Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2012, Az. 5 StR 401/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3272

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5 StR 401/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom
12. September
2012
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] u.a.

-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am
12. September 2012
beschlossen:

1.
Auf die Revision des
Angeklagten wird
das Urteil des [X.]s Chemnitz
vom 24. April 2012 nach §
349 Abs.
4
StPO aufgehoben; der Angeklagte wird freige-sprochen.

2.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Ausla-gen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur
Last.

G r ü n d e

Das [X.] hat den Angeklagten

unter Freispruch im Übrigen

wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in Tateinheit mit sexu-ellem Missbrauch von Kindern und mit sexueller Nötigung zu einer Freiheits-strafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Ange-klagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu
seinem
Freispruch.

1. Der Angeklagte lebt mit seiner
Ehefrau und deren am 17. Mai 1999 geborener Tochter, der Zeugin
M.

K.

, in einem gemeinsamen Haus-halt. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils kam es dazu, dass der Angeklagte ihr
unter das T-Shirt fasste und zur Befriedigung seiner sexu-ellen Interessen ihre unbedeckte linke Brust massierte. Als sie
versuchte wegzulaufen, hielt der Angeklagte sie am Arm fest, um sie weiter an der Brust berühren zu können.

1
2
3
-
3
-

Ferner
lag ihm
zur Last, M.

erfolglos

aufgefordert zu haben, ihm ihr unbedecktes Geschlechtsteil zu zeigen. Insoweit hat das [X.] den Angeklagten freigesprochen, da es nicht auszuschließen vermochte, dass er freiwillig vom Versuch des sexuellen Missbrauchs von [X.] in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zurückgetreten sei. [X.] hinaus hat ihm die Anklage vorgeworfen, seiner Stieftochter bei zwei weiteren Gelegenheiten unter die Schlafanzughose an das unbedeckte Ge-schlechtsteil gegriffen zu haben, wobei er in einem Fall einen Finger in die Scheide des Kindes eingeführt habe. Hinsichtlich dieser beiden Anklage-punkte ist das Verfahren gemäß §
154 Abs.
2 StPO vorläufig eingestellt [X.].

2. Von dem zur Verurteilung führenden Tatgeschehen hat sich das [X.] auf der Grundlage der Aussage des Kindes
bei der [X.] überzeugt, die durch Vernehmung der Richterin in die
Hauptver-handlung
eingeführt worden ist. M.

K.

sowie ihre Mutter, Großmutter und Schwester haben in der Hauptverhandlung jeweils von ihrem
Zeugnis-verweigerungsrecht Gebrauch
gemacht. Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache geäußert. Weitere unmittelbare Tatzeugen gibt
es nicht. Ihrer Tante
hatte M.

lediglich berichtet, dass der Angeklagte sie aufgefordert habe, sich ihm nackt zu zeigen, damit er sehen könne, ob ihre Brüste und ihre Schambehaarung schon wüchsen (Freispruchsfall). Hinsichtlich der bei der Polizei zwei Tage vor ihrer richterlichen Vernehmung
geschilderten weiteren Vorfälle gab sie
gegenüber der [X.] an, gelogen zu haben.

3. Da bereits die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und zum Frei-spruch des Angeklagten
führt, kommt es auf die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen nicht an. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des §
168c Abs.
5
Satz
1 StPO, weil
der Angeklagte von der richterlichen Vernehmung

4
5
-
4
-

seiner Stieftochter nicht rechtzeitig benachrichtigt wurde, merkt der Senat Folgendes an:

Allein das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach §
168c Abs.
3 StPO, von dem das [X.] ausgeht, machte
die Benachrichtigung des Beschuldigten von dem
Vernehmungstermin nicht entbehrlich, denn diese dient der Wahrung seiner Rechte auch über ein Ermöglichen des [X.] hinaus (vgl. [X.], Beschluss vom 3. März 2011

3 StR 34/11, StV
2011, 336; Urteil vom 11. Mai 1976

1 [X.], [X.]St 26, 332). Aus demselben Grund ist es

entgegen der Ansicht des [X.]

auch unerheblich, dass sich der Angeklagte am [X.] bereits in Untersuchungshaft befand und nach §
168c Abs.
4 StPO nur dann einen Anspruch auf Anwesenheit bei der richterlichen Zeugenvernehmung gehabt hätte, wenn diese an der Gerichtsstelle des Ortes der Haft abgehal-ten worden wäre. Dass der Ausschlussgrund des §
168c Abs.
5
Satz
2 StPO vorgelegen hätte, ist nicht ersichtlich.

