10. Kammer | REWIS RS 2021, 4708
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 05.05.2021, 2 Ga 1/21, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und
dem Beklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten aufgegeben, es zu unterlassen, die Inhalte der diesem Beschluss angefügten – vorliegend teilweise geschwärzten – Anlagen (Tabelle – bestehend aus zwei Seiten – mit dem Vermerk ANLAGE AS 1; Tabelle – bestehend aus zwei Seiten – mit dem Vermerk ANLAGE AS 2; E-Mail-Korrespondenz – bestehend aus elf Seiten – mit dem Vermerk ANLAGE AS 3) in Gestalt von Dateien, E-Mails, Dokumenten, Ausdrucken oder sonstigen Verkörperungen hiervon zu nutzen und/oder Dritten offenzulegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszugs tragen die Klägerin zu 75 % und der Beklagte zu 25 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte je zu 50 %.
- Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2, 4 S. 2 ArbGG i.V.m. § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen -.
Die Berufung der Verfügungsklägerin (im Folgenden nur Klägerin) hat nur zum Teil Erfolg.
A. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 ArbGG statthaft und nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG zulässig sowie in gesetzlicher Form und Frist nach den §§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519 ZPO eingelegt und fristgerecht ordnungsgemäß begründet worden.
B. Die Berufung ist nur zum Teil begründet.
I. Der Klageantrag ist zulässig.
Ein Unterlassungsantrag muss nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO so bestimmt gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts klar umrissen sind und der Beklagte erkennen kann, wogegen er sich verteidigen soll und welche Unterlassungspflichten sich aus einer dem Unterlassungsantrag folgenden Verurteilung ergeben; die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, darf grundsätzlich nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen werden. Die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe oder Bezeichnungen kann dabei allerdings hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Verurteilung zweckmäßig oder sogar geboten sein, wenn über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe oder Bezeichnungen kein Zweifel besteht, so dass die Reichweite von Antrag und Urteil feststeht bzw. wenn dessen Auslegung zwischen den Parteien nicht streitig ist. Welche Anforderungen dabei an die Konkretisierung des Streitgegenstandes im Unterlassungsantrag zu stellen sind, ist auch abhängig von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalles (LAG Düsseldorf, 03.06.2020, 12 SaGa 4/20, Rn. 93 m.w.N.).
Zu Recht hat das Arbeitsgericht danach im Beschluss vom 04.03.2021 festgehalten, dass der Klageantrag hinreichend bestimmt ist. Die teilweise Schwärzung der Inhalte der bezeichneten Dokumente ist unschädlich, da die Anfügung der Anlagen allein der Identifizierung der betreffenden Dokumente und nicht der Feststellung des einzelnen Inhalts dient. Dies gilt umso mehr, als zwischen den Parteien unstreitig ist, dass und konkret welche Unterlagen sich der Verfügungsbeklagte (im Folgenden Beklagter) an seinen privaten Email-Account übersandte bzw. um welche Informationen überhaupt gestritten wird. Die Beifügung nicht geschwärzter Anlagen würde dem Geheimhaltungsbedürfnis der Klägerin zuwiderlaufen. Die Schwierigkeiten, die bei der Abgrenzung zwischen der von der Rechtsordnung erlaubten Nutzung des Erfahrungswissens und der unbefugten Nutzung von Geschäftsgeheimnissen entstehen könnten, ergeben sich unabhängig von einer Schwärzung.
II. Der Klageantrag ist jedoch nur zum Teil begründet.
1. Die Klägerin hat einen Verfügungsanspruch aus §§ 6,4 Abs. 2 Nr. 1a GeschGehG ebenso wie aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. dem schriftlichen Arbeitsvertrag auf Unterlassung der Nutzung und Offenlegung der im Tenor genannten Anlagen gegenüber Dritten in Gestalt von Dokumenten, Ausdrucken oder sonstigen Verkörperungen, nicht mehr jedoch auf Unterlassung der Erlangung.
a) Sowohl bei den beiden Excel-Tabellen als auch bei der E-Mail-Korrespondenz handelt es sich um Geschäftsgeheimnisse i.S.d. § 2 GeschGehG.
