Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.05.2020, Az. 2 AZR 678/19

2. Senat | REWIS RS 2020, 397

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - Unterrichtung des Betriebsrats


Leitsatz

Die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gehört nicht zu den "Gründen für die Kündigung" iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, über die der Arbeitgeber den Betriebsrat unterrichten muss.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird - unter Verwerfung der Revision als unzulässig im Übrigen - das Urteil des [X.] vom 24. Juli 2019 - 4 [X.] - aufgehoben, soweit darin die nicht das qualifizierte Zwischenzeugnis betreffende Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. Januar 2019 - 5 Ca 955/18 - zurückgewiesen worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger war bei der [X.] bzw. ihren [X.] seit 1982 als Konstruktionsingenieur beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag nimmt Bezug auf die jeweils für den Betrieb geltenden Tarifverträge für die Angestellten der Metallindustrie.

3

Der Personalleiter der [X.] hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 2. März 2018 zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Das Gremium stimmte beiden Kündigungen am 5. März 2018 zu.

4

Mit Schreiben vom 7. März 2018, dem Kläger zugegangen am 8. März 2018, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2018.

5

Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 19. März 2018 den Betriebsrat ergänzend an.

6

Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Es bestehe kein Kündigungsgrund. Die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt und den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Eine ordentliche Kündigung sei ausgeschlossen gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - sinngemäß beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der [X.] vom 7. März 2018 aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die ordentliche Kündigung der [X.] vom 7. März 2018 aufgelöst worden ist;

        

3.    

im Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. und 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Konstruktionsingenieur im Fachgebiet E in dem Geschäftsbereich „B“ weiterzubeschäftigen;

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

        

5.    

hilfsweise für den Fall, dass den Anträgen zu 1. bis 4. nicht stattgegeben wird, die Beklagte zu verurteilen, ihm ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

        

6.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn für März 2018 5.335,47 Euro brutto, für April 2018 7.066,64 Euro brutto, für Mai 2018 1.228,99 Euro brutto, als tarifliche Sonderzahlung 2018 3.886,65 Euro brutto und als zusätzliche tarifliche Urlaubsvergütung 2018 4.135,11 Euro brutto jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach im Einzelnen bezeichneter Staffelung zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist teilweise unzulässig. Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist sie begründet.

A. Die Revision ist hinsichtlich des Antrags auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses unzulässig. Diesbezüglich fehlt es an der erforderlichen eigenständigen Revisionsbegründung (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Annahme der Beklagten hängt der Erfolg dieses Antrags nach der insofern maßgeblichen Argumentationslinie des [X.] nicht von der Unwirksamkeit der Kündigungen ab. Das Berufungsgericht hat vielmehr - im [X.] an das Arbeitsgericht - angenommen, nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung könne der Arbeitnehmer unabhängig von deren Wirksamkeit ein Zwischenzeugnis beanspruchen.

B. Die weitergehende Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das [X.] ihre Berufung gegen das der Klage betreffend die außerordentliche fristlose Kündigung vom 7. März 2018 stattgebende erstinstanzliche Urteil nicht zurückweisen. Ob diese Kündigung wirksam ist, kann der [X.] nicht selbst abschließend entscheiden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) auch in Bezug auf den Antrag gegen die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung, den Weiterbeschäftigungsantrag, den Antrag auf Erteilung eines [X.] und die Zahlungsanträge, soweit das [X.] diesen entsprochen hat.

I. Die vom Berufungsgericht für die Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung gegebene Begründung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Kündigung ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] unwirksam. Die Beklagte musste den Betriebsrat weder über einen Sonderkündigungsschutz unterrichten noch weitere Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB machen.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] unwirksam.

2. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.] reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess ([X.] 26. März 2015 - 2 [X.] - Rn. 46, [X.]E 151, 199). Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.] richtet sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Dieser besteht darin, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglichen (vgl. [X.] 22. September 2016 - 2 [X.] - Rn. 25).

