BT-Drucksache 18/9026

Für den Frieden in Kolumbien - Paramilitarismus konsequent bekämpfen

Vom 5. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9026
18. Wahlperiode 05.07.2016
Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Dr. André Hahn,
Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Für den Frieden in Kolumbien ‒ Paramilitarismus konsequent bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Hoffnung auf Frieden und mehr Demokratie in Kolumbien ist so groß wie nie.
Nach der Unterzeichnung eines bilateralen Waffenstillstandes zwischen der kolum-
bianischen Regierung und der Guerillaorganisation FARC-EP am 23. Juni 2016 in
Havanna wird die Phase der Waffenniederlegung eingeleitet. Der Abschluss eines
Friedensabkommens ist zum Greifen nahe, und somit die politische Lösung des mehr
als fünfzig Jahre andauernden sozialen und mit Waffengewalt ausgetragenen Kon-
fliktes in Kolumbien.
Wesentliche Konfliktursachen wurden in den Verhandlungen erfasst und Teilverein-
barungen bisher erreicht zu: ländlicher Entwicklung, politischer Teilhabe, Drogen-
problematik, zum Umgang mit den Opfern des Konflikts und zur Übergangsjustiz.
Über thematische Foren und direkte Anhörungen von Opfern durch die Verhand-
lungsdelegationen wurde eine – begrenzte – Beteiligung der Zivilgesellschaft er-
möglicht. Das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell stand jedoch nicht zur Diskus-
sion.
Ohne den Abschluss eines Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Re-
gierung und der Guerillaorganisation ELN (Nationale Befreiungsarmee) und ohne
die konsequente strafrechtliche und politische Bekämpfung der neuen paramilitäri-
schen Aktivitäten wird der Friedensprozess wenig Aussicht auf Erfolg haben, die
innergesellschaftliche Versöhnung würde erschwert. Besonders kritisch ist hierbei
die Phase der Übergangsperiode zu sehen, in der sich die KombattantInnen an vorab
festgelegten Orten sammeln sollen, um die Waffen niederzulegen.
Im Jahr 2016 scheint die tatsächliche Verbesserung der sozialen, politischen und
menschenrechtlichen Lage in Kolumbien weit entfernt zu sein. Im Februar haben
durchschnittlich zwei MenschenrechtsverteidigerInnen pro Tag Repressalien erlit-
ten: Drohungen, Beschattungen, physische Übergriffe, Ermordungen sowie willkür-
liche strafrechtliche Verfolgungen (http://somosdefensores.org/index.php/en/publi-
caciones/informes-siaddhh/137-santos-se-raja-en-proteccion-a-defensores-en-co-
lombia).
Paramilitärische Gruppen erstarken und werden nicht ausreichend bekämpft. Im Ge-
genteil, nach wie vor gibt es eine enge Verknüpfung von geheimdienstlichen und po-

