BT-Drucksache 18/9383

Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum BKA-Gesetz

Vom 9. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9383
18. Wahlperiode 09.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Ulla Jelpke, Martina Renner,
Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Halina Wawzyniak und der
Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum BKA-Gesetz

Am 20. April 2016 verkündete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Ur-
teil über die Verfassungsbeschwerde gegen die Ermittlungsbefugnisse des Bun-
deskriminalamtes (BKA) zur Terrorismusbekämpfung (BVerfG, Urteil des Ers-
ten Senats vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09). Dabei kassierte das Gericht meh-
rere Befugnisse des BKA, die im Jahr 2009 in das Bundeskriminalamtgesetz
(BKAG) erst eingefügt worden waren, ein. Gerade in Bezug auf den datenschutz-
rechtlichen Aspekt enthält das Urteil „eine Art Checkliste“, durch die nicht nur
dem BKA, sondern auch dem Bund und den Ländern ein rechtlicher Rahmen auf-
zeigt wird (heise.de, 29. April 2016).
Das BVerfG stellte besonders den Schutz des „Kernbereich[s] der privaten Le-
bensgestaltung“ hervor. Jede Überwachungsmaßnahme muss nach den Karlsru-
her Richtern erst einer Vorabkontrolle durch „unabhängige Stellen“ unterzogen
werden. Das Gericht lässt explizit offen, ob eine solche „unabhängige Stelle“ ein
Gericht oder eine andere externe Stelle sein soll (1 BvR 966/09, Rn. 117, 118).
Auch zur Durchsetzung des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
kann eine Vorabsichtung erhobener Daten durch eine „unabhängige Stelle“ in
Frage kommen (Rn. 129).
Weiter verpflichtet das Gericht das BKA zur Einhaltung der Löschpflichten,
wenn die Zweckerfüllung der erhobenen Daten erfüllt ist, und zur längeren Ar-
chivierung der Löschprotokollierung (Rn. 205).
Ebenfalls muss der Gesetzgeber gesetzliche Berichtspflichten im BKAG veran-
kern. So müsse mehr parlamentarische Transparenz sowie eine aufsichtsbehörd-
liche Kontrolle durch die Bundesdatenschutzbeauftragte oder den Bundesdaten-
schutzbeauftragten geschaffen werden (Rn. 143).
Auch die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus Überwachungsmaß-
nahmen an andere Staaten wird durch das Urteil des BVerfG eingeschränkt. Die
Übermittlung bezeichnet das Gericht als Zweckänderung, die der Zweckbindung
der gesammelten Daten grundsätzlich zuwider läuft. Die Übermittlung ist nur zu-
lässig, wenn vier vom Gericht vorgegebene Grundsätze eingehalten werden. Es
dürfen u. a. keine elementaren rechtstaatlichen Grundsätze durch die übermittel-
ten Daten verletzt werden. Der Staat darf „keinesfalls […] seine Hand zu Verlet-
zungen der Menschenwürde reichen“ (Rn. 328). Jedoch äußerte sich der Bundes-
minister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, kürzlich zum Geheimdienst-Aus-
tausch mit der Türkei dezidiert: „Ich kann doch nicht auf die Information über
einen für Deutschland gefährlichen Menschen verzichten, nur weil sie aus einem

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Staat kommt, wo die Pressefreiheit nicht in vollem Umfang gewährleistet ist“
(Deutschlandfunk, 3. Juli 2016).
Das BVerfG setzte der Bundesregierung eine Frist bis zum 30. Juni 2018, um die
beanstandeten Befugnisse einer Revision zu unterziehen. Der Bundesinnenminis-
ter Dr. Thomas de Maizière kündigte direkt im Anschluss der Urteilsverkündung
an, die „aufgezeigten Handlungsmöglichkeiten bei der Nacharbeit an dem Gesetz
vollumfänglich aus[zu]schöpfen“ (DER SPIEGEL vom 25. April 2016).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Gerichtsur-

teil für den Bereich der Inneren Sicherheit?
2. Welche Planungen gibt es im Bundesministerium des Innern (BMI) zur Um-

setzung des zitierten BVerfG-Urteils zum BKA-Gesetz?
a) In welchen gesetzlichen Normen sieht die Bundesregierung Änderungs-

bedarf infolge des Urteils?
b) Welcher zeitliche Ablauf ist geplant?
c) Sollen angelegentlich der Umsetzung des Urteils weitere Änderungen am

