BT-Drucksache 18/9044

Neues Düngerecht endlich beschließen

Vom 6. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9044
18. Wahlperiode 06.07.2016
Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Peter Meiwald, Harald Ebner,
Nicole Maisch, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Christian Kühn
(Tübingen), Steffi Lemke, Markus Tressel, Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie
Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neues Düngerecht endlich beschließen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der hohe Eintrag von Stickstoffverbindungen ist eines der großen ungelösten Um-
weltprobleme unserer Zeit. Aus globaler Sicht sind die Grenzen der ökologischen
Tragfähigkeit bei der Stickstoffbelastung bereits überschritten, was langfristig die
Stabilität von Ökosystemen gefährdet.
Die Belastungen von Oberflächen- und Grundwasser treten primär lokal auf. Die
Eutrophierung der Meere wird vorrangig durch weiter entfernte Belastungsquellen
verursacht, insbesondere über Einträge aus Flüssen. Eine wesentliche Ursache sind
Ammoniakemissonen, die bei der Düngung mit Wirtschafsdüngern aus der Tierhal-
tung entstehen und durch die Tierhaltung aus Intensivtierhaltungsanlagen entwei-
chen und über die Luft für Nährstoffanreicherungen in der Landschaft sorgen.
Im Jahr 2009 waren etwa 48 % der natürlichen und naturnahen terrestrischen Öko-
systeme von Nährstoffeinträgen, auch Eutrophierung genannt, betroffen und 8 % von
Versauerung. Beide Mechanismen (Eutrophierung und Versauerung) verändern die
Artenzusammensetzung, reduzieren die Artenanzahl und schwächen die Wider-
standskraft gegenüber Störungen wie Trocken- und Froststress. Nord- und Ostsee
sind ebenfalls in erheblichem Maße eutrophiert.
Sichtbar werden diese Verluste z. B. am Rückgang artenreicher, blühender und duf-
tender Wiesen und wildkräuterreicher Ackerrandstreifen, an übermäßiger Schaum-
bildung am Meeresufer aufgrund von Algenblüten und Todeszonen in Nord- und
Ostsee. Die starke Zunahme von stickstoffliebenden Pflanzen wie Brombeeren oder
Brennnesseln in unseren Wäldern ist ebenfalls eine Folge der Nährstoffeinträge.
Nährstoffarme (oligotrophe) Gewässer mit guter Wasserqualität, intakte Hochmoo-
re, Dünen, Kalk- und Sandmagerrasen sowie Quellfluren gehen verloren, weil sie
quasi ständig aus der Luft übermäßig mit Nährstofffrachten „versorgt“ werden.
Die negativen Auswirkungen auf die Biodiversität verringern auch Ökosystemleis-
tungen, beispielsweise den Erholungswert von Landschaft. Auch die Landwirtschaft
selber wird beeinträchtigt: Wenn hohe Stickstoffeinträge zum Verlust von Blüten-
pflanzen führen, dann verschwindet die Nahrungsgrundlage von Insekten, die damit

