Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.07.2022, Az. 5 AV 4/21

5. Senat | REWIS RS 2022, 4860

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Gegenstand

Zuständigkeitsstreit zwischen Verwaltungsgericht und Sozialgericht


Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Gründe

I

1

Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist die Kostentragung für eine stationäre Krankenhausbehandlung. Der Kläger (ein Universitätsklinikum) macht gegenüber der beklagten [X.], welche die Unterbringung einer Person in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Krankenabteilung herbeigeführt hatte, einen Anspruch auf Zahlung von Kosten für die stationäre [X.]ehandlung der im Sinne des [X.] bei psychischen Krankheiten ([X.]) untergebrachten Person geltend.

2

Das vom Kläger zunächst angerufene [X.] hat mit [X.]eschluss vom 28. Dezember 2020 den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen.

3

Das Verwaltungsgericht hat die [X.]eteiligten darauf hingewiesen, dass es sich für unzuständig halte, weil der Rechtsweg zu den Sozialgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Mit [X.]eschluss vom 18. Oktober 2021 hat es den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das [X.] zur [X.]estimmung des zuständigen Gerichts angerufen.

II

4

1. Das [X.] ist zur Entscheidung des negativen [X.]s zwischen dem [X.] und dem [X.] berufen.

5

Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer [X.] zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den [X.] zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Sozialgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des [X.]undes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste [X.] den negativen [X.] zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird. Denn obwohl ein nach § 17a [X.] ergangener und unanfechtbar gewordener [X.]eschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die [X.]indungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 12. November 2021 - 5 AV 1.21 - juris Rn. 5 und vom 7. Februar 2022 - 5 AV 5.21 - juris Rn. 5, jeweils [X.]). Eine solche Situation ist hier gegeben. Sowohl das [X.] als auch das [X.] haben entschieden, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei.

6

2. Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist das [X.] zuständig. Der Verweisungsbeschluss des [X.] vom 28. Dezember 2020 entfaltet gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] [X.]indungswirkung. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss eines Gerichts ausnahmsweise keine [X.]indungswirkung entfaltet, liegen hier nicht vor.

7

Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die [X.]indungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen hat. Mit Rücksicht auf die in § 17a [X.] eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 [X.] vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete [X.]indungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses [X.]falls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 29. Dezember 2021 - 3 AV 1.21 - NVwZ 2022, 421 Rn. 11 und vom 7. Februar 2022 - 5 AV 5.21 - juris Rn. 7, jeweils [X.]).

8

Der Verweisungsbeschluss des [X.] vom 28. Dezember 2020 erweist sich nicht als in dieser Weise qualifiziert fehlerhaft. Das Sozialgericht geht davon aus, dass der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet sei, weil eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art vorliege und die Voraussetzungen für eine die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ausschließende ausdrückliche Zuweisung an die Sozialgerichte nach § 51 SGG, namentlich § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, nicht gegeben sei. Das gelte insbesondere auch, soweit der Kläger den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch auf § 25 [X.] - der grundsätzlich den Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnen kann - stütze. Ob das Sozialgericht dabei [X.] insoweit zu berücksichtigenden [X.]elangen ausreichend Rechnung getragen hat, bedarf keiner Entscheidung, weil sich der Verweisungsbeschluss jedenfalls nicht als völlig unverständlich und offensichtlich unhaltbar oder - wie das [X.] meint - willkürlich erweist.

9

Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in [X.]etracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner [X.]egründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. Dezember 1992 - 5 [X.] - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 5 S. 5 [X.]). Für die Rechtswegeröffnung ist allein die wirkliche Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses und nicht die rechtliche Qualifizierung durch den Kläger maßgeblich ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 17. März 2010 - 7 AV 1.10 - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 29 Rn. 8). [X.]ei der Prüfung des Rechtsweges sind lediglich solche Anspruchsgrundlagen nicht zu berücksichtigen, die aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts offensichtlich nicht gegeben und insbesondere erkennbar vom Rechtssuchenden nur mit dem Ziel erhoben worden sind, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 4. März 2015 - 6 [X.] 58.14 - juris Rn. 11 und vom 30. April 2002 - 4 [X.] 72.01 - juris Rn. 12, jeweils [X.]; [X.]SG, [X.]eschluss vom 25. März 2021 - [X.] 1 SF 1/20 R - juris Rn. 10 [X.]). Dementsprechend steht der Umstand, dass sich der Kläger auf eine materielle Anspruchsgrundlage beruft, für die der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, einer Verweisung dann nicht entgegen, wenn diese Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts so offensichtlich nicht gegeben sein kann, dass kein [X.]edürfnis dafür besteht, die Klage insoweit mit Rechtskraftwirkung abzuweisen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. Dezember 1992 - 5 [X.] - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 5 S. 5 [X.]). Gemessen daran ist es nicht völlig unverständlich oder offensichtlich unhaltbar, dass das [X.] die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten verneint und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen hat.

