BT-Drucksache 18/9336

Einsatz der Bundeswehr im Inneren und gemeinsame Übungen der Bundeswehr mit Polizeikräften

Vom 3. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9336
18. Wahlperiode 03.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Wolfgang Gehrcke,
Christine Buchholz, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert,
Dr. Alexander S. Neu, Martina Renner, Niema Movassat, Kersten Steinke,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz der Bundeswehr im Inneren und gemeinsame Übungen der Bundeswehr
mit Polizeikräften

Auch wenn die Bundesregierung eine Änderung des Grundgesetzes in Hinblick
auf mögliche Bundeswehreinsätze im Inland bis auf weiteres nicht mehr anstrebt,
betont das neue Weißbuch der Bundeswehr solche Inlandseinsätze stärker als das
vorangegangene. Es betont ausdrücklich, dass Einsätze der Bundeswehr „auch
bei terroristischen Großlagen in Betracht“ kämen, und fordert, solche Szenarien
entsprechend zu üben. Nach mehreren Medienberichten (u. a. DIE WELT, 12.
Juni 2016) sind in diesem Zusammenhang gemeinsame Übungen von Bundes-
wehr und Polizeikräften beabsichtigt.
Die Bundesministerin der Verteidigung wird dabei mit den Worten zitiert, das
Grundgesetz erlaube ein entsprechendes Tätigwerden der Bundeswehr „schon
jetzt“, und nannte neben Naturkatastrophen und Flüchtlingshilfe auch terroristi-
sche Anschläge „katastrophalen Ausmaßes“, wie in Paris oder Brüssel. Die Mi-
nisterin vermischte hierbei nach Auffassung der Fragesteller Tätigkeiten der Bun-
deswehr im Rahmen einfacher Amtshilfe nach Artikel 35 Absatz 1 des Grundge-
setzes (GG) sowie militärische Einsätze auf Grundlage von Artikel 35 Absatz 2
und 3 GG, die ggf. mit Grundrechtsbeschränkungen für betroffene Bürgerinnen
und Bürger einhergehen können.
Die Bundesministerin der Verteidigung sprach ausdrücklich von militärischen
Einsätzen, bei denen Soldaten „unter dem Oberkommando der Polizei“ mit mili-
tärischen Mitteln Unterstützung leisten sollten: „Zum Beispiel, um wichtige Ge-
bäude zu schützen oder die Eingänge von U-Bahn-Stationen zu sichern“, wird die
Ministerin zitiert. Solche Übungen von Polizei und Bundeswehr stellten „eine
neue Qualität der Zusammenarbeit“ dar (vgl. DIE WELT, 12. Juni 2016).
Das Bundesverfassungsgericht hat Einsätze der Bundeswehr im Inland, die an-
lässlich schwerer Unglücksfälle auf Grundlage von Artikel 35 Absatz 2 oder
3 GG stattfinden sollen, auf „Ereignisse von katastrophischen Dimensionen“ be-
schränkt (2 PBvU 1/11, Entscheidung vom 3. Juli 2012). Das Gericht betonte da-
bei, es stelle „nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei
nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders
schweren Unglücksfall im Sinne des Artikel 35 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 Satz 1
GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte“. Den Begriff der Katastrophe hat das
Bundesverfassungsgericht dabei nicht eindeutig definiert, es hat allerdings wie-
derholt den Ausnahmecharakter eines Bundeswehreinsatzes aufgrund solcher

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„ungewöhnlicher Ausnahmesituationen“ betont. Die Bewältigung der Folgen ei-
nes bereits verübten Bombenanschlags auf einem Flughafen, um das Beispiel
Brüssel aufzugreifen, wäre damit aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller
keine hinreichende Begründung für einen militärischen Einsatz der Bundeswehr,
da die Polizei hierzu ausreichend befähigt ist. Zudem bezieht sich die Bundesver-
fassungsgerichtsentscheidung ausdrücklich auf Fälle, bei denen die Katastrophe
in Gang ist oder zumindest „unmittelbar“ bevorsteht, d. h. wenn der katastrophale
Schaden ohne das Einschreiten des Militärs „mit an Sicherheit grenzender Wahr-
scheinlichkeit in Kürze eintreten wird.“ Der Schutz von Gebäuden oder U-Bahn-
Stationen zu einem Zeitpunkt, an dem ein Bombenschlag bereits geschehen ist
und keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, dass ein weiterer Anschlag mit ka-
tastrophischen Dimensionen bevorsteht, wäre von der Bundesverfassungsge-
richtsentscheidung nach Auffassung der Fragesteller nicht gedeckt. Aus diesem
Grund verurteilen die Fragestellerinnen und Fragesteller auch die Inbereitschaft-
setzung von Feldjägern anlässlich einer Amoklage in München am 22. Juli 2016
(Frankfurter Allgemeine SONNTAGSZEITUNG, 23. Juli 2016). Auf der Bun-
despressekonferenz vom 25. Juli 2016 wurde dazu seitens des Bundesministeri-
ums der Verteidigung (BMVg) geäußert, dass der Generalinspekteur „nach erteil-
ter Prokura durch die Ministerin und natürlich auch im Kontakt mit den zuständi-
gen Polizeibehörden entschieden“ habe, eine vor Ort stationierte Einheit der Mi-
litärpolizei und auch noch lokale Sanitätskräfte in erhöhte Bereitschaft zu verset-
zen.
Mit dem Begriff „Übungen“ meinen die Fragestellerinnen und Fragesteller hier
sowohl Übungen auf der Straße oder im Gelände als auch reine Stabsübungen
bzw. Planspiele.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Handelt es sich nach dem Verständnis der Bundesregierung bei den Anschlä-

