BT-Drucksache 18/9774

Auswirkungen des EU-Einheitspatents und Ratifizierung des Übereinkommens zum Europäischen Patentgericht

Vom 21. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9774
18. Wahlperiode 21.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch,
Friedrich Ostendorff und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswirkungen des EU-Einheitspatents und Ratifizierung des Übereinkommens
zum Europäischen Patentgericht

Das EU-Einheitspatent hat die Zielsetzung eines supranationalen Patentschutzes
in 26 Staaten Europas. Das Übereinkommen zum Europäischen Patentgericht
steht noch zur Ratifikation durch die EU-Mitgliedstaaten an. Durch das Ausschei-
den Großbritanniens aus der EU könnte es hier zu Verzögerungen kommen, da
einer der Sitze des EU-Patentgerichts in London sein sollte und Großbritannien
zu den obligatorischen Mitgliedsländern des EU-Einheitspatents gehört (vgl.
www.handelsblatt.com/my/politik/international/brexit-referendum/brexit-news/
brexit-gefaehrdet-prestigeprojekt-europaeisches-patentgericht-steht-vor-dem-
aus/13838604.html sowie www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/
2016/04/brexit-letzte-grosse-huerde-fuer-das-neue-europaeische-patentsystem).
Das EU-Einheitspatent beinhaltet einige gravierende Änderungen gegenüber der
bisherigen Situation. So sollen die vom Europäischen Patentamt (EPA) für die
EU erteilten Patente anders als bislang unmittelbare Gültigkeit in allen teilneh-
menden Staaten erlangen. Bisher sind unterschiedliche Regelungen für die natio-
nale Validierung bzw. den Widerruf von Patenten in Kraft, die durch das EPA
erteilt wurden (vgl. http://documents.epo.org/projects/babylon/eponot.nsf/0/05b
84848cbcf7338c1257833003c2531/$FILE/patent_litigation_in_europe_2013_
en.pdf).
Die Prüfung von Patenten im Rahmen der nationalen Validierung hat bislang dazu
geführt, dass etwa vom EPA erteilte Patente im Bereich Saatgut nicht von allen
europäischen Ländern anerkannt wurden. Angesichts der unmittelbaren Geltung
von Einheitspatenten ist daher damit zu rechnen, dass die Anzahl der erteilten
Patente in einigen EU-Staaten stark ansteigen wird.
Aufgrund der damit verbundenen steigenden Gefahr von unbeabsichtigten Pa-
tentverletzungen könnte sich diese Entwicklung nach Auffassung der Fragestel-
ler als Innovationsbremse erweisen und die Wissenschafts- und Forschungsfrei-
heit beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere für den sensiblen Bereich der Züch-
tung von Pflanzen und Tieren bzw. die Saatgutproduktion, wo ein freier Zugang
zu genetischen Ressourcen essentielle Voraussetzung für Züchtungserfolge und
damit für die Sicherung von Ernährungssouveränität und Welternährung dar-
stellt (www.bundestag.de/blob/425346/f9b3f847f43613d1314e357991315803/
bericht-von-christoph-then-data.pdf).
Bei drei von vier deutschen Gerichtsentscheidungen in Nichtigkeitsverfahren
werden Patente teilweise oder vollständig für ungültig erklärt. Diese hohe Quote
macht deutlich, dass die mangelhafte Prüfung von Patentansprüchen kein Einzel-
fall ist und missbräuchliche Patentansprüche bereits heute eine wirtschaftliche

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Belastung für betroffene Betriebe darstellen (vgl. www.daserste.de/information/
wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/eu-patentrecht100.html). Gleichzeitig be-
fürchten Experten wie der Patentanwalt Ingve Stjerna, dass die Gebühren und
weitere Verfahrenskosten im Zusammenhang mit dem EU-Einheitspatent bzw.
dem Europäischen Patentgericht in einigen Fällen deutlich höher ausfallen als der
bisherige finanzielle Aufwand (vgl. Zitat unter www.daserste.de/information/
wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/eu-patentrecht100.html). Dies würde auch
eine hohe Hürde (etwa durch hohe Gebühren, Anwaltskosten etc.) für Einsprü-
che gegen Patenterteilungen bzw. Verfahren zur Erreichung eines Widerrufs
von ungerechtfertigt erteilten Patenten bedeuten. Hohe Kosten könnten es für
kleine und mittlere Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Akteure aus
der Wissenschaft sowie einige kleinere Mitgliedsländer der EU faktisch sehr
erschweren oder gar unmöglich machen, Zugang zum Gericht zu erlangen und
Patenterteilungsentscheidungen überprüfen zu lassen. Wenn gegen ungerecht-
fertigte Patentansprüche faktisch kaum noch vorgegangen werden kann, wird
nach Auffassung der Fragesteller missbräuchlichen Patentansprüchen Vorschub
geleistet, was sowohl zu Lasten der betroffenen Unternehmen als auch zu Las-
ten von Innovationsdynamik und Gemeinwohl geht.
Eine hohe Konzentration von Patenten in bestimmten Forschungsbereichen
(„Überpatentierung“) hätte zur Folge, dass Lizenzkosten, Patentstreitigkeiten und
damit verbundene Rechtsunsicherheiten massiv zunehmen und so Innovationen
eher behindert als gefördert werden. Hier besteht die Gefahr, dass solche volks-
wirtschaftlichen Auswirkungen bzw. Kosten von Patenten deren Nutzen überwie-
gen, wenn ein Missbrauch dieses Instruments nicht verhindert wird (vgl. www.
bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/G/gutachten-des-wissenschaftlichen-beirats-
patentschutz-und-innovation,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.
pdf).
Problematisch ist auch eine Zunahme der Aktivitäten sogenannter „Patent-
Trolle“, die Patentansprüche bei Unternehmensinsolvenzen aufkaufen und sich
auf die juristische Verfolgung von möglichen Patentverletzungen spezialisieren
(vergleichbar der Strategie sogenannter Abmahnanwälte), ohne die entsprechen-
den Patente zur Herstellung eigener Produkte zu nutzen. Dies verschärft bereits
bestehende negative Effekte, die sich etwa aus der wachsenden Zahl von Patenten
auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere ergeben und so insbesondere im
Bereich der Pflanzenzüchtung das Züchterprivileg untergraben, welches bislang
den Open-Source-Charakter des Sortenschutz-Systems sicherstellt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf den Ratifizierungs-

