BT-Drucksache 18/9928

Transparenz über nanomaterialhaltige Produkte auf dem deutschen Markt

Vom 4. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9928
18. Wahlperiode 04.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Harald Ebner,
Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Steffi Lemke, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz über nanomaterialhaltige Produkte auf dem deutschen Markt

Nanomaterialien werden in Deutschland in zahlreichen Produkten eingesetzt,
ohne dass die für die Marktüberwachung zuständigen Behörden einen Überblick
über die Anwendungsbereiche hätten. Ohne genau zu wissen, welche Arten von
Nanomaterialien worin in welchen Mengen eingesetzt werden, können die Be-
hörden die von den Stoffen potenziell ausgehenden Risiken für Umwelt und Ge-
sundheit nur eingeschränkt bewerten. Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlt
die Wahlfreiheit, sich bewusst für oder gegen nanomaterialhaltige Produkte zu
entscheiden.
Umwelt- und Verbraucherschutzverbände sprechen sich deshalb seit Jahren für
ein Nanoproduktregister aus (siehe Bericht „Abschlusskonferenz der Nano-
kommission“, März 2011, S. 12: www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/
Download_PDF/Nanotechnologie/nanodialog_2_abschlusskonferenz_bf.pdf).
Bereits 2009 hat das Europäische Parlament die Europäische Kommission mit
fast einstimmiger Mehrheit aufgefordert, eine umfassende, öffentlich zugängliche
Bestandsaufnahme über die auf dem Markt vorhandenen Nanomaterialien bzw.
nanomaterialhaltigen Produkte zu schaffen. Auch der Sachverständigenrat für
Umweltfragen hat 2011 in seinem Sondergutachten zu Nanotechnologie die Ein-
richtung eines Nanoregisters empfohlen. Der Bundesrat forderte die Bundesregie-
rung 2013 auf, sich auf EU-Ebene nachdrücklich für ein europaweites Nanopro-
duktregister einzusetzen (http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2013/0344-13.pdf).
Die Europäische Kommission kündigte Ende 2012 an, eine Folgenabschätzung
der Kosten und Nutzen eines europaweiten Registers durchzuführen. Die Ergeb-
nisse der Folgeabschätzung liegen immer noch nicht vor. Dessen ungeachtet hat
die EU-Kommission im März dieses Jahres den Forderungen nach einem Nano-
register eine Absage erteilt und stattdessen die Errichtung eines „Nano Obser-
vatory“ angekündigt, das bestehende Informationen zusammentragen soll. Neue
Daten über das Vorkommen von nanomaterialhaltigen Produkten auf dem euro-
päischen Markt sollen nicht erhoben werden (https://chemicalwatch.com/45776/
commission-rejects-idea-of-eu-nano-register?q=observatory).
Nach Ansicht des Umweltbundesamtes ist das vorgeschlagene „Nano
Observatory“ nicht geeignet, das Ziel der Transparenz über Art, Menge und
Anwendungen von Nanomaterialien auf dem europäischen Markt zu errei-
chen (www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/
nanomaterialien_in_der_umwelt.pdf).

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Zahlreiche EU-Mitgliedstaaten sind aufgrund der Untätigkeit der Europäischen
Kommission bereits auf nationaler Ebene aktiv geworden. In Frankreich müs-
sen Hersteller, Importeure und Händler seit 2013 den Handel mit Nanomateri-
alien in Mengen über 100 Gramm melden. Dänemark, Belgien und Norwegen
haben ebenfalls Nanoregister eingeführt. Weitere Länder, wie Schweden und
Italien, wollen nachziehen (www.chemsafetypro.com/Topics/EU/Regulations_
on_Nanomaterials_in_EU_and_Nano_Register.html).
Im kürzlich von der Bundesregierung beschlossenen „Aktionsplan Nanotechno-
logie 2020“ ist dagegen von einem Nanoregister keine Rede.
Auf EU-Ebene gibt es darüber hinaus weitere Anforderungen für mehr Transpa-
renz: Laut Kosmetikverordnung hätte die Europäische Kommission bis Januar
2014 eine Bestandsaufnahme über alle in Kosmetika verwendeten Nanomateria-
lien auf dem europäischen Markt veröffentlichen sollen, ein solcher Katalog
wurde bisher nicht vorgelegt.
Die Lebensmittelinformationsverordnung schreibt seit Dezember 2014 vor, dass
Lebensmittel, die technisch hergestellte Nanomaterialien enthalten, gekennzeich-
net werden müssen. Im Frühjahr 2016 hat die französische Umweltschutzorgani-
sation Agir pour L’Environment vier Lebensmittel getestet, die alle Nanomateri-
alien enthielten, jedoch nicht entsprechend gekennzeichnet waren (www.
agirpourlenvironnement.org/sites/default/files/communiques_presses/Rapport%
20LNE_P156452.DMSI_.001-VC.pdf).
Neben den Versäumnissen, Transparenz über die auf dem Markt befindlichen
nanomaterialhaltigen Produkte herzustellen, verschleppt die Europäische Kom-
mission nach Ansicht der Fragesteller auch die Anpassung der europäischen
Chemikalienverordnung REACH an die Besonderheiten von Nanomaterialien.
Anfang 2013 einigten sich Europäische Kommission und Mitgliedstaaten da-
rauf, die Anhänge der REACH-Verordnung anzupassen, damit die Anforderun-
gen an Nanomaterialien vor dem Ablauf der letzten Stoff-Registrierungsfrist im
Mai 2018 in Kraft treten. Seitdem blieb die Europäische Kommission weitge-
hend untätig. Mit dem Resultat, dass sie im März 2016 eingestehen musste, dass
den Registranten auch für die dritte Registrierungsphase keine nanobezogenen
Vorschriften an die Hand gegeben werden können. Das Umweltbundesamt geht
davon aus, dass viele der marktrelevanten Nanomaterialien in diese Registrie-
rungsperiode fallen (www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/
publikationen/nanomaterialien_in_der_umwelt.pdf). Nanomaterialien fallen also
auch weiterhin durch die Lücken der Gesetzgebung.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die Ankündigung der Europäischen Kom-

mission, statt eines Nanoregisters ein „Nano Observatory“ einzurichten, das
nach Auffassung der Fragesteller zu keinen neuen Transparenzpflichten
führt, sondern lediglich bereits bekannte Informationen zusammenträgt?

