Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.07.2015, Az. III ZR 86/15

III. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 7633

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
III ZR 86/15

Verkündet am:

23. Juli 2015

P e l l o w s k i

Justizobersekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] § 839 Fe; [X.] SH § 45 Abs. 2 Satz 1

Der Grundsatz, dass Fußgängerüberwege innerhalb geschlossener Ortschaf-ten nur zu streuen sind, soweit sie belebt und unentbehrlich sind, ist auch bei der Auslegung des §
45 Abs. 2 Satz 1 [X.] SH heranzuziehen.

[X.], Urteil vom 23. Juli 2015 -
III ZR 86/15 -
[X.]-Holsteinisches OLG

[X.]
-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juli 2015
durch den Vizepräsidenten Schlick
sowie
die Richter
Dr.
[X.], [X.], Dr. Remmert
und Reiter

für Recht erkannt:

Auf die Revision der [X.] wird das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 12.
März 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der [X.] erkannt worden ist. In diesem Umfang wird
die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Die [X.]
der Klägerin wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, verlangt aus übergegan-genem Recht (§ 116 [X.])
von der [X.], einer Gemeinde in [X.]-Holstein, Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige über-gangsfähige Aufwendungen wegen eines behaupteten [X.]unfalls.

1
-

3

-

Am 26.
Dezember 2009 gegen 9.45
Uhr stürzte der bei der Klägerin ver-sicherte M.

H.

bei dem Versuch, die B.

straße in B.

auf ei-nem Fußgängerüberweg (Zebrastreifen) in der Nähe der T.

-K.

-
Straße zu überqueren. Die Klägerin hat der
[X.] eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen, da es glatt gewesen und die Beklagte ihrer Streupflicht nicht nachgekommen sei.

Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der [X.] hat nur insoweit Erfolg
gehabt, als das [X.] von einem Mitver-schulden des Gestürzten ausgegangen ist und dieses mit 25
% bewertet hat. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter; die Klägerin wendet sich mit ihrer [X.]
gegen die teilweise Abweisung der
Klage.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision führt, soweit zum Nachteil der [X.] erkannt worden ist, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverwei-sung der Sache an das Berufungsgericht. Die [X.] hat keinen [X.].

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte für die Fol-gen des Sturzes gemäß §
839 Abs.
1 [X.], Art.
34 Satz 1 GG.

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-

4

-

Die Beklagte hätte den Zebrastreifen abstreuen müssen. Soweit nach der Rechtsprechung des [X.] eine Streupflicht nur für belebte und unentbehrliche Fußgängerüberwege bestehe, gelte dies nicht in [X.]-Holstein. Dies ergebe sich aus §
45 des Straßen-
und Wegegesetzes. Danach seien die Gemeinden
grundsätzlich
ohne Einschränkungen verpflichtet, die in-nerhalb der geschlossenen Ortslage befindlichen Fußgängerüberwege bei [X.] zu bestreuen.
Diese Überwege könnten wegen der Schutzbedürftigkeit der Fußgänger auch nicht Fahrbahnen gleichgestellt werden, bei denen eine Streupflicht nur an verkehrswichtigen
und gefährlichen
Stellen bestehe. [X.] sei es gerechtfertigt, Zebrastreifen wie Gehwege zu behandeln. Diese müssten aber grundsätzlich gestreut werden, wenn ihnen ein Verkehrsbedürfnis nicht abgesprochen werden könne, mithin ihnen nicht nur eine Freizeit-, son-dern eine Erschließungsfunktion zukomme. Für diese Gleichstellung spreche auch der Wortlaut des Landesgesetzes. Von der Streupflicht auszunehmen [X.] daher nur tatsächlich entbehrliche Wege, für die ein jederzeit zu [X.] nicht bestehe. Eine solche Ausnahme liege hier aber nicht vor.
Auch wenn es sich bei der B.

straße in B.

