BT-Drucksache 18/9794

Aktueller Stand des EU-weiten Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS)

Vom 21. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9794
18. Wahlperiode 21.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Dr. André Hahn, Inge Höger,
Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Aktueller Stand des EU-weiten Reiseinformations- und -genehmigungssystems
(ETIAS)

Die Europäische Kommission prüft die Schaffung eines EU-weiten Reiseinfor-
mations- und -genehmigungssystems („EU Travel Information and Authorisation
System“ – ETIAS –, siehe Ratsdokument 7644/16, Kommissionsdokument
COM(2016) 205 final vom 6. April 2016, Bundestagsdrucksache 18/8872). Es
geht um von der Visumpflicht befreite Reisende aus EU-Drittstaaten. Vor ihrer
Einreise sollen sie „sachdienliche Angaben über geplante Reisen“ in ein Online-
formular eingeben. Die Informationen würden „automatisch“ verarbeitet.
Dadurch sollen Grenzschutzbeamte „bei der Bewertung von aus Drittländern
stammenden Besuchern“ durch die Möglichkeit einer „Vorabkontrolle“ unter-
stützt werden. Laut der Europäischen Kommission könnte dadurch eine Sicher-
heitslücke für Reisende aus Ländern, die für Kurzzeitaufenthalte von der Visums-
pflicht befreit sind, geschlossen werden. Dies wiege umso schwerer, als die EU
mit immer mehr Ländern Abkommen zur Aufhebung der Visumspflicht ab-
schließt. Hierzu gehören etwa die Vereinigten Arabischen Emirate und in Zukunft
womöglich auch die Türkei. Jeder Grenzübertritt soll spätestens 72 Stunden vor-
her angemeldet werden, auf einem Internetformular müssten die Reisenden neben
Personendaten auch Informationen zum geplanten Aufenthalt mitteilen. Hierzu
gehören der Grund der Reise (etwa zu Tourismus- oder Geschäftszwecken) und
ein Reiseplan. In der Diskussion ist auch, die geplanten Verkehrsmittel angeben
zu müssen. Die Daten würden in einer „Vorabkontrolle“ von den zuständigen
Grenzbehörden mit nationalen und internationalen Informationssystemen abge-
glichen. Finden die Sicherheitsbehörden bei der „Vorabkontrolle“ ein Sicher-
heitsrisiko, kann die Genehmigung zur Einreise an den Außengrenzen der EU
verweigert werden.
Nach einem vollzogenen „Brexit“ wären auch britische Staatsangehörige zur An-
meldung des EU-Grenzübertritts verpflichtet. Eine Ausnahme wäre nur möglich,
wenn Großbritannien weiterhin dem so genannten Binnenmarkt angehören
würde, demzufolge Menschen, Waren, Dienstleistungen und Geld frei in der EU
zirkulieren dürfen. Nach dem „Brexit“-Votum entschied die Europäische Kom-
mission, die Verhandlungen zur Errichtung des ETIAS ohne die britische Regie-
rung zu führen (The Guardian vom 10. September 2016). Im Oktober 2016 will
die Europäische Kommission die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie für das
ETIAS vorlegen, im November 2016 soll dann ein Verordnungsvorschlag folgen.

Drucksache 18/9794 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann hat die Bundesregierung den Fragebogen im Ratsdokument 8590/16
zum ETIAS beantwortet, und welche Abteilung des Bundesministeriums des
Innern hat diese Antworten erstellt?

2. Welche Überlegungen hat das Bundesinnenministerium zur Beantwortung
des Fragebogens angestellt?
a) Welche bestehenden Systeme könnten von einem EU-weiten Reiseinfor-

mations- und -genehmigungssystem ergänzt werden?
b) Welchen Mehrwert bringt ein ETIAS in Bezug auf die Sammlung von

Informationen über Personen aus Drittstaaten, die von der Visumspflicht
befreit sind?

c) Wie könnten die Vorabinformationen mit Passagierdaten (API oder PNR)
kombiniert oder gerastert werden?

d) Welche Länder sollten zum Geltungsbereich eines ETIAS gehören?
e) Inwiefern sollte ein ETIAS von dem geplanten EU-Ein- und Ausreisesys-

tem (EES) unabhängig sein oder in dieses integriert werden?
f) Welche Funktionen des im „Paket Intelligente Grenzen“ der Europäi-

schen Union ursprünglich vorgesehenen „Registrierungsprogramm für
Reisende“ (RTP) könnte ein EU-weites Reiseinformations- und -geneh-
migungssystem übernehmen (Bundestagsdrucksache 18/7835)?

g) Auf welche Weise bzw. mit welchen technischen Verfahren (etwa einem
„Single Search Interface“, siehe Bundestagsdrucksache 18/8872) könnte
ein ETIAS mit dem EES „interoperabel“ gemacht werden?

h) Inwiefern sollte ein ETIAS als zentrales System angelegt sein oder eher
vorhandene, nationale Systeme vernetzen?

i) Welche (deutschen) polizeilichen oder geheimdienstlichen Behörden soll-
ten Daten eines ETIAS nutzen dürfen?

j) Inwiefern hält es die Bundesregierung für sinnvoll oder notwendig, die in
einem EU-weiten Reiseinformations- und -genehmigungssystem erhobe-
nen Daten auch nach der Ausreise der betreffenden Person weiterhin zu
speichern?

k) Inwiefern hält es die Bundesregierung für sinnvoll, wenn auch die EU-
Agentur Frontex und Europol auf die Daten eines EU-weiten Reiseinfor-
mations- und -genehmigungssystems zugreifen dürfen oder dort geführte
Datenbanken abgefragt werden?

l) Inwiefern sollten auch Agenturen der Europäischen Union abgelehnte
Anmeldungen von Einreisenden bearbeiten?