3. Danach musste die Beklagte den Betriebsrat im Hinblick auf die vorrangig beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung nicht darüber unterrichten, dass der Kläger - möglicherweise - einen besonderen Kündigungsschutz genoss. Ungeachtet der Frage, ob ein solcher überhaupt zu den „Gründen für die Kündigung“ iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.] gehören kann, muss ein Arbeitgeber, der außerordentlich fristlos kündigen möchte, dem Betriebsrat jedenfalls nicht mitteilen, dass dem Arbeitnehmer ein Sonderkündigungsschutz zukommt, der - wie § 20 Nr. 4 und Nr. 5 des [X.] für die Metall- und Elektroindustrie in [X.] vom 18. Dezember 2003 ([X.]) - zwar eine ordentliche Kündigung weitgehend ausschließt, die Möglichkeit einer „fristlosen“ Kündigung aber ausdrücklich „unberührt“ lässt. Dem Betriebsrat werden insoweit keine Einwände abgeschnitten. Er kann der Absicht einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in beiden Fällen (ordentliche Kündbarkeit und ordentliche Unkündbarkeit) gleichermaßen entgegensetzen, dem Arbeitgeber sei es zuzumuten, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten (zutreffend [X.] 24. August 2001 - 18 [X.] - zu I 2 b der Gründe). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kündigungsfrist „real“ (ordentliche Kündbarkeit) oder „fiktiv“ (ordentliche Unkündbarkeit) ist. Neben der Sache liegt der Einwand des [X.], der Betriebsrat müsse von einem tariflichen Sonderkündigungsschutz wissen, um beurteilen zu können, ob ein förmlicher Widerspruch nach § 102 Abs. 3 [X.] in Betracht komme. Diese Möglichkeit ist ihm in Bezug auf eine beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung - nicht eine solche mit notwendiger Auslauffrist - in jedem Fall verschlossen.

4. Die Anhörung des Betriebsrats war auch nicht im Hinblick auf die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB fehlerhaft. Die Wahrung der Ausschlussfrist gehört nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.]. Deshalb muss der Arbeitgeber hierzu keine gesonderten Ausführungen machen. Ein solches Erfordernis überdehnte die Zwecke des Anhörungsverfahrens. Es liefe darauf hinaus, dem Gremium die - objektive - Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu ermöglichen (ebenso [X.] 2013, 107, 109; [X.] 11. Aufl. § 102 Rn. 98; siehe auch HaKo-[X.]/[X.] 5. Aufl. § 102 Rn. 69; [X.]/[X.] 2017, 191, 196). Das bedeutet allerdings zum einen nicht, dass der Arbeitgeber nicht angeben müsste, wann der [X.] sich zugetragen hat. Nur so wird es dem Betriebsrat ermöglicht, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden. Zum anderen dürfen dem Betriebsrat mögliche - durch das Gesetz nicht inhaltlich begrenzte - Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung nicht - gezielt - abgeschnitten werden. Das gilt auch für den möglichen Einwand, eine außerordentliche Kündigung sei aus Sicht des Gremiums verfristet. Soweit der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat (freiwillig) Angaben macht, die für die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sind, müssen diese wahrheitsgemäß erfolgen (vgl. [X.] 23. Oktober 2014 - 2 [X.] - Rn. 14). Diesen Anforderungen werden die [X.] vorliegend gerecht. Sie enthalten die erforderlichen Angaben darüber, zu welchem Zeitpunkt sich der [X.] ereignet haben soll.

II. Die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der außerordentlichen fristlosen Kündigung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

1. Das [X.] hat zu Recht gemeint, die Berufung der Beklagten sei, soweit sie Gegenstand einer zulässigen Revision ist (Rn. 11), ausreichend begründet worden. Der Kläger erhebt insofern auch keine Einwände mehr.

2. Die weiteren Angriffe des [X.] gegen die Betriebsratsanhörung gehen fehl.

a) Die Anhörung des Gremiums durch ihren Personalleiter war der Beklagten zuzurechnen (vgl. [X.] 21. Mai 2019 - 2 [X.] - Rn. 24).

b) Das Berufungsgericht hat das [X.] ohne revisiblen Rechtsfehler dahin ausgelegt, der Betriebsrat sei von der Absicht der Beklagten unterrichtet worden, die Kündigungen (auch) als Verdachtskündigungen zu erklären. Im Übrigen wäre andernfalls die außerordentliche Kündigung nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] unwirksam. Vielmehr könnte die Beklagte sie dann im vorliegenden Rechtsstreit nicht (auch) auf den dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung stützen (vgl. [X.] 20. Juni 2013 - 2 [X.] - Rn. 40, [X.]E 145, 278).