nur um eine Sackgasse handele, die -
anders als die Bezeichnung vermuten lasse
-
tatsäch-lich nicht zum Haupteingang des Bahnhofs führe, könne dieser Straße und dem darüber führenden Fußgängerüberweg ein echtes, auch am Vormittag des zweiten Weihnachtstags zu befriedigendes Verkehrsbedürfnis nicht abgespro-chen werden. Dies ergebe sich -
unabhängig davon, ob der Zebrastreifen
tat-sächlich damals belebt war oder nicht
-
allein schon daraus, dass die [X.] und die dazugehörigen Gehwege im [X.] der Gemeinde B.

lägen
sowie zahlreiche Wohngebäude und Gewerbebetriebe auch über Neben-straßen erschließen
würden. Die Straße führe zudem
zu einem [X.] sowie zum
Hintereingang des
Bahnhofs, der überregionale [X.]
-

5

-

tung habe. Insgesamt sei auch an einem Feiertag mit einem nicht unerhebli-chen Fußgängerverkehr zu rechnen.

Bei der Unfallstelle habe es sich nicht um eine vereinzelte und insoweit nicht der Streupflicht unterliegende [X.] gehandelt. Vielmehr stehe [X.] der Aussage des Zeugen H.

und unter Berücksichtigung des von der Klägerin eingeholten amtlichen Gutachtens des [X.]
fest, dass es nicht nur auf dem Zebrastreifen
und auf einzelnen Gehwegabschnitten im Bereich der Bahnhofstraße
glatt gewesen sei; es
habe
aufgrund der herr-schenden Witterungsbedingungen eine allgemeine Glätte an allen noch gefro-renen Bodenstellen
vorgelegen.

Allerdings treffe den Geschädigten ein Mitverschulden. Dieser habe [X.], es sei bereits auf dem Gehweg teilweise glatt gewesen. Diese [X.] hätte ihn veranlassen müssen, die weitere Wegstrecke im Interesse seiner eigenen Sicherheit aufmerksam auf eventuelle Eisglätte zu untersuchen und besonders vorsichtig
zu gehen. Denn aus dem Vorliegen solcher Stellen hätte er den Schluss ziehen müssen, dass der Boden teilweise noch gefroren war und der zuvor gefallene (Niesel-)Regen
auch an anderen Stellen -
zum Beispiel auf dem Überweg
-
zur Bildung von [X.] geführt haben könnte. [X.] diese Obliegenheit zur gesteigerten Aufmerksamkeit und Vorsicht habe er verstoßen. Anderenfalls wäre er nicht ausgerutscht. Ein in seinen eigenen [X.] sorgfältiger Fußgänger hätte zur Vermeidung des Sturzes [X.] einmal durch kleine tastende Schritte
geprüft, ob auf dem Überweg [X.] vorhanden sei. Dadurch hätte der Sturz vermieden werden können.
[X.] Fehlverhalten führe im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen [X.] allerdings nur zu einem Haftungsanteil von 25
%. Denn die Be-7
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-

6

-

klagte habe mit der Verletzung der ihr obliegenden Streupflicht die maßgebliche Ursache für den Sturz gesetzt.

II.

Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung, soweit zum Nachteil der [X.] erkannt worden ist, nicht stand.

Revision der [X.]

1.
Inhalt und Umfang der winterlichen Streupflicht
auf öffentlichen Wegen und Straßen unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs sind [X.] ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auf die [X.] des [X.] ankommt.
Dieser hat
im Rahmen und nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze durch Bestreuen mit abstump-fenden Mitteln die Gefahren
zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen
(ständige Senatsrechtspre-chung, vgl. nur Urteile vom 5.
Juli 1990 -
III
ZR 217/89, [X.]Z 112, 74, 75
f; vom 1. Juli 1993 -
III ZR 88/92, N[X.] 1993, 2802 f; vom 15.
Januar 1998 -
III
ZR
124/97, [X.], 1373 und vom 9.
Oktober 2003 -
III
ZR 8/03, [X.], 3622, 3623; jeweils mwN).

