BT-Drucksache 18/9798

Missstände und Stillstand beim Tierschutz beenden ? Gesellschaftlichen Konsens umsetzen

Vom 28. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9798
18. Wahlperiode 28.09.2016
Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner,
Kai Gehring, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Christian Kühn
(Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Markus Tressel, Dr. Julia Verlinden,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Missstände und Stillstand beim Tierschutz beenden – Gesellschaftlichen
Konsens umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Berichterstattung zu Missständen in Ställen bekannter Bauernfunktionäre und
Agrarlobbysten zeigen einmal mehr, dass für den Tierschutz in Deutschland deutlich
mehr getan werden muss. Tierschutzverstöße kommen nicht nur vereinzelt bei we-
nigen „schwarzen Schafen“ vor, sondern sind systemimmanent. Wir finden uns mit
der unzureichenden Tierschutzgesetzgebung, die millionenfaches Tierleid in den
Ställen nicht zu verhindern vermag, nicht ab. Eine grundlegende Novelle des Tier-
schutzgesetzes ist unerlässlich.
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen wünschen sich mehr Tierschutz und bes-
sere Gesetze zum Schutz der Tiere. Auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und SPD wurde versprochen, höhere Tierschutzstandards durchzusetzen. Außerdem
wurde angekündigt, den Wildtierschutz zu verbessern, Handel und Haltung von exo-
tischen und Wildtieren bundeseinheitlich zu regeln und Importe von Wildfängen in
die EU grundsätzlich zu verbieten sowie gewerbliche Tierbörsen für exotische Tiere
zu untersagen. Es wurde versprochen, dass die tiergerechte Haltung in Deutschland
gefördert und eine flächengebundene Tierhaltung in der Landwirtschaft angestrebt
werde. Außerdem sollte die Sachkunde der Tierhalter gefördert und ein bundesein-
heitliches Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhaltungssysteme eingeführt wer-
den. Auch das Problem überfüllter Tierheime sollte angegangen und die Erforschung
von Ersatzmethoden zum Tierversuch intensiviert werden. Die Umsetzung steht
noch immer aus.
Im September 2014 hat die Bundesregierung ihre Initiative für mehr Tierwohl ge-
startet. In diesem Rahmen hat der für Tierschutz zuständige Bundesminister Chris-
tian Schmidt versprochen: „Den Tieren muss es am Ende dieser Legislaturperiode
besser gehen als heute.“ Zwei Jahre später ist leider nichts davon zu sehen, dass diese
Ankündigungen auch nur im Ansatz umgesetzt werden. Das Ansinnen des Bundes-
ministers, durch „freiwillige Verbindlichkeit“ für mehr Tierschutz zu sorgen, ist ge-
scheitert. Diese Bundesregierung kann keine Verbesserungen im Tierschutz vorwei-
sen.

