BT-Drucksache 18/9337

Qualitätsstandards der Bundesprogramme im Bereich Linksextremismus bzw. linke Militanz

Vom 3. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9337
18. Wahlperiode 03.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Frank Tempel, Dr. André Hahn,
Kerstin Kassner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Qualitätsstandards der Bundesprogramme im Bereich Linksextremismus
bzw. linke Militanz

Seit dem 1. Januar 2015 läuft das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ Es sieht
sich als Fortsetzung der Bundesprogramme „Toleranz fördern – Kompetenz stär-
ken“ und des umstrittenen Bundesprogramms „Initiative Demokratie stärken“.
Während im früheren Bundesprogramm „Initiative Demokratie stärken“ Projekte
im Bereich des so genannten Linksextremismus gefördert wurden, ist im gegen-
wärtigen Bundesprogramm vor allem von „linker Militanz“ die Rede. In der Eva-
luation des Programms „Initiative Demokratie stärken“ hatte insbesondere im Be-
reich der Projekte zum Linksextremismus wurden teils schwere Mängel bean-
standet.
Laut der Internetseite „Demokratie leben!“ werden aktuell drei Modellprojekte
zur Radikalisierungsprävention im Bereich „linke Militanz“ gefördert. Eines da-
von ist das Projekt „Beratungs- und Bildungsstelle ‚Annedore‘ für Demokratie,
Recht und Freiheit“ der Stiftung SPI – Sozialpädagogisches Institut Berlin „Wal-
ter May“. Der Träger richtet sich an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der
Bildungs- und Jugendarbeit.
Ein weiteres Projekt wird von Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung e.
V. mit dem Titel „Frontaldiskurs – Konfrontationen die Stirn bieten mit Medien,
Kunst und Kultur“ durchgeführt. Bereits im Bundesprogramm „Initiative Demo-
kratie stärken“ war der Träger mit einem Projekt gegen Linksextremismus vertre-
ten. In den Reflexionen über das Präventionsprojekt gegen Linksextremismus
(2011 bis 2014) räumt der Träger erhebliche Schwierigkeiten ein, die Zielgruppe
zu erreichen, und arbeitete nicht wie vorgesehen mit explizit linken Jugendlichen,
sondern mit heterogenen Zielgruppen. Dies bewertete die wissenschaftliche Beglei-
tung wie folgt: „Mit dieser Umsteuerung verliert das Projekt – aus Sicht der Wis-
senschaftlichen Begleitung – allerdings an Kontur“ (Ergebnisbericht der Wissen-
schaftlichen Begleitung des Bundesprogramms „Initiative Demokratie stärken“,
Berichtszeitraum 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2013, S. 94).
Das dritte Projekt wird von der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
mit dem Titel „Linke Militanz in Geschichte und Gegenwart. Aufklärung gefähr-
deter Jugendlicher über Linksextremismus und Gewalt“ umgesetzt. Auch dieser
Träger führte ein ähnliches Projekt im Programm „Initiative Demokratie stärken“
durch. Dieses Projekt wurde von der wissenschaftlichen Begleitung durchweg ne-
gativ bewertet. So heißt es bspw.: „Durch die offenbar weitreichend einseitige
Materialauswahl und die suggestive Verbindung von Kontinuitäten zwischen ei-
nem totalitären Kommunismus und aktuellen Erscheinungsformen des ‚Linksext-
remismus‘ entsteht aus Sicht der Wissenschaftlichen Begleitung in der Projekt-
praxis die Problematik normativer Parteilichkeit. Mag Parteilichkeit als Prinzip

Drucksache 18/9337 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

der Erinnerungsarbeit an historischen Orten, denen es neben der Wissensvermitt-
lung auch um das Gedenken an die Opfer von Unrecht geht, legitim und geboten
sein, so ist sie als Prinzip politischer Bildung aufgrund der Pauschalität der ver-
mittelten Inhalte problematisch. Entsprechende fachliche Grenzziehungen und
Sensibilitäten waren in den beobachteten Seminarsequenzen nur bedingt erkenn-
bar“ (Ergebnisbericht der Wissenschaftlichen Begleitung des Bundesprogramms
„Initiative Demokratie stärken“, Berichtszeitraum 1. Januar 2013 bis 31. Dezem-
ber 2013; S. 81). Zudem moniert die Wissenschaftliche Begleitung „gesteuerte
Beweisführung“ und „wenige Methodenwechsel, durch Formate des Frontalun-
terrichts und eine die Diskussion stark wertend kommentierende und hierdurch
inhaltlich lenkende Rolle der Workshop-Leiterin bzw. des Workshop-Leiters“
(ebd., S. 80).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Gibt es bereits einen Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung zu

den jeweiligen Programmsäulen im Programm „Demokratie leben!“?
Wenn ja, warum wurde er noch nicht veröffentlicht?
Wenn nein, wann ist mit der Fertigstellung und Veröffentlichung zu rechnen?

2. Welche Summen beantragten die Projekte aus dem Programmbereich „Mo-
dellprojekte zur Radikalisierungsprävention“?
Welche Mittel wurden ihnen zur Verfügung gestellt, und welche wurden bis-
her abgerufen (bitte pro Jahr und Projekt auflisten)?

