Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.01.2011, Az. VI R 63/09

6. Senat | REWIS RS 2011, 10473

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Gegenstand

(Keine Zurechnung von Kenntnissen der Oberbehörde im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO - Bekanntwerden einer Tatsache i.S. des § 173 AO - Prinzip der Abschnittsbesteuerung)


Leitsatz

NV: Kenntnisse einer weisungsbefugten Oberbehörde über eine dem Veranlagungsfinanzamt bei der Steuerfestsetzung nicht bekannte Tatsache muss sich dieses im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht zurechnen lassen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob das Wohnsitzfinanzamt den Einkommensteuerbescheid eines Arbeitnehmers nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) ändern darf, obwohl eine positive [X.] im Lohnsteuerabzugsverfahren die Vorgehensweise des Arbeitgebers erlaubte, und ob sich das Wohnsitzfinanzamt Kenntnisse seiner vorgesetzten Behörde oder einer zentralen Außenprüfungsstelle zurechnen lassen muss.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Angestellter der B-GmbH, einem Tochterunternehmen der [X.], welches 2004 im Wege der Ausgliederung entstanden ist. Der Kläger wurde im Streitjahr 2006 zusammen mit seiner Ehefrau (Klägerin und Revisionsklägerin) zur Einkommensteuer veranlagt. Der Einkommensteuerbescheid für 2006 wurde am 1. März 2007 erlassen. Ein von den Klägern eingelegter Einspruch führte zum Ruhen des Verfahrens.

3

Die [X.] war zunächst Mitglied der Zusatzversorgungskasse ([X.]) der [X.] Mit der Mitgliedschaft verfolgte sie den Zweck, ihren Arbeitnehmern beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis einen zusätzlichen Versorgungsanspruch zu verschaffen. Entsprechend einer am 10. Januar 2001 abgeschlossenen Vereinbarung übernahm die [X.] (Y[X.]) das Vermögen der [X.]. Die bisherigen Mitglieder der [X.] wurden mit Wirkung ab 1. Januar 2001 Mitglieder der Y[X.]. Sie hatten an die Y[X.] zum Ausgleich der mit der Übernahme für die Y[X.] verbundenen Nachteile eine Ausgleichszahlung zu leisten. Der Nachteilsausgleich belief sich für die [X.] auf 49 Mio. DM. Der Betrag war ab 2001 in 15 gleichen Raten zu zahlen. Die [X.] behandelte die Zahlungen des Nachteilsausgleichs als erhöhte Umlage und erhob die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz gemäß § 40b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Soweit die Zahlungen die Pauschalierungsgrenze überstiegen, unterwarf die [X.] die entsprechenden Beträge dem Regelbesteuerungsverfahren.

4

Im [X.] an die Entscheidung des Senats vom 14. September 2005 [X.] ([X.], 443, [X.], 532) teilte die [X.] dem zuständigen Betriebsstättenfinanzamt mit Schreiben vom 6. Dezember 2005 mit, dass sie eine "Stornierung der zu Unrecht versteuerten geldwerten Vorteile aus Nachteilsausgleichszahlungen der Jahre 2002 - 2005" beabsichtige. Sie beantragte eine Auskunft gemäß § 42e EStG beim Betriebsstättenfinanzamt in der Weise, dass es ihr, der [X.], erlaubt sei, sämtliche zu Unrecht versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen im laufenden Lohnzahlungszeitraum in Form negativer Einnahmen zu korrigieren. Diesem Antrag entsprach das zuständige Finanzamt im Juni 2006. Die [X.] und --im Fall des [X.] auch die B-GmbH verrechneten in der Lohnabrechnung für September 2006 die laufenden Bruttoarbeitslöhne ihrer Mitarbeiter mit negativen Einnahmen im Umfang der jeweils auf die Nachteilsausgleichszahlungen abgeführten Lohnsteuer. Im September 2006 wurde die [X.], die der [X.] erteilt worden war, widerrufen. Die dagegen von der [X.] erhobene Klage war letztlich erfolgreich (Urteil des [X.] --BFH-- vom 2. September 2010 [X.], [X.], 500) und der Widerruf der [X.] wurde aufgehoben.

5

Im November 2008 erhielt der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--), das Wohnsitzfinanzamt des [X.], eine Kontrollmitteilung der Zentralen Außenprüfungsstelle Lohnsteuer ([X.]). Die [X.] informierte das [X.] darüber, dass die B-GmbH als Arbeitgeberin des [X.] im Lohnzeitraum September 2006 den Bruttoarbeitslohn des [X.] um 1.481,34 € gemindert hat. Die B-GmbH sei von negativen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in dieser Höhe ausgegangen. Allerdings entspreche dieser Betrag der Summe, welche die [X.] bzw. ab 2004 die B-GmbH für den Kläger in den Jahren 2001 bis 2005 zu Unrecht als Arbeitslohn erfasst habe.

