Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.05.2017, Az. 2 StR 473/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10664

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:180517B2STR473.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 473/16
vom
18. Mai 2017
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 18.
Mai
2017
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Mai 2016 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Adhäsionsent-scheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

I.
Nach den Feststellungen des [X.] hatte zwischen dem Neben-kläger C.

und der Schwester des Angeklagten, der Zeugin Os.

, eine
mehrjährige Liebesbeziehung bestanden. Nach deren Ende stellte der Neben-kläger der Zeugin nach, indem er telefonischen Kontakt zu ihr suchte und häufig 1
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zum Wohnhaus der Familie des Angeklagten kam, dort klingelte oder vor der Tür wartete. Davon fühlte sich auch der Angeklagte betroffen, der sich an Wo-chenenden regelmäßig in der Wohnung aufhielt.
Am Tattag kam es zwischen dem Nebenkläger und der Schwester des Angeklagten zu einem Streit, in dessen Verlauf der Nebenkläger die Zeugin
Os.

beleidigte und ihr ins Gesicht schlug. Daraufhin lief diese weinend in
Richtung ihres Wohnhauses, der Nebenkläger folgte ihr einige Minuten später. Dabei trug er eine Bauchtasche, in der sich eine Schreckschusspistole und ein Einhandmesser befanden. Um sich mit der Schwester des Angeklagten auszu-sprechen, klingelte der Nebenkläger gegen 21 Uhr an der Haustür der [X.]. Der dort anwesende Angeklagte sah vom Fenster aus den Nebenkläger und entschloss sich, nach unten zu gehen, um ihn zur Rede zu stellen und von ihm ein Ende der Belästigungen
zu fordern. Aufgrund früherer Schilderungen seiner Schwester ging er davon aus, dass der Nebenkläger immer ein Messer bei sich führe, und schätzte ihn als gefährlich ein. Daher nahm er aus der [X.] ein Brotmesser und begab sich nach draußen. Der Nebenkläger hatte sich zwischenzeitlich entfernt.
Der Angeklagte folgte dem vermuteten Weg des [X.] und ent-deckte ihn kurz darauf in einer nahen Grünanlage. Während er das Brotmesser in der rechten Hand hielt, sprach er den Nebenkläger aus etwa fünf bis sieben Metern Entfernung von hinten an, worauf dieser sich umdrehte, und
sich ihm näherte. Anschließend kam es zu einer Rangelei und
einer
körperlichen Ausei-nandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger, zu der keine Einzelheiten festgestellt werden konnten. Jedenfalls gingen in deren Verlauf Angeklagter und Nebenkläger zu Boden. Um eine Stichbewegung des Ange-klagten in Höhe des Oberkörpers abzuwehren, fasste der Nebenkläger in die Klinge des Brotmessers, wodurch er eine tiefe Schnittwunde am [X.] der 3
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linken Hand erlitt. Beide standen wieder auf, wobei der Angeklagte schneller als der Nebenkläger war und diesem im Halsbereich eine tiefe Schnittwunde zufüg-te. Danach ließ der Angeklagte vom Nebenkläger ab.
Der Angeklagte hat den äußeren Rahmen und seine Beteiligung an der Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger im Wesentlichen eingeräumt und für Hauptverhandlung hat er sich dahin eingelassen, bei dem Zusammentreffen mit dem Nebenkläger auf der Grünfläche sei dieser mit einem aufgeklappten Mes-ser auf ihn zugekommen. Er habe mit seiner linken Hand die messerführende Hand des [X.] ergriffen und ihn mit seiner rechten Hand, in der er weiterhin das Brotmesser gehalten habe, am Kragen gepackt. Im Verlauf der Rangelei, bei der beide zu Boden gegangen seien, müsse es zu den [X.] des [X.] am Hals und an der Hand gekommen sein.
Das [X.] hat die Einlassung des Angeklagten zum Tatgeschehen als nicht plausibel gewertet. Diese Wertung hat die [X.] insbesondere darauf gestützt, dass nach den Angaben des rechtsmedizinischen Sachver-ständigen die Schnittwunde am Hals des [X.] nicht bei einem Geran-gel habe entstanden
sein
können.
Die Angaben des [X.] zum eigentlichen Tatablauf hat das Lasten des Angeklagten der Entscheidung zugrunde gelegt, wenn diese durch andere Beweismittel objektiviert [X.] kein Einhandmesser mit sich geführt zu haben, hat die [X.] als durch die Angaben des Zeugen P.

widerlegt angesehen. Die Schilderung
des [X.] zum Kerngeschehen in der Hauptverhandlung hat die Straf-5
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r-nehmungen gewertet.