Dazu kann letztlich auf die ausführlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts im ursprünglichen Beschluss vom 04.03.2021 verwiesen werden, die daher auch im Folgenden zum Teil wortgleich übernommen und nur an einzelnen Stellen ergänzt werden:
Geschäftsgeheimnis im Sinne dieses Gesetzes ist eine Information, die a) weder der insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und die b) Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und bei der c) ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.
aa) Die streitgegenständlichen Informationen sind nicht allgemein bekannt im Sinne der Vorschrift und aus diesem Grund von wirtschaftlichem Wert.
(1) Die Tabelle „180503_mutter_aller_listen.xlsx“ ist geheim im Sinne der Vorschrift, obgleich die einzelnen Informationen der darin enthaltenen Marktanalyse öffentlich zugänglich sind. Eine Datensammlung erlangt die schützenswerte Geheimnisqualität im Rahmen einer Datensammlung durch ihre Strukturierung (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 8). Vorliegend haben sich vier qualifizierte Mitarbeiter zehn Tage mit der Marktanalyse befasst, um die Datensammlung erstellen zu können. Es ist unerheblich, ob dem Beklagten auf seine Bitte die Liste von dem Mitarbeiter A. zur Verfügung gestellt wurde wie die Klägerin vorträgt oder aber der Beklagte bereits vorher Zugriff hatte, wie er behauptet, denn dies ändert nichts daran, dass sie jedenfalls nicht allgemein zugänglich war; dies wird auch von dem Beklagten nicht behauptet.
Die Tabelle „Mappe xlsx“ enthält aktuelle Stände laufender Projekte im Bereich der Kundenaquisition, Angaben zu gegenüber der Klägerin kundgetanen potentiellen Auftragsvolumina, zum Stand der Verhandlungen sowie verhandlungsstrategische Hinweise und ist nicht allgemein zugänglich, sondern befindet sich nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin auf einer Datenbank mit streng eingeschränkten Zugriffsrechten.
Schließlich ist auch die E-Mail-Korrespondenz nicht allgemein zugänglich im Sinne der Vorschrift. Sie enthalten vor allem die Namen der Ansprechpartner nebst E-Mailadresse. Bereits nach der Rechtsprechung zu § 17 UWG waren etwa Kalendereinträge mit Kontaktadressen, interne Durchwahlnummern oder XING-Kontakte als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eingestuft; an dieser Einordnung hat sich durch das GeschGehG nichts geändert (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 79;79.1).
Soweit der Beklagte darauf abstellt, ihm seien aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in diesem Bereich die wichtigen Ansprechpartner namentlich bekannt und etwaige E-Mail-Adressen oder Kontaktdaten durch konkrete Nachfragen oder Kombination von Namen + üblichem Geschäftsaccount rekonstruierbar, so mögen diese Angaben jedenfalls in Teilen zutreffen. Jedoch führt es unstreitig zu einer spürbaren Arbeitserleichterung und Zeitersparnis, falls die erforderlichen Kontakte unmittelbar, quasi mit einem Klick, erreichbar sind, anstatt sie sich erst in mühevoller Kleinarbeit neu zusammenstellen zu müssen. Die über Jahre im Betrieb der Klägerin gesammelten Kontaktdaten sind zudem nicht für jeden allgemein zugänglich, sondern nur für einen Kreis von Mitarbeitern, die eben mit diesem Kunden bzw. dessen Ansprechpartnern in unmittelbaren Kontakt treten sollten.
(2) Sämtliche vorgenannten Informationen sind auch von wirtschaftlichem Wert.
Die Tabelle „180503_mutter_aller_listen.xlsx“ hat ersichtlich einen positiven wirtschaftlichen Wert, da sie eine umfassende und komprimierte Marktanalyse enthält. Dies wird von dem Beklagten auch nicht bestritten.
Auch die Darstellung der aktuellen Verhandlungsstände und Verhandlungsstrategien aus der „Mappe xlsx“ weist einen Marktwert auf, denn es reicht aus, dass durch die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung der Information unter anderem geschäftliche oder finanzielle Interessen, strategische Position oder Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflusst werden (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Auflage, § 2 GeschGehG Rn. 45 unter Verweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs). Gelangt ein Mitbewerber in den Besitz dieser Darstellung, schwächt dies die Marktposition der Klägerin, weil es den Mitbewerber in die Lage versetzt, an den Kunden gezielter heranzutreten.
Gleiches gilt für die Inhalte der E-Mail-Korrespondenz, da allein der enge Kontakt zu wichtigen Ansprechpartnern, gerade auch durch eine ins Private hineinzielende und damit dem Aufbau einer engeren persönlichen Bindung dienende Korrespondenz wiederum einen Wettbewerbsvorteil bietet.
bb) Die vorgenannten Informationen sind auch Gegenstand angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen.