gen von Paris und Brüssel um solche katastrophischen Situationen im Sinne
der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 2 PBvU 1/11, die eine Legiti-
mation für auch militärische Einsätze der Bundeswehr im Inneren darstellen
können, und wenn ja, bitte begründen und in Auseinandersetzung mit der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darlegen, welche (militäri-
schen) Aufgaben der Bundeswehr hierbei zukommen könnten?

2. Inwiefern ist die militärische Sicherung von Gebäuden oder Eingängen von
Bahnhöfen und Flughäfen und öffentlichen Plätzen nach einem Terroran-
schlag auf einen Flughafen nach Auffassung der Bundesregierung auch dann
rechtmäßig, wenn nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an-
genommen werden kann, dass es ohne diesen Militäreinsatz weitere katastro-
phische Ereignisse geben wird (bitte begründen)?

3. Hat die Bundesregierung in Hinsicht auf einen möglichen Einsatz der Bun-
deswehr eine Definition für katastrophische Situationen, und wenn ja, wie
lautet diese, wenn nein, welche Kriterien müssen nach ihrer Auffassung er-
füllt sein, um eine bestimmte Lage als katastrophisch einstufen zu können?

4. Ist die Bundesregierung grundsätzlich der Meinung, es solle vermehrt ge-
meinsame Übungen von Bundeswehr und Polizei geben, und wenn ja, warum
und in welchem Rahmen?

5. Inwiefern ist es nach Ansicht der Bundesregierung notwendig oder sinnvoll,
in gemeinsamen Übungen von Bundeswehr und Polizei auch Szenarien zu
proben, bei denen der Tätigkeit der Bundeswehr Einsatzqualität im Sinne
ggf. grundrechtsbeschränkender Maßnahmen aufgrund des Artikels 35 Ab-
satz 2 Satz 1 oder Absatz 3 GG zukommt (bitte ausführen und begründen)?

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6. Inwiefern ist es nach Ansicht der Bundesregierung notwendig oder sinnvoll,
in gemeinsamen Übungen von Bundeswehr und Polizei auch Szenarien zu
proben, bei denen der Tätigkeit der Bundeswehr Einsatzqualität auf Grund-
lage von Artikel 87a Absatz 3 und 4 GG zukommt (bitte ausführen und be-
gründen)?

7. In welchen Bereichen bzw. welchen Fähigkeiten sieht die Bundesregierung
den größten Übungsbedarf bzw. wo sieht sie die größten Defizite in einer
möglichen Kooperation zwischen Polizei und Bundeswehr?

8. Welche Kompetenzen soll die Bundeswehr im Rahmen solcher Übungen
üben, und welche Rechtsgrundlage (Artikel 35 Absatz 1, 2 oder 3 oder Arti-
kel 87a Absatz 3 und 4 GG oder ggf. weitere) soll dabei angenommen wer-
den?

9. Inwiefern hält es die Bundesregierung für angebracht oder wünschenswert,
dass nicht nur die Bundespolizei, sondern auch Polizeien der Länder in sol-
che Übungen eingebunden werden, bei denen die Bundeswehr grundrechts-
beschränkende Einsätze übt?

10. Worin genau drückt sich die von der Bundesministerin der Verteidigung di-
agnostizierte bzw. geforderte „neue Qualität der Zusammenarbeit“ (DIE
WELT, 12. Juni 2016) zwischen Bundeswehr und Polizei aus?

11. Welche Schlussfolgerungen aus den terroristischen Anschlägen in Paris und
Brüssel zieht die Bundesregierung für mögliche Einsatzszenarien der Bun-
deswehr im Inneren und gemeinsame militärisch-polizeiliche Übungen?

12. Hat die Bundesregierung bereits konkrete Szenarien oder Übungen vor Au-
gen, bei denen künftig eine Zusammenarbeit „neuer Qualität“ zwischen Bun-
deswehr und Polizei geübt werden soll (bitte ggf. Details nennen)?

