BT-Drucksache 18/9569

Ausbau und erweiterte Nutzung von Informationssystemen durch die EU-Polizeiagentur Europol

Vom 6. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9569
18. Wahlperiode 06.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Inge Höger,
Ulla Jelpke, Jan Korte, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion
DIE LINKE.

Ausbau und erweiterte Nutzung von Informationssystemen durch die
EU-Polizeiagentur Europol

Die Europäische Polizeiagentur Europol plant noch vor Ende des Jahres den re-
gelmäßigen Abgleich großer Polizeidatenbanken mit den eigenen Systemen (Ant-
wort der Europäischen Kommission auf die Frage der Europaabgeordneten
Cornelia Ernst vom 9. August 2016, E-003881/2016). Noch dieses Jahr könnte
Europol demnach die Möglichkeit einer Stapelverarbeitung (das sogenannte
Batch-Verfahren) für das Schengener Informationssystem (SIS II) einführen.
Derzeit hat Europol über eine Schnittstelle bei der Polizei in den Niederlanden
lediglich in Einzelfällen lesenden Zugriff auf das SIS II. Die im SIS II enthaltenen
Ausschreibungen zur Festnahme, Beobachtung, Kontrolle oder Ausweisung wer-
den den Plänen zufolge mit dem umfangreichen Europol-Informationssystem ab-
geglichen. Gefundene Verbindungen unter den Daten (die sogenannten
Kreuztreffer) würden den Behörden der Mitgliedstaaten als Besitzer der Daten
mitgeteilt.
Laut einem Papier des niederländischen Ratsvorsitzes hat Europol bislang nur
eine „relativ begrenzte Anzahl“ von Suchabfragen im SIS vorgenommen (Rats-
dokument 9368/1/16). Im Rahmen der anvisierten „Verbesserung des Informati-
onspotenzials der EU-Agenturen“ fordert der Rat der Europäischen Union die
vermehrte „Datenbereitstellung“ an Europol. Die Polizeiagentur soll außerdem
nach „etwaigen Hindernissen“ für den Ausbau und die erweiterte Nutzung von
Informationssystemen suchen. Die Ausweitung des systematischen Informations-
austauschs und die stapelweise durchgeführte Suche nach Kreuztreffern erfordert
laut Avramopoulos und dem Rat keine rechtlichen Änderungen. Nach dem SIS II
soll die geplante Suche nach Kreuztreffern auch im Rahmen des Visa-Informati-
onssystems (VIS) und im Europäischen System zur Erfassung der Fingerabdrü-
cke von Asylbewerbern (EURODAC) möglich sein. Hier fehlt Europol jedoch
der technische Zugang. Rechtlich ist dies nach den neuen Verordnungen von VIS
und EURODAC möglich. Die Kommission mahnt Europol zur Eile, laut
Avramopoulos würden die neuen Schnittstellen für EURODAC und VIS in 2017
installiert. Alle entstehenden Kosten werden aus dem Europol-Haushalt bestrit-
ten. Ebenfalls im Gespräch ist die Aufnahme von Europol als Partner in den so-
genannten Prüm-Rahmen. Der Vertrag von Prüm regelt die einfache Abfrage von
DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeugregister-Daten unter den EU-Mitgliedstaa-
ten.
Die Innenministerien der EU-Mitgliedstaaten planen zudem eine inhaltliche Er-
weiterung des SIS II. Zukünftig könnten Personen mit dem Hinweis „Aktivitäten

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mit Terrorismusbezug“ versehen werden. Hierfür muss nicht unbedingt eine Ver-
urteilung vorliegen. Mit der Maßnahme sollen „ausländische Kämpfer“, die von
einzelnen Mitgliedstaaten verdächtigt werden, beim Grenzübertritt festgestellt
und festgenommen werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche operativen und rechtlichen Hindernisse zur Verfügbarkeit von Daten

in bestehenden Informationssystemen und dem Austausch unter den Straf-
verfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten mit Europol sowie den den sich an-
schließenden Folgemaßnahmen müssten aus Sicht der Bundesregierung drin-
gend verbessert werden?