Drucksache 18/9798 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
So kann es angesichts der massiven Missstände in verschiedenen Bereichen der Tier-
haltung und -nutzung nicht weitergehen. Auch der Wissenschaftliche Beirat sowie
aktuell der Kompetenzkreis Tierwohl des Bundesministeriums für Ernährung und
Landwirtschaft fordern gesetzliche Regelungen zur Verbesserung des Tierschutzes
in Deutschland. Es sind grundlegende Verbesserungen der Haltungsbedingungen
notwendig, damit die Tiere nicht mehr durch Kupieren von Schwänzen, Schnabel-
kürzen und Enthornen an die Ställe angepasst werden müssen. Die einseitig leis-
tungsbezogene Zucht der vergangenen Jahrzehnte hat sich als Bärendienst erwiesen,
da die züchterischen Veränderungen die Integrität der Tiere beeinträchtigen und in
ethisch nicht zu rechtfertigende Zustände wie dem millionenhaften Töten männli-
cher Eintagsküken mündet. Der sogenannte Qualzuchtparagraf im Tierschutzgesetz
muss dringend aktualisiert und konkretisiert werden, so dass Tiere nicht mehr ein-
seitig auf Leistung oder schräge Modetrends gezüchtet werden können. Auch die
Aufnahme von Haltungsvorgaben für Mastputen sowie die Elterntiere von Legehen-
nen, Masthühner und anderen Tieren in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung
ist lange überfällig.
Nach wie vor leiden auch viel zu viele Tiere in deutschen Tierversuchslaboren. Die
Vorgaben der EU-Tierversuchsrichtlinie wurden fehlerhaft in deutsches Recht um-
gesetzt. Das muss behoben und tierversuchsfreie Forschungsmethoden und -verfah-
ren müssen deutlich gestärkt werden, um Tierversuche zu ersetzen. Tierheime müs-
sen entlastet werden. Hier ist auch die Bundesregierung in der Pflicht, verlässliche
Regelungen für die Betreuung von Fundtieren und herrenlosen Tieren zu schaffen,
eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Hunde und Katzen sowie eine
Kastrationspflicht für Freigängerkatzen einzuführen. Außerdem brauchen wir eine
Positivliste für exotische Wildtiere und ein Verbot kommerzieller Tierbörsen für
Exoten. Auch die seit langem angekündigte Überarbeitung verschiedener Leitlinien
zur Tierhaltung steht noch immer aus.
Im Gegensatz zur Bundesregierung haben vor allem die grün mitregierten Bundes-
länder neben ihren eigenen länderspezifischen Tierschutzaktivitäten über den Bun-
desrat in den letzten beiden Jahren wichtige gesetzliche Verbesserungen angescho-
ben. So hat der Bundesrat die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, die Pelz-
tierhaltung in Deutschland zu verbieten. Ebenso fordern die Länder, dass bestimmte
wild lebende Tierarten nicht mehr im Zirkus gehalten werden dürfen. Zur besseren
Verbraucherinformation haben die Länder im Bundesrat eine Ausdehnung der Eier-
kennzeichnung auch auf verarbeiteten Lebensmitteln mit Eiern, wie etwa Kuchen
oder Nudeln, und in der Agrarministerkonferenz (AMK) die Entwicklung einer Tier-
haltungskennzeichnung analog zur Eierkennzeichnung gefordert. Ein Verbot der
ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern im Stall wurde ebenfalls von der Länder-
kammer beschlossen. Des Weiteren wurde bereits im Herbst 2014 ein Beschluss ge-
fasst, der dringend die Entwicklung verbesserter Verfahren bei der Betäubung von
Schweinen fordert. Diese Forderung wurde bei der AMK am 9. September 2016 er-
neuert. Auch noch nicht nachgekommen ist die Bundesregierung bisher dem Appell
der grünen Länderminister, ein Verbot der Schlachtung trächtiger Säugetiere, die
sich im letzten Drittel der Trächtigkeit befinden, zu regeln.
Dass keine der Bundesrats-Forderungen bislang von der Bundesregierung aufgegrif-
fen und umgesetzt wurde, ist nicht hinnehmbar. Wenn der Bundesminister sein
selbstgestecktes Ziel nicht bereits ad acta gelegt hat, sondern tatsächlich noch etwas
für die Tiere erreichen möchte, muss er jetzt endlich liefern – und im ersten Schritt
die von den Ländern eingeforderten Initiativen in Bundesrat sowie Agrar- und Ver-
braucherministerkonferenzen zügig umsetzen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9798
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag endlich umzusetzen und das Tier-
schutzgesetz grundlegend zu überarbeiten, um dem Tierschutz noch in dieser
Legislaturperiode spürbar mehr Gewicht zu verleihen;

2. die aktuell bekannt gewordenen massiven Verstöße gegen den Tierschutz zum
Anlass zu nehmen, unverzüglich strukturelle Maßnahmen zu ergreifen, um die
systemimmanenten Probleme der industriellen Massentierhaltung zu bekämpfen.
Dazu gehören:
• ausreichende Maßnahmen aufzulegen, um den Umbau der Tierhaltung in die

Wege zu leiten und zu gestalten, um gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bau-
ern eine zukunftsfähige, artgerechte Tierhaltung zu erreichen,

• gemeinsam mit den Ländern und Kommunen auf einen effektiveren Vollzug
hinzuwirken und wirkungsvollere Sanktionen bei Tierschutzvergehen im
Tierschutzgesetz zu verankern,