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-

Fußgängerüberwege innerhalb geschlossener Ortschaften sind danach nicht grundsätzlich, sondern nur zu streuen, soweit sie belebt und unentbehrlich sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. nur Urteile vom 22.
November 1965
-
III
ZR 32/65, N[X.] 1966, 202; vom 13.
Juli 1967 -
III
ZR 165/66, [X.], 981, 982; vom 13.
März 1969 -
III
ZR 101/68, [X.], 667
und vom
15.
November
1984
-
III
ZR 97/83, [X.], 568, 569; Beschlüsse
vom 27.
April 1987 -
III
ZR 123/86, [X.], 989 und vom 8.
März 1990 -
III
ZR 27/89, [X.]R [X.] § 839 Abs. 1 Satz 1 Streupflicht
3; Urteile vom 20.
De-zember 1990 -
III
ZR 21/90, [X.], 665
f
und
vom 1.
Juli 1993
aaO S.
2803; Beschluss vom 20.
Oktober 1994 -
III
ZR 60/94, [X.], 721, 722; Urteil vom 9.
Oktober 2003
aaO).

2.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gelten diese Grund-sätze auch in [X.]-Holstein.

a) §
45 des Straßen-
und Wegegesetzes des Landes [X.]-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. November 2003
(GVOBl.
Schl.-H.
S. 631, 2004 S. 140) -
im Folgenden [X.] -
lautet:

(1)
Alle innerhalb von Ortsdurchfahrten gelegenen Landes-
und Kreis-straßen sind zu reinigen. Entsprechendes gilt für Gemeindestraßen und die sonstigen öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage sowie für die nach Absatz
3 besonders bestimmten Straßen. Art und Umfang der Reinigung richten sich nach den örtlichen [X.] der öffentlichen Sicherheit.
(2)

bei [X.] das Bestreuen der Gehwe-ge, Radwege, gemeinsamen (kombinierten) Geh-
und Radwege, Fußgängerüberwege und der besonders gefährlichen Fahrbahnstel-len, bei denen die Gefahr auch bei Anwendung der im Verkehr erfor-derlichen Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar ist.
(3)

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-

8

-

Der Wortlaut des § 45 Abs. 2 [X.] könnte die Annahme nahelegen, dass für die dort besonders aufgeführten Geh-
beziehungsweise Radwege
und Fußgängerüberwege
die Streupflicht keinerlei Einschränkungen unterliegt. [X.] bestimmt § 45 Abs. 1 Satz 3 [X.], dass sich Art und Umfang der polizeilichen
Reinigung, zu der auch das Streuen gehört, nach den örtlichen Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit richtet.

b) Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Norm, wird deutlich, dass eine unbeschränkte Streupflicht nicht dem Willen des Landesgesetzge-bers
entspricht.

aa) Seit jeher ist die Verkehrssicherungspflicht für Straßen und Wege von den Umständen des
Einzelfalls abhängig gemacht
und insoweit eine allge-meine Verpflichtung zum Streuen bei [X.] abgelehnt beziehungsweise das Bestehen einer Streupflicht unter Berücksichtigung der Verkehrsbedeutung und des verkehrsrechtlichen Bedürfnisses eingeschränkt worden (vgl. bereits [X.],
[X.], 164 f Nr. 38; [X.]Z 54, 53, 59; [X.] 1904, 470 Nr. 8; WarnRspr
1907/1908 Nr. 47; [X.] 1933, 836 f; siehe auch [X.], [X.], 3. Aufl. 1907, §
823 [X.]. II 2 c S. 976 zu c
sowie -
zur polizeimäßigen Straßenreinigung -
PrOVGE 47, 409, 411; 68, 318, 322 ff, wobei die aus der polizeimäßigen Reini-gung fließende Räum-
und Streupflicht, soweit sie auch der Verkehrssicherung dient, ihrem rechtlichen Gehalt und Umfang nach von der aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht abgeleiteten Pflicht zur Sorge für die Sicherheit im Straßenverkehr nicht verschieden ist; vgl. nur Senat, Urteil vom 5. Juli 1990
-
III ZR 217/89, [X.]Z 112, 74, 79 mwN). Hiervon ausgehend hat das [X.] ([X.] 1913, 859, 860
f
Nr. 5; siehe auch [X.] 1913, 91 Nr. 6) ausgeführt, dass nur dort, wo ein besonderes Bedürfnis es gebiete, unter Umständen von einer Gemeinde verlangt werden könne, dass auch der Fahrdamm (Straße) 14
15
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-

