BT-Drucksache 18/9544

Eine transparente Regionalkennzeichnung einführen - Regionale Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln stärken

Vom 6. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9544
18. Wahlperiode 06.09.2016
Antrag
der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Harald Ebner, Friedrich
Ostendorff, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Christian Kühn
(Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine transparente Regionalkennzeichnung einführen – Regionale Produktion,
Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Regionale Lebensmittel liegen bei Verbraucherinnen und Verbrauchern im Trend. Im-
mer mehr Menschen vertrauen auf Frische, Qualität und Geschmack regionaler Pro-
dukte und sind bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. Durch bewusstes Kaufver-
halten möchten Verbraucherinnen und Verbraucher auch Verantwortung für ihre Re-
gion übernehmen sowie landwirtschaftliche und verarbeitende Betriebe vor Ort unter-
stützen. So bleiben Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region erhalten. Die da-
mit verbundenen kurzen Transportwege schonen das Klima und mindern den Ressour-
cenverbrauch. Der Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe und Wertschöp-
fungsketten für Lebensmittel ist somit ein wichtiger Baustein, um Betriebe bäuerlicher
Landwirtschaft und das Lebensmittelhandwerk zu stärken, neue Wirtschaftspotentiale
in ländlichen Räumen zu erschließen und lebenswerte, zukunftsfähige Regionen zu
erhalten.
Voraussetzung für eine informierte Kaufentscheidung und Verbrauchervertrauen in re-
gionale Produkte ist eine aussagekräftige, flächendeckend verbreitete und transparente
Regionalkennzeichnung. Die vielen, derzeit parallel bestehenden Ansätze zur Regio-
nalkennzeichnung von Lebensmitteln sind nur bedingt tauglich, weil sie von Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern kaum erkannt werden, teils nur regional verbreitet sind,
teilweise verwirren und in ihrer Aussagekraft variieren. Die erhobenen zusätzlichen
Kosten für Zertifizierung und Kontrolle belasten gerade kleinere Betriebe. Zudem kön-
nen Siegel, die ohne klares inhaltliches Konzept rein aus Marketingzwecken mit Be-
griffen wie „regional“ oder „von hier“ werben, weiter verwendet werden. Hier greift
theoretisch das Verbot irreführender Angaben des Lebensmittelrechts. Dieses bedarf
jedoch der Durchsetzung im Einzelfall und bleibt daher in der Praxis weitgehend wir-
kungslos. So droht der Verbraucherschutz ins Leere zu laufen.
Um das Problem der irreführenden Angaben zu umgehen, verfolgt das 2012 einge-
führte freiwillige „Regionalfenster“ den Ansatz, eine konkrete Herkunft der Rohstoffe

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für das jeweils zertifizierte Produkt anzugeben, beispielsweise als Entfernung in Kilo-
metern oder unter Angabe des Landkreises. Diesen Ansatz gilt es weiterzuentwickeln
und gegenüber unbestimmten Siegeln zu stärken. Da die tatsächlichen Anteile regio-
naler Rohstoffe und die tatsächlich zurückgelegten Entfernungen stark variieren, müs-
sen die bestehenden Ansätze evaluiert und die Kriterien zur Vergabe des Regional-
fensters daraufhin nachgebessert werden.
Um unseriöser Werbung mit Regionalangaben einen Riegel vorzuschieben und Betrug
vorzubeugen, muss neben dem „Regionalfenster“ eine bundesweit gesetzlich ver-
pflichtende Positivkennzeichnung für inländische Produkte eingeführt werden. Das
bedeutet, dass Produkte mit freiwilligen Regionalangaben zusätzlich beispielsweise
den verwendeten Begriff „regional“ auf dem Etikett definieren müssen. Dann wird für
Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich, was die jeweilige Regionalangabe tat-
sächlich bedeutet.
Parallel dazu muss eine neue Strategie zur Regionalvermarktung entwickelt werden,
die Beratung, Forschung und Vernetzung zum Auf- und Ausbau neuer Vermarktungs-
strukturen fördert. Im Rahmen dieser Regionalvermarktungsstrategie ist die Durchfüh-
rung einer Machbarkeitsstudie zu einem bundesweit einheitlichen Zertifizierungssys-
tem regionaler Produkte sinnvoll. Darüber hinaus muss sich die Bundesregierung für
konsistente Herkunftsangaben auf europäischer Ebene einsetzen. Inkonsistente Her-
kunftsangaben, die die Verbraucherinnen und Verbraucher verwirren, wie diese sich
zum Beispiel aus dem Spezialitätenrecht und der EG-Bio-Verordnung ergeben, müs-
sen dringend überarbeitet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. bei den im Auftrag vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
(BMEL) erarbeiteten Kriterien des Regionalfensters darauf hinzuwirken,
– den Mindestanteil regionaler Zutaten als Voraussetzung für die Vergabe des

Regionalfensters auf 70 Prozent zu erhöhen,
– eine klarere Kennzeichnung bei verarbeiteten Produkten zu bewirken, bei

der deutlich wird, welche Zutaten in welchem Anteil wo erzeugt wurden,
– die Entfernungen von der Herkunft der Rohstoffe über den Ort der Verar-

beitung bis hin zum Verkaufsort, beziehungsweise Versandort bei Internet-
handel, transparenter darzustellen,

