BT-Drucksache 18/9507

Völkische Siedlerbewegung

Vom 30. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9507
18. Wahlperiode 30.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Kerstin Kassner, Katja Kipping, Katrin Kunert, Caren Lay, Martina Renner,
Kersten Steinke und der Fraktion DIE LINKE.

Völkische Siedlerbewegung

Rechtsextreme versuchen seit längerer Zeit, den ländlichen gering besie-
delten Raum für sich zu vereinnahmen. Dort sehen sie eine vermeintlich noch
„intakte Volksgemeinschaft“ jenseits der großen Städte (vgl. hierzu sowie zu den
folgenden Angaben: www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/voelkische_
siedler_web.pdf). Gerade in gering besiedelten, von Verwaltungsstrukturen ver-
nachlässigten Orten, denen es an sozialen und kulturellen Ereignissen mangelt,
können dort lebende Rechtsextremisten leichter in einflussreiche Positionen ge-
langen. In der Zeitschrift der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokra-
ten (JN) „Hier & Jetzt“ hieß es dazu: „Der Individualisierungsgrad und die fremd-
ländische Bevölkerungsdichte sind in Städten höher als in ländlichen Regionen.
[…] In existenzbedrohenden Krisen werden Familien und sonstige Gemeinschaf-
ten gestärkt und das unattraktive Mitteldeutschland wird folgerichtig zum Rück-
zugsgebiet, die Entvölkerungstendenz umgekehrt.“ (Nr. 19, 2013). Völkische
Siedlungsprojekte auf dem Land finden sich nicht nur in den hier als „Mittel-
deutschland“ bezeichneten Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,
Sachsen-Anhalt sondern auch in Schleswig-Holstein, Bayern, Hessen und der Lü-
neburger Heide in Niedersachsen. Einige westdeutsche Siedlerfamilien, deren
Weltanschauung auf das rassistisch-antisemitische Denken der völkischen Bewe-
gung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgeht, leben bereits in der dritten Ge-
neration auf abgelegenen Höfen. Völkische Siedlungsnetzwerke zielen auf eine
langfristige Beeinflussung der ländlichen und dörflichen Alltagskultur mit dem
Ziel der Etablierung einer völkischen Gemeinschaft und dem Aufbau eines autar-
ken nationalen Wirtschaftsnetzwerkes. Hierzu arbeiten völkische Siedlerinnen
und Siedler oft in traditionellen Berufen wie der (Bio-)Landwirtschaft, im Kunst-
handwerk oder als Hebammen. Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern kam
es bereits zur Gründung von Handwerkskooperativen und Zusammenschlüssen
von Biobauern mit völkischem Hintergrund.
Völkische Siedlersippen befürchten eine „Überfremdung“ durch Zuwanderung,
die in der Konsequenz zum „Volkstod“ führen würde. Mit Überlebenstraining
und Wehrsportübungen, bei denen bereits Kinder und Jugendliche gedrillt wer-
den, üben einige dieser Siedlerfamilien die Verteidigung der „Volksgemein-
schaft“. Der ländliche Raum bietet den völkischen Siedlern die Chance, ihre Kin-
der mit weniger Einfluss von außen und durch stärkere soziale Kontrolle durch
die „Sippe“ im Sinne ihrer völkischen Weltanschauung zu erziehen.

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Schon unter den mittlerweile verbotenen neonazistischen Kinder- und Jugendor-
ganisationen „Heimattreue Deutsche Jugend“ und „Wiking Jugend“ waren die
Kinder völkischer Sippen stark vertreten. Heute schicken die Sippen ihre Kinder
mit rechtsextremen Organisationen wie dem „Sturmvogel“, dem „Freibund“ oder
dem „Jugendbund Pommern“ auf Fahrten und in Ferienlager. Ein Teil der völki-
schen Siedler gehört der rassistischen Sekte „Artgemeinschaft“ des inzwischen
verstorbenen Hamburger Neonazis Jürgen Rieger an, die sich für „Arierzucht-
Pläne“ stark macht. Andere Siedler insbesondere im Raum Güstrow gehören den
völkisch-esoterischen Neo-Artamanen an (www.amadeu-antonio-stiftung.de/
w/files/pdfs/voelkische_siedler_web.pdf; www.mopo.de/hamburg/ihr-ziel--
herrschaft-ueber-die-doerfer-nazi-siedler-umzingeln-hamburg-24332068).
Die Bundesregierung erklärte auf eine parlamentarische Anfrage, es bestehe die
Gefahr, „dass die sogenannten völkischen Siedler (von denen aber nicht alle als
rechtsextremistisch eingestuft werden können) versuchen, durch aktive Mitwir-
kung in regionalen Ökologieprojekten sowie in Vereinen, Erziehungseinrichtun-
gen, Kirchenstrukturen und anderen Gruppen ihre Akzeptanz zu erhöhen und
gleichzeitig ihre teils rassistische Ideologie zu verbreiten“ (Bundestagsdrucksa-
che 17/14635). Dadurch könne es zu einer „negativen Einflussnahme auf örtliche
zivilgesellschaftliche und politische Strukturen bis hin zur Erringung von Man-
daten bei künftigen Kommunalwahlen kommen.“

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche spezifischen Gemeinden im ländlichen Raum sind der Bundesregie-

rung bekannt, die als Siedlungsschwerpunkt von Neonazis und anderen
Rechtsextremen zu charakterisieren sind?

