Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.01.2018, Az. 1 StR 368/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 15998

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:090118B1STR368.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 368/17

vom
9. Januar
2018
in der Strafsache
gegen

wegen Steuerhinterziehung u.a.

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und der Beschwerdeführerin am 9.
Januar 2018 gemäß §
349 Abs.
4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 17.
März 2017

soweit es die Angeklagte betrifft

mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in drei
Fällen und vorsätzlicher Verlet-zung der Buchführungspflicht in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ihre Revision hat mit der Verfahrensrüge
Erfolg (§
349 Abs.
4 [X.]).
I.
1.
Die Angeklagte macht zu Recht einen Verfahrensfehler beim Zustan-dekommen der Verständigung geltend, weil ihr vor Abschluss der Vereinbarung 1
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-
3
-
kein Hinweis auf die Anordnung von Bewährungsauflagen nach §
56b Abs.
1 Satz
1
und Abs.
2 Nr.
1, Nr.
3 StGB erteilt worden ist.
a)
Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
In einem Telefonat vom 9.
März 2017 zwischen dem Vorsitzenden und einem der Verteidiger
der
Angeklagten, dessen Inhalt nicht schriftlich festgehal-ten wurde, teilte der Vorsitzende mit, nach Beschränkung des Verfahrensstoffs komme bei der Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten bis zu einem Jahr und drei Monaten in Betracht, deren Vollstreckung zur [X.] ausgesetzt werden könne; als Bewährungsauflage sei eine [X.] oder eine Geldzahlung möglich. Der Verteidiger entgegnete, eine Arbeitsauf-lage scheide aus, über eine Geldzahlung ließe sich reden.
Am 10.
März 2017 kam es zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem [X.] zu einer Verständigung gemäß §
257c [X.]. Das [X.] machte den Verfahrensbeteiligten folgenden Vorschlag:

nach Maßgabe des Hinweisbeschlusses vom 6.

hinsichtlich der Angeklagten

K.

e-i-heitsstrafe von mindestens neun Monaten bis zu einem Jahr und drei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, erfolgen. Als Bewäh-n-

3
4
5
6
-
4
-
Der Vorsitzende erteilte die Belehrung gemäß §
257c Abs.
4, Abs.
5 [X.]. Die Verteidigung der Angeklagten erklärte, als Bewährungsauflage sei eine
[X.] nicht akzeptabel, aber die Erteilung einer Auflage zur Scha-h-[X.] der Staatsanwaltschaft führte aus, er könne sich als [X.]sauflage die Zahlung von 42.000
Euro an die Finanzkasse vorstellen.
Dem Vorschlag des [X.] stimmten die Angeklagte und ihre Ver-spre-

Durch Beschluss der [X.] wurden nach entsprechendem Antrag der Staatsanwaltschaft verschiedene Anklagevorwürfe gemäß §
154 Abs.
2 [X.] eingestellt. Die Angeklagte räumte sodann die verbleibenden Vorwürfe ein.
Am 16.
März 2017 hielt der [X.] der Staatsanwaltschaft sei-nen Schlussvortrag, beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird und als Be-währungsauflage die Rückzahlung der Steuerschuld von 42.514,16
Euro. Die Verteidigung der Angeklagten beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten und stimmte der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Bewährungsauf-lage zu.
Am 17.
März 2017 wurden Urteil und [X.] verkündet. Im 7
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-
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-
Anerkennung einer Rechtspflicht

auf die Haftungsforderung der [X.] in Höhe von 42.514,16
Euro wiedergutzumachen und 200
Stunden ge-meinnützige Arbeit (monatlich mindestens 20
Stunden) zugunsten einer ge-meinnützigen Einrichtung zu erbringen.
Die [X.] hat weder im Rahmen der Verständigung noch bei den Vorgesprächen über ihr Zustandekommen

