BT-Drucksache 18/9287

Pläne der Bundesregierung zur Untersuchung der Geschichte des Bundeskanzleramtes

Vom 21. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9287
18. Wahlperiode 21.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Sigrid Hupach, Frank Tempel, Dr. Rosemarie Hein,
Ulla Jelpke, Petra Pau, Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Pläne der Bundesregierung zur Untersuchung der Geschichte des
Bundeskanzleramtes

Die eklatanteste Forschungslücke bei der Aufarbeitung von NS-Kontinuität in der
Bundesrepublik Deutschland besteht aktuell beim Bundeskanzleramt (BKAmt).
Dies ist das eindeutige Ergebnis der jüngst erschienenen und von der Beauftrag-
ten für Kultur und Medien in Auftrag gegebenen gemeinsamen Studie des Insti-
tuts für Zeitgeschichte München – Berlin (IfZ) sowie des Zentrums für Zeithisto-
rische Forschung Potsdam (ZZF): „Das größte Desiderat bildet sicherlich das
Bundeskanzleramt als die zentrale Schaltstelle der Bundesregierung. Gerade
seine Personalpolitik lässt bislang – auch über die Causa Globke hinaus – zahl-
reiche Fragen offen“ (Christian Mentel, Niels Weise: Die zentralen deutschen Be-
hörden und der Nationalsozialismus – Stand und Perspektiven der Forschung,
München/Potsdam 2016, S. 94).
Bestätigt wurde diese Einschätzung von ausnahmslos allen Sachverständigen der
öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen
Bundestages am 1. Juni 2016, die den Antrag der Fraktion DIE LINKE. (Bundes-
tagsdrucksache 18/3049), der die Einsetzung einer unabhängigen Historikerkom-
mission zum BKAmt fordert, im Grundsatz begrüßten. Alle Historikerinnen und
Historiker hoben die zentrale Bedeutung des BKAmtes in einer „Kanzlerdemo-
kratie“ hervor, was eine Fokussierung auf das BKAmt „in einem eigenständigen
Projekt“ (Mentel) unabdingbar mache. Zudem erhoben die Sachverständigen die
Forderung, künftig über die Bundesministeriumsgrenzen hinweg recherchieren
zu können, um etwa Kollektivbiografien aller Staatssekretäre zu erstellen, die
Netzwerke beim Aufbau der Ministerialbürokratie zu untersuchen und den Funk-
tionswandel des BKAmtes zu analysieren.
Kürzlich verkündete die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung
für Kultur und Medien (BKM), Monika Grütters, dass sie in den Verhandlungen
zum Bundeshaushalt 2017 unter anderem „ein Förderprogramm in Höhe von ins-
gesamt 4 Millionen Euro, das die NS-Vergangenheit zentraler Behörden, insbe-
sondere der Bundesministerien, ressortübergreifend aufarbeiten soll“, festschrei-
ben konnte. Im Regierungsentwurf für 2017 seien dafür zunächst „Ausgaben in
Höhe von 500.000 Euro enthalten. Das Programm soll vom Bundesarchiv in Kob-
lenz koordiniert werden“ (Pressemitteilung der BKM vom 6. Juli 2016).

Drucksache 18/9287 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wird die Bundesregierung spezifische Forschungsvorhaben zur Rolle des

BKAmtes im Zusammenhang mit NS-Belastungen der frühen Bundesrepub-
lik Deutschland und der Rolle von NS-belasteten Personen in Ministerien
und Institutionen des Bundes unterstützen?
Wenn ja,
a) in welcher Form soll die Aufarbeitung der Geschichte des BKAmtes er-

folgen;
b) wird ein solches Forschungsprojekt den von den Sachverständigen favo-

risierten Zeitraum zwischen 1949 und 1990 erfassen;
c) mit welchen finanziellen Mitteln will die Bundesregierung ein solches auf

das BKAmt konzentriertes Forschungsvorhaben unterstützen (bitte wenn
möglich entsprechend für die Zeit des Forschungsprojektes nach Jahr und
Verwendungszweck aufführen)?

2. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der einhelligen Forderung aller Sachverständigen der Anhörung vom
1. Juni 2016, dass sich ein solches Forschungsvorhaben spezifisch mit dem
BKAmt als politischer Schaltzentrale der Bundesrepublik Deutschland be-
fassen muss?

3. Wie ist in diesem Zusammenhang die Aussage des Abteilungsleiters
Dr. Günter Winands vom BKM zu verstehen, dass bereits über ein „ressort-
übergreifendes Forschungsprogramm“ gesprochen werde (Protokoll der
61. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien, S. 24), und wie ist die-
ser ressortübergreifende Ansatz mit der Forderung der Sachverständigen ver-
einbar, die spezifische Rolle des BKAmtes zu untersuchen?

4. Plant die Bundesregierung, spezifische Forschungsvorhaben zum BKAmt in
einem ressortübergreifenden Förderprogramm, das „die NS-Vergangenheit
zentraler Behörden, insbesondere der Bundesministerien, ressortübergrei-
fend aufarbeiten soll“ (Pressemitteilung der BKM Monika Grütters vom
6. Juli 2016) aufgehen zu lassen?

5. Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Antwort der BKM Monika Grüt-
ters vom 10. Mai 2016 auf die Schriftliche Frage 1 des Abgeordneten Jan
Korte (Bundestagsdrucksache 18/8523): „Es ist davon auszugehen, dass im
Rahmen eines solchen Forschungsprogramms die Geschichte des Bundes-
kanzleramtes von besonderem Interesse für die Wissenschaft sein und daher
umfassend untersucht wird“, bezüglich der von den Sachverständigen gefor-
derten eigenständigen Forschungsarbeit zum BKAmt?

6. Auf welchen Überlegungen und Kalkulationen beruhen die in der Pressemit-
teilung der BKM vom 6. Juli 2016 genannten 4 Mio. Euro, und wie setzt sich
diese Summe im Einzelnen zusammen (bitte wenn möglich entsprechend für
die Zeit des Forschungsprojektes nach Jahr und Verwendungszweck auffüh-
ren)?

7. Welche inhaltlichen Konzeptionen gibt es für das geplante ressortübergrei-
fende Projekt, von wem soll es durchgeführt werden, und welche inhaltlichen
Erwartungen verbindet die Bundesregierung mit einem solchen Projekt, die
über die Ergebnisse der bereits erstellten oder sich in Arbeit befindlichen
Untersuchungen zur NS-Vergangenheit von Ministerien und Einrichtungen
des Bundes hinausgehen?

8. Wird die Bundesregierung den Austausch mit Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern zu dem von ihr favorisierten ressortübergreifenden Ansatz
führen, und wann und mit wem soll ein solcher Austausch erfolgen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9287
 

9. Welche inhaltlichen und organisatorischen Vorgaben sollten nach Auffas-
sung der Bundesregierung von wem für ein solches Forschungsprojekt for-
muliert werden?
a) Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung der Sachverständigen,

dass sowohl die Festlegung des zentralen Forschungsprofils als auch die
Auftragsvergabe und die öffentliche Präsentation der Ergebnisse durch
unabhängige Instanzen, beispielsweise durch Fachkollegien der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft e. V. oder andere, begleitet und begutach-
tet werden sollten?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Vor-
schlag der Sachverständigen, das konkrete Forschungsdesign auszu-
schreiben und eine von der Behörde unabhängige Jury die Auswahl tref-
fen zu lassen?

10. Wie soll von Seiten des BKAmtes die wissenschaftliche Unabhängigkeit der
an dem Projekt zur Erforschung der Geschichte des BKAmtes Beteiligten
gewahrt werden, und in welcher Form soll das Projekt vom Bundesarchiv in
Koblenz koordiniert werden?
a) Wer soll noch an dem Projekt beteiligt werden?
b) In welchem Verfahren soll die Auswahl der Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftler erfolgen?
c) Wem obliegt die Entscheidung darüber, welche Themen im Rahmen des

Forschungsvorhabens von Seiten der Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler bearbeitet werden sollen, und wer entscheidet im Fall von inhalt-
lichen Divergenzen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer?

d) Wie wird gewährleistet, dass die Finanzierung des Untersuchungsprojek-
tes nicht forschungslenkend wirkt?

e) Wie wird der Zugang zu Akten und Dokumenten des BKAmtes für die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geregelt, wie verhält es sich
mit Verschlusssachen bzw. als geheim eingestuften Akten, und in welcher
Weise wird der Zugang zu relevanten Personalakten gewährleistet?

f) Werden die am Forschungsvorhaben beteiligten Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler eine Gesamtübersicht über die Aktenbestände inklu-
sive klassifizierter Akten des BKAmtes erhalten?

g) Werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst eine Aus-
wahl der für ihre Arbeit relevanten Akten treffen können, oder wird es
Aktenbeauftragte geben?

11. Wie viele laufende Meter umfasst der für das geplante Forschungsvorhaben
des BKAmtes relevante Aktenbestand nach Einschätzung der Bundesregie-
rung, und wie viele dieser laufenden Meter sind im Bundesarchiv bzw. in den
Beständen des BKAmtes oder anderer Bundesministerien und Behörden zu
finden (bitte entsprechend aufschlüsseln)?

12. In welcher Form werden die am Forschungsvorhaben beteiligten Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler Zugang zu den Aktenbeständen haben,
die die Arbeit des BKAmtes betreffen, sich aber im Bestand anderer Behör-
den befinden?

Drucksache 18/9287 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

13. In welchen privaten Archiven bzw. Nachlässen ehemaliger Bundeskanzler
und Staatssekretäre befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung Ak-
tenbestände mit Regierungsunterlagen, die für das Forschungsvorhaben von
Relevanz sein können?
a) In welcher Form können und sollen diese Aktenbestände in das For-

schungsvorhaben einbezogen werden?
b) Wird die Bundesregierung Anstrengungen unternehmen, diese Bestände

in das Bundesarchiv zu überführen?
14. In welcher Form werden die Ergebnisse des Forschungsvorhabens publiziert

werden, und werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die
Inhalte autonom entscheiden können?

15. In welcher Form wird es auch anderen Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern möglich sein, Einsicht in die Akten zu nehmen, die für das For-
schungsvorhaben analysiert wurden, um so eine wissenschaftliche Überprüf-
barkeit ermöglichen und fachlichen Standards genügen zu können?

Berlin, den 21. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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