2. Welche teils manuelle Verfahren des europäischen und internationalen In-
formationsaustauschs könnten aus Sicht der Bundesregierung automatisiert
werden?

3. Was ist der Bundesregierung zur derzeitigen Praxis von manuellen Datenab-
fragen von Europol im Schengener Informationssystem (SIS II) bekannt?

4. Auf welche Weise soll dieses Verfahren durch die Einführung einer Stapel-
verarbeitung (Batch-Abgleich) geändert werden, und inwiefern könnte Eu-
ropol anschließend auch ohne Aufforderung Dritter große Datenmengen ab-
gleichen?
a) Mit welchen einzelnen europäischen oder internationalen Datenbanken

dürfte Europol Daten aus seinem Europol Informationssystem aus Sicht
der Bundesregierung abgleichen?

b) Inwiefern dürfte Europol auch Daten aus seinen Kontaktstellen (früher:
Analyse- und Arbeitsdateien) mit anderen Informationssystemen abglei-
chen?

c) Welche einzelnen Datenfelder (etwa Personendaten), Kategorien (etwa
Ausschreibungen) oder Anhänge (etwa digitale Fotos oder biometrische
Daten) dürfte Europol dort abfragen?

d) Inwiefern wäre Europol für die Auswertung der Daten auch die Nutzung
eines Gesichtserkennungssystems erlaubt?

5. Inwiefern machen deutsche Strafverfolgungsbehörden bereits von der Mög-
lichkeit der Synchronisierung von Daten im Europol-Informationssystem
und dem SIS II Gebrauch?

6. Wie viele Einträge zu Personen und Sachen sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung in den Systemen SIS II, im VIS und in EURODAC derzeit gespei-
chert, und wie viele dieser Daten besitzen deutsche Strafverfolgungsbehör-
den?
a) Über welche Schnittstellen soll Europol an das VIS und an EURODAC

angeschlossen werden?
b) Inwiefern erhält Europol auch schreibenden Zugriff auf die Systeme

SIS II, VIS und EURODAC?
c) Inwiefern würde die Ausweitung des systematischen Informationsaus-

tauschs und die stapelweise durchgeführte Suche nach Kreuztreffern im
SIS II, im VIS und in EURODAC rechtliche Änderungen erfordern?

7. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern die
EURODAC-Verordnung ähnlich dem Visa-Konsultationsverfahren ausge-
staltet werden sollte, sodass EU-Mitgliedstaaten bei der erstmaligen Erfas-
sung der Gespeicherten sofort benachrichtigt werden, um diese Personen mit
eigenen Datenbanken abzugleichen?

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8. Was ist der Bundesregierung über Pläne bekannt, Europol als Partner in den
sogenannten Prüm-Rahmen aufzunehmen, und über welche Möglichkeiten
des lesenden oder schreibenden Zugriffs auf DNA-, Fingerabdruck- und
Fahrzeugregister-Daten würde Europol in den EU-Mitgliedstaaten verfügen?
a) Welche Länder haben die Prüm-Beschlüsse noch nicht vollständig umge-

setzt?
b) Was ist der Bundesregierung über Pläne zur Erweiterung des Prüm-Ver-

fahrens auf durchsuchbare Gesichtsbilder bekannt?
c) Wann soll ein entsprechender Vorschlag der Europäischen Kommission

in 2017 vorliegen?
9. Welche Erweiterungen des SIS-II sind nach Kenntnis der Bundesregierung

derzeit geplant?
a) Welche Richtkriterien in Bezug auf den Austausch und Weitergabe von

Informationen über Personen, die sich von Konfliktgebieten angezogen
fühlen, um dort entweder zu kämpfen oder terroristische Gruppierungen
zu unterstützen, hält die Bundesregierung für geeignet?

b) Wie positioniert sich die Bundesregierung zur Erweiterung des Arti-
kels 36 des SIS-II-Beschlusses auf die Ingewahrsam- oder Inhaftnahme
von Personen, die mit „Aktivitäten mit Terrorismusbezug“ in Verbindung
gebracht werden?

