BT-Drucksache 18/9305

Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Eltern schulpflichtiger Kinder

Vom 27. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9305
18. Wahlperiode 27.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Özcan Mutlu,
Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Ulle Schauws, Doris Wagner
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Eltern schulpflichtiger Kinder

Mit der Einschulung ihrer Kinder stehen viele Eltern vor der Herausforderung,
dass die zuvor (meist ganztägigen) Betreuungsangebote neu arrangiert werden
müssen, um den Alltag mit Familie und Beruf vereinbaren zu können. In der Zeit
des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule verändern sich zudem Bil-
dungsanforderungen und Freizeitbedürfnisse der Kinder.
Verlässliche und qualitativ hochwertige Nachmittagsbetreuung ist dabei eine ext-
rem wichtige Unterstützung im familiären Betreuungsarrangement. Von ebensol-
cher Bedeutung ist ein verlässliches und für die Kinder vertrautes Betreuungsan-
gebot in den Ferienzeiten. Nicht alle Eltern können sich während der gesamten
Schulferien Erholungsurlaub nehmen, mit den Kindern Urlaub machen bzw. die
Betreuung selbst übernehmen.
In den letzten zehn Jahren stand vor allem der Ausbau der Angebote frühkindli-
cher Bildung für Kinder im Alter von einem bis zum vollendeten dritten Lebens-
jahr und damit die Vereinbarkeitswünsche von Familien mit Kindern im Krippen-
oder Kindergartenalter im Fokus. Bis heute klaffen zwischen bedarfsgerechtem
und qualitativ gutem Angebot und der Nachfrage vielerorts große Lücken. Aber
auch für viele Familien mit Schulkindern ist die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf eine anstrengende Herausforderung.
Nach bundesweiten Meinungsumfragen (vgl. z. B. Studie von forsa – Gesellschaft
für Sozialforschung und statistische Analysen mbH: „Wenn Eltern die Wahl ha-
ben“, 2013; Monitor Familienleben 2013 des INSTITUTS FÜR DEMOSKOPIE
ALLENSBACH; 3. JAKO-O-Bildungsstudie, 2014) wünschen seit mehreren Jah-
ren konstant 70 bis 80 Prozent der Eltern schulpflichtiger Kinder ganztägige Ange-
bote (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 8 der Kleinen Anfrage der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Beiträge der Bundesregierung zur Stärkung
der Bildungsgerechtigkeit“, Bundestagsdrucksache 18/8974).
Im Grundschulbereich lag der Anteil der Kinder, die eine Ganztagsschule besu-
chen, bei nur gut 33 Prozent (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusmi-
nister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Allgemeinbildende Schu-
len in Ganztagsform in den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland – Statis-
tik 2010 bis 2014 –, S. 36). Knapp 40 Prozent der Eltern hätten also offensichtlich
gern ein Ganztagsangebot für ihre Kinder, finden das aber nicht.
Eltern schulpflichtiger Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren schätzten daher
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland mehrheitlich als nicht so
gut ein (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.),