9

-

strecken-
und stellenweise, zum Beispiel
an belebten und unerlässlichen Über-gängen, bestreut werde.

bb) Auch
nach dem [X.] über die Reinigung öffentlicher Wege vom 1.
Juli 1912 ([X.]), dessen Gültigkeit in [X.]-Holstein erst durch §
66 Nr.
10 des Straßen-
und Wegegesetzes des Landes [X.]-Holstein vom 22.
Juni 1962 (GVOBl. Schl-H
S.
237) aufgehoben worden ist, bestand keine uneingeschränkte Streupflicht. Vielmehr richteten sich nach §
2 die Anforderungen "hinsichtlich der Art, des Maßes und der räumlichen Aus-dehnung der polizeilichen Reinigung"
nach dem "unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse Notwendigen". Insoweit sollte
die Frage des verkehrs-rechtlichen Bedürfnisses unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse geprüft werden.
Eine Erweiterung der Streupflicht gegenüber der bisherigen Rechtslage war ausdrücklich nicht beabsichtigt
(vgl. Entwurf eines Gesetzes über die Reinigung öffentlicher Wege, Sammlung der Drucksachen des [X.] der Abgeordneten, 21.
Legislaturperiode, [X.], Drucks. Nr.
51, S.
1403 f, 1406, 1407, 1408).
Den
Verkehrsverhältnissen kam insoweit für die Feststellung einer Streupflicht weiterhin eine wesentliche Be-deutung zu
(vgl. auch Hecht/[X.], Gesetz über die Reinigung öffentlicher Wege, 3. Aufl. 1954, S. 47 f).

cc) Auch der Senat hat in seiner (frühen)
Rechtsprechung zum [X.] über die Reinigung öffentlicher Wege die winterliche Streupflicht für öffentliche Straßen und Wege nicht uneingeschränkt bejaht, sondern unter anderem die Verkehrsbedeutung einschränkend berücksichtigt (vgl. nur Urteile vom 5.
Dezember 1955 -
III
ZR 83/54, [X.] 1956, 249 ff; vom 30.
September 1957 -
III
ZR 207/56, [X.], 785
und vom 1.
Oktober 1959 -
III
ZR 59/58, N[X.] 1960, 41
f).
17
18
-

10

-

dd) Dass der Landesgesetzgeber in [X.]-Holstein den Inhalt der Streupflicht ihrem
sachlichen Gehalt und Umfang nach in Abweichung von die-ser jahrzehntelangen Rechtslage regeln wollte, ist nicht ersichtlich. Bereits §
45 [X.] 1962 enthielt eine dem §
45 [X.] 2003 im Wesentlichen [X.] Regelung. In der Begründung zum Gesetzentwurf
vom 5. September 1961 ([X.]. Nr.
466, S.
65 f), in der ausdrücklich auf das Senatsurteil vom 5.
Dezember 1955 (aaO)
Bezug genommen worden ist, wurde
darauf hingewie-sen, dass die Reinigungspflicht ihrem Umfang nach je nach Lage und Benut-zungsart der Straße verschieden sei. In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im [X.] am 26.
September 1961 stellte der zuständige Ressortminister fest:

"Im Siebenten Teil wird den bisher geltenden Bestimmungen des [X.] eine neuzeitliche Gestalt gegeben. In den praktischen Auswirkungen soll auf diesem Gebiete für die [X.] und für den Bürger alles beim alten bleiben"
(Stenographischer Be-richt der 66.
Sitzung,
S.
2288).