3. Aus welchen Gründen fördert die Bundesregierung Deradikalisierungspro-
gramme gegen linke Militanz?
a) Wie beschreibt die Bundesregierung das Problem der linken Militanz?
b) Gibt es erprobte Präventionsstrategien gegen linke Militanz, auf die die

Projekte aufbauen können?
c) Gibt es in der Wissenschaft Reflexionen zu Deradikalisierung, die sich –

neben Islamismus und Rechtsextremismus – mit linker Militanz beschäf-
tigen?
Wenn ja, welche?

d) Worin sieht die Bundesregierung Vorteile der Deradikalisierung linker
Militanz gegenüber der umstrittenen Linksextremismusprävention?

4. Welche Zwischenergebnisse des Projekts der Stiftung SPI „Beratungs- und
Bildungsstelle ‚Annedore‘ für Demokratie, Recht und Freiheit“ sind der
Bundesregierung bekannt?
a) Wie viele Maßnahmen gegen linke Militanz konnte der Träger bereits um-

setzen?
Welche Ansätze wurden dabei verfolgt?

b) Berät der Träger im Rahmen des Projekts auch zu anderen Phänomenen
(wie bspw. Rechtsextremismus)?
Wenn ja, zu welchen Anteilen, und warum wird das Projekt als eines ge-
gen linke Militanz gelistet?

c) Welche Zielgruppen möchte der Träger in seinem aktuellen Projekt errei-
chen, und wie strebt er dies an?

d) Welche Vorerfahrungen hat der Träger im Themenfeld „linke Militanz“?
e) Welche Problembeschreibung von linker Militanz nimmt der Träger vor,

und welche Präventions- bzw. Deradikalisierungsstrategien verfolgt er?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9337
5. Welche Zwischenergebnisse des von Minor – Projektkontor für Bildung und
Forschung e. V. mit dem Titel „Frontaldiskurs – Konfrontationen die Stirn
bieten mit Medien, Kunst und Kultur“ umgesetzten Projekts sind der Bun-
desregierung bekannt?
a) Welche Zielgruppen möchte der Träger in seinem aktuellen Projekt errei-

chen, und wie strebt er dies an?
b) Welche Vorerfahrungen hat der Träger im Themenfeld „linke Militanz“?
c) Welche Problembeschreibung von linker Militanz nimmt der Träger vor,

und welche Präventions- bzw. Deradikalisierungsstrategien verfolgt er?
6. Hat die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen in ihrem Antrag für das Pro-

jekt mit dem Titel „Linke Militanz in Geschichte und Gegenwart. Aufklärung
gefährdeter Jugendlicher über Linksextremismus und Gewalt“ Bezug auf die
in der Vorbemerkung angeführte Kritik der Wissenschaftlichen Begleitfor-
schung an seinem früheren Projekt genommen?

Wenn ja, wie plant der Träger zu gewährleisten, diese Kritikpunkte in sei-
nem aktuellen Projekt nicht mehr zu wiederholen?
Wenn nein, gibt es fachliche Auflagen der Bundesregierung an den Träger,
die Kritikpunkte der Wissenschaftlichen Begleitung zu berücksichtigen?
a) Inwiefern ist das aktuell geförderte Projekt innovativ und neu?

Worin bestehen die Unterschiede zum Vorgängerprojekt?
b) Welche Zwischenergebnisse des Projekts sind der Bundesregierung be-

kannt?
c) Welche Zielgruppen möchte der Träger in seinem aktuellen Projekt errei-

chen, und wie strebt er dies an?
d) Welche Vorerfahrungen hat der Träger im Themenfeld „linke Militanz“?
e) Welche Problembeschreibung nimmt der Träger vor, und welche Präven-

tions- bzw. Deradikalisierungsstrategien verfolgt er?
f) Wie differenziert der Träger zwischen linker Militanz und Linksextremis-

mus?
g) In welcher Höhe erhielt der Träger in den Jahren 2010 bis 2015 Förder-

gelder aus den Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend?
Für welchen Zweck waren diese bestimmt, und in welcher Höhe wurden
sie abgerufen (bitte pro Jahr aufschlüsseln)?

7. Welche Aktivitäten des Landratsamts Göppingen, Kreisjugendamt, der
Stadtverwaltung Herrenberg, der Stadt Kaufbeuren, Referat 500, Kaufbeuren
aktiv, der Verbandsgemeindeverwaltung Höhr-Grenzhausen, des Regional-
verbands Saarbrücken, Jugendamt Abteilung 51.5, der Einheitsgemeinde
Stadt Genthin und des Altmarkkreises Salzwedel, die allesamt in der Antwort
der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf
Bundestagsdrucksache 18/4019 bezüglich der Programmsäule „Partner-
schaften für Demokratie“ als Träger genannt worden sind, sind in Bezug auf
linke Militanz der Bundesregierung bekannt (bitte nach Trägern aufschlüs-
seln)?

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8. Sind der Bundesregierung weitere Träger im Rahmen des Bundesprogramms
„Demokratie leben!“ bekannt, die Aktivitäten gegen linke Militanz entfalten?
Wenn ja, welche Träger und welche Aktivitäten sind das?

Berlin, den 3. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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