• im Bereich der Landwirtschaft ein nationales Tierwohl-Monitoring mit aus-
sagestarken Indikatoren, die in regelmäßigen Abständen erfasst und ausge-
wertet werden, einzurichten mit dem Ziel, die Entwicklung des Tierwohls zu
überwachen,

• Einführung eines Verbandsklagerechts für anerkannte Tierschutzorganisatio-
nen, sodass diese die Einhaltung von Tierschutzrecht gerichtlich einklagen
können,

• Einführung eines bzw. einer Bundesbeauftragten für Tierschutz, die bzw. der
Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte besitzt und die für den Tierschutz zu-
ständigen Behörden des Bundes kontrollieren und Rechtsverstöße beanstan-
den kann;

3. die bereits auf dem Tisch liegenden Entschließungen und Gesetzentwürfe zur
Änderung des Tierschutzgesetzes aus dem Bundesrat nicht weiter zu blockieren,
sondern unverzüglich auf den Weg zu bringen. Dazu zählen:
• ein Verbot der Pelztierhaltung in Deutschland. Tiere allein zur Herstellung

von Pelz zu halten und zu töten – dazu noch unter miserablen Bedingungen –
ist nicht hinnehmbar und nicht mit dem Staatsziel Tierschutz vereinbar. Ne-
ben der Verbotsforderung des Bundesrates müssen die Kennzeichnungsrege-
lungen verbessert werden, sodass bei importierten Pelzprodukten klar erkenn-
bar ist, von welchem Tier diese stammen sowie wo und unter welchen Bedin-
gungen die Tiere gehalten wurden,

• ein Verbot der Haltung wild lebender Tiere in Zirkusunternehmen. Denn viele
wild lebende Tiere können unter den Bedingungen eines fahrenden Unterneh-
mens nicht tier- und artgerecht gehalten werden. Deshalb muss die Haltung
bestimmter Tierarten im Zirkus untersagt beziehungsweise festgelegt werden,
welche Tierarten in Zukunft auch weiterhin im Zirkus gehalten werden dür-
fen,

• ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern, da dieses Hal-
tungssystem wegen der immensen Einschränkung der Grundbedürfnisse (Be-
wegung, Erkundung, Sozialverhalten etc.) keine tiergerechte Haltung darstellt
und § 2 des Tierschutzgesetzes widerspricht,

• die Aufnahme spezifischer Haltungsvorschriften für alle Nutztiere in die Tier-
schutz-Nutztierhaltungsverordnung, da diese nach wie vor unvollständig und
unzureichend ist (Mastputen, Milchkühe, Mastbullen, Elterntierhaltung bei
Geflügel),

• eine Ausweitung der Eierkennzeichnung auf verarbeitete Produkte, bei der
die Haltungsform der Legehennen auf Lebensmitteln, die Eier enthalten, ver-
pflichtend gekennzeichnet werden muss,

Drucksache 18/9798 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

• eindeutige gesetzliche Regelungen für die Betreuung und Unterbringung von
verlorenen oder entlaufenen sowie ausgesetzten, zurückgelassenen oder an-
derweitig herrenlosen Tieren einzuführen, wie dies bereits 2011 vom Bundes-
rat gefordert wurde;

4. die aktuellen Vorlagen und Beschlüsse der Agrar- und Verbraucherministerkon-
ferenzen umzusetzen. Zu diesen zählen unter anderem:
• Überprüfung der Haltung von Sauen in Kastenständen,
• Weiterentwicklung und Verbesserung der Betäubungsmethoden bei der

Schlachtung von Schweinen,
• verbindliche Regelungen zur Schlachtung hochträchtiger Säugetiere im letz-

ten Drittel der Trächtigkeit,
• Entwicklung einer verlässlichen und transparenten Tierhaltungskennzeich-

nung, so dass auf Fleisch und Milch klar erkennbar wird, unter welchen Be-
dingungen die Tiere gehalten wurden,

• Entwicklung, Validierung und Anwendung von tierversuchsfreien For-
schungsmethoden deutlich zu intensivieren und auszubauen,

• Einführung einer bundesweiten Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht
von Hunden,

• auf EU-Ebene auf eine klare Kennzeichnung der Begriffe „vegan“ und „ve-
getarisch“ zu dringen.

Berlin, den 27. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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