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„Zur Vereinbarkeitssituation von Eltern mit Schulkindern – Monitor Familienfor-
schung – Beiträge aus Forschung, Statistik und Familienpolitik, Ausgabe 25,
2011).
Laut dem aktuellen Bericht „Ganztagsschule 2014/2015“ der „Studie zur Ent-
wicklung von Ganztagsschulen – StEG“, der auf einer bundesweiten repräsenta-
tiven Befragung von Schulleitungen basiert, übersteigt in rund einem Viertel der
Ganztagsgrundschulen die Nachfrage das Angebot (vgl. Antwort der Bundesre-
gierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf
Bundestagsdrucksache 18/8974).
Kinder ab sechs Jahren haben darüber hinaus andere und meist wachsende An-
sprüche an die Freizeitgestaltung. Die allermeisten Kinder benötigen Unterstüt-
zung, Begleitung und Kontrolle bei den Hausaufgaben und am Nachmittag alters-
gerechte Freizeitangebote. Aufgrund des fehlenden Angebots an ganztätigen Be-
treuungsangeboten stehen viele Eltern mit dieser veränderten Herausforderung
allein da; allen voran die Mütter, die zumeist ihre eigenen Erwerbswünsche zu-
rückstellen, um dieser Herausforderung gerecht zu werden.
Während das Achte Buch Sozialgesetzbuch für die Förderung von Kindern im
Alter von unter drei Jahren bereits seit der Änderung im Jahr 2005 in § 24 vor-
sieht, dass sich der Umfang der täglichen Förderung nach dem individuellen Be-
darf richtet und damit also – etwa bei einem erzieherischen Bedarf oder ganztä-
giger Berufstätigkeit – auch einen Ganztagsplatz umfasst, besteht im Hinblick auf
Kinder, die das dritte Lebensjahr vollendet haben, bis jetzt nur eine allgemeine
Pflicht des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, „darauf hinzuwirken, dass für
diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen oder ergän-
zend Förderung in Kindertagespflege zur Verfügung steht“.
Abhängig vom Alter des Kindes besteht gegenwärtig ein unterschiedlicher Ver-
pflichtungsgrad hinsichtlich der Bereitstellung eines Angebotes an nachmittägli-
cher Bildung und Betreuung.
Am 21. Juli 2016 wurde vom Statistischen Bundesamt für den Bereich der Kin-
dertagesbetreuung das vorläufige statistische Ergebnis (Stichtag: 1. März 2016)
veröffentlicht.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung dazu, wie viele

schulpflichtige Kinder an einem Ganztagsangebot teilnehmen?
2. Wie viele Schulkinder nutzen am Nachmittag eine Kindertageseinrichtung

(sog. Hort in Trägerschaft eines Trägers der Kinder- und Jugendhilfe), und
wie viele ein Angebot im Rahmen von Ganztagsschulen (bitte nach Bundes-
ländern aufschlüsseln)?

3. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Problematik der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Eltern schulpflichtiger Kinder
(bitte soweit möglich nach Alter der Kinder, Schultyp, Betreuungsangebot
und Bundesland differenzieren)?

4. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Problematik der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere wenn beide Eltern ganz-
tägig berufstätig sind, oder bei alleinerziehenden Eltern?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9305
 

5. Für wie relevant hält die Bundesregierung die Tatsache, dass Ganztagsschu-
len bundesweit keine einheitlichen Qualitätsstandards aufweisen?
Sieht die Bundesregierung darin einen Grund, dass berufstätige Eltern sich
nicht allerorts angemessen entlastet fühlen?
Wird die Bundesregierung die Länder unterstützen, „Ganztag“ überall quali-
tativ hochwertig umsetzen zu können, um die Eltern angemessen zu entlas-
ten?

6. Sieht die Bundesregierung auf Basis der von ihr mitfinanzierten Bildungs-
forschung in zusätzliche Lernzeit und einer höheren Personalausstattung an
Ganztagsschulen einen Weg, um sowohl die Unterrichtsqualität zu erhöhen
als auch um möglichen Unterrichtausfall und den dadurch entstehenden enor-
men Aufwand für berufstätige Eltern zu vermeiden?
Wenn ja, will die Bundesregierung sich an dieser Aufgabe zukünftig beteili-
gen?

7. Kennt die Bundesregierung die Auswirkungen bei Problemen mit der Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf von Eltern schulpflichtiger Kinder auf das
Wohlbefinden der betroffenen Kinder und Eltern und auf die Realisierung
der Wünsche nach einer partnerschaftlicheren Aufteilung der Kinderbetreu-
ung, der Erziehung oder der Haushaltsarbeit?

8. Wie viele Eltern schulpflichtiger Kinder können nach Erkenntnissen der
Bundesregierung ihre Arbeitszeit nicht ausweiten, weil sie keine passende
Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder haben (bitte wenn möglich nach Müt-
tern und Vätern getrennt aufschlüsseln)?

9. Wie viele nicht erwerbstätige Eltern schulpflichtiger Kinder können nach Er-
kenntnissen der Bundesregierung keine Erwerbstätigkeit aufnehmen, weil sie
keine adäquate Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder haben (bitte wenn
möglich nach Müttern und Vätern getrennt aufschlüsseln)?