II.
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Sachrüge deckt [X.] bei der Beweiswürdigung auf.
1. Das Revisionsgericht hat die Beweiswürdigung des Tatrichters grund-sätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteils-gründe Rechtsfehler enthalten. Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustel-len und zu würdigen, ist Sache des Tatrichters. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit nach [X.] Würdigung, die nicht wi-dersprüchlich, lückenhaft oder unklar sein darf, überzeugt ist. Die zur richterli-chen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlich-keit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das [X.] zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und sich nicht als bloße Vermutung erweist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 24.
November 1992

5
StR 456/92, [X.], 510; [X.], Beschluss vom 12.
Dezember 2001

5
StR 520/01, [X.], 235; [X.], Beschluss vom 22.
August 2013

1
StR 378/13, [X.], 387).
2. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Landge-richts durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sich aus ihr nicht ergibt, wo-8
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rauf die [X.] ihre Feststellungen zum Kerngeschehen

dem Zusam-mentreffen des Angeklagten mit dem Nebenkläger in der Grünanlage

stützt. Da die Widerlegung der Einlassung des Angeklagten nicht alleinige Grundlage einer ihm ungünstigen Tatsachenfeststellung sein kann (Senat, Urteil vom 5.
Juli 1995

2 [X.], [X.]St 41, 153, 156; [X.], Beschluss vom 17.
Mai 2000

3
StR 161/00, [X.], 549, 550; Beschluss vom 16.
Dezember 2010

4 [X.], NStZ-RR 2011, 118), bedurfte die eine Notwehrlage ausschlie-ßende Annahme des [X.], der Angeklagte habe den Nebenkläger nach dem Antreffen auf der Grünanlage mit dem Küchenmesser angegriffen, näherer Erörterung und Begründung.
Auf die insoweit vom Nebenkläger gemachten Angaben hat die [X.] ihre Überzeugung ausdrücklich nicht gestützt (UA S.
18 ff.). Ohne mit-zuteilen, was der Nebenkläger im Einzelnen bei der Polizei und in der [X.] zu den näheren Umständen der Begegnung mit dem Angeklagten [X.] beobachtet haben, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht.
Die Überzeugungsbildung der [X.] zum Tatgeschehen findet auch keine tragfähige Grundlage in den Angaben des Sachverständigen zur Entstehung der Verletzungen des [X.]. Dass

wie das [X.] aufgrund des Gutachtens annimmt

die Schnittverletzung
am Hals nicht im Rahmen eines [X.] zwischen zwei Personen erfolgt sein kann, lässt le-diglich den Schluss zu, dass die Einlassung des Angeklagten über den späte-ren Ablauf des [X.] widerlegt ist, besagt aber nichts über den Beginn und unmittelbar folgenden Verlauf der Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger. Die Annahme des [X.], dass die Schnittwunde am [X.] des [X.] dadurch entstanden sei, 11
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dass dieser zur Abwehr einer Stichbewegung des Angeklagten auf den Ober-körper in die Klinge gefasst habe, ist nach den Ausführungen des [X.] eine der möglichen
Erklärungen. Aus welchem Grund das [X.] dieser Erklärung und nicht der ebenfalls bestehenden Möglichkeit folgt, dass die Verletzung
auch durch das vom Angeklagten geschilderte Hineingreifen in die Klinge verursacht worden sein kann (UA S.
21), wird vom [X.] nicht be-gründet.
3. Der Tatvorwurf bedarf daher insgesamt neuer Aufklärung und Bewer-tung. Für die neue Hauptverhandlung
weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte das neue Tatgericht abermals zum Ergebnis gelangen, dass der Angeklagte dem Nebenkläger gegenüber zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet ist, wird es die Höhe des Schmerzensgeldes an den Kriterien zu orientieren ha-ben, die die [X.] des [X.] in der Ent-scheidung vom 16.
September 2016 festgehalten haben (VGS
1/16, [X.], 149 ff.). Danach können die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nur dann anspruchserhöhend oder -mindernd berück-sichtigt werden, wenn s.
Appl Krehl Bartel

Grube

Schmidt

13

Meta

2 StR 473/16

18.05.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.05.2017, Az. 2 StR 473/16 (REWIS RS 2017, 10664)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10664

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