Durch dieses Merkmal gibt das Gesetz zu erkennen, dass nur derjenige den Schutz durch die Rechtsordnung genießt, der die geheime Information aktiv schützt. Wer keine Bestrebungen zum Schutz einer Information unternimmt oder lediglich darauf vertraut, die geheime Information werde nicht entdeckt und bleibe verborgen, genießt keinen Schutz. Allerdings können bereits vertragliche Vereinbarungen ein Mittel des Geheimnisschutzes darstellen, denn die an die Geheimhaltungsmaßnahmen zu stellenden Anforderungen sind nicht besonders hoch (LAG Düsseldorf, 03.06.2020, 12 SaGa 4/20, Rn. 116 m.w.N.; BeckOK GeschGehG/Fuhlrott, § 2 GeschGehG, Rn. 20;20.1).
Die Tabelle „Mutter aller Listen“ ist laut Klägerin nur nach Rückfrage freizugeben. Nach Behauptung des Beklagten war sie ihm ohnehin bereits zugänglich. Darauf kommt es letztlich nicht an, denn auch der Beklagte behauptet nicht, dass sie für jeden (Vertriebs)-mitarbeiter ohne Weiteres einsehbar gewesen wäre.
Die Tabelle „Mappe xlsx“ ist in der Datenbank Sharepoint abgelegt, zu der nur ein eng begrenzter Personenkreis mit Zustimmung der Geschäftsführung Zugriff hat.
Sämtliche vorgenannten Daten sind zudem Gegenstand der Regelungen der §§ 11, 17 des Arbeitsvertrages, wonach insbesondere die Informationen und die Datenträger, auf denen sie enthalten sind, sorgfältig behandelt werden müssen und nur mit schriftlicher Zustimmung der Geschäftsführung zu anderen als dienstlichen Zwecken verwendet werden dürfen. Untermauert werden diese Vorschriften durch die geltenden und dem Beklagten bekannten Unternehmensrichtlinien, mit denen ungeachtet ihrer rechtlichen Einordnung die Klägerin den Inhalt der arbeitsvertraglichen Klauseln jedenfalls noch detaillierter verdeutlichte.
cc) Schließlich besteht ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung.
Hinsichtlich der beiden Excel-Tabellen bedarf es hierzu keiner näheren Ausführungen.
Das berechtigte Geheimhaltungsinteresse besteht entgegen der Auffassung des Beklagten aber auch bezüglich der E-Mails bzw. der sie implizierenden Kontaktdaten, da diese neben den Informationen zum Stand der Vertragsabschlüsse vor allem Kenntnisse über wichtige Geschäftspartner und zum Teil sogar Aspekte deren Privatlebens beinhalten, die der Kontaktpflege und dem persönlichen Beziehungsaufbau förderlich sind.
b) Der Beklagte hat die oben genannten Informationen auch unbefugt i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erlangt, indem er sie jedenfalls kopierte.
aa) Das Weiterleiten einer E-Mail an einen externen E-Mail-Account ist als ein solcher durch § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG geschützter Kopiervorgang zu verstehen (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, § 4 GeschGehG, Rn. 18,19).
bb) Der Beklagte handelte auch unbefugt, d.h. ohne die Zustimmung des Inhabers der Geschäftsgeheimnisse (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, § 4 GeschGehG, Rn. 20), da ihm zwar der dienstliche Umgang mit den streitgegenständlichen Informationen erlaubt, jedoch die Weiterleitung an den privaten E-Mail-Account erkennbar nicht im Sinne der Klägerin war.
Aus Sicht der Kammer bedarf es hierzu nicht einmal eines konkreten arbeitsvertraglichen Verbots, vielmehr versteht sich diese Einschränkung vor dem Hintergrund, dass es sich eben um Betriebsgeheimnisse handelt, deren Wahrung explizit in §§ 11, 17 des Arbeitsvertrages geregelt und durch die entsprechenden Richtlinien en détail verdeutlicht wurde, von selbst. Deutlich überspitzt formuliert: Es gibt in Arbeitsverträgen auch kein ausformuliertes Verbot, Spesenabrechnungen falsch auszufüllen und trotzdem ist jedermann klar, dass es unerlaubt ist und von Arbeitgeberseite nicht toleriert werden wird.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Beklagte darauf beruft, es sei gelebte Praxis bei der Klägerin, private Accounts dienstlich zu nutzen, da die zur Verfügung gestellte remote-Verbindung fehlerbehaftet und störanfällig gewesen sei.