10. Inwieweit berücksichtigen die vorliegenden Studien zur Nutzung von Be-
treuungsangeboten am Nachmittag die Perspektive der Eltern und vor allem
der Schulkinder?

11. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Zusammen-
hang von Qualität der Ganztagsangebote und Bildungs- und Teilhabechan-
cen der schulpflichtigen Kinder?

12. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich des
Verhältnisses von Angebot und Nachfrage von Kindertageseinrichtungen
(sog. Horten in Trägerschaft eines Trägers der Kinder- und Jugendhilfe) und
von Ganztagsschulen (bitte wenn möglich nach Art des Angebotes und nach
Bundesländern aufschlüsseln)?

13. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Problematik der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Eltern schulpflichtiger Kinder
während der Schulferien?

14. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Problematik der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Eltern schulpflichtiger Kinder bei
Unterrichtsausfall?

15. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Problematik der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Eltern schulpflichtiger Kinder, bei
der Einschulung der Kinder sowie beim Wechsel auf eine weiterführende
Schule?

16. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung zur Linderung der
Probleme?

Drucksache 18/9305 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

17. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in dieser Wahlperiode unter-
nommen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern schulpflich-
tiger Kinder zu verbessern (bitte nach Schulzeit und Ferienzeit differenzie-
ren)?

18. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob es systematische
Qualitätsunterschiede zwischen sog. Horten und Ganztagsschulen gibt, und
wenn ja, welche?
Wenn nein, beabsichtigt die Bundesregierung Studien in Auftrag zu geben
oder sich an Studien zu beteiligen, die sich dieser Frage widmen?

19. Wie begründet die Bundesregierung den unterschiedlichen gesetzlichen Ver-
pflichtungsgrad hinsichtlich der Bereitstellung von Angeboten der Kinderta-
gesbetreuung für Kinder bis zum vollendeten ersten Lebensjahr, für Kinder
vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zum vollendeten dritten Lebensjahr
und vom dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt sowie für schulpflichtige
Kinder (bitte in der Begründung differenziert auf die Altersgruppen einge-
hen; siehe Vorbemerkung der Fragestellenden)?

20. Plant die Bundesregierung gesetzliche Änderungen hinsichtlich des unter-
schiedlichen gesetzlichen Verpflichtungsgrades bei der Bereitstellung von
Angeboten der Kindertagesbetreuung?
Wenn ja, zu wann?
Wenn nein, warum nicht?

21. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den Bedürfnissen
von berufstätigen Eltern schulpflichtiger Kinder, ihre Arbeitszeit reduzieren
zu wollen?

22. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung, dem von Eltern schul-
pflichtiger Kinder jenseits externer Betreuungsarrangements artikulierten
Bedarf nach mehr Zeit für die Kinder, für den Haushalt oder für sich selber
zu begegnen (bitte wenn möglich nach Einkommenssituation der Eltern dif-
ferenzieren)?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der Kostenbei-
träge der Eltern schulpflichtiger Kinder (bitte nach Bundesländern aufschlüs-
seln)?

24. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der Belastung von
einkommensschwachen und kinderreichen Familien durch die Beteiligung
an den Kosten für die Kindertagesbetreuung schulpflichtiger Kinder?

25. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob und im Rahmen
welcher Angebote Kinder Nachhilfe bekommen (bitte nach Bundesländern
aufschlüsseln)?

26. In welchen Bundesländern wird nach Erkenntnissen der Bundesregierung
den Kindern ein kostenloses Mittagessen angeboten?

27. In welchen Bundesländern werden generelle Beiträge für die Teilnahme am
„Ganztag“ erhoben?

28. Wie geht die Bundesregierung mit der Empfehlung der Autoren der StEG-
Studie um, auf generelle Kostenbeiträge für Ganztagsangebote zu verzichten,
um die Chancengerechtigkeit im Bildungswesen zu verbessern und letztlich
möglichst viele berufstätige Eltern zu entlasten?

Berlin, den 27. Juli 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com

Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de
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