Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2016, Az. IV ZR 526/15

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 8684

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[X.]:[X.]:BGH:2016:060716UIVZR526.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
IV ZR 526/15
Verkündet am:

6. Juli 2016

Schick

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

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Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch den
Richter Felsch, die Richterin [X.], den Richter [X.], die Richterinnen Dr.
Brockmöller und Dr. Bußmann
auf die mündliche Verhandlung vom 6.
Juli
2016

für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der [X.] des [X.] vom 11.
November 2015 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger
ist
ein [X.] auf Gegenseitig-keit.
Der
Beklagte
war
bei ihm bis zum 29.
November 2012 im Basistarif krankenversichert.

Nachdem der Beklagte mit der Beitragszahlung
in Rückstand gera-ten war, mahnte der Kläger die Rückstände mehrfach an und stellte nach fruchtlosem Fristablauf schließlich mit Schreiben
vom 19.
Juli
2011 das Ruhen der Leistungen fest.

Mit der Klage begehrt der Kläger die offenen Beiträge, die er auf Grundlage eines Beitrags im Basistarif von zunächst monatlich 251,85

und ab dem 1. August 2012 monatlich 592,88

von Teilzahlungen des Beklagten mit einem Gesamtbetrag von 1
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errechnet,
nebst Zinsen und Kosten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Beklagte
ist der Auffassung, dass er ab dem 1.
August 2011
lediglich einen Beitrag von monatlich 75,09

aufgrund der zum 1.
August 2013 in [X.] getretenen Gesetzesänderung des § 193 [X.] i.V.m. Art. 7 [X.] für die Zeit des Ruhens der Leistun-gen rückwirkend in den [X.] nach § 12h [X.] (in der bis zum 31.
Dezember 2015 geltenden Fassung) einzustufen sei.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das [X.] die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klage-abweisungsbegehren
weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das
Berufungsgericht hat die geltend gemachten Forderungen für begründet erachtet, weil
Art.
7 Satz 2 [X.] keine Anwendung auf Verträge finde, die bereits vor dem 1. August 2013 beendet gewesen sind.
Dafür sprächen schon der Wortlaut der Regelung (Verwendung
des Perfekts: "ruhend gestellt worden sind"), die in Art.
7 Satz
6 [X.] ent-haltene Belehrungspflicht, und der Zweck der Regelung, der einerseits auf Entlastung der Versichertengemeinschaft und andererseits auf eine 4
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möglichst schnelle Wiederherstellung vollen Versicherungsschutzes säumiger Zahler gerichtet sei. Entscheidend komme hinzu, dass die [X.] eine verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Rückwirkung zu Lasten der Versicherer statuiere, weshalb eine enge Auslegung der [X.] geboten sei.

II. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

1. Zu der Rechtsfrage, ob die Regelung des Art. 7 Satz 2 [X.] voraussetzt, dass die Leistungen aus dem [X.] noch gemäß § 193 Abs. 6 [X.] ruhend gestellt sind, werden in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten.

a) Das
Kammergericht ([X.], 440) und das [X.] (r+s 2015, 454) vertreten die Ansicht, dass die in Art.
7 Satz
2 [X.] angeordnete Rückwirkung des [X.]s nicht voraussetze, dass die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung noch ruhend gestellt waren.

Diese Gerichte meinen, dass der Wortlaut des Gesetzes eine Ein-schränkung der angeordneten Rückwirkung auf am 1. August 2013 ru-hend gestellte Verträge nicht enthalte und auch Sinn und Zweck des [X.] gegen eine dahingehende einschränkende Auslegung der [X.] sprächen. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichte-rung der Schuldenlast
werde anderenfalls verfehlt; insbesondere würden die finanziell besonders schwachen Versicherungsnehmer, die hilfebe-9
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dürftig im Sinne des [X.] sind, von der Begünstigung ausgeschlos-sen ([X.] aaO juris Rn. 31-36; [X.] aaO juris Rn. 43-45).

b) Gegenteiliger Auffassung sind außer dem Berufungsgericht (vgl. bereits [X.] [X.], 1015) auch das [X.] Dortmund (r+s 2014, 85; zustimmend [X.] in [X.]/[X.], [X.] 29. Aufl. § 193 Rn.
45) und
das Oberlandesgericht
Hamm ([X.], 136) sowie im Schrifttum Muschner (in HK-[X.], 3.
Aufl.
Art.
7 [X.] Rn. 3 f.) und [X.] ([X.], 818).