6

Das [X.] erließ am 18. Dezember 2008 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] geänderten Einkommensteuerbescheid 2006 für die Kläger und erhöhte den Bruttoarbeitslohn des [X.] um 1.481,34 €.

7

Der dagegen von den Klägern eingelegte Einspruch wurde durch [X.] zurückgewiesen. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage als unbegründet ab.

8

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

9

Die Kläger beantragen,

1. das Urteil des [X.] Düsseldorf, ergangen aufgrund mündlicher Verhandlung vom 5. November 2009 unter dem [X.]. 11 K 1116/09 E, aufzuheben,

2. den Einkommensteuerbescheid für das [X.] vom 18. Dezember 2008 in Gestalt der [X.] vom 19. Februar 2009 sowie vom 5. November 2009 aufzuheben.

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass eine Änderung des [X.] nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] rechtmäßig war.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

a) Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass die Abweichung des von der B-GmbH auf der Lohnsteuerbescheinigung des [X.] ausgewiesenen [X.] zu den tatsächlich zugeflossenen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 [X.] ist.

b) Entgegen der Auffassung der Revision ist diese Tatsache der Eintragung eines zu geringen [X.] in der Lohnsteuerbescheinigung dem [X.] erst nachträglich bekannt geworden.

aa) Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das [X.] bei Erlass des zu ändernden Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 13. September 2001 [X.]/99, [X.], 195, [X.] 2002, 2, m.w.[X.]). Maßgeblicher Zeitpunkt für den Kenntnisstand ist die abschließende Zeichnung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten (BFH-Urteil vom 27. November 2001 [X.], [X.] 2002, 473). Daher wird eine Tatsache der Finanzbehörde bekannt, wenn diejenigen Personen, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde organisationsmäßig für die Bearbeitung des [X.] berufen sind bzw. die den zu ändernden Steuerbescheid erlassen haben, positive Kenntnis darüber erlangen (BFH-Urteil vom 28. April 1998 [X.], [X.], 370, [X.] 1998, 458; [X.] vom 16. Januar 2002 VIII [X.]/01, [X.] 2002, 621, m.w.[X.]). Hierbei handelt es sich um den Vorsteher, den Sachgebietsleiter und den Sachbearbeiter, weil nur diese Personen die Finanzbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen repräsentieren und den Steuerbescheid verantworten (BFH-Urteil in [X.], 370, [X.] 1998, 458). Bekannt sind der zuständigen Dienststelle jedoch neben dem Inhalt der dort geführten Akten auch sämtliche Informationen, die dem Sachbearbeiter von vorgesetzten Dienststellen über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt werden, ohne dass es insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, [X.], 520, [X.] 1985, 492, und die dort erwähnte Rechtsprechung). Wissen eines Außenprüfers führt nicht zu eigenen Kenntnissen der zuständigen Veranlagungsdienststelle, wenn der Außenprüfer nicht selbst die Steuern festsetzt (BFH-Urteil vom 3. Mai 1991 [X.], [X.] 1992, 221). Kennt eine andere als die für die Bearbeitung des [X.] zuständige Dienststelle die betreffende Tatsache, so ist sie deswegen nicht auch der zuständigen Dienststelle als bekannt zuzurechnen (BFH-Urteil in [X.], 520, [X.] 1985, 492).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist dem [X.] die Tatsache der Eintragung eines zu geringen [X.] in der Lohnsteuerbescheinigung des [X.] nachträglich bekannt geworden. Die für die Veranlagung der Einkommensteuer der Kläger zuständige Dienststelle selbst hatte nach den Feststellungen des [X.] zum Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung der Erstveranlagung keine positive Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit der Lohnsteuerbescheinigung. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Dienststelle fallbezogene elektronische Informationen als bekannt zurechnen lassen müsste. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass im elektronischen Informationssystem der Finanzverwaltung zum Zeitpunkt der Erstveranlagung Bearbeiterhinweise oder Anweisungen für den Sachbearbeiter in Bezug auf die falschen Lohnsteuerbescheinigungen der [X.] sowie deren [X.] abrufbar gewesen wären.