– anhand dieser Entfernungen eine Höchstkilometerzahl festzulegen, die ein
Produkt innerhalb Deutschlands zurückgelegt haben darf, um noch das Re-
gionalfenster zu erhalten,

– die Möglichkeit der Angabe von Großregionen abzuschaffen,
– Angaben zur Herkunft landwirtschaftlicher Vorstufen verbindlich mit auf-

zunehmen;
2. eine bundesweit verpflichtende Positivkennzeichnung für regionale Lebensmittel

einzuführen, die bei freiwilligen Angaben zur regionalen Herkunft zur Definition
der selbstgewählten Angabe auf dem Etikett verpflichtet,
– die verpflichtende Positivkennzeichnung in ihren Kriterien an die nachge-

besserten Kriterien des Regionalfensters anzulehnen,
– auszuschließen, dass zusätzliche, freiwillige Regionalangaben den Angaben

des Regionalfensters widersprechen;
3. eine neue Regionalvermarktungsstrategie des Bundes zu entwickeln,

– dazu eng mit zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren wie etablier-
ten Regionalvermarktungsinitiativen, dem Aktionsbündnis Tag der Regio-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9544

nen, dem Bundesverband Regionalbewegungen e. V., den Öko-Anbauver-
bänden, den berufsständischen Vertretungen, dem Regionalfenster e. V. und
in der Regionalvermarktung aktiven Unternehmen sowie Institutionen der
Verbraucherberatung zusammenzuarbeiten,

– sich im Rahmen des Planungsausschusses für Agrarstruktur und Küsten-
schutz (PLANAK) dafür einzusetzen, dass über die Gemeinschaftsaufgabe
Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) regionale Verarbeitungs- und Ver-
marktungsstrukturen gefördert werden,

– ein neues Bundesprogramm Regionalvermarktung in Höhe von 5 Millionen
Euro aufzulegen, das die regionale Vermarktung von Lebensmitteln mit ei-
nem Mix aus Verbraucherinformationskonzepten, Beratung, Forschung und
Wissensvermittlung stärkt,

– die Vernetzung und den Aufbau von Regionalvermarktungssystemen zu un-
terstützen und auszubauen.

Berlin, den 5. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Viele freiwillige Regionalangaben entsprechen derzeit nicht dem Verbraucheranspruch an Regionalität.1 Hier
besteht eine Regelungslücke, weil der Begriff „Region“, Attribute wie „von hier“ oder „aus der Nähe“ rechtlich
nicht definiert sind. Zwar sind irreführende Bezeichnungen auf Lebensmitteletiketten verboten2, diese Irrefüh-
rung kann bei Regionalangaben aber nur schwer nachgewiesen werden. Im Sinne des Verbraucherschutzes kann
eine verpflichtende Positivkennzeichnung Transparenz schaffen und Betrug vorbeugen.3
Diese Regelung führt dazu, dass Greenwashing ein Riegel vorgeschoben wird. Die Kriterien für diese Zusatzan-
gabe sollen sich an denen des weiterentwickelten Regionalfensters orientieren, das mit seiner Ad-hoc-Definition
der Herkunftsregion den richtigen Ansatz verfolgt, aber in seinen Kriterien ebenfalls noch zu weich ist, um den
Verbrauchererwartungen an Regionalität zu entsprechen.4
Durch den Mix aus einem weiterentwickelten Regionalfenster, einer verpflichtenden Positivkennzeichnung regi-
onaler Produkte und einer Strategie zur Regionalvermarktung des Bundes können regionale Verarbeitungs- und
Vermarktungsstrukturen nachhaltig auf- und ausgebaut sowie Wertschöpfungskreisläufe gerade in ländlichen
Regionen angeregt werden. So kommt Regionalität aus der Nische und die Kaufkraft in den Ballungszentren
nützt der wirtschaftlichen Entwicklung ländlicher Räume sowie der Sicherung der Nahversorgung.
1 Verbraucherzentrale Niedersachsen e. V., „Lebensmittel mit Regionalangabe – Verwirrspiel oder wichtige Einkaufshilfe?“, April 2016,

www.vzhh.de/ernaehrung/462842/vzhh_Untersuchungsbericht_Regionalkennzeichnung.pdf, abgerufen am 09.06.2016.
2 Eine Irreführung liegt nach §11 Abs. 1 Nr. 1 des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) dann vor, wenn zur Täuschung geeignete Angaben

oder Aussagen über Ursprung und Herkunft gemacht werden. Dies gilt somit für alle freiwilligen Herkunftsangaben.
3 Eine solche Regelung fällt unter die Art. 38 und 39 der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV), wonach der Erlass ergänzender mitgliedstaat-

licher Vorschriften im Regelungszusammenhang der LMIV erlaubt ist, wenn diese Vorschriften – wie im Fall der verpflichtenden Positivkennzeich-
nung – aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Betrugsvorbeugung gerechtfertigt sind.

4 Verbraucherzentrale Niedersachsen e. V., „Lebensmittel mit Regionalangabe – Verwirrspiel oder wichtige Einkaufshilfe?“, April 2016,
www.vzhh.de/ernaehrung/462842/vzhh_Untersuchungsbericht_Regionalkennzeichnung.pdf, abgerufen am 09.06.2016.

http://www.vzhh.de/ernaehrung/462842/vzhh_Untersuchungsbericht_Regionalkennzeichnung.pdf
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