BT-Drucksache 18/9438

Neuausrichtung der Seelotsausbildung

Vom 18. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9438
18. Wahlperiode 18.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Annalena Baerbock, Matthias Gastel,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden),
Christian Kühn (Tübingen), Markus Tressel und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neuausrichtung der Seelotsausbildung

Die deutsche Seeschifffahrt leidet aktuell unter einer stark zurückgehenden Zahl
von ausgebildeten Schiffsoffizieren (Nautikern). Aufgrund ihrer nationalen Aus-
richtung sind von dieser Entwicklung vor allem staatliche Einrichtungen betrof-
fen, wie die See- und Hafenlotsen, die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwal-
tung des Bundes (WSV) oder das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrogra-
phie (BSH) sowie viele weitere.
Ausschlaggebend für diese Entwicklung ist vornehmlich die weltweite Schiff-
fahrtskrise, die sich seit 2008 mit sinkender Flotte und einer gleichzeitig steigen-
den Zahl an arbeitssuchend gemeldeten Seeleuten besonders auf Deutschland ne-
gativ auswirkt. Mit dieser Krise einher ging auch eine maritime Ausbildungskrise,
deren Ende weiterhin nicht absehbar ist. Viele Nautik-Studiengänge an Hoch-
schulen der Küstenländer hatten über mehrere Semester nur sehr geringe Zahlen
an Studienanfängern. Es fehlt nach Auffassung der Fragesteller weiterhin an ei-
nem auf den Bedarf abgestimmten Konzept zur maritimen Ausbildung.
Besonders die deutschen Seelotsbrüderschaften sind durch die zurückgehenden
Auszubildendenzahlen betroffen. Rund ein Drittel der heute beschäftigten Seelot-
sen wird bis zum Jahr 2024 in Rente gehen, danach könnte sich die Situation noch
weiter zuspitzen, wenn das Nachwuchsproblem nicht gelöst ist. Es scheint daher
eine Neuausrichtung notwendig, um Bedarf über hierzulande ausgebildete Fach-
kräfte decken zu können.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Geht die Bundesregierung unter Voraussetzung des bisherigen Ausbildungs-

modells von einem Mangel an Seelotsen bis 2030 aus, und wenn ja, in wel-
cher Höhe, und wenn nein, warum nicht?

2. Wie haben sich die Bestandszahlen bei den Seelotsen seit 2000 jährlich ent-
wickelt, und wie werden sich die Zahlen der Bestallungsinhaber bis 2030 bei
den Seelotsen nach Kenntnis der Bundesregierung voraussichtlich entwi-
ckeln?

3. Welcher Ausbildungsweg bzw. welche Ausbildungswege führen aktuell zum
Beruf des Seelotsen bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung zum Beruf des
Hafenlotsen (bitte getrennt aufführen)?

4. Verfolgt die Bundesregierung eine Neuausrichtung des Ausbildungswegs
zum Seelotsen, und wenn ja, wie, und wenn nein, warum nicht?

Drucksache 18/9438 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
5. Wie weit sind mögliche Planungen für eine Neuausrichtung der Seelotsaus-
bildung bereits fortgeschritten, und inwieweit ist die Bundesregierung bzw.
welche Dritte beteiligt?

6. Geht die Bundesregierung davon aus, dass es eine ausreichend große Grund-
gesamtheit an in Deutschland fertig ausgebildeten Kapitänen gibt, die sich
zukünftig zum Seelotsen weiterqualifizieren könnten, und wenn ja, wie hoch
liegt diese Zahl aktuell, und wie wird sich diese Zahl voraussichtlich nach
Kenntnis der Bundesregierung bis zum Jahr 2030 entwickeln, und wenn nein,
warum nicht, und was folgert sie daraus?

7. Wird es für ein mögliches neues Ausbildungsmodell zum Seelotsen ein zent-
rales Einstellungsverfahren geben oder werden die jeweiligen Seelotsbrüder-
schaften im Rahmen ihrer Selbstverwaltung über die Einstellung mit ent-
scheiden können?

8. Inwieweit soll die Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt e. V. (BBS) in das Ein-
stellungs- bzw. Ausbildungsverfahren einbezogen werden, und welchen
Mehrwert hätte eine solche Beteiligung für die Seelotsbrüderschaften bzw.
die ausgebildeten Seelotsen nach Auffassung der Bundesregierung oder
könnte das Einstellungs- und Ausbildungsverfahren zum Seelotsen auch
ohne die BBS durchgeführt werden, wie bisher durch die GDWS (General-
direktion Wasserstraßen und Schifffahrt der WSV) unter Mitwirkung der
Lotsenbrüderschaften?

9. Inwieweit und durch welche Maßnahmen ist eine regelmäßige Bewertung
(Evaluation) des neuen Ausbildungsgangs vorgesehen?

