BT-Drucksache 18/9803

Den Holzbau und das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen stärken

Vom 28. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9803
18. Wahlperiode 28.09.2016
Antrag
der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, Harald Ebner,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Steffi
Lemke, Dr. Julia Verlinden, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den Holzbau und das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Innovationen und Werkstoffentwicklungen eröffnen dem Bauen mit Holz und ande-
ren Baustoffen aus nachwachsenden Rohstoffen ursprüngliche Potenziale (zurück).
Wissenschaftliche Untersuchungen bescheiden dem modernen Holzbau eine lange
Lebensdauer und hohe Wertbeständigkeit. Und nicht zuletzt können die modernen
Holzbauweisen die brandschutztechnischen Anforderungen erfüllen. So ist längst –
auch und gerade anhand von Bauvorhaben in Berlin – der Nachweis erbracht wor-
den, dass das brandschutztechnische Sicherheitsniveau bei mehrgeschossigen Holz-
bauten in moderner Bauweise erreicht wird. Die entsprechenden Ergebnisse trugen
dazu bei, im Rahmen der Novellierung der Musterbauordnung (MBO) im Jahr 2002,
die Möglichkeit zu schaffen, bis zu fünfgeschossige Holzbauten errichten zu können.
Allerdings bleibt dieses Segment des Bauwesens den Dämmstoffen aus nachwach-
senden Rohstoffen unverändert verwehrt, auch wenn mittlerweile einzelne Bauvor-
haben die technisch-faktische Machbarkeit – auf der Grundlage individueller Brand-
schutzkonzepte – verdeutlichen.
Am 30. September werden mit HBCD behandelte Dämmstoffe als Sondermüll ein-
gestuft, wenn der Gehalt an persistenten organischen Schadstoffen gleich oder grö-
ßer der im Anhang IV der EU-POP-VO gelisteten Grenzwerte ist. Damit steht
Deutschland vor einem massiven Entsorgungsproblem mit enormen ökonomischen
und ökologischen Folgen für Eigenheimbesitzer und die Wohnungswirtschaft.
Gleichzeitig bleibt abzuwarten, ob die momentan genutzten Flammschutzmittel in
den Dämmstoffen aus Polystyrol wirklich besser sind, oder ob diese in einigen Jah-
ren auch zu Sondermüll erklärt werden.
Mit Blick auf diese Millionen Kubikmeter Sondermüll ist es unverständlich, dass die
Bau- und Immobilienwirtschaft, aber auch die Bundesregierung keine Lehren daraus
zieht und die Hemmnisse für nachwachsende Rohstoffe im Baubereich abzubauen.
Leider spiegelt sich das auch im Haushallt 2017 wieder. Auch die Antwort der Bun-
desregierung auf die Kleine Anfrage 18/9156 zu nachwachsenden Rohstoffen im
Baubereich unterstreicht leider diese Haltung.