prozess des Übereinkommens für ein Europäisches Patentgericht (Unified
Patent Court, UPC) durch den Brexit-Prozess bzw. die Entscheidung Groß-
britanniens, die Europäische Union zu verlassen, und mit welchen Verzöge-
rungen für den Ratifizierungsprozess rechnet die Bundesregierung als Folge
des Brexit?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den aktuellen Stand und
weiteren Zeitplan der Ratifizierung der Einrichtung des Europäischen Patent-
gerichts sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland und anderen EU-Mit-
gliedstaaten, und wann rechnet die Bundesregierung mit einem Abschluss
der Ratifizierungsphase durch die nationalen Parlamente?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die zu erwartende Ent-
wicklung der Patentanmeldungs- und Patenterteilungszahlen in den nächsten
Jahren?

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4. Inwieweit sind der Bundesregierung Prognosen und Folgenabschätzungen
bekannt hinsichtlich der Entwicklung der Zahl valider Patente in anderen
EU-Ländern, insbesondere in Süd- und Osteuropa, zu rechnen nach Inkraft-
treten des sogenannten EU-Einheitspatents bzw. nach Abschluss des Ratifi-
zierungsprozesses für das Europäische Patentgericht (bitte begründen)?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, inwieweit in den
nächsten Jahren eine deutliche Zunahme von Patentanmeldungen aus Dritt-
staaten, insbesondere China und den USA, zu erwarten sind?

6. Wie sieht und bewertet die Bundesregierung die Sorge vor einer möglichen
„Überpatentierung“ insbesondere in sensiblen Bereichen wie der Pflanzen-
und Tierzüchtung?

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus einer möglichen
Zunahme von „Überpatentierungen“ hinsichtlich der Auswirkungen auf die
Rechtssicherheit von Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung, insbesondere
im Bereich der Landwirtschaft und Lebenswissenschaften?

8. Welche Ansätze erachtet die Bundesregierung als geeignet, um eine verbes-
serte Prüfung von Patentansprüchen sicherzustellen und damit die Erteilung
ungerechtfertigter Patente sowie die daraus resultierende hohe Quote an er-
folgreichen Nichtigkeitsverfahren zu verringern?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Zunahme der Akti-
vitäten von sogenannten „Patent-Trollen“, und welche Auswirkungen auf
diesen Bereich erwartet die Bundesregierung durch die Einführung des Ein-
heitspatents?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Entwicklung von Fallzah-
len und Schadensersatzsummen durch Patentverletzungsverfahren in den
letzten fünf Jahren?

11. Welche Informationen hat die Bundesregierung zu Umfang und Höhe der
geplanten Gebühren zur Durchführung eines Anfechtungsverfahrens für Pa-
tente beim Patentgerichtshof?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, welche Kosten bzw.
Gebühren für die Mandatierung eines am Patentgerichtshof zugelassenen Pa-
tentanwalts in Einspruchs- bzw. Widerrufsverfahren gegen Patenterteilungen
zu erwarten sind?

13. Welche ungefähren durchschnittlichen Gesamtkosten bzw. Kostenunter-
schiede (einschließlich Anwaltskosten und Kostenrisiken im Fall einer Nie-
derlage) sind bei Einspruchs- bzw. Anfechtungsverfahren gegen Patentertei-
lungen auf den zukünftig möglichen Ebenen der Patenterteilung (Deutsches
Patent- und Markenamt, EPA und Europäisches Patentgericht) jeweils zu er-
warten (bitte tabellarisch auflisten)?

14. Wie hoch werden die Kostenunterschiede zwischen den jetzigen Patentan-
fechtungsverfahren auf nationaler Ebene in den Ländern der Visegrad-
Gruppe im Vergleich zu solchen Verfahren vor dem Europäischen Patentge-
richtshof ausfallen?

15. Welche Maßnahmen sind laut Kenntnis der Bundesregierung vorgesehen,
um sicherzustellen, dass auch kleine und mittlere Unternehmen, Nichtregie-
rungsorganisationen und kleine EU-Mitgliedstaaten mit beschränkten finan-
ziellen Ressourcen in der Praxis Zugang zum Einheitspatentgerichtshof ha-
ben, um Einsprüche gegen Patenterteilungen erheben zu können?

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16. Inwieweit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach Kenntnis der Bun-

desregierung die Kompetenz, Entscheidungen des Europäischen Patentge-
richts bzw. die Vereinbarkeit von erteilten Patenten mit anderen Bereichen
des EU-Rechts zu überprüfen und bei Unvereinbarkeit Patente für nichtig zu
erklären?
Hält die Bundesregierung die bestehenden Kompetenzen des EuGH zur
Überprüfung für ausreichend (bitte begründen)?

Berlin, den 21. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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