Soweit durch §
45 [X.] 2003 die Verkehrssicherungspflicht auch auf Rad-
beziehungsweise kombinierte Geh-
und Radwege erweitert worden ist, war hiermit keine darüber hinausgehende Änderung der bisherigen Rechtslage beabsichtigt (vgl. [X.]. 15/1906 S.
16).
Insgesamt lässt sich den Geset-zesmaterialien
nicht ansatzweise entnehmen, dass der Landesgesetzgeber die hergebrachten Grundsätze zur Streupflicht ändern wollte. Der Winterdienst ist somit auch in [X.]-Holstein von
der Verkehrsbedeutung des jeweiligen Straßen-
oder Wegebereichs abhängig (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/
[X.]/[X.]/Steinweg, [X.], Loseblattsammlung, § 45 (Stand: 3.2011) Rn. 16).

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-

11

-

3.
Fußgängerüberwege sind damit bei [X.] nur unter der einschränken-den Voraussetzung zu streuen, dass
sie belebt und unentbehrlich sind (vgl. auch [X.]/[X.], [X.], Neubearbeitung 2009, §
823 Rn.
[X.]; MüKo[X.]/Papier, 6.
Aufl., §
839
Rn.
201; [X.] in Geigel, Der Haftpflichtpro-zess, 27.
Aufl., [X.]. 14 Rn.
147, 159; [X.] VersR 1978, 950, 951; [X.] OLGR 2002, 335, 336
und Urteil vom 30. September 2014 -
2 U 7/14, juris Rn. 39; [X.], Urteil vom 26.
April 2007 -
1
U 5742/06, juris Rn.
31
ff; [X.] MDR 2012, 1226).
Der Senat folgt nicht der Auffassung des Berufungsgerichts, für Überwege müssten die gleichen Grundsätze wie für Gehwege gelten. Eine solche Annahme würde bewirken, dass auf zahlreichen nicht oder nachrangig zu bestreuenden Straßen vorrangig Überwege für [X.] abgestreut werden müssten. Dies hätte
zur Folge,
dass die Gemeinden bei der Durchführung ihrer Streupläne, ohne die ein geordneter Winterdienst unmöglich ist, unzumutbar behindert würden (vgl. nur Senat, Urteil vom 20.
Dezember 1990 -
III
ZR 21/90, [X.], 665,
666).
Was die Frage der Zumutbarkeit für die Kommunen anbetrifft, unterscheidet
sich die Situation auf Gehwegen und Fußgängerüberwegen im Übrigen dadurch, dass durch Satzung (hier: aufgrund § 45 Abs. 3 Nr. 2 [X.]) die Streupflicht für Gehwege innerhalb geschlossener Ortschaften üblicherweise auf die Anlieger übertragen wird.

Feststellungen dazu, ob der streitgegenständliche Überweg belebt und unentbehrlich gewesen ist, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Dies
ist nachzuholen. Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere zu [X.] haben, dass der Sturz am Morgen des zweiten [X.] 2009 er-folgt ist. Insoweit ist die Verkehrsbedeutung der Straße beziehungsweise des [X.] an normalen Werktagen
nicht ausschlaggebend (vgl. Senatsbe-schluss vom 26. März 1992 -
III ZR 71/91, [X.]R [X.] § 839 Abs. 1 Satz 1
-
Streupflicht 8).
21
22
-

12

-

4.
Zu Unrecht rügt die Beklagte, für sie habe zur Unfallzeit kein Anlass für die Annahme bestanden, der Zebrastreifen könne vereist sein. Der im Beru-fungsurteil erwähnte Regen könne angesichts der damals herrschenden positi-ven Lufttemperaturen nicht zu [X.] geführt haben. Mangels gegenteiliger tatrichterlicher Feststellungen sei im Übrigen zu unterstellen, dass der Regen erst nach 9.45 Uhr eingesetzt habe.