10. Welche Anteile eines neuen Ausbildungsgangs werden sich auf welche be-
reits existierenden Studiengänge und Ausbildungsberufe (Nautik) stützen,
und in welcher Dauer wird ein Lotsenanwärter seine Ausbildung zukünftig
abgeschlossen haben?

11. Welche Durchlässigkeiten, etwa für Quereinsteiger, sind bei einem neuen
Ausbildungsweg vorgesehen?

12. Werden sich Seelotsanwärter zukünftig bereits zu Beginn des Studiums bzw.
ihrer sonstigen maritimen Ausbildung dazu entscheiden müssen, Seelotse zu
werden oder wäre dies auch später, nach dem Erlangen des Kapitänspatents,
wie bisher möglich?

13. Inwieweit sollen die Ausbildungsgänge nautischer Offiziersassistent bzw. im
Vorfeld der zukünftigen Seelotsausbildung eine Rolle spielen?

14. Inwieweit soll der Ausbildungsgang Schiffsmechaniker im Vorfeld der zu-
künftigen Seelotsausbildung eine Rolle spielen?

15. a) Wie haben sich die Anzahl der Lotsungen seit 2000 in der Nordsee, am
Nord-Ostsee-Kanal und in der Ostsee jährlich entwickelt (bitte nach Jah-
ren und falls möglich nach Fahrtgebieten Elbe, Weser/Jade, Ems, Nord-
Ostsee-Kanal, Ostsee tabellarisch aufschlüsseln)?

b) Welche Tendenz der Entwicklung der Anzahl der Lotsungen leitet die
Bundesregierung für die folgenden Jahre ab?

16. Wie unterscheiden sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Ausbildun-
gen der Seelotsen zu denen der Hafenlotsen in den jeweiligen Küstenländern
(bitte tabellarisch aufführen)?

17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von Änderungen am Ausbil-
dungssystem der Hafenlotsen in den Küstenländern seit 2010 oder über be-
absichtigte zukünftige Änderungen?

18. Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Nachwuchssituation
bei den Hafenlotsen in den Küstenländern dar?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9438

19. Wie wird in anderen europäischen Nachbarstaaten, etwa die Niederlande,

Belgien, Frankreich oder Dänemark und den Ländern Skandinaviens die See-
lotsausbildung nach Kenntnis der Bundesregierung organisiert (bitte tabella-
risch darstellen)?

20. a) Inwieweit wird bereits heute seitens der GDWS bzw. der deutschen Lot-
senbrüderschaften auf im Ausland ausgebildete Schiffsoffiziere/Kapitäne
zurückgegriffen?

b) Inwieweit ist es nach Auffassung der Bundesregierung vorstellbar, zur Si-
cherung des Nachwuchses zukünftig vermehrt auf im Ausland ausgebil-
dete Kapitäne zurückzugreifen?

21. Bis wann plant die Bundesregierung die Anpassung des Seelotsgesetzes, mit
welchen Änderungen, falls sie keine Änderungen plant, warum nicht?

22. Welche Mehrkosten werden durch eine Anpassung der Seelotsenausbildung
auf die lotspflichtigen Schiffe, die deutsche Häfen anlaufen, voraussichtlich
insgesamt entstehen?

23. Wie soll nach Kenntnis der Bundesregierung die Finanzierung der Mehrkos-
ten einer angepassten Seelotsenausbildung sichergestellt werden?

24. Welche weiteren über ein mögliches neues Ausbildungssystem hinausgehen-
den Maßnahmen zur Modernisierung des Lotswesens plant die Bundesregie-
rung, falls sie keine Maßnahmen plant, warum nicht?

25. Stellt die Bundeslotsenkammer eine Körperschaft mit funktionierender
Selbstverwaltung dar, und wenn nein, warum nicht, und inwieweit strebt die
Bundesregierung in diesem Zusammenhang an, die Verwaltung der Bun-
deslotsenkammer ggf. unter Einbezug des Bundesverbands der See- und Ha-
fenlotsen e. V. umzustrukturieren?

26. Kann der einzelne freiberufliche Seelotse in der Bundeslotsenkammer seine
Interessen selbst vertreten?
Falls nein, auf welchem Wege erfolgt die (basis)demokratische Meinungs-
findung in der Bundeslotsenkammer (bitte den Vorgang beschreiben)?

27. Inwieweit spielen Erfahrungen als Nautiker in verantwortlicher Stellung au-
ßerhalb von Seelotsrevieren bei den Überlegungen der Novellierung der See-
lotsausbildung eine Rolle in Bezug auf Lotsungen außerhalb bzw. von und
nach Seelotsrevieren, wie sie bereits aktuell ausgeführt werden müssen (Dis-
tanzlotsungen)?

Berlin, den 18. August 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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