13. Welche gemeinsamen Übungen sowie Simulationen unter Beteiligung von
der Bundeswehr (bitte Einheiten und Organisationsbereiche sowie jeweils
Zahl der eingesetzten Soldaten angeben) und Polizei (bitte Zahl angeben und
ausführen, ob Bundespolizei oder Länderpolizei, und um welche Spezial-
kräfte es sich dabei ggf. gehandelt hat) und ggf. Dritten (bitte angeben, wel-
che) hat es in den Jahren 2014, 2015 und 2016 jeweils gegeben (bitte Ein-
satzszenarien angeben), und inwiefern kam der Bundeswehr hierbei Ein-
satzqualität im Sinne des Grundgesetzes zu?
a) Welche gemeinsamen Übungen sind derzeit in welchem zeitlichen und

personellen Rahmen vorgesehen (bitte wie oben vorgegeben ausdifferen-
zieren)?

b) Welche grundsätzlichen Szenarien sollten gemeinsame Übungen aus
Sicht der Bundesregierung berücksichtigen, und inwiefern sollten sich die
Szenarien im Vergleich zur Vergangenheit verändern?

14. Inwiefern und mit welchem Ergebnis hat es bereits Absprachen mit den Län-
dern gegeben, um deren Polizeikräfte in (ggf. weitere oder künftige) polizei-
lich-militärische Übungen einzubinden?

15. Welche Bundesländer haben bislang besonderen Bedarf an solchen Übungen
angemeldet?

16. Inwiefern trifft die Darstellung der Bundesministerin der Verteidigung zu,
Soldaten der Bundeswehr würden bei einem Einsatz unter Anwendung mili-
tärischer Mittel „unter dem Oberkommando der Polizei“ stehen (DIE WELT,
12. Juni 2016) (bitte ggf. nach Einsatzart präzisieren)?

17. Inwiefern strebt die Bundesregierung an, ein neues Format für solche Übun-
gen zu entwickeln oder sie in bestehende Formate einzupassen?

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18. Inwiefern strebt die Bundesregierung die schriftliche Fixierung der neuen
Qualität solcher Übungen in Gestalt von Vereinbarungen oder Richtlinien
u. Ä. an, zwischen welchen Instanzen/Behörden sollen diese getroffen wer-
den, was sollen sie beinhalten, und welche Maßnahmen will die Bundesre-
gierung hierzu ergreifen?

19. Wie viele Feldjäger und Sanitätskräfte welcher Standorte befanden sich an-
lässlich der Amoklage in München am 22. Juli in Bereitschaft?
Ging die Initiative, die Bereitschaft anzuordnen, vom Generalinspekteur aus
oder von der Bundesministerin der Verteidigung?
Wer genau ist nach Auffassung der Bundesregierung befugt, einen Einsatz
der Bundeswehr auf Grundlage von Artikel 35 Absatz 2 oder 3 GG anzuord-
nen, und wer ist auf Ebene von Ländern und Kommunen, um einen Einsatz
auf Grundlage von Artikel 35 Absatz 2 GG zu ersuchen?

20. Welcher Art war der Kontakt, der vor der Inbereitschaftsetzung mit den zu-
ständigen lokalen Behörden erfolgte?
Welche Behörden waren dies, und inwiefern haben diese Bedarf an Unter-
stützung durch die Bundeswehr geäußert?

21. Hat die Münchner Polizei um die Inbereitschaftsetzung gebeten, und wenn
ja, mit welcher Begründung und mit welchen perspektivischen Einsatztätig-
keiten, und wenn nein, warum wurde die Inbereitschaftsetzung angeordnet
und für wie lange wurde sie aufrechterhalten?
Hat die Münchner Polizei oder andere (welche?) Sicherheitsbehörden die
Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Bundeswehrkräfte möglicher-
weise auch Gewalt würden einsetzen müssen?

22. Welche Vorstellungen hatte man in der Bundeswehr, wie ein konkreter Ein-
satz dieser Feldjäger hätte aussehen können, und auf welcher rechtlichen
Grundlage dieser stattfinden könnte?
Ging man dabei eher von einem Einsatz auf Grundlage von Artikel 35 Ab-
satz 1 oder Absatz 2 GG aus?
Ging man von einfacher Amtshilfe aus oder auch davon, dass Feldjägerkräfte
mit exekutiven Befugnissen gegen Zivilisten eingesetzt werden könnten?

23. Über welche speziellen Fähigkeiten, die nicht auch die Münchner Polizei
oder polizeiliche Sondereinsatzkommandos verfügen, verfügen Feldjäger-
kräfte?

24. Waren anlässlich polizeilicher Lagen in diesem Jahr schon einmal Kräfte der
Bundeswehr in Bereitschaft versetzt worden, und wenn ja, wann, welche,
wo, wie viele Soldaten, für welche Szenarien, und warum?

Berlin, den 3. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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