Abgesehen davon, dass der Beklagte hierüber jeden Nachweis schuldig bleibt, ändert selbst diese Praxis als zutreffend unterstellt doch im Kern nichts daran, dass die Vorgehensweise den ersichtlichen und nach außen kenntlich gegebenen Interessen der Klägerin widerspricht. Anhaltspunkte für eine erkennbare oder sonst manifestierte Duldung durch die Klägerin sind zwar pauschal behauptet und an Eides Statt versichert, jedoch weder konkret durch Tatsachenvortrag untermauert noch sonst anzunehmen.
Umgekehrt hat die Klägerin ihrerseits durch eidesstattliche Versicherungen ihres Geschäftsführers sowie des Mitarbeiters B. vom 29.04.2021 vorgetragen, dass die Nutzung von Privat-Accounts weder bekannte Praxis sei noch gefördert werde, so dass sich die Behauptungen streitig gegenüberstehen.
Vor allem aber spricht doch die unstreitige Einrichtung von remote-Verbindungen für die Mitarbeiter und die dadurch geschaffene Möglichkeit, jederzeit und von jedem Ort auf die maßgeblichen Daten zugreifen zu können, deutlich gegen die Duldung einer Nutzung privater E-Mail-Adressen bzw. sonstiger Accounts, die dadurch überflüssig wird. Durch sie wäre schließlich der in § 17 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vorgesehene sorgfältige Umgang mit den Geschäftsgeheimnissen nicht zu gewährleisten, da das Risiko besteht, dass sich die Unterlagen und Daten auf eine unkontrollierbare Anzahl privater Haushalte, Rechner und anderer Datenträger verbreiten.
Unbestritten hat die Klägerin zudem vorgetragen, dass jedenfalls bei einer Durchsuchung des Laptops des Beklagten weitere, an seine private E-Mail-Adresse gesendete Mails gerade nicht gefunden wurden. Auch sei die Korrespondenz mit dem Kunden C zwischen Oktober und Dezember 2020 jedenfalls augenscheinlich nur über die dienstliche E-Mail-Adresse erfolgt. Gegenteiliges hat der Beklagte weder konkret vorgetragen noch sonst nachgewiesen.
cc) Darüber hinaus greift hier auch der in § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG enthaltene Auffangtatbestand, da es ersichtlich anständigen Marktgepflogenheiten widerspricht, die streitgegenständlichen Informationen auf einem privaten E-Mail-Account zu hinterlegen.
c) Entgegen der Annahme des Beklagten ist die für die Annahme eines Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben, soweit sie sich auf die Nutzung der im Klageantrag genannten Anlagen bezieht.
Wie vom Arbeitsgericht ausgeführt und von beiden Parteien im Grundsatz ebenso angenommen, wird das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr indiziert, also widerleglich vermutet, wenn der in Anspruch Genommene schon in der Vergangenheit das streitgegenständliche Geschäftsgeheimnis – ganz oder teilweise – beeinträchtigt hat. Dass die Wiederholungsgefahr in solchen Fällen indiziert wird, hat zur Folge, dass der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses seinerseits nicht darlegen oder gar beweisen muss, es werde tatsächlich (sicher oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) zu einer erneuten Beeinträchtigung oder zu der Fortsetzung der fortbestehenden Beeinträchtigung kommen, sondern umgekehrt die Darlegungs- und Beweislast infolge der Vermutungswirkung auf den Rechtsverletzer übergeht. An die Ausräumung der Wiederholungsgefahr werden strenge Anforderungen gestellt, da der Rechtsverletzer – ob unverschuldet oder nicht – durch sein Verhalten eine Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses herbeigeführt hat und er daher als Störer für den status quo ante zu sorgen hat, was auch mit einiger Sicherheit für den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses erfolgen muss (BeckOK GeschGehG/Spieker, § 6 GeschGehG, Rn. 10). Die Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden (BGH, 26. 10. 2000, I ZR 180/98). Sie entfällt insbesondere nicht allein deshalb, weil ein Wiedereintreten gleichgelagerter Umstände aufgrund veränderter Tatsachen nicht zu erwarten ist (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, § 8 Rn. 1.51 m.w.N.).
