116/12

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19. März 2012 – 4 L 167/12 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

Die gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 BDG i.V.m. § 146, 147 VwGO statthafte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19.3.2012, mit dem die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers gemäß § 38 BDG vom 2.2.2012 ausgesetzt wurde, ist auch im Übrigen zulässig (§ 67 Abs. 3 BDG i.V.m. § 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO). Sie bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht dem gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 BDG zulässigen Antrag auf Aussetzung der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 2.2.2012 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers entsprochen. Denn es bestehen im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der genannten Anordnung vom 2.2.2012.

Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwendungen führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

Die Antragsgegnerin macht zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe den Antrag des Antragstellers bereits als unzulässig zurückweisen müssen, weil dieser gegen die vorläufige Dienstenthebung bislang keinen Rechtsbehelf eingelegt und auch keinen außergerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 3 BDG i.V.m. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO gestellt habe.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die Argumentation der Antragsgegnerin geht ersichtlich davon aus, der Rechtsschutz gegen die Maßnahme der vorläufigen Dienstenthebung richte sich in der Hauptsache nach den Vorschriften der §§ 68 ff. VwGO und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach den Vorschriften der §§ 80 VwGO. Dies trifft jedoch nicht zu. Zwar sind gemäß § 3 BDG die Vorschriften der VwGO zur Ergänzung des BDG anzuwenden, jedoch nur, soweit sie nicht im Widerspruch zu den Vorschriften des BDG stehen. Genau dies ist hier jedoch der Fall. Den Rechtsschutz gegen die Maßnahme der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 BDG regelt allein und abschließend die Vorschrift des § 63 BDG

vgl. z.B. Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Aufl., § 63 Rdnrn. 1 und 7, Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 38 Rdnr. 29 sowie Urban, NVwZ 2001, 1335f..

Gemäß § 63 Abs. 1 BDG kann der Beamte die Aussetzung der vorläufigen Dienst-enthebung beim Gericht beantragen. Die Aussetzung hat nach § 63 Abs. 2 BDG zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienst-enthebung bestehen. Nur für die Änderung oder Aufhebung von Beschlüssen über Anträge nach § 63 Abs. 1 BDG ordnet § 63 Abs. 3 BDG ausdrücklich die entsprechende Geltung des § 80 Abs. 7 VwGO an. Den Antrag nach § 63 Abs. 1 BDG hat der Antragsteller zulässig bei dem Verwaltungsgericht gestellt.

Auch in der Sache haben die Einwendungen der Antragsgegnerin keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass gemäß § 63 Abs. 2 BDG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der unter dem 2.2.2012 gegenüber dem Antragsteller ausgesprochenen, ausschließlich auf die Vorschrift des § 38 Abs.1 Satz 1 BDG gestützten vorläufigen Dienstenthebung bestehen.

Derartige Zweifel ergeben sich unter verschiedenen Gesichtspunkten.

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.

Das Verwaltungsgericht hat ernstliche Zweifel daran, dass die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 BDG erfüllt sind, unter dem Gesichtspunkt bejaht, dass eine vorläufige Dienstenthebung gemäß § 38 Abs. 1 BDG nur gegen aktive Beamte in Frage komme, der Antragsteller zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einer beamtenrechtlichen Dienstleistungspflicht jedoch nicht unterliege, weil er gemäß § 387 Abs.3 SGB III (in der Fassung vom 19.07.2007 – a.F. -) unter Wegfall der Besoldung mit Wirkung ab 1.7.2008 beurlaubt worden sei (In-Sich-Beurlaubung) und in einem befristeten Arbeitsverhältnis mit der Antragsgegnerin stehe, welches nicht beendet sei, weshalb für eine Maßnahme nach § 38 Abs.1 BDG ihm gegenüber kein Raum sei.