Zur Begründung wird vor allem angeführt, aus der Gesetzesbe-gründung zur Neufassung des Art.
7 [X.] (Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] (14. Ausschuss), BT-Drucks. 17/13947 S. 31 f. zu Artikel 5) ergebe sich, dass der Gesetzgeber nur die Beitragsschuldner im Blick gehabt habe, deren Verträge bei Inkrafttreten der Regelung noch fortbestanden, und eine Gleichstellung von Versi-cherten, bei denen das Ruhen der Leistungen bis zum 1.
August 2013 andauerte, mit denjenigen Altschuldnern, bei denen das Ruhen der
Leis-tungen bereits vor dem 1.
August 2013 beendet war, durch die neue Rechtslage nicht beabsichtigt worden sei ([X.] aaO Rn.
13-15; [X.] aaO; [X.] aaO S. 819) und dass eine dementspre-chend enge Auslegung der Vorschrift auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sei, weil die rückwirkende Einführung eines Notlagen-tarifs eine nur ausnahmsweise zulässige echte Rückwirkung darstelle
([X.] aaO; Muschner aaO
Rn.
4; [X.] aaO S. 820). Teilweise wird auch darauf verwiesen, dass die in §
193 Abs.
8 [X.] geregelte Be-lehrungspflicht des Versicherers
nur für einen noch bestehenden und auf den [X.] umgestellten [X.] einen Sinn ergebe
([X.] aaO; [X.] aaO).
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Zudem folge schon aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes, dass von der rückwirkenden Regelung nur solche Versicherungsverhält-nisse erfasst würden, die zum 1.
August 2013 noch ruhend gewesen [X.], weil der Gesetzgeber sich des Passiv Perfekts bedient habe ("ruhend gestellt worden sind") und die Versicherungsnehmer "ab" diesem Zeit-punkt als im [X.] versichert gelten ([X.] aaO S.
818).

2. Zutreffend
ist die zuletzt genannte Auffassung, nach der Art.
7 Satz
2 [X.] nur anzuwenden ist, wenn ein Ruhen der Leistungen noch bei Inkrafttreten der Regelung am 1.
August 2013 vorgelegen hat.

a)
Dies folgt, wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt,
bereits
aus Wortlaut und Systematik des Art.
7 [X.].

Danach kann die Regelung über die rückwirkende Geltung des [X.]s in Art.
7 Satz 2 bis 6 [X.] nicht losgelöst von dem in Art.
7 Satz 1 [X.] enthaltenen Grundtatbestand gesehen werden, nach der solche Versicherungsnehmer als im [X.] versichert gelten, für die am 1.
August 2013 das Ruhen der Leistungen gemäß §
193 Abs.
6 [X.] festgestellt ist.
Diese Grundvoraussetzung muss
auch für die nach Maßgabe der Sätze 2 bis 6 vorgesehene zeitliche Rückwir-kung
erfüllt sein.
Denn
Art.
7 Satz 2 [X.] ordnet seinem Wortlaut nach nur an, dass der [X.] unter den dort genannten Vorausset-zungen "ab" einem früheren Zeitpunkt gilt als nach der Grundregel des Satzes
1 vorgesehen.

Ein hiervon abweichender Wille
des Gesetzgebers dahingehend, dass nicht nur rückwirkend
eine zeitliche Ausdehnung der Geltung des 15
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[X.]s
stattfinden soll, sondern von ihr auch solche Versiche-rungsnehmer erfasst sein sollen, für die die Regelung des Art.
7 Satz
1 [X.] nicht gilt, weil ein Ruhen der Leistungen nur für einen früheren Zeitraum in der Vergangenheit vorgelegen hat, kommt im [X.] nicht zum Ausdruck.

b) Wie das Berufungsgericht weiter zutreffend erkannt hat, hätte ein
solcher Wille auch
wegen der verfassungsrechtlichen Problematik [X.] derartigen Regelung deutlich formuliert werden müssen.

Die rückwirkende Einführung eines [X.]s führt zum [X.] oder der Herabsetzung bereits voll entstandener Beitragsansprüche der Versicherer und stellt damit eine echte Rückwirkung dar (Muschner in HK-[X.], 3. Aufl. Art. 7 [X.] Rn. 4). Eine echte Rückwirkung liegt immer dann vor, wenn der Gesetzgeber nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Tatbestand eingreift ([X.] 114, 258, 300; 101, 239, 263; 95, 64, 86). Sie ist grundsätzlich unzulässig ([X.] aaO) und bedarf für ihre Zulässigkeit einer beson-deren Rechtfertigung ([X.] 72, 200, 242).