4. Die Beweiswürdigung des [X.]s
hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht oder ein [X.] sich nicht einlässt und nur die Angaben
einer
einzigen [X.] zur Verfügung stehen,
mithin die Entscheidung allein davon abhängt, ob dieser
einen Zeugin zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass
das Tatgericht alle Umstände, welche
die Entscheidung beeinflussen [X.], erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat
(vgl. [X.], [X.] vom 17. Dezember 1997

2 [X.], StV
1998, 250; Urteil vom 29. Juli 1998

1 StR 94/98, [X.]St 44, 153, 158 f.; [X.], Beschlüsse vom 22. April 1987

3 [X.], vom 22. April 1997

4 [X.] und vom 19. Oktober 2000

1 StR 439/00, [X.]R StPO §
261 Beweiswürdigung 1, 13, 23). Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall,
in dem die
einzige,
in der 6
7
8
-
5
-

Hauptverhandlung die Aussage verweigernde [X.], bei ihrer richterli-chen Vernehmung kurz zuvor bei der Polizei erhobene Vorwürfe nicht mehr aufrecht erhalten,
sondern
als erlogen bezeichnet hat.
Hier
muss das
Tatge-richt regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, ungeachtet einer Teillüge der Zeugenaus-sage im Übrigen dennoch zu glauben ([X.], Urteil vom 29. Juli
1998 aaO).
Diesen erhöhten Anforderungen wird das angefochtene
Urteil nicht gerecht.

c) In ihrer
ermittlungsrichterlichen Vernehmung hat M.

angegeben, weitere
Vorwürfe erlogen zu haben, da

l-len, weil er sie immer so anschnauze. [X.] habe ihr einmal auf dem Sofa an den Bauch gefasst. Zwischen die Beine oder an die Muschi habe er dabei Dies erschüttert nach Auffassung des [X.]s die Glaubhaftigkeit ihrer
Aussage hinsichtlich des [X.] jedoch nicht,
denn die Zeugin habe

von sich aus

offengelegt, dass ein Teil der von ihr in Zusammenhang mit ihrer polizeilichen Vernehmung genannten Fälle gelogen war. Den Grund für ihr Lügen habe sie nachvollzieh-bar begründet. Dieses [X.] wertet die Strafkammer
als An-haltspunkt dafür, dass die
Zeugin
gezeigt habe
(UA S.
17). Es [X.] keine Gründe erkennbar, warum sie gegenüber der [X.] einen Teil der von ihr geschilderten Fälle als gelogen offenlegen sollte, [X.] tatsächlich alle Fälle gelogen wären.

Diese Erwägungen
greifen
zu kurz. Die

vom [X.] unterstell-te

Lüge gerade hinsichtlich der gewichtigsten
bei der Polizei erhobenen Vorwürfe stellte
die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin insgesamt in schwerwiegender Weise in Frage. Das [X.] hat schon nicht geprüft, ob das Motiv der Rache
auch für eine mögliche Falschbelastung des [X.] in Betracht kam. Wesentlich erschwerend tritt
hinzu, dass das Tatgericht sich keinen unmittelbaren Eindruck von der Zeu-gin verschaffen und eine fundierte Glaubhaftigkeitsprüfung auf der Grundlage 9
10
-
6
-

aussagepsychologischer Methoden
nicht durchführen
konnte, da hierfür im Hinblick auf die Geltendmachung des
Zeugnisverweigerungsrechts
durch die
Zeugin zu wenig Aussagematerial zur Verfügung stand. Angesichts dessen konnte ihren übrigen Angaben vor der [X.] nur dann gefolgt werden, wenn außerhalb ihrer Aussage Gründe von Gewicht für ihre Glaub-haftigkeit vorgelegen hätten. Solche
sind in der Beweiswürdigung des Land-gerichts
nicht dargelegt.

5. Der Senat schließt angesichts der gegebenen Beweislage aus, dass ein neues Tatgericht zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangen könnte (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Februar 2007

5 [X.], [X.], 284, 286). Daher
spricht der Senat den Angeklagten frei (§
354 Abs.
1 StPO).

6. Für die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§
8 StrEG) ist das [X.] zuständig, weil Art und Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen ohne weitere Feststellungen und ohne besondere Anhörung der Beteiligten nicht zu be-stimmen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Januar 1990

5 [X.], NJW 1990,
2073
mwN).

Raum [X.]Schneider

König Bellay

11
12

Meta

5 StR 401/12

12.09.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2012, Az. 5 StR 401/12 (REWIS RS 2012, 3272)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3272

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 401/12

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