aa) Die unter 1b) festgestellte unbefugte Erlangung der Geschäftsgeheimnisse indiziert somit zunächst grundsätzlich die Wiederholungsgefahr.
bb) Zur Unterzeichnung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, die eine solche Wiederholungsgefahr nach der Rechtsprechung des BGH und der Instanzen entfallen lassen könnte, ist der Beklagte nicht bereit.
cc) Dem Beklagten ist es nicht gelungen, diese indizierte Wiederholungsgefahr bezogen auf die Nutzung und/oder Offenlegung anderweitig auszuräumen, was nach der Rechtsprechung des BGH ohnehin nur in besonderen Ausnahmefällen überhaupt möglich sein soll (BGH, 10.02.1994, I ZR 16/92, Rn. 16 m.w.N.; BeckOK GeschGehG/Spieker, § 6 GeschGehG, Rn. 10 ff.).
Hinsichtlich der zu untersagenden Erlangung der Geschäftsgeheimnisse hingegen folgt die Kammer im Ergebnis den Erwägungen des Urteils vom 05.05.2021.
(1) Der Beklagte hat die streitgegenständlichen Informationen bereits durch das Übersenden an den privaten E-Mail-Account unbefugt erlangt.
Ein erneutes Erlangen derselben, im Klageantrag aufgezählten Informationen durch den Beklagten ist nicht zuletzt durch die Freistellung, aber auch durch die zwischenzeitlich bei der Klägerin eingetretene Sensibilisierung, faktisch ausgeschlossen. Die Klägerin räumt selbst ein, dass ein Widerruf der erfolgten Freistellung nur theoretischer Natur sei; darüber hinaus ist es auch nicht zu erwarten, dass der Beklagte unter irgendwelchen Umständen noch einmal Zugriff auf die Daten, etwa durch frühere Arbeitskollegen etc. bekommen könnte. Es ist schließlich darauf abzustellen, ob die streitgegenständlichen, im Klageantrag genannten und nicht irgendwelche Geschäftsgeheimnisse erlangt werden können.
Etwas anderes ergibt sich entgegen den Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass das Anfertigen jeder weiteren Kopie ein erneutes Erlangen darstellen würde. Nach der Konzeption der Richtlinie ist der rechtliche Schutz der Geschäftsgeheimnisse weiterhin nur als Zugangsschutz ausgestaltet. Ansprüche bestehen daher nur gegen denjenigen, der in die vom Geheimnisträger errichtete Schutzsphäre eindringt oder gegen den bösgläubigen Dritten, der die Geschäftsgeheimnisse unmittelbar oder mittelbar vom Ersttäter erlangt hat (Heinzke, CCZ 2016, 179,180). Das Erlangen soll den Begriff des Sich-Verschaffens ersetzen (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, § 4 GeschGehG, Rn. 12). Auch wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 GeschGehG nicht explizit von einem erstmaligen Erlangen ausgehen, so ergibt sich aus der Systematik der Absätze 1 und 2 GeschGehG, dass die von der Klägerin befürchtete weitere (fortgesetzte) Vervielfältigung bereits unbefugt erlangter Geschäftsgeheimnisse eine unbefugte Nutzung derselben darstellt und von den Fällen der mehrfachen Erlangung derselben Geschäftsgeheimnisse abzugrenzen ist.
(2) Dem Beklagten war es aber zu untersagen, die streitgegenständlichen Informationen zu nutzen und/oder Dritten offenzulegen, § 4 Abs. 2 GeschGehG.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist hier nach wie vor von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Die hohen Hürden, die die Rechtsprechung aufstellt, bei denen die Wiederholungsgefahr in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein kann, konnte der Beklagte nicht ansatzweise überwinden.
Zwar hat der Beklagte in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 12.04.2021 angegeben, alle von der Klägerin weitergeleiteten Daten gelöscht und vorher auch nicht weitergegeben zu haben, dies kann jedoch den strengen Anforderungen an die Widerlegung unter keinen Umständen genügen.
Zu Recht verweist die Klägerin in diesem Zusammenhang auf eine Rechtsprechung, wonach selbst die Löschung der auf ein Unterlassungsbegehren gerichteten Daten die Wiederholungsgefahr nicht ausschließt (LG Berlin, 14.01.2003, 15 O 420/02, Rn. 43), sondern lediglich den Vernichtungsanspruch, der nicht streitgegenständlich ist, erfüllen kann.