Nach § 25 Satz 1 [X.] hat derjenige, der in einem Eilfall einem Anderen Leistungen erbracht hat, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen in gebotenem Umfang, wenn er sie nicht auf Grund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat. In der Rechtsprechung des [X.]undessozialgerichts ist insoweit geklärt, dass der Anspruch des [X.] nach § 25 [X.] in Abgrenzung zum Anspruch des Leistungsberechtigten nur dann besteht, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht. Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers bildet insoweit die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des [X.] und des Leistungsberechtigten ([X.]SG, [X.]eschluss vom 1. März 2018 - [X.] 8 [X.] 63/17 [X.] - [X.] 2018, 539 Rn. 8 [X.]). Diese Rechtsprechung hat auch das [X.] seinem Verweisungsbeschluss zugrunde gelegt. Es hat in Anwendung derselben angenommen, dass die [X.]eklagte vor der Unterbringung der Patientin im Krankenhaus Kenntnis von dem möglichen Leistungsfall hatte, weil sie die Unterbringung der betroffenen Person im Krankenhaus selbst initiiert habe und ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, dass die Person möglicherweise nicht krankenversichert gewesen sei und Hilfebedürftigkeit bestanden habe. Damit hat das [X.] nicht - wovon offenbar das [X.] ausgeht - den zu ihm beschrittenen Rechtsweg im Hinblick auf die (bloße) Unbegründetheit der Klage verneint, sondern es hat sich darauf gestützt, dass die Klage unter keinem überhaupt in [X.]etracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkt erfolgversprechend im [X.] verfolgt werden könne, der deshalb nicht eröffnet sei. Ob es insoweit zusätzlich darauf ankommt, dass der Vortrag des [X.] auf die Eröffnung des (nicht gegebenen) Rechtswegs ausgerichtet ist, wie das [X.] meint und wofür vorliegend nichts spricht, bedarf mangels Erheblichkeit keiner Entscheidung. Denn selbst wenn der Verweisungsbeschluss des [X.] insoweit fehlerhaft sein sollte, wäre er nicht völlig unverständlich oder offensichtlich unhaltbar. Gleiches gilt auch, soweit das [X.] andere sozialhilferechtliche Anspruchsgrundlagen nicht in [X.]etracht gezogen hat, namentlich nicht die vom [X.] unter Hinweis auf dessen Urteil vom 7. Januar 2021 - 17 K 4067/20 - angesprochenen §§ 48, 52 Abs. 3 Satz 1 [X.], selbst wenn sich - was der Senat hier nicht zu entscheiden hat - der vom Kläger geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach auf diese Vorschriften stützen lassen können sollte.

Vor dem Hintergrund der Einschätzung des [X.], der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei hier nicht eröffnet, ist auch dessen weitere Annahme, der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet, unabhängig von ihrer Richtigkeit entgegen der Auffassung des [X.] jedenfalls im Ergebnis nicht unhaltbar. Dies ergibt sich schon aus der eingangs dargestellten Regelungssystematik des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO einerseits und des § 51 SGG andererseits, wonach die Verwaltungsgerichte in [X.] nicht ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten entscheiden.

Meta

5 AV 4/21

13.07.2022

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AV

vorgehend VG Hamburg, 18. Oktober 2021, Az: 9 K 653/21, Beschluss

§ 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 51 Abs 1 Nr 6a SGG, § 25 S 1 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.07.2022, Az. 5 AV 4/21 (REWIS RS 2022, 4860)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4860

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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