BT-Drucksache 18/9428

Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration

Vom 15. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9428
18. Wahlperiode 15.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Heidrun Bluhm,
Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, Birgit Menz und der Fraktion DIE LINKE.

Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration

In Deutschland wird der überwiegende Teil der männlichen Schweine (rund
20 Millionen Ferkel jährlich) kastriert, weil ein kleiner Teil der Schweine (zwi-
schen 1 und 10 Prozent) einen für Verbraucherinnen und Verbraucher unange-
nehmen Ebergeruch (hervorgerufen durch die körpereigene Produktion von
Skatol und Androstenon) entwickeln. Die Ferkelkastration wird bislang oft ohne
Betäubung oder Anwendung von Schmerzmitteln direkt in den landwirtschaftli-
chen Betrieben durchgeführt.
Um den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen an die Tierhaltung Rech-
nung zu tragen, wurde der Ausstieg aus der jahrzehntelangen Praxis der betäu-
bungslosen Ferkelkastration entschieden. Ab dem Jahr 2019 wird sie nicht mehr
zulässig sein. Seit Jahren werden Alternativen zur betäubungslosen Kastration
untersucht, die tierschutzrechtlichen Forderungen entsprechen, als sicher gelten
und für die tierhaltenden Betriebe keine unangemessene betriebswirtschaftliche
Belastung bedeuten. Diskutiert werden u. a. die Kastration unter Betäubung mit
anschließender Schmerzmittelbehandlung, die Immunokastration, d. h. eine che-
mische Unterdrückung der Hodenfunktion (und damit des Ebergeruchs) sowie
der Verzicht auf die Kastration durch Ebermast. Die Bundesregierung hat 13 For-
schungsprojekte mit insgesamt 8,3 Mio. Euro Forschungsmitteln gefördert und
sieht mit deren Abschluss den grundlegenden Forschungsbedarf gedeckt. Unter
den alternativen Verfahren zur betäubungslosen Kastration gibt die Bundesregie-
rung keinem den Vorzug, sondern betont die Wahlfreiheit der tierhaltenden Be-
triebe.
Zur Betäubung von Schweinen sind in Deutschland die Wirkstoffe Ketamin und
Azaperon zugelassen; das Narkosegas Isofluran darf nur durch Umwidmung an-
gewendet werden (Arzneimittelgesetz). Betäubungsmittel dürfen ausschließlich
von Tierärztinnen und Tierärzten verabreicht werden und eine Änderung dieser
Regelung ist im Rahmen der Ferkelkastration nicht vorgesehen.
Für die Immunokastration ist seit 2009 nur Improvac® des Pharmakonzerns Pfizer
in der EU zugelassen. Die zwei- oder dreifache Impfung der Schweine ist zwar
verschreibungspflichtig, sie kann aber von den Tierhalterinnen und Tierhaltern
selbst vorgenommen werden.
Für die Ebermast besteht Unsicherheit hinsichtlich der Eberhaltung, Abnahmega-
rantien bei Eberfleisch wegen der veränderten Fettqualität und bei Schweinen mit
Ebergeruch, denn die Merkmalsträger sind bislang nicht diagnostisch identifizier-
bar. Solange diese sichere Geruchsdetektion nicht verfügbar ist, tragen die Be-
triebe ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko.

Drucksache 18/9428 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Im Jahr 2015 wurden nach Schätzungen 11,7 Millionen Ferkel nach Deutschland
importiert, davon zwei Drittel aus Dänemark und ein Drittel aus den Niederlanden
(Situationsbericht DBV). Während in Dänemark die betäubungslose Ferkelkast-
ration bzw. die Ebermast kein Kriterium des neuen Tierwohllabels ist und rund
99 Prozent der Ferkel unter Schmerzmittelgaben kastriert werden, nutzen die Nie-
derlande die Kohlendioxidbetäubung, ebenfalls auf Basis einer freiwilligen
Selbstverpflichtung. Diese Methode ist jedoch riskant und schließt keine
Schmerzstillung ein.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Ergebnisse erzielte die Fachtagung „Verzicht auf betäubungslose

Ferkelkastration – Fahrplan bis 2019“ (Veranstaltung des Bundesministeri-
ums für Ernährung und Landwirtschaft am 9. Juni 2016), und welche kon-
kreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

2. Hat die Bundesregierung eine Machbarkeitsstudie bzw. Studie zur wirt-
schaftlichen Folgenabschätzung des Verbots der betäubungslosen Ferkel-
kastration in Auftrag gegeben?
Wenn ja, an wen, und wann sollen die Ergebnisse vorliegen?
Wenn nein, warum nicht?