c) Sonstige inhaltliche Mängel in der Betriebsratsanhörung sind weder aufgezeigt noch ersichtlich. Der Kläger beanstandet durchweg nur Passagen, in denen die Beklagte aus einer objektiv zutreffenden, als solche nicht unzulässig „angereicherten“ Sachverhaltsschilderung für das Gremium erkennbar tatsächliche bzw. rechtliche Schlussfolgerungen gezogen hat. Das durfte sie. Ob sich diese Annahmen in tatsächlicher (vgl. [X.] 16. März 1978 - 2 [X.] - zu [X.] 3 e der Gründe, [X.]E 30, 176) oder rechtlicher (vgl. [X.] 21. Januar 1988 - 2 [X.] - zu [X.]) Hinsicht als zutreffend erweisen, ist keine Frage der Ordnungsgemäßheit des Anhörungsverfahrens, sondern eine solche der richterlichen Bewertung im Kündigungsschutzprozess.

d) Nach den Feststellungen des [X.] war das Anhörungsverfahren vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung abgeschlossen.

3. Das Vorbringen der Beklagten lässt es als mindestens möglich erscheinen, dass die außerordentliche fristlose Kündigung aufgrund einer schweren Pflichtverletzung des [X.] als Tat- oder doch aufgrund des dringenden Verdachts einer solchen als Verdachtskündigung durch einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt war und innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zugegangen ist.

III. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben. Der [X.] kann aufgrund der fehlenden Feststellungen über den teilweise streitig gebliebenen Sachverhalt nicht selbst über die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 7. März 2018 entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

IV. Die Zurückverweisung umfasst neben dem Antrag gegen die außerordentliche fristlose Kündigung denjenigen gegen die ordentliche Kündigung, den Weiterbeschäftigungsantrag, den Antrag auf Erteilung eines qualifizierten [X.] und die Zahlungsanträge, soweit das [X.] ihnen stattgegeben hat.

V. Für das fortgesetzte Berufungsverfahren sieht sich der [X.] zu folgenden weiteren Hinweisen veranlasst:

1. Die Beklagte stützt die außerordentliche fristlose Kündigung auf zwei Vorwürfe, die jeder für sich einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abgeben könnten. Zum einen lastet sie dem Kläger an, zu ihrem Nachteil oder doch gegen ihren Willen die Firma P. beauftragt zu haben. Zum anderen geht sie davon aus, der Kläger habe pflichtwidrig seinen Dienstlaptop nebst Benutzername und Passwort einem Dritten - mutmaßlich [X.] - zum Zwecke von Zugriffen auf ihren Firmenserver überlassen.

2. Es spricht vieles dafür, dass die Beklagte bezogen auf den ersten, ihr bei Zugang der außerordentlichen fristlosen Kündigung bekannten Grund (Beauftragung der Firma P.) die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat. Insofern wird das [X.] ua. zu beachten haben, dass das Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist stets voraussetzt, dass dem [X.] die Tatsachen bereits im Wesentlichen bekannt und nur noch zusätzliche Ermittlungen erforderlich sind oder doch erscheinen dürfen, wie etwa die Anhörung des Betroffenen bei einer Verdachtskündigung oder die Ermittlung von gegen eine Kündigung sprechenden Tatsachen. Hingegen besteht keine Obliegenheit des Arbeitgebers, ohne eine solche Tatsachenkenntnis den Arbeitnehmer belastende Tatsachen zu ermitteln, die einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung begründen, den Sachverhalt also erst in diesen Bereich heben ([X.] 27. Februar 2020 - 2 [X.] - Rn. 31 und Rn. 36). Jedenfalls dürfte die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB in Bezug auf den nachgeschobenen Kündigungsgrund (Weitergabe des [X.]s) gewahrt sein.