3. Welche „sachdienlichen Angaben über geplante Reisen“ sollte ein ETIAS
aus Sicht der Bundesregierung unbedingt vorab erheben?

4. Auf welche Weise könnten die von den Reisenden eingegebenen Informati-
onen aus Sicht der Bundesregierung „automatisch“ verarbeitet werden?

5. Mit welchen nationalen oder internationalen Datenbanken sollten diese aus
Sicht der Bundesregierung Informationen „automatisch“ abgeglichen wer-
den?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Einführung eines ETIAS für die As-
pekte „wirksame und reibungslose Grenzkontrollen, Leichtigkeit des Reise-
verkehrs, Steuerung von Migration, Sicherheit, Datenschutz und Grund-
rechtsrelevanz“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9794
7. Was ist der Bundesregierung über in Ratsarbeitsgruppen vorgetragene Vor-
schläge oder Forderungen anderer Regierungen bekannt, in einem ETIAS
auch EU-Bürger zu speichern, und wie positioniert(e) sie sich dazu?

8. Inwiefern hält die Bundesregierung ein ETIAS für geeignet, Grenzverfahren
bei der Ankunft der Reisenden „schneller und reibungsloser“ vornehmen zu
können (bitte erläutern)?
a) Wann sollte ein geplanter Grenzübertritt durch die Reisenden spätestens

in einem ETIAS angemeldet werden?
b) Welche maximale Gebühr für eine solche Anmeldung hält die Bundesre-

gierung für verhältnismäßig?
9. Nach welcher Maßgabe und in welchen nationalen Informationssystemen

werden derzeit Übertritte einer EU-Außengrenze nach Deutschland (bona
fide und mala fide) gespeichert?

10. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Europol
Prüm-Partner werden und zur Kreuztreffersuche von DNA-Daten und Fin-
gerabdrücken ermächtigt werden sollte, bzw. wann soll die Prüfung der Bun-
desregierung zu dieser Frage abgeschlossen sein (Bundestagsdrucksache
18/8872)?

11. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche US-Behörden (Polizei
oder Geheimdienste) nach Abschluss eines Abkommens des U.S. State
Department mit Europol zum Beitritt zu den Auswerteschwerpunkten
„Phoenix“ und „Checkpoint“ zur Bekämpfung des „Migrantenschmuggels“
auf dort gespeicherte Daten zugreifen dürfen (Pressemitteilung Europol vom
19. September 2016)?

12. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung inzwischen zur Frage, inwie-
fern das Schengener Informationssystem (SIS II) auch DNA-Daten speichern
und verarbeiten sollte (Bundestagsdrucksache 18/8872)?

13. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Aus-
schreibungen nach Artikel 36 SIS II auch die Festnahme ermöglichen sollten,
auch wenn kein Europäischer Haftbefehl vorliegt (Bundestagsdrucksache
18/8872)?

14. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung in Bezug auf eine neue
EURODAC-Verordnung zur Frage, inwiefern Sicherheitsbehörden über
noch mehr Zugriffsrechte verfügen sollten, und welche Defizite sollen damit
ausgeglichen werden?
a) Nach welchem Verfahren könnte ein solcher erweiterter Zugriff gestaltet

werden?
b) Welche deutschen Behörden sollten demnach in welchen Fällen über eine

neue Registrierung von Personen in EURODAC informiert werden?
15. Mit welchem Ergebnis bezieht die Bundesregierung bei ihrer Meinungsbil-

dung zu einem ETIAS die „Erfahrungen anderer Staaten wie die USA, Ka-
nada und Australien mit elektronischen Reisegenehmigungsverfahren sowie
Auswirkungen auf den Reiseverkehr“ mit ein?

16. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, unter welchen Um-
ständen auch britische Staatsangehörige zur Anmeldung eines EU-Grenz-
übertritts in einem ETIAS verpflichtet wären?

Drucksache 18/9794 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

17. Für wann hat die Europäische Kommission ihren Verordnungsvorschlag für

ein ETIAS angekündigt (sofern möglich, bitte das Datum angeben)?
a) Wer ist für die Durchführung der von der Europäischen Kommission be-

auftragten Machbarkeitsstudie zum ETIAS zuständig, und wann genau
soll diese vorliegen?

b) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, seit wann die britische Re-
gierung von den Verhandlungen zur Errichtung eines ETIAS ausgeschlos-
sen ist?

Berlin, den 21. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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