2. Teilt die Bundesregierung die oben genannte Kritik des Umweltbundesamtes
am „Nano Observatory“ hinsichtlich der Verfehlung des Transparenzziels
bei der Nutzung von Nanomaterialien?
Wenn nein, warum nicht?

3. Welche Vorteile bietet aus Sicht der Bundesregierung ein Nanoproduktregis-
ter für deutsche Behörden bei der Genehmigungs- und Überwachungspraxis,
etwa im Bereich Arbeitsschutz, sowie im Falle von Rückrufen und anderen
Risikomanagementmaßnahmen, die bei neuen Erkenntnissen zu Gesund-
heitsgefährdungen nötig sein können?

4. Wie und wann hat sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für ein europa-
weites Nanoregister eingesetzt (bitte Aktivitäten konkret spezifizieren)?

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5. Plant die Bundesregierung die Errichtung eines nationalen Nanoregisters,
nachdem die Europäische Kommission einem europaweiten Register eine
Absage erteilt hat?
Wenn ja, wie sieht der Zeitplan aus?
Wenn nein, warum nicht?

6. Falls die Bundesregierung ein nationales Nanoproduktregister ablehnt, durch
welche Maßnahmen will sie dann die nötige Transparenz und Wahlfreiheit
für Verbraucherinnen und Verbraucher in Bezug auf Produkte mit Nanoma-
terialien herstellen?

7. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor über die Art und An-
zahl der Produkte auf dem deutschen Markt, die Nanomaterialien enthalten?

8. Welche Nanomaterialien werden nach Kenntnis der Bundesregierung in die-
sen Produkten eingesetzt, in welchen Produkten kommen Nanomaterialien
vor allem zum Einsatz?

9. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor über die Art und An-
zahl der Kosmetikprodukte auf dem deutschen Markt, auf denen angegeben
werden muss, dass sie Nanomaterialien enthalten?

10. Wie viele Unternehmen gibt es in Deutschland nach Kenntnis der Bundesre-
gierung, die Kosmetika mit Nanomaterialien in ihrem Sortiment führen?

11. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor über die Verständlich-
keit der Kennzeichnung „(nano)“ auf Kosmetikprodukten für Verbraucherin-
nen und Verbraucher?

12. Welche Erkenntnisse/Daten liegen der Bundesregierung vor über die Höhe
des Eintrags von Nanomaterialien in die Umwelt aus umweltoffenen Anwen-
dungsbereichen?

13. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Eintragsmengen und
ökologische Wirkungen von Nanomaterialien in Gewässern vor?

14. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, mit welchen
Nanomaterialien Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland in Be-
rührung kommen?

15. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung vor über die Anzahl der Le-
bensmittel auf dem deutschen Markt, die technisch hergestellte Nanomateri-
alien enthalten (bitte eine Übersicht mit Produktnamen und enthaltenem Na-
nomaterial erstellen)?

16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die im Rahmen der behörd-
lichen Lebensmittelüberwachung stattfindenden Kontrollen hinsichtlich na-
nomaterialhaltiger Lebensmittel?

17. Wie geht die Bundesregierung mit der Absage der Europäischen Kommis-
sion um, die Lücken in der gesetzlichen Regulierung von Nanomaterialien
zu schließen?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die Einführung einer eigenständigen Rah-
mengesetzgebung für Nanomaterialien, die in der Vergangenheit von Um-
weltverbänden und EU-Mitgliedsländern wie Schweden ins Spiel gebracht
wurde?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die nach Ansicht der Fragesteller aktuell
bestehenden Lücken in der Regulierung von Nanomaterialien im Hinblick
auf das Prinzip der Chemikalienverordnung REACH „Keine Daten, kein
Markt“ und das Vorsorgeprinzip?

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20. Erwägt die Bundesregierung eine Klage gegen die Europäische Kommission

vor dem Europäischen Gerichtshof, da die Europäische Kommission es nach
Information der Fragesteller entgegen der Vorgaben in der Kosmetikverord-
nung versäumt hat, bis Januar 2014 eine Bestandsaufnahme über alle in Kos-
metika verwendeten Nanomaterialien auf dem europäischen Markt vorzule-
gen und bis heute keine solche Aufstellung vorgelegt wurde?
Wenn nein, warum nicht?

21. Inwieweit sieht die Bundesregierung Verbesserungsbedarf bei der Risikobe-
wertung von Nanomaterialien?

22. Setzt sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für Zulassungsverfahren für
Nanomaterialien analog zu Pestizidwirkstoffen und gentechnisch veränder-
ten Organismen ein, und wenn nein, warum nicht?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie in den USA bzw.
Kanada die Kennzeichnung und Registrierung von Nanomaterialien momen-
tan reguliert sind und inwieweit in beiden Staaten auf Regierungsebene die
Einführung eines Nanoproduktregisters erwogen wird?

24. Inwieweit unterliegt nach Kenntnis der Bundesregierung der Bereich Nano-
materialien der Regulatorischen Kooperation im Rahmen der geplanten Frei-
handelsabkommen TTIP und CETA?

Berlin, den 4. Oktober 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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