(3) Der Vollständigkeit halber sei aber auch ausgeführt, dass die Kammer im Rahmen einer vorzunehmenden Würdigung im Ergebnis nicht zu der Überzeugung gelangte, dass es überwiegend wahrscheinlich wäre, dass der Beklagte die Geschäftsgeheimnisse zukünftig nicht nutzen wird.
Zur Glaubhaftmachung nach § 294 ZPO genügt grundsätzlich ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die Behauptung ist glaubhaft gemacht, sofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Diese Voraussetzungen sind dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falls mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unterliegt dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens nach § 286 ZPO (BGH, 01.12.2015, II ZB 7/15, Rn. 17; Zöller-Greger, 33. Aufl., § 294 ZPO, Rn. 6).
Die behauptete vorgenommene Löschung – wobei in der eidesstattlichen Versicherung nicht angegeben war, an welchem Speicherort bzw. welchen Speicherorten der Beklagte die an sich selbst übersandten Anlagen hinterlegte, ob er sie zusätzlich ausdruckte etc. – besagt nicht zwangsläufig, dass sich die Inhalte der Anlagen nicht noch in Text- oder Bildform in seinem Besitz befinden und zukünftig von ihm verwendet werden könnten. Hierzu hat der Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung näher ausgeführt und mit aller Deutlichkeit erklärt, er habe nach Zustellung der einstweiligen Verfügung alle noch in seinem Besitz befindlichen Unterlagen vernichtet und vor allem die streitgegenständlichen Anhänge so von seinem web.de-Account gelöscht, dass er (als Laie) keinen Zugriff mehr auf die Daten erlangen könne. Hier besteht für alle Beteiligten, auch für die erkennende Kammer, die Schwierigkeit, dass diese Tatsachenbehauptung schwer durch nähere Umstände oder Indizien untermauert werden kann.
Die Klägerseite verweist jedoch nachvollziehbar auf Ungereimtheiten bezüglich der eidesstattlichen Versicherung des Beklagten.
Soweit er darin versichert, er habe über die Feiertage und den Jahreswechsel 2020/2021 auch von zu Hause arbeiten und sich im Hinblick auf eine nicht auszuschließende Quarantäne während der Corona-Pandemie wappnen wollen, erklärt dies nicht die Versendung am 07.01.2021. Die Weihnachtstage und der Jahreswechsel waren im Januar erkennbar vorbei. Zu diesem Zeitpunkt musste dem Beklagten aufgrund der zuvor ausgesprochenen Eigenkündigung und dem erstellten Zeitplan für die Verkündigung seines Ausscheidens die Brisanz der Übersendung der E-Mails zudem auch deutlich bewusst sein, selbst falls er im Hinblick auf eine im Mai 2021 zu erwartende Erfolgsvergütung noch eine erfolgreiche Übergabe seines Aufgabenbereichs anstrebte. Die in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, er habe in die Excel-Listen geschaut, um nachzuvollziehen, woran der finale Abschluss mit C haperte, mag ebenso eine Schutzbehauptung sein, da nicht erkennbar ist, wie die Listen bei dem Auftragsabschluss hätten helfen können. Hinsichtlich der im Termin erklärten Löschung sämtlicher Anlagen nach Zustellung der einstweiligen Verfügung durch den Gerichtsvollzieher ist die eidesstattliche Versicherung des Beklagten in diesem Punkt zwar nicht objektiv falsch, impliziert aber, er hätte die Daten unmittelbar nach der Freistellung im Januar und eben nicht erst im März gelöscht. Nunmehr steht dagegen unstreitig fest, dass die Anhänge etwa zwei Monate auf dem privaten Account des Beklagten verblieben waren.
Das naheliegendste Motiv für die Versendung der Dateien an den privaten Account bleibt – wie bereits im Beschluss vom 04.03.2021 festgehalten - die künftige anderweitig als im Rahmen seiner Leistungserbringung für die Klägerin beabsichtigte Verwendung. Gestützt wird diese Annahme dadurch, dass der Beklagte nicht nur gegenüber dem Geschäftsführer der Klägerin ankündigte, für einen Mitbewerber tätig werden zu wollen, sondern im Laufe des vorliegenden Verfahrens manifest wurde, dass er jedenfalls schon im Februar 2021 persönlichen Kontakt zum Geschäftsführer der D GmbH, E., einem Konkurrenzunternehmen der Klägerin, hatte und dort tatsächlich ab dem 01.07.2021 eine Tätigkeit antreten wird.