Dem hat die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts

Beschluss vom 24.10.2002 - 1 DB 10/02 -, ZBR, 2003, 94ff..

entgegengehalten, das Bundesverwaltungsgericht habe ausdrücklich entschieden, dass § 38 BDG jedenfalls dann zur Anwendung komme, wenn ein vollziehbarer Widerruf der In-Sich-Beurlaubung vorliege. Dies sei hier der Fall. Die In-Sich-Beurlaubung sei mit Bescheid vom 17.2.2012 aus zwingenden dienstlichen Gründen widerrufen worden und nachdem mit Schreiben vom 21.2.2012 hiergegen Widerspruch erhoben worden sei, habe die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 7.3.2012 den sofortigen Vollzug des Widerrufs der In-Sich-Beurlaubung angeordnet. Zwischenzeitlich sei davon auszugehen, dass der Widerruf der In-Sich-Beurlaubung sogar bestandskräftig geworden sei, weil die Bevollmächtigten des Antragstellers im Disziplinarverfahren mitgeteilt hätten, sie seien für den Widerruf der In-Sich-Beurlaubung nicht bevollmächtigt.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Die Bestandskraft des mit Bescheid vom 17.2.2012 ausgesprochenen Widerrufs der In-Sich-Beurlaubung des Antragstellers ist bislang nicht eingetreten. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass der hiergegen unstreitig eingelegte Widerspruch vom 21.2.2012 wegen vollmachtloser Vertretung unwirksam wäre. Die von den Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 9.3.2012 erklärte Einschränkung der ihnen erteilten Vollmacht bezog sich ausdrücklich nur auf die Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Zustellungen betreffend den Widerruf der In-Sich-Beurlaubung, nicht auch auf die Einlegung von Rechtsbehelfen dagegen. Zudem wurde der Antragsgegnerin mit Schreiben der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 21.2.2012 (von der Antragsgegnerin vorgelegt mit Schriftsatz vom 4.5.2012 als Anlage B 12) ausdrücklich mitgeteilt, dass und von welchem Rechtsanwalt aus dem Kreise der hiesigen Bevollmächtigten der Antragsteller „im Disziplinarverfahren und bei den weiteren beamtenrechtlichen Fragestellungen“ vertreten werde.

Es liegt deshalb derzeit kein bestandskräftiger, sondern lediglich ein für sofort vollziehbar erklärter Widerruf der In-Sich-Beurlaubung des Antragstellers vor, wobei zu der Frage der Aufrechterhaltung der von der Antragsgegnerin angeordneten Vollziehbarkeit des Widerrufs bei dem Verwaltungsgericht in dem Verfahren - 2 L 276/12 – ein Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines gegen den Widerruf der In-Sich-Beurlaubung gerichteten Widerspruchs anhängig ist.

Bei dieser Sachlage lässt sich der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keineswegs mit Bestimmtheit und auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entnehmen, dass hier aufgrund des Vorliegens eines für sofort vollziehbar erklärten Widerrufs der In-Sich-Beurlaubung des Antragstellers die Anwendbarkeit des § 38 Abs. 1 BDG eröffnet ist.

In der genannten Entscheidung, die sich noch auf die Regelung der vorläufigen Dienstenthebung nach der Vorgängerregelung des § 91 BDO bezog, hat das Bundesverwaltungsgericht

Beschluss vom 24.10.2002 - 1 DB 10/02 -, a.a.O.

zwar ausgeführt, der vorläufigen Dienstenthebung im dort gegebenen Fall stehe nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der Zustellung und damit des Wirksamwerdens der Anordnung (der vorläufigen Dienstenthebung) die Beurlaubung des dortigen Antragstellers unter Wegfall der Dienstbezüge, die ihn von seiner beamtenrechtlichen Pflicht zur Dienstleistung entbunden hatte, noch nicht wirksam widerrufen war. Jedoch hat es unter Bezugnahme auf zahlreiche Fundstellen aus der Literatur zu § 91 BDO ausdrücklich offen gelassen, „ob es in einem solchen Beurlaubungsfall überhaupt noch rechtlich möglich und geboten ist, den ohnehin nach Beamtenrecht nicht dienstleistungspflichtigen Beamten gemäß § 91 BDO von seiner Dienstleistungspflicht zu entbinden“.

Die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage hat das Bundesverwaltungsgericht im dortigen Fall nur deshalb verneint, weil jedenfalls im für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt seiner Entscheidung aufgrund eines bestandskräftigen (zurückweisenden) Widerspruchsbescheides ein (endgültig) wirksamer Widerruf der Beurlaubung vorlag, weshalb die beamtenrechtliche Verpflichtung des Antragstellers zur Dienstleistung wieder aufgelebt und für eine vorläufige Dienstenthebung Raum war.

Dem ist der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt nicht vergleichbar. Insbesondere steht hier keineswegs abschließend fest, dass die durch die In-Sich-Beurlaubung aus dem Jahre 2008 entfallene beamtenrechtliche Verpflichtung des Antragstellers zur Dienstleistung wieder aufgelebt ist. Ein bestandskräftiger Widerruf der In-Sich-Beurlaubung liegt hier gerade nicht vor. Die vom Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung aufgeworfene, aber ausdrücklich offen gelassenen Frage ist daher hier – weiterhin – als offen anzusehen.