3. Welche Forschungsprojekte hat die Bundesregierung zur Klärung offener
Fragen in Vorbereitung auf den Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkel-
kastration und zur Umstellung auf alternative Verfahren vergeben?
An wen, mit welchen Laufzeiten und in welcher Höhe wurden Fördermittel
vergeben (bitte einzeln auflisten)?

4. Welche Forschungsprojekte wurden im Rahmen der Innovationsforschung
und welche wurden im Rahmen des Bundesprogramms „Ökologischer Land-
bau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft“ (BÖLN) vergeben?

5. Welche Forschungsprojekte im Auftrag der Bundesregierung zum Ausstieg
aus der Ferkelkastration sind wann mit welchem Ergebnis abgeschlossen?

6. Warum hält die Bundesregierung den grundlegenden Forschungsbedarf für
gedeckt, obwohl bisher weder Eber ohne Ebergeruch gezüchtet werden kön-
nen noch die Diagnostik zur Bestimmung der Merkmalsträger oder eine pra-
xistaugliche automatische Detektion von geruchsauffälligem Eberfleisch
entwickelt wurde?

7. Welche konkreten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der
praktischen Erprobung der Isoflurannarkose vor, insbesondere hinsichtlich
der fehlenden Schmerzhemmung und Arbeitsschutzrisiken?

8. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einwände der Bundestierärztekam-
mer gegen die Anwendung von Isofluran wegen fehlender Schmerzhem-
mung beim Ferkel und aus Arbeitsschutzgründen?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Praxis der Kohlendioxidbetäubung
bei der Ferkelkastration wie sie in den Niederlanden durchgeführt wird?

10. Prüft die Bundesregierung die Abgabe lokaler Betäubungsmittel an die Tier-
halterinnen oder Tierhalter als eine weitere Alternative (bitte begründen)?

11. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung zur Akzeptanz der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher gegenüber der Immunokastration bzw. Fleisch
von geimpften Schweinen vor, und welche Schlüsse zieht sie daraus?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9428

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum aktuellen Stand der

EU-Zulassungsverfahren für zwei weitere Impfstoffe zur Immunokastration
bei Ferkeln, und ab wann rechnet die Bundesregierung mit ihrer Verfügbar-
keit?

13. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich neuer Tier-
schutzprobleme bei der Ebermast (z. B. Penisbeißen) vor, und welche
Schlüsse zieht sie daraus?

14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche Schwierigkeiten
in der Verarbeitung aufgrund veränderter Fettqualitäten bei Eberfleisch, und
welche Schlüsse zieht sie hieraus?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zur Praxis anderer EU-Länder,
wie beispielsweise Großbritannien, die Schweine vor der Geschlechtsreife
zu schlachten, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

16. In welchem Umfang hält die Bundesregierung zukünftig weitere Finanzmit-
tel für Forschungen zur Umsetzbarkeit der Alternativen der betäubungslosen
Ferkelkastration für notwendig (bitte begründen)?

17. Hält die Bundesregierung die Beteiligung der Schlacht- und Verarbeitungs-
industrie sowie den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) an den Kosten für den
Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration für notwendig und ge-
rechtfertigt?
Wenn ja, wie wird sie dazu beitragen?
Wenn nein, warum nicht?

18. Werden alternative Verfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration als ma-
nagement- und tierbezogenes Kriterium bei der aktuellen Prüfung für ein staat-
liches Tierwohllabel berücksichtigt (vgl. die Antwort der Bundesregierung auf
die Schriftlichen Fragen 45 und 46 auf Bundestagsdrucksache 18/9295)?
Wenn ja, welches?
Wenn nein, warum nicht?

19. Prüft die Bundesregierung die Einführung einer besonderen Kennzeichnung
für Schweinefleisch aus EU-Mitgliedstaaten wie Dänemark und die Nieder-
lande, in denen auf die betäubungslose Ferkelkastration im Rahmen der frei-
willigen Selbstverpflichtung verzichtet wird?
Wenn ja, mit welchem Ziel?
Wenn nein, warum nicht?

20. Inwiefern erwartet die Bundesregierung Marktverschiebungen durch die un-
terschiedlichen Regelungen in der EU zur Ferkelkastration, insbesondere vor
dem Hintergrund, dass das Tierschutzproblem nicht gelöst, sondern lediglich
auf andere Mitgliedstaaten verlagert wird, und welche Schlussfolgerungen
zieht sie daraus?

21. Welche konkreten Initiativen hat die Bundesregierung für eine EU-einheitliche
Regelung unternommen, und welche konkreten Schritte wurden vereinbart?

22. Welche neuen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung bezüglich weitrei-
chender betriebswirtschaftlicher Folgen für die schweinehaltenden Betriebe
vor, die bei der Annahme der Novelle des Tierschutzgesetzes 2012 nicht hin-
reichend bekannt waren oder nicht angemessen berücksichtigt wurden?

Berlin, den 15. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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