Zudem hat das [X.] zutreffend entschieden, dass mögliche Kenntnisse der [X.] oder der Oberfinanzdirektion ([X.]) über die fehlerhafte Lohnsteuerbescheinigung des [X.] am Tag der abschließenden Zeichnung dem [X.] nicht zugerechnet werden können. Für eventuelle Kenntnisse der [X.] entfällt eine Zurechnung schon deswegen, weil diese nicht für die Veranlagung der Einkommensteuer der einzelnen Arbeitnehmer zuständig ist. [X.] Kenntnisse der [X.] sind der Veranlagungsdienststelle deshalb nicht zuzurechnen, weil die [X.] organisationsmäßig gerade nicht zur Bearbeitung konkreter Steuerfälle berufen ist. Gegenüber dem Steuerpflichtigen handelt auch dann nur das zuständige Veranlagungsfinanzamt, wenn die [X.] von ihrem Recht, sich in die Bearbeitung bestimmter Einzelfälle einzuschalten (§ 13 Abs. 3 i.V.m. §§ 7 Abs. 2, 9 Abs. 2 des [X.]), Gebrauch macht. Die [X.] hat die Inhalte eines Steuerbescheides gegenüber einem Steuerpflichtigen nicht zu verantworten. [X.] ist und bleibt das [X.], auch wenn die [X.] interne Weisungen im Einzelfall erteilt hat. Dann aber ist es sachgerecht, dass sich das [X.] eine etwaige Kenntnis der [X.] nicht zurechnen lassen muss.

Nach alledem kann das Vorbringen der Revision, dass sich das [X.] nach dem Grundsatz von [X.] und Glauben nicht auf die nachträgliche Kenntnis von Tatsachen berufen könne, weil die Unkenntnis nur auf ein pflichtwidriges Verhalten der [X.] zurückzuführen sei, nicht durchgreifen. Wenn sich das [X.] positive Kenntnisse der [X.] nicht zurechnen lassen muss, kann eine auf pflichtwidrigem Unterlassen beruhende Unkenntnis der [X.] nicht über den Grundsatz von [X.] und Glauben zu einer Kenntniszurechnung beim [X.] führen. Selbst wenn daher die [X.] verpflichtet gewesen wäre, den Sachverhalt zeitnah aufzuklären und die [X.] vor den ersten Veranlagungen zu informieren, könnte dies nicht dazu führen, dass dem [X.] eine Berufung auf die nachträglich bekannt gewordene Tatsache verwehrt wäre.

c) Die nachträglich bekannt gewordene Tatsache war rechtserheblich für die fehlerhafte Erstveranlagung. [X.] ist eine Tatsache dann, wenn das [X.] bei Kenntnis zum Zeitpunkt der ursprünglichen Festsetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine höhere Steuer festgesetzt hätte (Beschluss des [X.] vom 23. November 1987 [X.], [X.], 495, [X.] 1988, 180). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das [X.] bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache zutreffend entschieden hätte (Senatsurteil vom 11. Februar 2010 [X.]/08, [X.], 421, [X.] 2010, 628).

In Anwendung dieser Grundsätze ist das [X.] zu Recht von der [X.]keit der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache der fehlerhaften Lohnsteuerbescheinigung des [X.] ausgegangen. Das [X.] hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die von der B-GmbH verrechneten negativen Einnahmen den Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit hinzugerechnet und damit eine höhere Steuer festgesetzt. Die von der B-GmbH vorgenommene Verrechnung des [X.] mit negativen Einnahmen war rechtswidrig.

d) Weder die der [X.] erteilte [X.] noch die Vorschrift des § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG standen einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] entgegen.

aa) Der Kläger hatte im Veranlagungsjahr 2006 weder negative Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit noch Werbungskosten. Beide Tatbestände setzen voraus, dass beim Arbeitnehmer Güter abfließen oder Aufwendungen entstehen (Senatsurteile vom 12. November 2009 [X.], [X.], 435, [X.] 2010, 845; vom 17. September 2009 [X.], [X.], 317, [X.] 2010, 299; Senatsbeschluss vom 10. August 2010 VI R 1/08, [X.], 173, [X.] 2010, 1074). Beim Kläger war dies nach den Feststellungen des [X.] im Jahr 2006 nicht der Fall.