Darüber hinaus ist auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der mit Bescheid vom 17.2.2012 erfolgte Widerruf der In-Sich-Beurlaubung des Antragstellers und die hierzu mit Schreiben vom 7.3.2012 erfolgte Sofortvollzugsanordnung rechtlichen Bestand haben werden.

Ob dies der Fall sein wird, hängt u.a. von der Frage ab, ob Voraussetzung eines Widerrufs der hier gemäß § 387 Abs.3 SGB III a.F. mit Wirkung ab 1.7.2008 erfolgten In-Sich-Beurlaubung eine zuvor erfolgte wirksame Beendigung des zwischen den Beteiligten bestehenden Arbeitsvertrages nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts ist. Das Verwaltungsgericht hat dies unter Bezugnahme auf die von der Antragsgegnerin in ihren Verwaltungsakten vorgelegten Verwaltungsvorschriften (Handlungs- und Durchführungsanweisung – HDA – Stand 26.5.2010, Abschnitt B 500 zur In-Sich-Beurlaubung), insbesondere auf Nr. 27 Abs. 2 HDA, nachvollziehbar bejaht. Dort heißt es: “Ist ein Widerruf der In-Sich-Beurlaubung beabsichtigt, ist zunächst das Arbeitsverhältnis zu beenden (Satz 1). Im Regelfall ist mit der Beamtin/dem Beamten ein Auflösungsvertrag zu schließen (Satz 2). Liegen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Gründe vor, so ist das Arbeitsverhältnis nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften durch ordentliche oder fristlose Kündigung aufzulösen (Satz 3). Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die In-Sich-Beurlaubung zu widerrufen (Satz 4)“.

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Antragsteller, insbesondere nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften durch ordentliche oder fristlose Kündigung, ist indes unstreitig nicht erfolgt. Zwar hatte die Antragsgegnerin ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten Schriftsätze aus dem vor dem Verwaltungsgericht geführten Personalvertretungsverfahren 8 K 1137/10 im September 2009 beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis mit dem Antragsteller zu kündigen, weshalb sie in dem genannten Verfahren die Ersetzung der Zustimmung des Personalrats gemäß § 47 Abs. 1 BPersVG zu der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses und zum Widerruf der In-Sich-Beurlaubung beantragt hatte. Jedoch hat sie dieses Verfahren nicht weiterverfolgt, sondern durch Antragsrücknahme beendet.

Dem aus Nr. 27 Abs. 2 HDA, mithin aus ihren eigenen Handlungs- und Durchführungsanweisungen zur In-Sich-Beurlaubung sich nachvollziehbar ergebenden Erfordernis einer vorherigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor dem Widerruf der In-Sich-Beurlaubung hat die Antragsgegnerin auch nicht hinreichend substantiiert das Vorliegen einer abweichenden Neufassung der fraglichen Richtlinien entgegen gehalten. Zwar hat sie vorgetragen, die HDA Stand 25.5.2010 sei veraltet und die neue HDA, Stand 5.8.2011 beinhalte „den vom Antragsteller zitierten Passus in dieser Form nicht mehr“ und in der neuen HDA heiße es: „ Erst in den Fällen, in denen eine außerordentliche Kündigung oder eine ordentliche Kündigung wegen Schlechtleistung erforderlich wäre, ist entsprechend vom Widerruf der I-S B Gebrauch zu machen“. Nur aufgrund dieses isolierten Zitats und ohne den Kontext der gesamten Neufassung der HDA kann dem jedoch nicht entnommen werden, ob die Neufassung eine dem oben zitierten Nr. 27 Abs. 2 HDA Stand 26.5.2010 entsprechende Regelung tatsächlich nicht mehr enthält.

Die Frage, ob der Antragsteller als „aktiver Beamter“ im Sinne des § 38 Abs. 1 BDG mit wiederaufgelebten beamtenrechtlichen Dienstleistungspflichten anzusehen ist und deshalb die grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorschrift des § 38 BDG auf ihn zu bejahen ist, ist danach als offen zu bewerten.

