Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. V ZB 307/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2829

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]

vom

29. September
2011

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
Ein der Ausländerbehörde nicht mitgeteilter Wechsel des Aufenthaltsorts vor Ablauf der Ausreisefrist begründet für sich genommen nicht den Verdacht, der Ausländer werde sich der Abschiebung entziehen.

[X.], Beschluss vom 29. September 2011 -
V [X.] -
LG [X.]

AG [X.] am Rhein

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 29.
September
2011 durch [X.]
Dr.
Krüger, die Richterin [X.], [X.] Roth
und die Richterinnen Dr. [X.] und Weinland
beschlossen:
Der Antrag der Betroffenen auf Bewilligung von [X.] wird zurückgewiesen.
Auf die Rechtsbeschwerde der
Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 8.
Zivilkammer des [X.] vom 2.
Dezember
2010 und der Beschluss des Amtsgerichts [X.] am Rhein vom 27.
Oktober 2010 sie in ihren Rechten verletzt ha-ben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen al-ler Instanzen werden der [X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.

Gründe:

I.
Die
Betroffene, eine [X.] Staatsangehörige, reiste im August 2007 mit einem Visum zu Studienzwecken in die [X.] ein und erhielt einen Aufenthaltstitel, welcher nach einer Verlängerung bis zum 11.
August 2009
galt. Eine weitere Verlängerung wurde durch Bescheid vom 1
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11.
Mai 2010 abgelehnt; zugleich wurde die Betroffene unter Androhung einer Abschiebung nach [X.] aufgefordert, bis zum 31. Juli 2010 freiwillig aus dem [X.] auszureisen.
Am 27. Juni 2010
gab die Betroffene, die ihre Miete nicht mehr zahlen konnte, ihre Wohnung in [X.] auf
und zog zu Freunden
in eine
Studenten-wohnung. Die Ausländerbehörde benachrichtigte sie hiervon nicht.
Am 14. Oktober 2010 wurde die Betroffene festgenommen. Auf Antrag der Beteiligten zu
2 ordnete das Amtsgericht [X.] am selben Tag die Haft zur Sicherung der Abschiebung und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an; über die Fortdauer der Haft war vor dem 28. Oktober 2010 zu entscheiden.
Mit Beschluss vom 27.
Oktober 2010
hat das Amtsgericht [X.] am Rhein die [X.] bis zum 27. Dezember 2010
verlängert. Die hierge-gen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der [X.] möchte die am 17. Dezember 2010 nach [X.] abgeschobene Betroffe-ne festgestellt wissen, dass der Beschluss
des Amtsgerichts vom 27. Oktober 2010 und die Entscheidung des [X.] sie in ihren Rechten ver-letzt haben.
II.
Das Beschwerdegericht hält den Haftgrund des §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.]
für gegeben. Die Betroffene habe in Kenntnis des Umstands, dass ihre Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert worden sei, ihre Wohnung im Juni 2010 aufgegeben, ohne die Ausländerbehörde von ihrem neuen Aufenthaltsort zu benachrichtigen. Da sie über keinen Wohnsitz, keinerlei finanzielle Mittel
und
keine familiären Bindungen im [X.] verfüge
und ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen sei, bestehe in der Gesamtschau die Be-2
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-
fürchtung, dass sie sich im Falle ihrer Haftentlassung der Abschiebung
durch erneutes Untertauchen entziehen werde.
III.
Die Rechtsbeschwerde
ist
zulässig (vgl. nur Senat, Beschluss vom 21.
Oktober 2010 -
V [X.], Rn. 10
f., juris) und begründet.
Die tatsächli-chen Feststellungen in den angefochtenen Entscheidungen tragen nicht den Haftgrund des §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.],
nämlich den Verdacht, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen will.
1. Wie sich aus §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] ergibt, begründet der Umstand, dass der
Ausländer seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift mitzuteilen, unter der er erreichbar ist, für sich genommen nur dann einen Haftgrund, wenn der [X.] zeitlich nach dem Ablauf der Ausreisefrist liegt
(vgl. Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 -
V
ZB 15/11, [X.] 2011, 361). Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass aus einem der Behörde nicht mitgeteilten
[X.]
vor Ablauf der Ausreisefrist
allein
nicht gefolgert werden kann, der Ausländer wolle sich der Abschiebung entziehen
und sei daher gemäß §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] in Haft zu nehmen. Die Entziehungsabsicht muss sich in einem solchen Fall aus anderen Umständen ergeben, die -
gegebenenfalls auch in einer [X.] -
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf
hindeuten oder es nahe legen, dass der Ausländer beabsichtigt, unterzutauchen oder die Ab-schiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Frei-heitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann.
2. a) Danach durfte
das Beschwerdegericht den Verdacht, die Betroffene werde sich der Abschiebung entziehen, nicht