Nun hat zwar auch der Geschäftsführer der D GmbH, E., seinerseits am 03.05.2021 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, der Beklagte hätte ihm keine vertraulichen Daten zugänglich gemacht. Diese Erklärung schließt aber gerade nicht aus, dass der Beklagte dies während seiner neuen Beschäftigung zukünftig noch tun wird. Es entspricht doch gerade der Realität im Erwerbsleben, dass hochrangige Mitarbeiter nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten, sondern (auch) aufgrund ihres bisherigen Insider-Wissens bzgl. Kontaktdaten, Preisen, Machbarkeit gewisser Projekte etc. aus dem vorherigen Arbeitsverhältnis abgeworben und übernommen werden.
Die gesamten Umstände des Falles, die Enttäuschung über die fehlende Beförderung, die Eigenkündigung und der schnelle Kontakt zu einem Mitbewerber der Klägerin lassen weiterhin die Befürchtung zu, dass der Beklagte noch kurzfristig Informationen mitnahm, um diese „als Starthilfe“ in einem neuen Arbeitsverhältnis zu nutzen. Die Erklärung, warum er sich die Dateien zuschickte, muten als Schutzbehauptungen an. Bemerkenswert ist ohnehin, dass der Beklagte trotz des bestehenden nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, gleich welcher Bedeutung er diesem zunächst beigemessen hat, zu einem unmittelbaren Konkurrenten, der D GmbH, wechseln wird und dieses Unternehmen ihn auch trotz der sich nicht zuletzt durch dieses Verfahren ankündigenden Schwierigkeiten offensichtlich eingestellt hat und an ihm festhält.
2. Neben dem Verfügungsanspruch besteht auch der erforderliche Verfügungsgrund. Gemäß §§ 935 ff. ZPO kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung nur in Betracht, wenn es sich um eine dringliche Angelegenheit handelt und die Entscheidung im Eilverfahren erforderlich ist. Bei einer Sicherungsverfügung gemäß § 935 ZPO muss die objektive Gefahr bestehen, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Eine Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO setzt voraus, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Vorliegend lässt die Versendung von relevanten unternehmensinternen Informationen durch den Beklagten auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung immer noch die berechtigte Befürchtung zu, dass weitere gleichgelagerte Verletzungen in Gestalt der Vervielfältigung oder der Zugänglichmachung für Dritte unmittelbar bevorstehen, und dass auf diese Weise unter Zuhilfenahme dieser Informationen ein Mitbewerber die Marktposition der Klägerin dadurch schwächt, indem er gezielt an Kunden der Antragstellerin mit konkurrierenden Angeboten herantritt in Kenntnis der konkreten Bedürfnisse des Kunden und des Standes der Vertragsverhandlungen zwischen der Klägerin und ihren Kunden. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte unstreitig Kontakt zu einem Mitbewerber der Klägerin aufgenommen hat und trotz des vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zum 01.07.2021 eine neue Stelle bei einem Mitbewerber antreten wird, gleichzeitig jedoch nicht bereit ist, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Soweit der Geschäftsführer im Wege der eidesstattlichen Versicherung angab, von dem Beklagten keinerlei vertrauliche Informationen erhalten zu haben und ihn nach anwaltlicher Beratung nur so einzusetzen zu wollen, dass das Wettbewerbsverbot nicht tangiert wird, ändert dies nichts am Bestehen eines Verfügungsgrundes. Nicht zuletzt durch das vorliegende Verfahren, in das der Geschäftsführer unfreiwillig involviert wurde, besteht die Gefahr, dass dieser nun erstrecht spekuliert, nicht nur von der langjährigen Erfahrung des Beklagten, sondern auch – und sei es auf Umwegen – von unbefugt erlangten, für die Klägerin offenbar äußerst sensiblen Informationen profitieren zu können.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 74 Abs. 4 ArbGG.
Meta
23.06.2021
Landesarbeitsgericht Hamm 10. Kammer
Urteil
Sachgebiet: SaGa
Vorgehend: Arbeitsgericht Detmold, 2 Ga 1/21
Zitiervorschlag: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 23.06.2021, Az. 10 SaGa 9/21 (REWIS RS 2021, 4708)
Papierfundstellen: REWIS RS 2021, 4708
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.