Dies gilt sowohl mit Blick auf die Frage, ob der Widerruf der In-Sich-Beurlaubung des Antragstellers eine zuvor erfolgte wirksame Beendigung des zwischen den Beteiligten bestehenden Arbeitsvertrages nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts voraussetzt, als auch darüber hinaus mit Blick auf die Frage, ob – falls dies nicht der Fall sein sollte – nicht nur für eine Kündigung des mit dem Antragsteller begründeten Arbeitsvertrages sondern auch für den Widerruf der in seiner Person erfolgten In-sich-Beurlaubung die Zustimmung des Personalrates gemäß § 47 Abs. 1 BPersVG vorliegen muss und ob nicht auch deshalb eine Maßnahme gegen den Antragsteller nach § 38 Abs. 1 BDG mangels Vorliegens des aktiven Beamtenstatus nicht hätte ergehen dürfen.

Beide Fragen bedürfen zu ihrer abschließenden Klärung einer vertieften rechtlichen Prüfung in disziplinarrechtlicher, beamtenrechtlicher und personalvertretungsrechtlicher Hinsicht. Dies geht über den Rahmen des vorliegenden Eilrechtsschutzverfahrens hinaus, weshalb sie hier als offen in dem Sinne anzusehen sind, dass sie weder überwiegend wahrscheinlich zu bejahen noch zu verneinen sind. Muss aber das Vorliegen einer zentralen Tatbestandsvoraussetzung des § 38 Abs. 1 BDG für die gegen den Antragsteller ergriffene Maßnahme der vorläufigen Dienstenthebung als offen angesehen werden, so begründet dies bereits erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme.

Es mag dahinstehen, ob dies – wovon das Verwaltungsgericht ausgeht – bereits zur Bejahung ernstlicher Zweifel im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG und damit zur Aussetzung der Maßnahme durch das Gericht ausreicht. Denn auch wenn die vorgenannten Gesichtspunkte für sich betrachtet – noch – nicht zur Annahme von Zweifeln führen würden, die im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG als ernstlich zu bewerten wären, so sind derartige Zweifel jedenfalls bei Einbeziehung der weiteren Frage zu bejahen, ob im Falle des Antragstellers die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG, auf den die Maßnahme allein gestützt wurde, vorliegen.

Nach der genannten Vorschrift ist Voraussetzung für die vorläufige Dienstenthebung, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Dies setzt voraus, dass es aufgrund der summarischen Prüfung des dem Beamten vorgeworfenen Sachverhalts überwiegend wahrscheinlich sein muss, dass gegen ihn die disziplinarische Höchstmaßnahme verhängt werden wird. Das Merkmal „voraussichtlich“ gibt den Maßstab für die von der Behörde zu treffende Prognoseentscheidung vor, bei der auf den konkreten Einzelfall abgestellt werden muss. Deshalb genügt es nicht, dass das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen generell geeignet ist, die Höchstmaßnahme zu rechtfertigen. Auch reicht es nicht, dass die Verhängung der Höchstmaßnahme möglich oder ebenso wahrscheinlich ist wie die Verhängung einer geringeren Maßnahme

allg. Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 18.12.1987 - 1 DB 27/87 -, BVerwGE 83, 376f. und vom 28.02.2000 - 1 DB 26/99 -, juris sowie Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Aufl. § 38 Rdnr. 3 und Urban /Wittkowski, BDG § 38 Rdnr. 17, jew.m.w.N..

Vorliegend erscheint es bei summarischer Prüfung derzeit indes nicht überwiegend wahrscheinlich, dass gegen den Antragsteller die disziplinarische Höchstmaßnahme verhängt werden wird. Dabei ist im Wesentlichen von Folgendem auszugehen.