http://sysinfo.bundestag.btg:8888/infonutzer/faces/Einfachsuche?_adf.ctrl-state=9uj7npqi4_3
Drucksache 18/9803 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bisher wird nachhaltiges Bauen im Wesentlichen mit Energiesparen in der Nut-
zungsphase korreliert. Diese Betrachtung greift aber zu kurz, ist sogar irreführend.
Für die Erstellung eines Gebäudes wird das 20-25-fache der Energie benötigt, die
dieses Gebäude später pro Jahr benötigt. Zwar ist die Nutzungsphase eines Gebäudes
i. d. R. viele Jahrzehnte, dennoch stellt sich die Frage, wie zielführend es ist, ledig-
lich den Energieverbrauch in der Nutzungsphase zu betrachten.
Herkömmliche Wärmedämmverbundsysteme (umgangssprachlich: Vollwärme-
schutz) ist schwer zu recyceln, denn es werden zwischen 5 und 15 Baustoffe mitei-
nander verklebt beziehungsweise verbaut. Eine sortenreine Trennung dieser Bau-
stoffe ist – kaum noch möglich. So werden allein in Deutschland täglich mehrere
10.000 Kubikmeter zukünftiger (Sonder-)Müll produziert. Trotzdem stellt die Bun-
desregierung alternative, ökologische und nachhaltig wirkende Baustoffe in der öf-
fentlichen Fördersystematik nicht besser. Diese sind in den KfW-Gebäudesanie-
rungsprogrammen mit Dämmstoffen auf petrochemischer Basis gleichgestellt, ohne
aber die benötigte Produktionsenergie widerzuspiegeln. Die bei Dämmstoffen auf
petrochemischer Basis im Vergleich zu nachhaltigen Baustoffen ein Vielfaches hö-
her ist. Hinzukommt, dass konventionelle Dämmstoffe aufgrund der Steuerbefreiung
für die stoffliche Nutzung von Erdöl einen Marktvorteil gegenüber nicht erdölba-
sierten Baustoffen haben, und dadurch billiger sind.
Trotz Klimakrise ist nach wie vor Beton auf Basis des energieintensiven Zementes
der Baustoff der Wahl. Unternehmen der Zementindustrie sind als energieintensive
Unternehmen bislang in erheblichem Umfang von Energiesteuern und CO2-Kosten
befreit und haben von daher wenig Anreiz zur Umstellung ihrer Produktion auf öko-
logischere Alternativen. Die Zementindustrie ist außerdem einer der größten Nutzer
von Ersatzbrennstoffen aus Abfall, was dem Ziel einer Kreislaufwirtschaft deutlich
entgegensteht.
Dies trifft nicht nur für den Gebäudebau zu, sondern auch auf den Straßenbau. So
können Brücken, sofern sie eine bestimmte Traglast nicht überschreiten, ebenfalls in
Holzbauweise gebaut werden. Insbesondere Fußgängerbrücken oder Brücken für
Wirtschaftswege, Wildbrücken bzw. niedrig belastete Straßen können so deutlich
umweltfreundlicher gebaut werden.
Durch die Substitution von Stahl und Beton durch Holz in Kombination mit weiteren
Baustoffen aus nachwachsenden Rohstoffen kann der Ausstoß von CO2 in die At-
mosphäre erheblich verringert werden. Für jeden Kubikmeter Holz, der als Substitut
für konventionelle Baumaterialien eingesetzt wird, gelangt ungefähr eine Tonne CO2
weniger in die Atmosphäre (Martin Höbarth, Holzverwendung als Beitrag zum Kli-
maschutz, Nachhaltiger Klimaschutz – BMLFUW). Dies beruht bei der Entstehung
von Holz im Zuge der Fotosynthese auf dem biochemischen Prozess der Aufspaltung
von CO2 in Sauerstoff und Kohlenstoff, der in Zellulose eingelagert den Grundstoff
für Holz bildet. Bei einer 70 m2 großen Wohnung in einem mehrgeschossigen
Wohnhaus entspricht dies, je nach Bautechnik, zwischen 15 und 25 Tonnen CO2.
Klimaschutz lässt sich damit auch in hohem Maße im Baubereich erreichen, wenn
auf nachwachsende Rohstoffe gesetzt wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine nationale Holzbaustrategie für Hochbau und Ingenieurbau beispielweise
nach schwedischem Vorbild aufzulegen, um

2. den Einsatz ökologischer Baustoffe im Neubau und bei energetischer Sanierung
zu fördern, indem:
a) ein Modellprogramm für ökologische Baustoffe mit einem Programmvo-

lumen in Höhe von 20 Mio. Euro initiiert wird;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9803

b) bei den Programmen der KfW-Bankengruppe für Neubau und Sanierung
die Verwendung von kohlenstoffspeichernden Baumaterialien auf Grund-
lage nachwachsender Rohstoffe stärker unterstützt werden, beispielsweise
in Form eines Standards „Effizienzhaus Nature+“ der KfW-Bankengrup-
pe;

c) Standards für den Energiebedarf zur Herstellung von Baustoffen einge-
führt werden, die den gesamten Lebenszyklus der Baustoffe vollumfäng-
lich, d. h. inklusive Herstellung und Entsorgung, berücksichtigen;

d) bei Energieausweisen für Gebäude über die Angabe des Energiebedarfs
hinaus eine Nachhaltigkeitsbewertung des im Rahmen der Lebenszyklus-
betrachtung der Gebäude eingeführt wird, und damit auch bei Erstellung
und Abbruch der Gebäude sowie durch die Herstellung und Entsorgung
der Baustoffe erfasst wird, eingeführt wird;

e) Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen bei brandschutztechnischen
Anforderungen gegenüber konventionellen Baustoffen in ihrer, an den
Schutzzielen ausgerichtete Leistungsfähigkeit nicht benachteiligt werden;

f) die Entwicklung einer einheitlichen Zertifizierung von ökologischen Bau-
stoffen und einer einheitlichen Zertifizierung von Gebäuden unterstützt
wird,

3. eine Initiative für eine Musterbauordnung Holz zu starten,
4. bei der Novellierung der Energieeinspar-Verordnung (EnEV) zusätzlich die