3. Der Kläger hat - soweit ersichtlich - nicht bestritten, seinen [X.] an [X.] weitergegeben zu haben, sondern lediglich vorgetragen, ein anderer Sachverhalt sei denkbar. Damit hätte er es entgegen § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO unterlassen, den tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablauf darzustellen (vgl. [X.] 31. Januar 2019 - 2 [X.] - Rn. 45, [X.]E 165, 255), was zur [X.] des § 138 Abs. 3 ZPO führte. Nur für den Fall einer nicht auszuschließenden Ergänzung des klägerischen Vorbringens weist der [X.] vorsorglich darauf hin, dass für eine auf diesen Vorwurf gestützte Tatkündigung ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erforderlich, aber auch ausreichend wäre, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen. Das Nichterreichen eines hinreichenden Grads an Gewissheit, dass der Kläger den [X.] einem Dritten zum Zwecke von Zugriffen auf den Server der Beklagten überlassen habe, könnte daher nicht allein darauf gestützt werden, es seien andere Erklärungen „theoretisch denkbar“ (vgl. [X.] 31. Januar 2019 - 2 [X.] - Rn. 36, aaO; 25. April 2018 - 2 [X.] - Rn. 24 ff.).

4. Der auf die Interessenabwägung bezogene Einwand des [X.], seine Ingenieurskollegen seien nicht einmal abgemahnt worden, verfängt nicht. Eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes scheidet bei einer Tat- oder Verdachtskündigung weitgehend aus (vgl. [X.] 16. Juli 2015 - 2 [X.] - Rn. 76). Vorliegend sind die Sachverhalte nicht einmal annähernd vergleichbar. Unstreitig war der Kläger [X.]“ hinter der „Werkvertragslösung“. Herr P. war dessen Schwiegersohn in spe. Zudem wird nur dem Kläger vorgeworfen, seinen Dienstlaptop einem Dritten überlassen zu haben.

5. Mit der vom Kläger selbst vorgetragenen Äußerung „Davon will ich nichts wissen“ dürfte der Abteilungsleiter unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, dass nach seiner Einschätzung eine „Werkvertragslösung“ betreffend [X.] nicht dem Willen der Geschäftsführung entsprach. Sollte der Abteilungsleiter zugleich - wenigstens aus Sicht des [X.] - zum Ausdruck gebracht haben, er billige diese Lösung, wolle sich aber nicht aktiv an ihr beteiligen, könnte dies den Kläger nicht entlasten. Im Gegenteil: Eine solche kollusive „Absprache“ hätte das Gewicht der Pflichtverletzung noch verstärkt, weil der gegenüber der Beklagten begangene [X.] angesichts eines „wegschauenden“ Vorgesetzten vergleichsweise sicher vor Entdeckung hätte umgesetzt werden können (vgl. [X.] 13. Dezember 2018 - 2 [X.] - Rn. 53).

6. Angesichts der Schwere der Vorwürfe spricht nichts dafür, dass das [X.] annehmen könnte, es komme zwar keine außerordentliche fristlose, wohl aber eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht. Deshalb kann zum einen dahinstehen, ob - wofür indes vieles spricht - die Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, der Kläger habe aufgrund vertraglicher Inbezugnahme Sonderkündigungsschutz nach § 20 Nr. 4 [X.] genossen. Zum anderen bedarf keiner Entscheidung, ob ggf. die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 140 BGB in eine solche mit notwendiger Auslauffrist umgedeutet werden könnte, weil der Betriebsrat sowohl der außerordentlichen fristlosen als auch der ordentlichen Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat, und wie es sich in diesem Zusammenhang auswirkt, dass das Gremium die nachgeschobenen Ausführungen lediglich „zur Kenntnis genommen“ hat.

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krüger    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

2 AZR 678/19

07.05.2020

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Dortmund, 22. Januar 2019, Az: 5 Ca 955/18, Urteil

§ 102 Abs 1 BetrVG, § 626 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.05.2020, Az. 2 AZR 678/19 (REWIS RS 2020, 397)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 397

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 AZR 736/13 (Bundesarbeitsgericht)

Außerordentliche Kündigung - Anhörung des Betriebsrats - subjektive Determinierung


2 AZR 194/22 (Bundesarbeitsgericht)

Außerordentliche Kündigung wegen Bedrohung - versehentlich falsche Angabe von Sozialdaten gegenüber dem Betriebsrat - Kenntnis …


2 AZR 457/20 (Bundesarbeitsgericht)

Kündigung - Prozessbeschäftigung - Selbstbeurlaubung


2 AZR 238/20 (Bundesarbeitsgericht)

Außerordentliche Kündigung - Betriebsratsmitglied - Kündigungserklärungsfrist


2 AZR 551/16 (Bundesarbeitsgericht)

Außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung - Entlassungsverlangen des Betriebsrats


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.