c) Sofern Personen im SIS II mit dem Hinweis „Aktivitäten mit Terroris-
musbezug“ versehen werden, worauf sollte sich ein solcher Verdacht
gründen, und inwiefern müsste dafür eine Verurteilung vorliegen?

d) Inwiefern sollten aus Sicht der Bundesregierung auch „extremistische
Redner“, die als Bedrohung der öffentlichen Ordnung angesehen werden,
im SIS II gespeichert werden?

e) Inwiefern sollten aus Sicht der Bundesregierung auch Rückkehranord-
nungen im SIS II gespeichert werden?

f) Nach welcher Maßgabe dürfte Europol Ausschreibungen in das SIS II
eingeben?

g) Inwiefern sollte Europol aus Sicht der Bundesregierung systematisch be-
nachrichtigt werden, wenn Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten
bei der Abfrage des SIS II Treffer erzielten?

10. Nach welchem Verfahren geben deutsche Strafverfolgungsbehörden und Ge-
heimdienste Ausschreibungen nach Artikel 36 in das SIS II ein, inwiefern ist
hierfür die Einbeziehung von Justizbehörden verpflichtend, und welche
rechtlichen oder administrativen Änderungen dieser Praxis sind geplant?

11. Welche einzelnen Fragen zu rechtlichen, technischen, finanziellen und ope-
rativen Anforderungen für die Weiterverfolgung von Interoperabilitätslösun-
gen bei Informationssystemen werden von der „hochrangigen Sachverstän-
digengruppe für IT-Systeme und Interoperabilität“ verfolgt?
a) Inwiefern betreffen diese auch den Zugang von Europol zu bestehenden

und zu errichtenden Informationssystemen?
b) Auf welche Weise und mit welchem Personal beteiligt sich die Bundesre-

gierung an der „hochrangigen Sachverständigengruppe für IT-Systeme
und Interoperabilität“?

Drucksache 18/9569 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

12. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung mittlerweile zur Frage der Aus-

weitung des geplanten Ein- und Ausreiseregisters (Entry-/Exit-System –
EES) auf EU-Staatsangehörige (Bundestagsdrucksachen 18/7835, 18/7291
und 18/4287)?
a) Welchen Umfang einer Speicherung biometrischer Merkmale hält die

Bundesregierung mittlerweile für erforderlich (etwa Anzahl der Finger-
abdrücke und/oder Lichtbild)?

b) Nach welcher Maßgabe sollte aus Sicht der Bundesregierung auch Euro-
pol auf Fingerabdrücke und Gesichtsbilder im EES zugreifen und diese
verarbeiten dürfen?

13. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern nach der
Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssys-
tems (ETIAS) auch EU-Staatsangehörige gespeichert werden sollten (Bun-
destagsdrucksache 18/8872)?

14. Nach welcher Maßgabe sollte aus Sicht der Bundesregierung auch Europol
auf Daten im ETIAS zugreifen und diese verarbeiten dürfen?

15. Nach welcher Maßgabe sollte aus Sicht der Bundesregierung auch Europol
auf Daten im noch nicht umgesetzten EU-Passagierdatensystem (PNR) oder
auf Daten der PNR-Zentralstellen der EU-Mitgliedstaaten zugreifen und
diese verarbeiten dürfen (Bundestagsdrucksache 18/2972)?
a) Nach welcher Maßgabe dürfen welche Europol-Datenbanken von den

PNR-Zentralstellen der EU-Mitgliedstaaten abgefragt werden?
b) Welchen Inhalt hat ein auf Anregung des deutschen Vorsitzes vorgelegter

Projektvorschlag des Sekretariats der Organisation für Sicherheit und Zu-
sammenarbeit in Europa zur „praktischen Umsetzung und möglichen
Ausbildungsinhalten“ zum Austausch von API-Daten (Advanced Passen-
ger Information – API) (Bundestagsdrucksache 18/9266)?

16. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Strafverfol-
gungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten sowie Europol das Programm zur
Koordinierung der UMF-Interoperabilität bzw. den dort entwickelten UMF-
Standard zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Kommunikation un-
terstützen, und welche Defizite existieren bei der Umsetzung (Bundestags-
drucksache 18/8170)?

17. Was ist der Bundesregierung über Ziele und Partner eines UMF-4-Projekts
bei Europol bekannt?

18. Welche einzelnen Datenfelder (etwa Personendaten), Kategorien (etwa Aus-
schreibungen) oder Anhänge (etwa digitale Fotos oder biometrische Daten)
dürfte Europol im verbesserten Informationsaustausch, der im Europol-Pi-
lotprojekt „ADEP“ (Automatischer Daten Austausch Prozess) verfolgt wird,
mit anderen Informationssystemen abgleichen?

19. Was ist der Bundesregierung über Initiativen der Europäischen Kommission
zur Prüfung eines Regelungsvorschlags zur Gleichbehandlung von internet-
basierten Diensten und Telekommunikationsdiensten bekannt?
a) Inwiefern sollte es aus Sicht der Bundesregierung auch Europol erlaubt

werden, Direktanfragen bei Internetprovidern zu stellen?
b) Auf welche Weise ist die Europäische Kommission mit der einheitlichen

Handhabung solcher Direktanfragen befasst, bzw. welche Forderungen
aus den Mitgliedstaaten sind der Bundesregierung dazu bekannt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9569
c) Nach welchem Verfahren nehmen deutsche Strafverfolgungsbehörden
und Geheimdienste derzeit Rechtshilfeersuchen zur Herausgabe von
Kommunikationsdaten bei Internetdienstleistern in den USA vor, und
welche Unterschiede werden diesbezüglich für Anfragen im Rahmen des
„Stored Communications Act“ oder in „Eilverfahren“ gemacht?

d) Auf welche Weise betreibt das Bundesministerium des Innern die Verein-
fachung von Verfahren zu Direktanfragen von Strafverfolgungsbehörden
bei Internetanbietern in den USA (Bundestagsdrucksache 18/9266)?

e) Welche Internetanbieter haben einem solchen Verfahren zugestimmt,
bzw. mit welchen Unternehmen ist die Bundesregierung hierzu im Ge-
spräch?

20. Wie viele Daten über „Gefährder/Relevante Personen“ hat das Bundeskrimi-
nalamt bislang bei Behörden in den USA abgefragt bzw. dorthin geliefert
(Bundestagsdrucksache 18/9132)?
a) Was ist damit gemeint, wenn das Bundesinnenministerium das Verfahren

als „eigenständiges Verfahren mit Push-Elementen“ bezeichnet?
b) In wie vielen Fällen wurden im Trefferfall „Hintergrundinformationen“

ausgetauscht und gespeichert?
c) Gegen wie viele der übermittelten Personen wurden Ermittlungsverfahren

wegen Mitgliedschaft und/oder Unterstützung einer terroristischen Verei-
nigung geführt?

d) Welche US-Datenbanken (etwa Register von Banken und Kreditinstitu-
ten, Passagierdaten- sowie sogenannte Terrorlisten) werden dabei abge-
fragt?

e) Welche der aus den USA erhaltenen Daten über „Gefährder/Relevante
Personen“ hat das Bundeskriminalamt an die EU-Polizeiagentur Europol
übermittelt?

f) In welchen Fällen ist Europol selbst berechtigt, zu einzelnen Personenda-
ten Anfragen bei US-Informationssystemen vorzunehmen?

21. In welche europäischen oder internationalen Datenbanken dürfen deutsche
Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdienste derzeit Reisedokumente zur
offenen oder verdeckten Fahndung eingeben, die noch nicht als gestohlen,
verloren oder für Reisezwecke ungültig gemeldet wurden, und für welche
Änderungen dieser Praxis setzt sich die Bundesregierung ein?

Berlin, den 6. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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