maßgeblich auf die unterlassene Mitteilung über den [X.]
stützen. Da dieser
einen Monat vor Ab-6
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lauf der Ausreisefrist
erfolgt war, rechtfertigte allein die unterbliebene Benach-richtigung der Ausländerbehörde insbesondere nicht die Annahme, die [X.] sei Ende Juni 2010 untergetaucht. Die zusätzlich angeführten [X.] -
die Betroffene verfüge über keinen festen Wohnsitz, keinerlei finanzielle Mittel und keine familiären Bindungen im [X.] und sei ihrer Verpflich-tung zur Ausreise nicht nachgekommen
-
tragen die Annahme der Entzie-hungsabsicht weder für sich genommen noch in einer Gesamtschau. Dass die Betroffene nicht freiwillig ausgereist ist, stellt die notwendige Voraussetzung für eine Abschiebung dar und kann daher nicht Grund sein, sie in Haft zu nehmen. Fehlende persönliche Bindungen in [X.] können auch dafür sprechen, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehren möchte, und aus dem Fehlen finanzieller
Mittel mag sich erklären, warum er seiner Ausreisepflicht nicht freiwillig nachgekommen ist.
Beide Möglichkeiten sind von dem [X.] nicht erwogen worden. Ebenso
wenig konnte es aus dem [X.] eines festen Wohnsitzes auf die Absicht, sich der Abschiebung zu entzie-hen, schließen, ohne die
Betroffene danach gefragt zu haben, ob und wo sie im Falle einer Haftentlassung vorübergehend eine Unterkunft finden könne,
oder hierzu anderweit Feststellungen zu treffen.
b) Das Amtsgericht hat in seinem Beschluss
vom 27. Oktober 2010 den Haftgrund des §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] ausschließlich
mit der unter-lassenen Mitteilung über den [X.] begründet und damit eben-falls die Rechte der Betroffenen verletzt. Daran vermag auch die Feststellung in dem Beschluss nichts zu ändern, [X.] einen ist schon nicht erkennbar, auf welchen Tatsa-chen diese -
dem im Beschwerdeverfahren ermittelten Sachverhalt widerspre-chende -
Feststellung beruht. Zum anderen wäre die Haftanordnung auch
nicht nach §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] rechtmäßig gewesen, wenn das [X.] von einem Wohnungswechsel nach Ablauf der Ausreisefrist hätte aus-9
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gehen dürfen. Zwar begründet der nicht angezeigte [X.] nach Ablauf der Ausreisefrist die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaft-nahme erschwert oder vereitelt wird
und damit den Haftgrund nach §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]. Wegen dieser einschneidenden Folge kommt eine
In-haftierung gemäß
dieser Vorschrift grundsätzlich aber nur dann in Betracht, wenn die Ausländerbehörde den Betroffenen zuvor auf die Anzeigepflicht nach §
50 Abs. 5 [X.] und die mit einem Unterlassen der Anzeige verbundenen Folgen hingewiesen hatte (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 -
V [X.], Rn. 10 juris). Hierzu enthält der Beschluss des Amtsgerichts keine Fest-stellungen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
83 Abs. 2, §
81 Abs. 1, §
430
FamFG; unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5
Abs. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, der [X.] als derjenigen Körperschaft, der die [X.] zu 2 angehört, zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsver-folgung notwendigen Auslagen der Betroffenen zu verpflichten (vgl. Senat, [X.] vom 22. Juli 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 316, 317). Die [X.] folgt aus §
128c Abs. 2 KostO i.V.m. §
30 Abs. 2 KostO.
V.
Dem
Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist
nicht zu ent-sprechen, weil es an einer aktuellen Erklärung der Betroffenen über ihre per-sönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§
114 Satz 1 ZPO
i.V.m. § 76 Abs.
1 [X.]) fehlt. Eine
solche Erklärung muss grundsätzlich auch nach einer Abschiebung vorgelegt werden (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010
-
V [X.], [X.] 2011, 41). Die Bezugnahme der Betroffenen auf ihre in 10
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7
-
der Beschwerdeinstanz eingereichte Erklärung ist nicht ausreichend, weil sich ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in [X.] geändert haben können. Allein auf der Grundlage des Hinweises ihres Bevollmächtigten, dass selbst ein durchschnittlicher Verdienst in [X.] nicht ausreichen würde, um das Rechtsbeschwerdeverfahren zu finanzieren, kann Verfahrenskostenhilfe nicht bewilligt werden.
Krüger

Stresemann

Roth

[X.]

Weinland
Vorinstanzen:
AG [X.] am Rhein, Entscheidung vom 27.10.2010 -
10 [X.]/10.B -

LG [X.], Entscheidung vom 02.12.2010 -
8 T 181/10 -

Meta

V ZB 307/10

29.09.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. V ZB 307/10 (REWIS RS 2011, 2829)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2829

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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