BT-Drucksache 18/9913

Besondere Maßnahmen zur technischen Überwachung

Vom 4. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9913
18. Wahlperiode 04.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Martina Renner, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Katrin Kunert, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Besondere Maßnahmen zur technischen Überwachung

Ende August 2016 wurde bekannt, dass das Bundeskriminalamt (BKA) bei den
Ermittlungen gegen Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppe „Oldschool
Society“ (OSS) im Jahr 2015 einen ungewöhnlichen Weg gewählt hatte, um die
Kommunikation der Verdächtigen abzufangen und zu überwachen (https://
motherboard.vice.com/de/read/exklusiv-wie-das-bka-telegram-accounts-von-
terrorverdaechtigen-knackt; https://netzpolitik.org/2016/bundeskriminalamt-
knackt-telegram-accounts/). So konnte es unverschlüsselte Chats sowie Grup-
penchats mit mehr als drei Personen mitlesen. Mit ihrem Vorgehen konnten die
Ermittler des BKA sowohl die aktuelle Chat-Kommunikation als auch zurücklie-
gende Chat-Verläufe einsehen. Die vom BKA benutzte Methode wurde schon im
Iran eingesetzt, um so gegen Dissidenten vorzugehen.
Zwar stützt sich die Generalbundesanwaltschaft (GBA) im Prozess gegen die
Mitglieder der OSS vor dem Oberlandesgericht München nicht unmittelbar auf
die so erlangten Kommunikationsinhalte sondern auf andere Inhalte aus der Te-
lekommunikationsüberwachung (TKÜ). Jedoch hält sie das Vorgehen des BKA
dennoch für rechtmäßig und gesetzeskonform.
Durch den Prozess gegen die OSS und die Berichterstattung über den Telegram-
Hack wird ein weiteres Mal die Frage aufgeworfen, zu welchen Grundrechtsein-
griffen die Strafverfolgungsbehörden befugt sind, wenn sie eine Telekommuni-
kationsüberwachungsmaßnahme durchführen wollen, die einen Eingriff in infor-
mationstechnische Systeme voraussetzt (bis hin zum Wohnungseinbruch zur In-
stallation eines entsprechenden Trojaners auf dem Zielgerät).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In wie vielen Fällen seit dem Jahr 2010 hat das BKA die Kommunikation

von Betroffenen durch Empfangsgeräte erfasst und erhoben, indem jene für
die Betroffenen nicht erkennbar in eine von ihnen genutzte Kommunikati-
onsplattform (Mail, Chat etc.) zugeschaltet wurden (bitte auflisten nach Jahr,
Anzahl und jeweiligem Tatvorwurf)?
a) In wie vielen Fällen wurde eine Authentifizierung des zusätzlichen Emp-

fangsgerätes im Namen der Betroffenen jedoch ohne ihre Kenntnis und
allein durch das BKA vorgenommen?

b) In wie vielen Fällen wurden Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater
Lebensgestaltung erlangt?

Drucksache 18/9913 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Welche richterliche Anordnung hat im Fall der TKÜ gegen Mitglieder der
OSS die GBA zur Einrichtung eines weiteren verdeckten Empfangsgerätes
für den Messengeraccount des Beschuldigten eingeholt?

3. In wie vielen Fällen seit dem Jahr 2010 hat das Bundesamt für Verfassungs-
schutz (BfV) die Kommunikation von Betroffenen durch Empfangsgeräte er-
fasst und erhoben, indem diese für die Betroffenen nicht erkennbar in eine
von ihnen genutzte Kommunikationsplattform (Mail, Chat etc.) zugeschaltet
wurden (bitte auflisten nach Jahr, Anzahl und jeweiligem Anlass)?
a) In wie vielen Fällen wurde eine Authentifizierung des zusätzlichen Emp-

fangsgerätes im Namen der Betroffenen, jedoch ohne ihre Kenntnis und
allein durch das BfV vorgenommen?

b) In wie vielen Fällen wurden Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater
Lebensgestaltung erlangt, wie werden solche Erkenntnisse erkannt und
nach welchem Verfahren gelöscht?

4. In wie vielen Fällen seit dem Jahr 2010 hat die Bundespolizei die Kommu-
nikation von Betroffenen durch Empfangsgeräte erfasst und erhoben, indem
diese für die Betroffenen nicht erkennbar in eine von ihnen genutzte Kom-
munikationsplattform (Mail, Chat etc.) zugeschaltet wurden (bitte auflisten
nach Jahr, Anzahl und jeweiligem Anlass)?
a) In wie vielen Fällen wurde eine Authentifizierung des zusätzlichen Emp-

fangsgerätes im Namen der Betroffenen jedoch ohne ihre Kenntnis und
allein durch die Bundespolizei vorgenommen?

b) In wie vielen Fällen wurden Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater
Lebensgestaltung erlangt, wie werden solche Erkenntnisse erkannt und
nach welchem Verfahren gelöscht?

5. In wie vielen Fällen seit dem Jahr 2010 hat der Zoll die Kommunikation von
Betroffenen durch Empfangsgeräte erfasst und erhoben, indem diese für die
Betroffenen nicht erkennbar in eine von ihnen genutzte Kommunikations-
plattform (Mail, Chat etc.) zugeschaltet wurden (bitte auflisten nach Jahr,
Anzahl und jeweiligem Anlass)?
a) In wie vielen Fällen wurde eine Authentifizierung des zusätzlichen Emp-

fangsgerätes im Namen der Betroffenen jedoch ohne ihre Kenntnis und
allein durch den Zoll vorgenommen?

b) In wie vielen Fällen wurden Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater
Lebensgestaltung erlangt, wie werden solche Erkenntnisse erkannt und
nach welchem Verfahren gelöscht?

c) Welche rechtlichen Vorgaben sind bei einem solchen Vorgehen grund-
sätzlich zu beachten?

6. Wie stellen die Sicherheitsbehörden des Bundes sicher, dass anlässlich sol-
cher Maßnahmen nicht allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten
Lebensgestaltung erlangt werden?

7. Besitzt die Bundesregierung Kenntnis von Firmengründungen durch Bun-
desbehörden mit dem Ziel, (sichere) Kommunikationsmöglichkeiten anzu-
bieten (bitte nach Jahr der Firmengründung, Behörde und Art des entwickel-
ten Produkts beantworten)?

8. Besitzt die Bundesregierung Kenntnis von Firmengründungen durch Dritte
im Auftrag oder auf Anweisung von Bundesbehörden mit dem Ziel (sichere)
Kommunikationsmöglichkeiten anzubieten (bitte nach Jahr der Firmengrün-
dung, Behörde und Art des entwickelten Produkts beantworten)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9913
9. Bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung seitens Bundesbehörden An-
weisungen an verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler und/oder an V-Leute,
in den jeweiligen Milieus auf die Nutzung bestimmter Kommunikationsplatt-
formen hinzuwirken bzw. gegen die Nutzung bestimmter Kommunikations-
plattformen zu wirken (bitte nach Bundesbehörde, Art der Einflussnahme,
fraglichen Kommunikationsplattformen und Phänomenbereich aufschlüs-
seln)?

Berlin, den 30. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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