Das Berufungsgericht ist unter Heranziehung des amtlichen Gutachtens des [X.] rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass am Morgen des 26.
Dezember 2009 [X.]bildungen -
trotz der positiven Lufttem-peraturen
-
aufgrund der Niederschläge und der vorangegangenen Dauerfrost-periode eine ernsthaft drohende Gefahr darstellten und sich diese Gefahr auch realisiert hat. Entgegen der Meinung der [X.] beziehen sich diese Fest-stellungen auf den Unfallzeitpunkt. Im Berufungsurteil ist insoweit ausgeführt, dass ausweislich des Gutachtens zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Sturzes in B.

Wetterverhältnisse geherrscht hätten, die das Auftreten von Eisglätte sehr wahrscheinlich gemacht hätten. In
dem insoweit in Bezug ge-nommenen Gutachten heißt es ausdrücklich, dass am Unfalltag Niederschläge gefallen
seien, die vorerst etwa zum Unfallzeitpunkt geendet hätten. Für die Annahme der [X.], es habe erst nach dem Sturz geregnet, so dass
-
wenn überhaupt -
erst danach [X.] hätte auftreten können, bestehen daher keine Anhaltspunkte.

5.
Soweit das Bestehen einer
Streupflicht
eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das Vorhandensein ganz vereinzelter [X.]n voraussetzt (vgl. nur Senat, Beschlüsse
vom 21. Januar 1982 -
III ZR 80/81, [X.], 299 f und vom 26.
Februar 2009 -
III
ZR 225/08, N[X.] 2009, 3302 Rn.
4
f; [X.], 23
24
25
-

13

-

Urteil vom 12.
Juni 2012 -
VI
ZR 138/11, N[X.] 2012, 2727 Rn.
10), hat das Be-rufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung -
unter Berücksichtigung der Aus-sage des Zeugen H.

und des Gutachtens des [X.]
-
rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Geschädigte bei allgemeiner Glätte ge-stürzt ist. Letzteres setzt nicht voraus, dass es im ganzen Gemeindegebiet glatt ist.

[X.]
der Klägerin

Die [X.] der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch
-
auch bei unterstellter Streupflichtverletzung der [X.] -
keinen Erfolg.

1.
Die Klägerin hält die tatrichterlichen Feststellungen für widersprüchlich und denkgesetzwidrig. Im angefochtenen Urteil werde zunächst ausgeführt, dass der Zeuge H.

das [X.] auf dem Zebrastreifen
nicht habe erkennen können und müssen. Wenn das Berufungsgericht trotzdem ein Mitverschulden annehme, da die auf dem Gehweg vorhandenen [X.]n Anlass zu gestei-gerter
Aufmerksamkeit geboten hätten, sei
dies nicht nachvollziehbar. Auch sei in diesem Zusammenhang die Aussage des Zeugen unberücksichtigt geblie-ben, wonach er zwar auf dem Gehweg die Glätte erkannt
habe, dagegen das
[X.]
auf dem Überweg
für ihn nicht zu erkennen gewesen sei.

Diese [X.] sind unbegründet. Zwar ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Geschädigte die Glätte auf dem Überweg nicht hätte erkennen können und müssen. Denn eine allgemeine Glätte sei nur schwer von einer lediglich feuchten Fahrbahnoberfläche zu unterscheiden. Bei [X.] sei zudem nicht ohne weiteres zu erkennen, ob der erforderliche Winterdienst durchgeführt worden sei, da oft nur kaum sichtbare Salzlösung versprüht [X.]. Nach der Aussage des Zeugen, auf die das Berufungsgericht bei seiner 26
27
28
-

14

-

weiteren Würdigung maßgeblich abgestellt hat, war es auf dem Gehweg an den Stellen, an denen die Anwohner gestreut hatten, nicht mehr glatt; anders war die Situation dagegen dort, wo dies nicht geschehen war. Wenn das [X.] hieraus abgeleitet hat, der
Zeuge habe sich
besonders vorsichtig verhalten müssen, ist diese tatrichterliche Wertung, zumal der Zeuge dem Zu-stand des [X.] gerade nicht hat
entnehmen können, ob auch dort nicht gestreut worden ist, nicht denkgesetzwidrig und revisionsrechtlich nicht zu [X.].

