BT-Drucksache 18/9184

Zukunft der Dokumentation und Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener

Vom 8. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9184
18. Wahlperiode 08.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn,
Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Petra Pau, Martina Renner, Dr. Petra Sitte,
Kersten Steinke, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Zukunft der Dokumentation und Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener

Das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener spielte und spielt in Deutschland
im öffentlichen Gedächtnis nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle („Erinne-
rungsschatten“, Bundespräsident Joachim Gauck am 6. Mai 2015 in seiner Rede
zum 70. Jahrestag der Befreiung). Es war daher umso mehr zu begrüßen, dass die
Bundesregierung bis zum Dezember 2014 über mehr als ein Jahrzehnt ein Projekt
der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer
Gewaltherrschaft zur Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener (und
auch deutscher Kriegsgefangener) unter der Leitung von Dr. Klaus-Dieter Müller
gefördert hat. Die kleine Projektgruppe hat in 15 Jahren eine äußerst erfolgreiche
und weithin anerkannte Arbeit geleistet. Dazu zählten u. a. Vertragsverhandlun-
gen, Zusammenführung der Daten und Quellen in einer Datenbank in Dresden,
Auskunftstätigkeit für ausländische Anfragende, öffentliche Veranstaltungen in
Osteuropa, gemeinsame Konferenzen, Auskünfte für deutsche Institutionen,
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und die Digitalisierung von ca. 1 Million Da-
tensätzen/Quellen zu sowjetischen und 2,3 Millionen Datensätze/Quellen zu
deutschen Kriegsgefangenen. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen nicht nur
wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern werden vor allem an die Hinterblie-
benen weitergegeben, die auf diese Weise lang ersehnte Hinweise auf das Schick-
sal ihrer Angehörigen erhalten.
Nachdem zwischenzeitlich die reine Auskunftstätigkeit durch die Stiftung Säch-
sische Gedenkstätten für vier Monate eingestellt wurde, kam es in Osteuropa zu
zahlreichen politischen Irritationen. In einer Verbalnote des Auswärtigen Amts
vom 24. April 2015 wurde daraufhin die Wiederaufnahme des Forschungsprojek-
tes für das Jahr 2016 angekündigt, um Millionen weiterer Schicksale aufzuklären.
In einer „Konsortiums-Lösung“ unter Koordinierung des Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e. V. und unter Einbeziehung der Deutschen Dienststelle
für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemali-
gen deutschen Wehrmacht (WASt), dem Suchdienst des Deutschen Roten Kreu-
zes sowie des Deutschen Historischen Instituts in Moskau soll demnach zukünftig
die Schicksalsklärung von sowjetischen Kriegsgefangenen und (teilweise) von
deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges erfolgen. Laut Auskunft
von Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, soll dabei in-
nerhalb der Bundesregierung die Federführung für die Auskünfte bei der Staats-
ministerin für Kultur und Medien (BKM) und die Federführung für Recherche
und Digitalisierung beim Auswärtigen Amt (AA) liegen, die jeweils ihren Bereich
aus ihren Etats finanziell absichern (vgl. Antwortschreiben an den Abgeordneten

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Jan Korte vom 8. August 2016). In der vereinbarten Debatte anlässlich des
75. Jahrestages des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 2016
erklärte der Bundesaußenminister, dass die Bundesregierung gemeinsam mit der
russischen Regierung eine neue Initiative beschlossen habe, „in der wir die Ar-
chivmaterialien über sowjetische und deutsche Kriegsgefangene des Zweiten
Weltkrieges lokalisieren, systematisch erfassen und digital zugänglich machen.
Wir rufen die deutschen und russischen Fachbehörden, alle Archive, Forscher und
Experten zur Mitarbeit auf.“ (Plenarprotokoll 18/178).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wer in der Bundesregierung ist aktuell für die Zukunft der Dokumentation

und Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener federführend verant-
wortlich?

2. Hat sich seit August 2015 an den Plänen für die Aufteilung der Federführung
innerhalb der Bundesregierung für die Auskünfte (BKM) sowie für Recher-
che und Digitalisierung (AA) etwas geändert, und wenn ja, was genau und
aus welchem Grund?

3. Wie viele Auskunftsersuchen zur Schicksalsklärung von Angehörigen im
Rahmen des Projekts „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Inter-
nierte. Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und zur Nachkriegszeit“ gingen
zwischen den Jahren 2013 und 2015 monatlich im Durchschnitt ein, und mit
wie viel Personal wurden sie seitens der Dokumentationsstelle der Stiftung
Sächsische Gedenkstätten jeweils in welcher durchschnittlichen Zeit beant-
wortet?

4. Wie viele Auskunftsersuchen gingen durchschnittlich monatlich in den Jah-
ren 2015 und 2016 ein, und mit wie viel Personal wurden sie jeweils in wel-
cher durchschnittlichen Zeit beantwortet?