Unter dem 30.11.2009 hat die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller Strafanzeige erstattet mit dem Vorwurf der Erpressung und Nötigung von Bildungsträgern, zu deren Angebot Leistungen für die Antragsgegnerin gehörten (1.), der Untreue zu Lasten der Antragsgegnerin durch Verstoß gegen § 10 Abs. 3 SGB III durch rechtlich nicht zulässige Fördermaßnahmen zur Erlangung des Führerscheins für Erwerbslose (2.), der rechtlich nicht zulässigen Vergabe von Fördermaßnahmen gemäß § 37 SGB III (3.), des Verstoßes gegen Datenschutzbestimmungen (4.) und der Annahme von durch Bildungsträger bezahlte Essen, Reisen und Feiern (5.). Die genannten Vorwürfe hat sie ihm auch disziplinarisch zur Last gelegt, das am 21.9.2010 eingeleitete Disziplinarverfahren jedoch mit Blick auf die strafrechtlichen Ermittlungen mit Verfügung vom 2.12.2010 ruhend gestellt. Nach Durchführung umfangreicher Ermittlungen gelangte das LKA in seinem Abschlussbericht vom 30.5.2011 zu dem Ergebnis, dass aus seiner Sicht eine Erhärtung des Verdachts im Wesentlichen nur zu den Vorwürfen zu 2. und 3. möglich war, zu 1. allenfalls singulär, zu 4. in abgeschwächter Form und dass sich zu 5. die Vorwürfe im Wesentlichen als unbegründet erwiesen hätten. Die Staatsanwaltschaft erhob am 29.12.2011 wegen der dem Antragsteller zu 2. als rechtlich nicht zulässig vorgeworfenen Fördermaßnahmen zur Erlangung des Führerscheins für Erwerbslose (wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 3 SGB III) in 100 Fällen Anklage wegen Untreue zum Landgericht A-Stadt. Wegen der weiteren angezeigten Vorwürfe hat die Staatsanwaltschaft „soweit diesbezüglich noch verfolgbare Straftaten in Betracht kommen“ die Strafverfolgung gemäß § 154 StPO beschränkt. Bezüglich der angeklagten Untreuehandlungen ging die Staatsanwaltschaft von einem Gesamtschaden in Höhe von rund 185.000,- EUR aus, wobei sie die Gesamtsumme der Zahlungen an die Bildungsträger für durchgeführte, aber nach den Ermittlungen als nicht förderungsfähig eingeschätzte Führerscheinmaßnahmen in Ansatz brachte. Zugleich ist in der Anklageschrift festgehalten: „belastbare Anhaltspunkte für eine persönliche Bereicherung des Angeschuldigten wurden nicht festgestellt“. Der Antragsteller ist den Vorwürfen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sowie auch im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren in objektiver wie subjektiver Hinsicht ausführlich entgegengetreten.

Ausgehend von diesem Sach- und Streitstand kann derzeit – insbesondere allein aufgrund der Tatsache der Anklageerhebung - nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden, dass in einem - zulässig gegen den Antragsteller gerichteten - Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nicht wahrscheinlicher als die Verhängung einer geringeren Maßnahme. Zwar wiegen die dem Antragsteller vorgeworfenen Taten schwer. Auch handelt es sich bei dem in der Anklageschrift als Schadenssumme angenommenen Betrag nicht um eine geringfügige Summe. Jedoch wird – auch für den Fall der Erweislichkeit der objektiven Rechtswidrigkeit des Handelns des Antragstellers - bei der Bewertung der Schwere des disziplinarischen Vorwurfs beispielsweise zu berücksichtigen sein, dass die einzelnen Beträge tatsächlich für 100 reale Fördermaßnahmen zur Erlangung des Führerscheins, seien diese letztlich rechtlich förderungsfähig gewesen oder nicht, verauslagt wurden und dass - nach dem Erkenntnisstand der Anklageschrift - belastbare Anhaltspunkte für eine damit verbundene persönliche Bereicherung des Antragstellers bislang nicht festgestellt wurden. Ob die Durchführung des Strafverfahrens, sei es im Sinne einer Belastung oder sei es im Sinne einer Entlastung des Antragstellers, insgesamt zu anderen maßgeblichen Erkenntnissen führen wird, als dies in der Anklageschrift zugrunde gelegt wurde, ist derzeit völlig offen und im Rahmen der im Verfahren nach § 63 Abs. 2 BDG nur möglichen summarischen Prüfung nicht abzuschätzen.

Im Ergebnis bestehen daher sowohl mit Blick auf die offene Frage der Anwendbarkeit des § 38 Abs. 1 BDG auf den Antragsteller als auch in Anbetracht des Fehlens einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass in einem - zulässig gegen den Antragsteller gerichteten - Disziplinarverfahren voraussichtlich auf dessen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird, ernstliche Zweifel im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG an der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin unter dem 2.2.2012 gegenüber dem Antragsteller gemäß § 38 Abs. 1 BDG ausgesprochenen vorläufigen Dienstenthebung.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den angefochtenen, dem Aussetzungsantrag des Antragstellers stattgebenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19.3.2012 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 Abs. 1 BDG, 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Meta

7 B 116/12

23.05.2012

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes

Beschluss

Zitier­vorschlag: Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 23.05.2012, Az. 7 B 116/12 (REWIS RS 2012, 6172)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6172

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.