Das Berufungsgericht hat insoweit auch nicht die [X.] für Fußgänger überspannt. Angesichts der Wetterlage und der vorhandenen Glätte musste der Zeuge beim Betreten des [X.] besonders vorsichtig sein. Entgegen der Auffassung der [X.] durfte er nicht blindlings darauf vertrauen, dass die Beklagte den Zebrastreifen
bereits abgestreut hatte, zumal ihm bereits auf dem Gehweg deutlich geworden
war, dass dort nur teil-weise gestreut worden war. Er durfte deshalb nicht ohne besondere Vorsicht den Überweg betreten.

2.
Zu Unrecht rügt die Klägerin die Feststellungen zur Kausalität des [X.] als rechtsfehlerhaft. Auch insoweit unterliegt die tatrichterliche Würdigung nur der eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung. Das Be-rufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Zeuge, wenn er zur Vermei-dung eines Sturzes zunächst durch kleine tastende Schritte geprüft hätte, ob auf dem Überweg Eisglätte vorhanden war, den Sturz, der sich nach seinen Angaben "gleich beim ersten oder zweiten Schritt"
auf dem Zebrastreifen
ereig-net hat, hätte vermeiden können. Eine solche Wertung ist möglich und wird nicht dadurch in revisionsrechtlich erheblicher Weise in Frage gestellt, dass sie auch anders hätte vorgenommen werden können.
29
30
-

15

-

3.
Soweit das Berufungsgericht den [X.] des Geschädigten mit 25
% bewertet hat, ist dies nicht zu beanstanden. Die Abwägung der Verant-wortlichkeiten zwischen den Parteien eines Schadensersatzanspruchs im Rah-men der Prüfung des Mitverschuldens unterliegt gemäß §
287 ZPO einem wei-ten tatrichterlichen Entscheidungsspielraum. Die Prüfung des Revisionsgerichts ist darauf
beschränkt, ob alle in Betracht kommenden Umstände richtig und vollständig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind, hierbei insbesondere nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen wurde (vgl. nur Senat, Urteil vom 20.
Juni 2013
-
III
ZR 326/12, [X.], 1322, 1323 mwN). Rechtsfehler des Tatrichters liegen insoweit nicht vor. Entgegen der Auffassung der [X.] ist der Ge-schädigte für seinen Schaden auch nicht allein verantwortlich. Eine vollständige Überbürdung des Schadens kommt
im Rahmen von §
254 [X.] nur ausnahms-weise in Betracht (vgl. nur
Senat, aaO Rn.
19 mwN). Insoweit hat das [X.] zutreffend berücksichtigt, dass -
bei unterstellter Streupflichtverlet-zung
-
die Beklagte die maßgebliche Erstursache für das Schadensereignis ge-setzt hat und es deshalb gerechtfertigt ist, ihr auch den wesentlichen Verant-wortungsanteil zuzuweisen (siehe
auch Senat aaO Rn.
22
ff).

III.

Das angefochtene Urteil ist, soweit zum Nachteil der [X.] erkannt worden ist, aufzuheben und das Verfahren, da die Sache noch nicht zur Ent-

31
32
-

16

-

scheidung reif ist (§
562 Abs.
1, §
563 Abs.
1 ZPO), in
diesem Umfang an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Schlick

[X.]

[X.]

Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.05.2014 -
5 [X.]/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 12.03.2015 -
11 [X.] -

Meta

III ZR 86/15

23.07.2015

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.07.2015, Az. III ZR 86/15 (REWIS RS 2015, 7633)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7633

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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