Insoweit sind verschiedene Fallgruppen für eine Zulässigkeit aner-kannt (vgl. dazu [X.] in [X.]/[X.], GG 76. EL Art. 20
VII
Rn. 80 ff.; [X.] in [X.]/[X.], GG 12. Aufl. Art. 20 Rn. 72). Die Gesetzes-begründung (BT-Drucks. 17/13947 S.
31 f.) stellt allerdings nicht fest, welchen
dieser anerkannten Gründe der Gesetzgeber als gegeben be-trachtete, um eine Rückwirkung zu rechtfertigen.

Dabei ist zu erkennen, dass der Gesetzgeber von einer geringen Belastung der Versicherer durch die rückwirkende Versicherung im Not-19
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lagentarif ausging, weil die so begründete niedrigere Forderung aus dem [X.] an die Stelle einer in vielen Fällen ohnehin nicht mehr bei-treibbaren höheren Forderung trete, so dass der [X.] für die Versicherungsunternehmen reduziert werde
(BT-Drucks. 17/13947 S. 31 re. Sp. unten). Unter Berücksichtigung dieses Umstands erscheint es möglich, in dem
vom Gesetzgeber beabsichtigten
Schutz von säumigen Versicherungsnehmern vor weiterer Überschuldung einen überwiegenden, zwingenden Grund des Gemeinwohls zu sehen, der [X.] für den
Fall von am Stichtag noch ruhenden Leistungen den Eingriff in eine entstandene und noch nicht ausgeglichene Prämienforde-rung rechtfertigt.

Die Rückwirkungsproblematik
gebietet
eine möglichst enge Ausle-gung. Dies gilt umso mehr,
als der Zweck des Gesetzes, die Zahlungsfä-higkeit des Versicherungsnehmers schneller wiederherzustellen, damit der volle Versicherungsschutz zügig wiedererlangt werden könne, bei ei-nem Versicherten, bei dem kein Ruhen der Leistungen mehr besteht,
be-reits
insoweit erreicht ist, als er
wieder vollen Versicherungsschutz ge-nießt (zutreffend [X.] aaO S.
819).

3. In dieser Auslegung verstößt die Regelung auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs.
1 GG.

Dem Gesetzgeber ist bei der Schaffung von Übergangsregelungen notwendigerweise ein gewisser Spielraum einzuräumen. Denn gerade bei weitreichenden Änderungen ist es unmöglich, die unter dem alten Recht entstandenen und womöglich schon abgewickelten [X.] vollständig dem neuem Recht zu unterstellen. Auch
verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit klare schematische Entscheidungen 23
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über die zeitliche Abgrenzung zwischen dem alten und dem neuen Recht, so dass es unvermeidlich ist, dass sich in der Rechtsstellung der Betroffenen, je nachdem, ob sie dem alten
oder dem neuen Recht zu entnehmen ist, Unterschiede ergeben, die dem Ideal der [X.] widersprechen. Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags-
und anderen [X.] muss sich daher auf die Frage be-schränken, ob der Gesetzgeber
den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die ge-fundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint ([X.] NJW 2013, 2103 Rn.
34 m.w.N.).

Dieser Prüfung hält die Übergangsregelung des Art.
7 [X.] stand, insbesondere weil sie nicht der Beseitigung eines verfassungswid-rigen Zustands diente, sondern lediglich einer materiellen Besserstellung finanziell überforderter Versicherungsnehmer, die alte Rechtslage aber auch unzweifelhaft verfassungsgemäß war (vgl. hierzu [X.] aaO Rn.
35 m.w.N.).

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4. Nach alledem war der Beklagte nicht in den [X.] einzu-stufen und schuldete für den mit der Klage geltend gemachten Zeitraum die ursprüngliche
Prämie. Einwendungen gegen die
vom
Kläger
auf die-ser Grundlage errechnete und von den Vorinstanzen zuerkannte
Höhe der Prämienforderung
sind nicht ersichtlich.

Felsch [X.] [X.]

Dr. Brockmöller Dr. Bußmann

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.04.2015 -
14 [X.] -

[X.], Entscheidung vom 11.11.2015 -
23 [X.]/15 -

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Meta

IV ZR 526/15

06.07.2016

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2016, Az. IV ZR 526/15 (REWIS RS 2016, 8684)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8684

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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