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weder für die Bestäubung noch als Nahrungsgrundlage für Vögel zur Verfügung ste-
hen. Mit steigender Stickstoffdeposition nimmt die Zahl an Pflanzenarten um eine
Art je 2,5 kg N/ha und Jahr ab. Würde dieser Wert auf die durchschnittliche europä-
ische Stickstoffdeposition übertragen, entspräche diese einem Rückgang des Arten-
reichtums um 23 Prozent.
Es verschwinden fast alle Bodenbrüter aus der Agrarlandschaft, wie z. B. der Zie-
genmelker, Kiebitz oder Große Brachvogel. Das führt insgesamt zu monotonen und
damit langweiligen Landschaften, was wiederum zu finanziellen Einbußen in Land-
wirtschaft und Tourismus führt.
Etwa 27 % aller Grundwasserkörper sind wegen hoher Nitratgehalte in einem
schlechten chemischen Zustand. 42,6 % der Gewässer weisen bereits Nitratgehalte
zwischen 25 und 50 mg/l auf. Dadurch wird auch die Trinkwassergewinnung beein-
trächtigt. Insbesondere in Regionen mit landwirtschaftlichen Betrieben, die über
hohe Viehbestände mit zu wenig Fläche verfügen, kann der Nitratgrenzwertwert von
50 mg/l Nitrat nur noch durch zum Teil aufwändige technische Maßnahmen oder
durch Verdünnung mit unbelastetem Rohwasser eingehalten werden. Mit entspre-
chenden Kosten für die Gebührenzahler.
Das gilt etwa für Niedersachsen, hier befinden sich 60 % des Grundwassers in einem
schlechten Zustand, oder Nordrhein-Westfalen, hier erreichen rund 40 % des Grund-
wasserkörpers aufgrund der Nitratbelastung nicht den guten chemischen Zustand.
2011 wiesen 32,5 % der Grundwassermessstellen in den viehdichten Kreisen Bor-
ken, Steinfurt und Coesfeld in Nordrhein-Westfalen Grenzwertüberschreitungen für
Nitrat von größer als 50 mg/l auf. Das sind in diesem Falle genau die Kreise, die
Viehdichten von 3 GV/ha landwirtschaftlicher Nutzfläche aufweisen. Hinzu kom-
men die Gärsubstrate von Biogasanlagen.
Alles zusammengenommen erschwert oder verhindert die Einhaltung europarechtli-
cher Vorgaben, wie die EU-Wasserrahmen-Richtlinie (Richtlinie 2000/60/EG), EU-
Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/56/EG), EU-Nitrat-Richtlinie
(Richtlinie 91/676/EWG), Biodiversitätskonvention und die nationale Strategie zur
biologischen Vielfalt.
Die Nichteinhaltung europäischer Vorgaben führte schon zu einem Vertragsverlet-
zungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland, weil die Nit-
ratrichtlinie nur unzureichend umgesetzt wurde, sowie einer EU-Pilotanfrage
(Nr. 7806/15/ENVI) wegen zu hoher Stickstoff- und Phosphoreinträge in Gewässer.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Feststellung im Entwurf des Düngegesetzes,
dass „das in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung verankerte Ziel, den
Stickstoffsaldo der Landwirtschaft in Form der jährlichen Gesamtbilanz bis zum
Jahr 2010 auf 80 kg Stickstoff je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche zu re-
duzieren und das in der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt der Bundesre-
gierung angestrebte Ziel einer weiteren Verringerung bis zum Jahr 2015“ bisher
nicht erreicht werden konnte.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Düngegesetzes und anderer
Vorschriften (Bundestagsdrucksache 18/7557) unter Berücksichtigung folgender
Punkte zu beschließen:
1. Einführung der Hoftorbilanzierung (§ 11a DüngG) mindestens für die so ge-

nannten roten Gebiete mit hohen Viehdichten;
2. den Datenabgleich (§12 DüngG), d. h. die Änderung zur Nutzung der Verwal-

tungsdaten für den Abgleich mit anderen Erhebungen durch die Länder, um die
Angaben auf Plausibilität überprüfen und wirksame Gegenmaßnahmen einleiten
zu können;

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3. die Einbeziehung der Gärreste aus Biosgasanlagen in die Obergrenze für aus-

bringbaren Stickstoff in Höhe von 170 kg N/ha

und den Gesetzentwurf, so zu ändern, dass
4. im Artikel 1 Nummer 1 unter Punkt 4 und im § 11a Absatz 1 jeweils das Wort

„verringern“ durch minimieren ersetzt wird;
5. das Wort „Torf“ als Zugabe zu Festmist aus dem § 2 Nummer 3 (Begriffsbe-

stimmungen) des Düngegesetzes gestrichen wird;
6. das Wort „Wasserläufe“ durch das Wort „Oberflächengewässer“ in § 3 (3) Nr. 5

DüngG ersetzt wird,

und die Verordnung zur Neuordnung der guten fachlichen Praxis beim Düngen so
zu ändern, dass
7. nicht nur die Nitratkonzentrationen, sondern auch die trophischen Bodenbedin-

gungen im § 13 als Grundlage definiert werden und Eutrophierungskriterien auf-
genommen werden, wie in der Stellungnahme (Notifizierung 2015/0714/D –
C20A) der Europäischen Kommission gefordert;