2. Inwieweit kann die Bundesregierung eine gezielte Strategie von Rechtsext-
remen hinter ländlicher Siedlungstätigkeit erkennen?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über völkische Siedler, die
sich im ländlichen Raum zu agrarisch oder handwerklich orientierten Sied-
lungsstrukturen zusammenschließen?

4. Wie viele völkische Siedler bzw. Siedlerfamilien (Sippen) in welchen Bun-
desländern sind der Bundesregierung bekannt?

5. Über welche konkreten Strukturen, Siedlungen, Betriebe, Kooperativen,
Vereine und Dachverbände sowie welche Medien verfügen völkische Siedler
nach Kenntnis der Bundesregierung in den einzelnen Bundesländern (bitte
einzeln aufzählen)?

6. Welche regelmäßigen überregionalen Veranstaltungen, Feiern und Ver-
sammlungen, die vornehmlich von völkischen Siedlern besucht werden, sind
der Bundesregierung bekannt?
Wann, wo und mit welchem Inhalt und Charakter (Musikfestival, Kulturver-
anstaltung, politischer Austausch, Sommercamp etc.) finden diese statt, wel-
che Gruppierungen oder Personen sind für die Ausrichtung dieser Veranstal-
tungen verantwortlich, und wie viele völkischen Siedler und andere Rechts-
extreme aus welchen Regionen beteiligen sich daran?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Ferienlager, Fahrten etc.,
an denen vornehmlich Kinder völkischer Siedler teilnehmen?
Wer veranstaltete solche Lager oder Fahrten, wann und wo fanden sie statt,
wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen daran teil, und welche
Inhalte wurden vermittelt?

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8. Stuft die Bundesregierung weiterhin – wie auf Bundestagsdrucksache 17/14635
genannt – nicht alle völkischen Siedler als rechtsextremistisch ein?
Wenn ja, welche konkreten völkischen Siedlergruppen sieht sie trotz der von
diesen verfolgten Weltanschauung aufgrund welcher Kriterien nicht als
rechtsextremistisch an?

9. Inwieweit versuchen rechtsextreme Organisationen oder Einzelpersonen
nach Kenntnis der Bundesregierung auf nicht-extremistische Siedler einzu-
wirken, und mit welchem Erfolg?

10. Inwieweit stehen völkische Siedler nach Kenntnis der Bundesregierung in
Verbindung mit organisierten rechtsextremen Gruppierungen und Neonazis
wie den Parteien NPD, DIE RECHTE und Dritter Weg sowie freie Kame-
radschaften, und inwieweit gehören die Siedler diesen Parteien oder Struktu-
ren an?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die folgenden Gruppie-
rungen und ihre Beziehungen zur völkischen Siedlerbewegung
a) Sturmvogel,
b) Freibund,
c) Jugendbund Pommern,
d) Artgemeinschaft,
e) Neo-Artamanen?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche Nachfolge-
und Ersatzorganisationen für die vom Bundesministerium des Innern verbo-
tenen Organisationen Wiking-Jugend und Heimattreue Deutsche Jugend so-
wie deren Aktivitäten und Beziehungen zur völkischen Siedlerbewegung?

13. Inwieweit und mit welchem Erfolg bemühen sich rechtsextreme Organisati-
onen, völkische Siedler und Personen aus dem rechtsextremen Spektrum
nach Kenntnis der Bundesregierung um Einfluss auf die Umwelt- bzw. Öko-
logiebewegung?

14. Inwieweit kann die Bundesregierung, wie auf Bundestagsdrucksache
17/14635 benannt, eine negative Einflussnahme auf örtliche zivilgesell-
schaftliche und politische Strukturen durch völkische Siedler erkennen, und
welche konkreten Beispiele kann sie dafür anführen?

15. Inwieweit ist es völkischen Siedlern nach Kenntnis der Bundesregierung ge-
lungen, „durch aktive Mitwirkung in regionalen Ökologieprojekten sowie in
Vereinen, Erziehungseinrichtungen, Kirchenstrukturen und anderen Grup-
pen ihre Akzeptanz zu erhöhen und gleichzeitig ihre teils rassistische Ideo-
logie zu verbreiten“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14635), und welche kon-
kreten Fälle und Beispiele dafür kann die Bundesregierung anführen?

16. Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Gefahr für die öffentliche Sicher-
heit und Ordnung, das friedliche Zusammenleben und die demokratische
Grundordnung von völkischen Siedlern ausgehen?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Teilnahme von völ-
kischen Siedlern an Wehrsportübungen?

18. Inwieweit sind der Bundesregierung Waffen- und Munitionsfunde bei völki-
schen Siedlern bekannt (bitte angeben, wann, wo und was gefunden wurde)?

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19. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Immobilien im ländli-
chen Raum bzw. in kleineren, dörflichen Gemeinden, die zu Veranstaltungs-
zwecken von Rechtsextremen genutzt werden, und welche Immobilie betrifft
dies im Einzelnen (bitte nach Objekten und Bundesländern, Nutzern – z. B.
NPD, Kameradschaften, völkische Siedler etc. – Nutzung – z. B. Konzerte,
Veranstaltungen, Schulungen, Gewerbliches etc. – aufgliedern)?

20. Welche Möglichkeiten zur Aufklärung betroffener Gemeinden vor den Ge-
fahren durch völkische Siedler und Ratschläge zum Umgang mit solchen
Sippen sind der Bundesregierung bekannt?

Berlin, den 30. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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