5. Ist der Rückstand der Beantwortung seit der Wiederaufnahme der Auskunft
im Mai 2015 mittlerweile abgearbeitet?

6. Wie viel Personal ist nach Annahme der Bundesregierung für die Beantwor-
tung der Auskunftsersuchen in vertretbarer Zeit nötig, und wie begründet sie
ihre Einschätzung?

7. Wie sehen die Pläne für die „Konsortiums-Lösung“ unter Koordinierung des
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. oder anderer, mittlerweile
seitens der Bundesregierung und den beteiligten Partnern diskutierten, Pro-
jekten aktuell konkret aus, und wer ist daran im Detail und mit welcher Ziel-
und Aufgabenstellung sowie jeweiligen Verantwortlichkeit beteiligt?

8. Handelt es sich um eine dauerhafte oder um eine befristete Lösung, und wenn
letzteres, auf wie viele Jahre soll das Projekt befristet werden?

9. Welche Hindernisse standen und stehen einer raschen Umsetzung der „Kon-
sortiums-Lösung“ im Weg?

10. Wie sieht die von der Bundesregierung gemeinsam mit der russischen Re-
gierung beschlossene neue Initiative zur Lokalisierung, systematischen Er-
fassung, Digitalisierung und Zugänglichmachung im Detail aus?

11. Haben bereits deutsche und russische Fachbehörden, Archive, Forscher und
Experten ihre Mitarbeit angeboten, und wenn ja, um welche handelt es sich
dabei, und wie könnte sich nach Einschätzung der Bundesregierung jeweils
die Mitarbeit gestalten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9184
 

12. Welche Verhandlungen und Beratungen seitens der Bundesregierung hat es
mit Vertretern der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion über die
Zukunft der Dokumentation und Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsge-
fangener in der Bundesrepublik Deutschland gegeben (bitte nach Datum,
Land und Beratungsergebnis aufführen)?

13. Stehen nach der vereinbarten Initiative mit der russischen Regierung weitere
Abkommen oder Beschlüsse über entsprechende Initiativen mit anderen
Nachfolgestaaten der Sowjetunion an, und wenn ja, um welche handelt es
sich dabei?

14. Welche rechtlichen und technischen Fragen müssen derzeit noch gelöst wer-
den?

15. Wie groß sind nach Schätzungen der Bundesregierung die noch nicht erfass-
ten und digitalisierten Aktenbestände in den ehemaligen GUS-Staaten, und
wie lange würde ihre Erfassung und Digitalisierung schätzungsweise dauern
(bitte wenn möglich nach Land, laufenden Metern, betroffenen Personen-
schicksalen, Dauer der Erfassung und Digitalisierung und entstehenden Kos-
ten aufschlüsseln)?

16. Wie viele Personalstellen hält die Bundesregierung für das Projekt insgesamt
für sachgerecht (bitte wenn möglich nach Aufgabenbereich aufschlüsseln)?

17. Welche Haushaltsmittel aus welchen Haushaltsposten sollen in den kom-
menden Jahren für das Projekt aufgewendet werden (bitte nach Jahren und
Verwendungszweck aufführen)?

18. Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Beginn der „Konsortiums-Lö-
sung“ oder eines anderen Projektes zur dauerhaften Schicksalsklärung sow-
jetischer Kriegsgefangener und Sicherstellung der Ergebnisse und Forschun-
gen des Projekts der Stiftung Sächsische Gedenkstätten?

19. Wie viele Personalstellen hat die Deutsche Dienststelle (WASt) insgesamt,
wie hat sich ihre Personalsituation in den letzten zehn Jahren verändert, und
wie viele Personalstellen dienen jeweils direkt der Auskunftstätigkeit,
Schicksalsklärung, Dokumentation und Forschungszwecken (bitte entspre-
chend aufschlüsseln)?

20. Wie viel Personal und Mittel der Deutschen Dienststelle (WASt) werden für
die „Konsortiums-Lösung“ zur Verfügung gestellt?

21. Wie viel Personal und Mittel des Deutschen Historischen Instituts in Moskau
werden für die „Konsortiums-Lösung“ zur Verfügung gestellt?

22. Welche Pläne existieren, um das bisherige Projektpersonal im zukünftigen
Projekt zu berücksichtigen?

23. Wie sollen die bisherigen Projektverantwortlichen in die weitere Planung
einbezogen werden?

24. Wie soll sichergestellt werden, dass das in 15 Jahren geknüpfte Netzwerk
sowie das große Erfahrungswissen über osteuropäische Archive und Institu-
tionen in vielen Nachfolgestaaten der UdSSR nicht verlorengeht?

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25. Sollen ausländische Stellen und Organisationen an dem Projekt beteiligt wer-
den?
a) Wenn ja, welche sind dies, in welcher Form soll dies geschehen, und wel-

che Aufgaben und Mitsprachemöglichkeiten sollen sie bekommen?
b) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 7. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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