8. eine Länderermächtigung für einen Maßnahmenkatalog des § 13 für die roten
Gebiete (Gebiete mit 40 mg/l Nitrat und einer steigenden Tendenz oder mehr als
50 mg/l) formuliert wird, der die Möglichkeit beinhaltet, dass die Länder eigene
regionsspezifische Maßnahmen für ihre Risikogebiete definieren können und
zusätzlich in die Lage versetzt werden, Maßnahmen zwingend vorschreiben zu
können, die über die jetzigen Maßnahmen hinausgehen, wie in der Stellung-
nahme (Notifizierung 2015/0714/D – C20A) der Europäischen Kommission ge-
fordert;

9. die Länder die Möglichkeit erhalten, die Senkung der Kontrollwerte auf
50 kg N/ha/Jahr bzw. 40 kg N/ha/Jahr zwingend vorzuschreiben und diese Re-
gelung nicht nur für rote Gebiete anwendbar sein soll, sondern generell, wie in
der Stellungnahme (Notifizierung 2015/0714/D – C20A) der Europäischen
Kommission gefordert;

10. die Befreiung der Betriebe von zusätzlichen Anforderungen bei einem Kontroll-
wert von 35 kg/N/ha/Jahr gestrichen wird oder mindestens vorhandene Belas-
tungszustände angemessen berücksichtigt werden, wie in der Stellungnahme
(Notifizierung 2015/0714/D – C20A) der Europäischen Kommission gefordert;

11. die Regelung des § 6 Absatz 7 Nummer 2 gestrichen wird, die festlegt, dass Fest-
mist von Huf- und Klauentieren in der Zeit vom 15. November bis 31. Januar
nicht ausgebracht werden darf;

12. die Verschärfungen für die Weidehaltung durch die Erhöhung der anzurechnen-
den Mindestwerte (von vormals 25 % auf 40 bis 70 %) in der Anlage 2 zurück-
genommen werden.

Berlin, den 5. Juli 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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Begründung