abgesehen von dem Hinweis des

weitere alternativ oder [X.] konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen erörtert.
Die Beschwerdeführerin sieht in dem Vorgehen des [X.] einen Verstoß gegen §
257c [X.] sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens und macht geltend, das
[X.] habe nicht auf die konkret in Betracht kommen-den Bewährungsauflagen Geldauflage und kumulativ [X.]. Außerdem sei die [X.] auch nicht Teil der Verständigung gewe-sen und habe daher nicht verhängt werden dürfen. Die Angeklagte sei zum Zeitpunkt ihrer Zustimmung davon ausgegangen, dass allein die [X.] als Bewährungsauflage verhängt werden würde. Hätte sie [X.], dass neben der Schadenswiedergutmachung auch eine [X.] verhängt werden würde, hätte sie der Verständigung nie zugestimmt. Das Urteil beruhe in den Feststellungen zum Teil auf ihrer Einlassung zur Sache.
b)
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet.
aa)
Nach der Rechtsprechung des [X.] muss ein [X.] vor einer Verständigung gemäß §
257c [X.], deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf
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-
konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden, die nach §
56b Abs.
1 Satz
1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Straf-aussetzung ist ([X.], Beschlüsse vom 8. September 2016

1
StR
346/16, NStZ-RR
2016, 379, 380
und vom 29.
Januar 2014

4
StR
254/13, [X.]St 59, 172, 174). Nur durch einen solchen vorherigen Hinweis kann sichergestellt wer-den, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist und er deshalb autonom darüber entscheiden kann, ob er von [X.], die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 19.
März 2013

2
BvR
2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1071; siehe auch BT-Drucks. 16/12310, S.
14, 15).
Danach ist es erforderlich, dass das Gericht vor einer Verständigung [X.], dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheits-strafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genug-tuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht, die Bestandteil der Rechtsfolgenerwartung sind und gemäß §
56b Abs.
1 Satz
1 StGB

anders als Bewährungsweisungen gemäß §
56c Abs.
1 Satz
1 StGB (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 7.
Oktober 2014

1
StR
426/14, [X.], 179)

als Genugtuung für begangenes Unrecht eine strafähnliche Sanktion darstellen. Erst die Kenntnis des Umstandes, dass ihm neben der zur [X.] ausgesetzten Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit [X.] drohen, die

wie hier in Form der Zahlungsauflage nebst kumulativ ver-hängter [X.]

eine erhebliche Belastung darstellen können, versetzt den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit, ob er auf das Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen ([X.], Beschlüsse vom 8.
September 2016

16
-
7
-

1
StR
346/16, NStZ-RR
2016, 379, 380;
vom 29.
Januar 2014

4
StR
254/13, [X.]St 59, 172, 174
f. und vom 11.
September 2014

4
StR
148/14, NJW 2014, 3173).
bb)
Diesen Anforderungen hat das [X.] nicht entsprochen, weil der gesamte Umfang der Rechtsfolgenerwartung vor dem Zustandekommen der Verständigung nicht offengelegt wurde. Bei der hier gegebenen Sachlage reichte der Hinweis des Vorsitzenden, eine Bewährungsauflage sei angedacht, nicht aus. Es ist schon fraglich, ob Art und Umfang von Bewährungsauflagen überhaupt im Rahmen der Verständigung nach §
257c [X.] ausgeklammert werden können. Jedenfalls bei der hier explizit erfolgten Ablehnung einer Ar-beitsauflage durch die Angeklagte war deren Verhängung in dem ausgespro-chenen Umfang im Zusammenhang mit der Geldauflage von der Angeklagten nicht vorherzusehen und auch nicht Gegenstand der Verständigung.
2.
Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht das Urteil des [X.]. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich die Angeklagte nicht auf die Ver-ständigung eingelassen hätte, wenn sie vor deren Zustandekommen darauf hingewiesen worden wäre, dass zur Genugtuung für das begangene Unrecht die Erteilung mehrerer Bewährungsauflagen gemäß §
56b StGB

insbeson-dere die von ihr abgelehnte [X.] nach §
56b Abs.
2 Nr.
3 StGB

in Betracht kommt (vgl. [X.], Urteil vom 19.
März 2013

2
BvR
2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1067, 1071; [X.], Beschluss vom 29.
Januar 2014

4
StR 254/13, [X.]St 59, 172, 176).
17
18
-
8
-
II.
Die Aufhebung des Urteils in Bezug auf die Angeklagte entzieht zugleich
dem [X.] vom 17.
März
2017
die Grundlage.
Raum
Jäger
Cirener

Fischer
Hohoff
19

Meta

1 StR 368/17

09.01.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.01.2018, Az. 1 StR 368/17 (REWIS RS 2018, 15998)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15998

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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