Umweltauswirkungen zur Bereitstellung der sog. Grauen Energie bei der Her-
stellung von Bau- und Dämmstoff zu berücksichtigen,

5. zu einer Selbstverpflichtung des Bundes, bei allen zukünftigen Neubauvorha-
ben für mindestens 20% der konstruktiv bzw. wärmeschutztechnisch notwen-
digen Bauteile Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen einzusetzen,

6. die Subventionierung petrochemischer Kunststoffe und CO2-intensiver Bau-
stoffe abzubauen, indem:
a) die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl abgeschafft wird;
b) Energie- und Stromsteuersubventionen für die energieintensive Herstel-

lung von Baustoffen wie Zement und Keramik nur gewährt werden, wenn
die Produktion ansonsten nachweislich von der Verlegung ins weniger
stark regulierte Ausland bedroht wäre und die Umsetzung von Energieef-
fizienzmaßnahmen nachweisen werden kann,

7. die Forschung im Bereich ökologischer Baustoffe zu stärken, indem: der As-
pekt Wohngesundheit und Schadstoffemissionen im Wohnbereich im Rahmen
der Ressortforschung stärker berücksichtigt wird und verstärkt Maßnahmen zur
Reduktion von Schadstoffemissionen im Wohnbereich entwickelt werden,

8. ein Förderprogramm zur Finanzierung von Luftschadstoffmessungen und ggf.
notwendigen Schadstoffsanierungen im Gebäudebestand begleitend zur ener-
getischen Sanierung aufzulegen, um die gesundheitlichen Folgen jahrzehnte-
langen chemischen Holzschutzes im Bausektor abzumildern,

9. den Anbau nachwachsender Rohstoffe zur Herstellung von Baustoffen boden-
schonend zu gestalten, indem: der vorsorgende Bodenschutz als Anforderung
für den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen rechtlich verankert und die
gute fachliche Praxis um Vorgaben zum bodenschonenden Anbau nachwach-
sender Rohstoffe, wie beispielsweise mindestens dreigliedrige Fruchtfolge,
Sortenvielfalt, Bevorzugung von Kulturen mit geringem Nährstoffbedarf und
extensiven Bewirtschaftungssystemen, ergänzt wird,

10. sicherzustellen, dass auch beim importierten Holz strenge soziale und ökologi-
sche Standards sowie der Legalitätsnachweis beim Anbau und Rodung einge-
halten werden,

Drucksache 18/9803 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
11. sich dafür einzusetzen, dass der gemeinsame Erlass zur Beschaffung von

Holzprodukten von 2007 lückenlos und nachweislich angewandt wird,
12. den pestizidfreien naturschutzverträglichen Anbau von nachwachsenden Bau-

und Dämmmaterialien wirksam zu fördern bzw. förderfähig zu stellen, insbe-
sondere die Kultivierung von beispielsweise Typha (Rohrkolben) oder Schilf
auf Retentions- und Überschwemmungsflächen sowie auf wiedervernässten
Niedermoorböden,

13. durch entsprechende Förder- und Forschungsprojekte des Bundes die Nutzung
von ökologisch vorteilhaften Baustoffen in der Berufsausbildung und berufli-
chen Weiterbildung von allen Bauberufen und im Architektur- und Bauingeni-
eur-Studium besser zu verankern,

14. die Nutzung von ökologisch vorteilhaften Baustoffen auch in der Energiebera-
tung durch entsprechende Qualifizierung von Beraterinnen und Beratern voran-
zubringen, z. B. durch ein zusätzliches Weiterbildungsmodul als Vorausset-
zung für die in der Energieeffizienz-Expertenliste der DENA gelisteten Exper-
tinnen und Experten.

Berlin, den 27. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

In den Bestandsgebäuden werden 40 Prozent der Endenergie für Wärme und Kühlung verbraucht und fast
30 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland verursacht. Der Gebäudebereich spielt für das Errei-
chen der Klima- und Energieeinsparziele eine zentrale Rolle. Mit den Klimazielen gehen Fragen der Versor-
gungssicherheit einher. Das Gros der fossilen Energierohstoffe wird aus außereuropäischen Ländern importiert.
Deutschland lag in 2008 mit einem Erdölverbrauch von 118,1 Millionen Tonnen an sechster Stelle der zehn
Länder mit dem weltweit größten Erdölverbrauch. Die deutsche Wirtschaft zahlte im Jahr 2010 allein für ihre
Ölimporte 41,6 Mrd. Euro.

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Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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