Das Instrument der Hoftorbilanz ermöglicht, objektiv festzustellen, auf welchen Betrieben ein Nährstoffüber-
schuss entsteht, wodurch das Verursacherprinzip anwendbar wird und diese Betriebe gezielt Maßnahmen er-
greifen und Beratungen zum Gewässerschutz wahrnehmen können. Dagegen werden bei der Schlagbilanz we-
sentliche Glieder der Bilanz nur berechnet oder gar geschätzt und gasförmige Verluste aus Wirtschaftsdüngern
im Stall, bei der Lagerung und Ausbringung können abgezogen werden. Nur wenn ein Verursacher feststellbar
ist, lassen sich, soweit erforderlich, bußgeldbewerte Sanktionen anwenden.
Als Ergänzung dient der sogenannte Datenabgleich in Verbindung mit der Erfassung der relevanten Stoffströme
aus der Hoftorbilanz, um gegebenenfalls überbetrieblich zu verwertende Nährstoffmengen mit den tatsächlich
in den Betrieben gehaltenen Nutztieren und den für die Verwertung zur Verfügung stehenden Flächen abglei-
chen zu können. Die Behörden benötigen diese Daten, um die Korrektheit der Betriebsangaben, z. B. über die
Anzahl der gehaltenen Tiere, überprüfen zu können. Deshalb muss ermöglicht werden, die ursprünglich für die
Durchführung des Tierseuchenrechts erfassten INVEKOS-Daten verwenden zu dürfen, um sie mit den Daten
aus der Hoftorbilanzierung verknüpfen zu können und so eine effektive Kontrolle der zuständigen Behörden
ermöglichen zu können.
Die Einbeziehung der Gärreste aus Biosgasanlagen in die Obergrenze von 170 kg N/ha und Jahr für den aus-
bringbaren Stickstoff ist notwendig, weil eine intensive Tierhaltung sehr häufig von einer hohen Anzahl von
Biogasanlagen begleitet wird. So kommt es in Regionen mit einer hohen Konzentration von Nutztieren und
Biogasanlagen folglich zu hohen Nährstofffrachten, wenn sowohl Gülle als auch Gärsubstrate ausgebracht wer-
den. Dabei kann schon allein die Gülle aus der Tierhaltung zu Überschreitungen, aufgrund eines unzureichenden
Flächenangebotes, führen. Alle Nährstoffe, die in einem Betrieb anfallen und ausgebracht werden, müssen be-
grenzt werden.
Bei notwendigen Abständen zu Gewässern, sollte sichergestellt werden, dass damit alle Oberflächengewässer
gemeint sind und nicht nur die Fließgewässer („Wasserläufe“), denn auch diese reagieren empfindlich auf Stof-
feinträge aus der Landwirtschaft.
Durch die Ersetzung der Wortes „verringern“ durch das Wort „minimieren“ wird sichergestellt, dass mögliche
Nährstoffverluste nicht nur verringert, sondern auf das absolut Notwendige minimiert wird.
Der Torfabbau muss signifikant reduziert werden. Eine Reduktion wird jedenfalls von der „Nationalen Strategie
zur biologischen Vielfalt“ (2007) seit 2015 angestrebt. Torf sollte nicht mehr als Bestandteil von Festmist im
Düngegesetz zulässig sein, weil die Moore unwiederbringlich zerstört werden und vom Aussterben bedrohte
Tier- und Pflanzenarten somit ihren Lebensraum verlieren. Hinzu kommt, dass auf der einen Seite wichtige
Kohlenstoffspeicher verloren gehen und auf der anderen Seite die Entwässerung der Moore zur massiven Frei-
setzung von Kohlenstoffdioxid führt, die die Klimakrise weiter anheizt.
Die Änderungen bezüglich der Länderermächtigung in § 13 der Verordnung zur Neuordnung der guten fachli-
chen Praxis beim Düngen sind anzupassen, um den Schutz der Gewässer vor schädlichen Einträgen zu gewähr-
leisten und das Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland wegen Nicht-
einhaltung der EU-Nitratrichtlinie (Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung
durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen) zu beenden und so eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof
abzuwenden, um hohe Strafzahlungen zu Lasten des Agrarhaushaltes zu verhindern.
Die Regelung in der novellierten Düngeverordnung, dass Festmist von Huf- und Klauentieren in der Zeit vom
15. November bis 31. Januar nicht ausgebracht werden dürfen, ist nicht sachgerecht, weil im Mist der Stickstoff
in stabileren Verbindungen vorliegt und organisch gebunden ist, so dass Klima und Gewässer weniger belastet
und Anwohnerinnen und Anwohner geringere Geruchsbelästigungen in Kauf nehmen müssen. Durch diese
Dünger werden keine Probleme der Wasserqualität verursacht. Daher sollten Agrarbetriebe, die mit Festmist
arbeiten, nicht benachteiligt werden, weil Festmist indirekt dem Tierschutz, dem Humusaufbau und der nach-
haltigen Nährstoffversorgung der Pflanzen dient.
Ähnliches gilt für die Verschärfungen bezüglich der Weidehaltung, die sich z. B. auf die Erhöhung der anzu-
rechnenden Mindestwerte in Anlage 2 der Verordnung (zur Neuordnung der guten fachlichen Praxis beim Dün-
gen) beziehen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9044
Während die Tierhaltung in hermetisch verschlossenen Intensivtierhaltungsanlagen mit Gülle bei Durch-
schnittstemperaturen von 16 bis 22 Grad Celsius betrieben wird und hohe Emissionen entstehen, emittieren
Tierhaltungen in Außenklimaställen wie Weide- bzw. Offenstallhaltung in der Regel weniger Stickstoff auf-
grund der niedrigeren Durchschnittstemperaturen. Auch hierdurch würden fortschrittliche Betriebe durch Ord-
nungsrecht benachteiligt.
So sind frei laufende Kühe prägende Bestandteile blühender Kulturlandschaften und erhöhen die Akzeptanz der
Landwirtschaft sowie die Lust der Städter auf das Land. Die Gesellschaft wendet sich zunehmend von Groß-
stallanlagen ab. Noch wichtiger ist es, dass zarte Pflänzchen der Weidehaltung für die Milchkuhhalter als Qua-
litätssiegel weiter auszubauen, weil besondere Qualitäten den Milchpreis mitbestimmen und der liegt derzeit im
Keller.

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