BKA-Gesetz oder an weiteren Rechtsgrundlagen für die Arbeit der Si-
cherheitsbehörden und Nachrichtendienste geschaffen werden, und wel-
che?

3. Ist die Aussage des Bundesinnenministers Dr. Thomas de Maizière die „auf-
gezeigten Handlungsmöglichkeiten bei der Nacharbeit an dem Gesetz voll-
umfänglich aus[zu]schöpfen“ die Strategie der Bundesregierung bei der
Überarbeitung des BKAG, und wenn ja, ist generell das maximale Ausschöp-
fen der vom Gericht gesetzten grundrechtlichen Grenzen Maxime der Bun-
desregierung bei der Terrorismusbekämpfung?

4. Wird das Bundesinnenministerium die Federführung bei der Überarbeitung
des BKAG innehaben, und wenn ja, welche Bundesministerien werden im
Rahmen der Ressortabstimmung beteiligt sein, wenn nein, welches Ministe-
rium wird stattdessen die Überarbeitung durchführen (bitte aufzählen wel-
che)?

5. Wie wirkt sich das Urteil aktuell auf die Praxis des BKA aus?
a) Welche Befugnisse werden derzeit gar nicht angewendet?
b) Welche Befugnisse werden abweichend vom Wortlaut des BKAG nur

eingeschränkt oder in Anwendung einer verfassungskonformen Ausle-
gung angewendet?

c) Welche Befugnisse, die das Urteil beanstandet, werden unverändert wei-
ter angewendet?

6. Wie gestaltet sich die nach bisheriger Rechtsgrundlage für verfassungswidrig
erklärte Praxis (Speicherdauer, Löschprotokollierung) bei der Datenarchivie-
rung von personenbezogenen Daten aus sensiblen Überwachungsmaßnah-
men?

7. Wann wird in der bisherigen Praxis des BKA die Zweckbindung für gesam-
melte Daten aus dem privaten Kernbereich aufgehoben und die Daten für
andere Ermittlungsverfahren freigegeben?

8. Bewertet die Bundesregierung den organisatorischen Mehraufwand durch
die Kontrolle vor und nach der Überwachungsmaßnahme seitens unabhängi-
ger Stellen als maßgebliche Belastung bei der Terrorismusabwehr durch das
BKA, wenn ja, wie wird der Mehraufwand (Arbeitsstunden) konkret einge-
schätzt, und sind dafür neue Planstellen vorgesehen?

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9. Welche Vorstellungen werden derzeit im BMI entwickelt, wie die vom Bun-
desverfassungsgericht geforderte „unabhängige Kontrolle“ durch eine „un-
abhängige Stelle“ (s. Vorbemerkung) ausgestaltet sein soll?

10. Wie bewertet die Bundesregierung in Hinblick auf die Autonomie der unab-
hängigen Stelle den Sachverhalt, dass in dem Urteil des BVerfG gefordert
wird, dass Mitarbeiter des BKA zur Beratung der „unabhängigen Stellen“ bei
der Bewertung der gesammelten Daten aus dem privaten Kernbereich abge-
stellt werden sollen, und wie beabsichtigt die Bundesregierung die Autono-
mie der Entscheidungsfindung der unabhängigen Stelle zu schützen bzw. zu
ermöglichen?

11. Sind im Entwurf für den Haushaltsplan 2017 neue Planstellen für die Ein-
richtung der unabhängigen Stellen und für die Bundesbeauftragte für den Da-
tenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), um die effektive aufsichtsbe-
hördliche Kontrolle des BKA zu gewährleisten, vorgesehen?

12. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Entscheidung des Gerichtes, dass das BKA durch ausreichend sub-
stanziierte Tätigkeitsberichte sowohl das Parlament als auch die Öffentlich-
keit unterrichten muss, insbesondere unter dem Aspekt der Inneren Sicher-
heit?

13. Welche gesetzgeberischen Folgen hat nach Auffassung der Bundesregierung
die Schaffung einer Transparenz- und Informationspflicht innerhalb des
BKAG, und welche Bundesgesetze wären ebenfalls davon betroffen?

14. Welche gesetzlichen Änderungen müssen nach Ansicht der Bundesregierung
vorgenommen werden, damit die Bundesbeauftragte für den Datenschutz
und die Informationsfreiheit (BfDI) die aufsichtsbehördliche Kontrolle des
BKA – wie vom Gericht vorgesehen – ausüben kann, wenn ja, in welcher
Form soll dies geschehen, und, wenn nein, warum nicht?

15. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den vom BVerfG verfassten Grundsätzen bei der Datenübermittlung von
personenbezogenen Daten an andere Staaten hinsichtlich der internationalen
Zusammenarbeit in der Antiterrorbekämpfung?

16. Existieren schon Pläne für die geforderten gesetzlichen Reglungen zur Über-
mittlung von personenbezogenen Daten an ausländische Behörden und
Dienste, wenn ja,
a) wie sehen diese Pläne konkret aus,
b) sind die Regelungen Bestandteil des BKAG, eines anderen oder eigenen

Gesetzes?
17. Sieht die Bundesregierung die richterlichen Grundsätze auch für andere Bun-

desbehörden und Nachrichtendienste als verbindlich an, und bereitet sie ent-
sprechende Gesetzesänderungen vor (bitte einzeln aufschlüsseln)?

18. Welche Bundesbehörden und Nachrichtendienste übermitteln nach Kenntnis
der Bundesregierung personenbezogene Daten an, ausländische Behörden
und Dienste, und auf welcher rechtlichen Grundlage basiert diese Übermitt-
lung (bitte nach EU und Drittstaaten aufschlüsseln)?

19. Sind bisher auch personenbezogene Daten, die von Überwachungsmaßnah-
men aus dem privaten Kernbereich stammen, – gerade vor dem Hintergrund
der gestärkten Zweckbindung – ohne vermutlichen terroristischen Hinter-
grund an ausländische Behörden und Nachrichtendienste übermittelt worden
(bitte nach Diensten und Behörden sowie EU und Drittstaaten und jeweiligen
jährlichen Datenvolumen aufschlüsseln)?

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20. Wie kann und soll nach Auffassung der Bundesregierung der rechtsstaatliche
Umgang mit den übermittelten personenbezogenen Daten im Übermittlungs-
land zukünftig sichergestellt werden?

21. Sind durch die richterlichen Grundsätze (z. B. Verletzung elementarer
rechtsstaatlicher Grundsätze) bisherige Datenübermittlungen an bestimmte
ausländische Dienste und Behörden zukünftig nicht mehr möglich (bitte nach
welchen Staaten aufschlüsseln)?

22. In welchem Umfang kam es nach Kenntnis der Bundesregierung u. a. auf-
grund der nicht grundrechtskonformen Datenübermittlung in Drittstaaten zu
rechtsstaatswidrigen Handlungen oder/und Menschenrechtsverstößen von
Sicherheitsbehörden in den Empfängerländern (bitte nach Drittstaat, Jahr,
übermittelnder Behörde, Anzahl der Verstöße und betroffenen Personen auf-
listen)?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Übermittlung personen-
bezogener Daten an andere Staaten durch Behörden der Länder im Bereich
der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus und der Strafver-
folgung in diesem Phänomenbereich (Rechtsgrundlagen, Übermittlungs-
wege, Umfang der jährlichen Datenübermittlung, etc.)?

Berlin, den 9. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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