Entgegen der Auffassung der Revision ist der tatsächliche Abfluss von [X.] auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Besteuerung der Zusatzbeiträge in den Vorjahren auf fiktiven Einnahmen beruht habe. Die Auffassung der Kläger basiert auf der Annahme, dass zu Unrecht versteuerte Einnahmen bei späterer (besserer) Erkenntnis zu Ausgaben oder negativen Einnahmen desselben Steuerpflichtigen führen müssen. Dies würde ein allgemeines Korrespondenzprinzip voraussetzen, welches eine von Zu- und Abfluss losgelöste Gesamtbetrachtung eines Vorganges ermöglichen müsste. Indes ist ein solches generelles Korrespondenzprinzip dem Einkommensteuergesetz im Allgemeinen (BFH-Urteil vom 26. Februar 2002 [X.], [X.], 425, [X.] 2002, 796) und zur Beurteilung von Arbeitslohn im Besonderen fremd (Senatsbeschluss vom 19. Februar 2004 [X.], [X.] 2004, 560). Das Prinzip der Abschnittsbesteuerung erfordert eine Jahresbetrachtung. Enthalten Bescheide aus vorangegangenen [X.] materielle Fehler, können diese keinesfalls dadurch korrigiert werden, dass in dem nächsten noch offenen Jahr ein weiterer materieller Fehler --als [X.] bewusst eingearbeitet wird (BFH-Urteil in [X.], 425, [X.] 2002, 796). Die Abgabenordnung regelt mit ihren Änderungsvorschriften, wann der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor dem Rechtsfrieden einzuräumen ist. Kann eine Änderung bestandskräftiger Bescheide nicht mehr erfolgen, so mag dies unbillig erscheinen. Jedoch rechtfertigt dies keinen neuen materiellen Fehler.

bb) Die [X.] nach § 42e EStG, die der [X.] vom zuständigen Betriebsstättenfinanzamt erteilt wurde, steht einer Änderung des falschen Ansatzes des [X.] durch das [X.] schon deshalb nicht entgegen, weil die B-GmbH nach den Feststellungen des [X.] selbst weder eine [X.] erbeten noch erhalten hat. Die [X.], die der [X.] erteilt wurde, führte im Verhältnis zur B-GmbH zu keiner Bindung. Die Frage, ob sich eine Ausrufungsauskunft des Arbeitgebers auf das Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers auswirken kann, stellt sich daher vorliegend nicht.

cc) Schließlich steht § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG der Änderung nicht entgegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Inanspruchnahme des [X.] liegen bereits im [X.] nicht vor, so dass sich die Frage nach einer Ausstrahlung der Vorschrift auf das Veranlagungsverfahren nicht mehr stellt. Nach § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG kann ein Arbeitnehmer für seine Lohnsteuer dann in Anspruch genommen werden, wenn sein Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten hat. Vorliegend war eine Inanspruchnahme des [X.] im [X.] möglich. Die B-GmbH hat die Lohnsteuer für den Kläger im September 2006 nicht vorschriftsmäßig einbehalten, sondern rechtswidrig eine Verrechnung mit negativen Einnahmen vorgenommen. Denn diese Verrechnung war weder materiell richtig noch durch eine materiell unrichtige [X.] nach § 42e EStG erlaubt. Die Inanspruchnahme des [X.] im Veranlagungsverfahren kann daher schon tatbestandlich nicht wegen § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG ausgeschlossen sein.

e) Zu Recht ging das [X.] auch davon aus, dass das [X.] nicht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von [X.] und Glauben an einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] gehindert war. Der Grundsatz von [X.] und Glauben, der auch im Steuerrecht anzuwenden ist, kann zwar einer Steuernachforderung und damit auch einer Änderung zu Lasten eines Steuerpflichtigen entgegenstehen. Dies setzt aber voraus, dass die Nachforderung dem vorausgegangenen Verhalten der Verwaltung widerspricht und der Steuerpflichtige im berechtigten Vertrauen auf dieses Verhalten vermögensrechtliche Dispositionen getroffen hat, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen (BFH-Urteile vom 5. Februar 1980 [X.], [X.], 90; vom 11. August 1972 VI R 262/69, [X.], 127, [X.] 1973, 35). Solche Dispositionen haben die Kläger nicht getroffen. Sie haben auch keinen Vermögensschaden dadurch erlitten, dass sie nachträglich zu der gesetzlich geschuldeten Steuer herangezogen wurden (Senatsurteil vom 10. Juli 1964 IV 299/63 U, [X.], 314, [X.]I 1964, 587).

Im Streitfall fehlt es bereits an einem vom [X.] gesetzten Vertrauenstatbestand. Denn das [X.] hat nicht zu erkennen gegeben, dass es die Einkommensteuerfestsetzung der Kläger später nicht noch einmal ändern wird. Auch das Verhalten der [X.], die den Sachverhalt nicht aufgeklärt und die [X.] nicht entsprechend informiert hat, begründet keinen Vertrauenstatbestand, auf den sich die Kläger gegenüber dem [X.] berufen könnten.

Meta

VI R 63/09

13.01.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 5. November 2009, Az: 11 K 1116/09 E, Urteil

§ 173 Abs 1 Nr 1 AO, § 42d Abs 3 S 4 EStG 2002, § 42e EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.01.2011, Az. VI R 63/09 (REWIS RS 2011, 10473)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10473

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10 V 899/16

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