Drucksache 18/9026 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
lizeilichen mit paramilitärischen Kräften. Das bedeutet, dass paramilitärische Grup-
pen wirksam bekämpft und ihre Verbindungen zu staatlichen Sicherheitskräften kon-
sequent aufgedeckt und zerschlagen werden müssen.
Ein konsequentes Vorgehen hat vor allem angesichts der Geschichte des Paramilita-
rismus in Kolumbien große Bedeutung. Die rechtsgerichteten bewaffneten Banden
in Kolumbien waren von Beginn an eng mit den politischen und wirtschaftlichen
Eliten verbandelt. Sie wurden mithilfe der kolumbianischen Armee, mehrerer ko-
lumbianischer und US-amerikanischer Geheimdienste und von Söldnern gebildet. In
den 1970er-Jahren übernahm der kolumbianische Staat das Konzept der Nationalen
Sicherheit aus den USA, es folgten unverhohlene Strategien, die Zivilbevölkerung
über Konzepte der „zivilen Verteidigung“ in den Kampf gegen die Guerilla zu zwin-
gen. Spätestens seit den 1980er-Jahren führte der kolumbianische Staat mit Hilfe der
Paramilitärs einen Krieg niederer Intensität, dem fast täglich Zivilisten zum Opfer
fielen. Das lag vor allem auch an der Interessenpolitik der Paramilitärs, die fast aus-
schließlich in unmittelbarem Auftrag von Großgrundbesitzern agierten. Infolge nah-
men in Kolumbien Morde und gewaltsame Vertreibungen massiv zu. Das UN-
Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählte im Jahr 2015 6,9 Millionen Binnenvertriebenen
in Kolumbien (http://www.unhcr.de/home/arti-
kel/c906bc21d49c562889eee3d63909b4be/flucht-und-vertreibung-2015-drastisch-
gestiegen.html), mehr Menschen sind nur in Syrien im eigenen Land vertrieben. Zu-
gleich sind paramilitärische Banden und ihre heute in Kolumbien agierenden Nach-
folgeorganisationen nachweislich in Drogenhandel verstrickt. Nach den Wahlen
zum kolumbianischen Senat 2010 waren nach Angaben von Beobachtern 25 der 102
Senatoren direkt in den Paramilitarismus verstrickt, heute wird der Partei Centro De-
mocrático des ehemaligen Präsidenten und jetzigen Senators Álvaro Uribe u. a.
Wahlkampffinanzierung aus paramilitärischen Quellen vorgeworfen (https://ame-
rika21.de/2014/07/103055/kongress-uribe-paras).
2002 wurde unter Präsident Uribe ein groß angelegtes Demobilisierungsprogramm
begonnen. Ziel war die Entwaffnung von tausenden illegalen Kämpfern und ihre
Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Bereits nach vier Jahren wurde das Pro-
gramm mit großem Erfolg für beendet erklärt. Den rechtlichen Rahmen für die Ent-
waffnung der Paramilitärs bildete das „Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden“ aus
dem Jahr 2005, das allerdings nur die Führungsebene der bewaffneten Gruppen be-
rücksichtigt. Über 19.000 ehemalige Kämpfer wurden hingegen entwaffnet und
straflos entlassen – ohne sie zu den Verbrechen zu befragen und so zur Aufklärung
beizutragen.
Die Zunahme der paramilitärischen Aktivitäten durch Gruppierungen wie Los
Urabeños, Aguilas Negras, Clan Usuga und nicht zuletzt der sogenannte bewaffnete
Streik der Gruppierung „Autodefensas Gaitanistas de Colombia“ Anfang April 2016
im Norden Kolumbiens gefährden das Leben der KolumbianerInnen und eine fried-
liche Entwicklung nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens in Kolum-
bien (http://www.spiegel.de/politik/ausland/kolumbien-morden-gegen-den-frieden-
a-1096408.html). Der Paramilitarismus ist ein integraler Bestandteil des Staates und
dient auch der Durchsetzung eines neoliberalen Wirtschaftsmodells. So spielen pa-
ramilitärische Gruppen bei der illegalen Aneignung von Land und Vertreibung von
Kleinbauern für große Agrarunternehmen eine entscheidende Rolle. Ebenso bei der
Verfolgung und Ermordung von Gewerkschaftern, wodurch der Kampf um Arbeit-
nehmerInnenrechte massiv geschwächt wird. Durch den Einsatz von sexualisierter
Gewalt gegen Frauen und brutalem Terror, wie zum Beispiel in den sogenannten
„casas de pique“ in Buenaventura, sollen ganze Regionen ihrem Einfluss unterwor-
fen werden (http://www.quetzal-leipzig.de/nachrichten/kolumbien_/kolumbien-
kein-ende-der-gewalt-in-buenaventura-19093.html). Nach wie vor sind Teile der po-
litischen und wirtschaftlichen Eliten in Kolumbien in paramilitärische Strukturen
verstrickt, die aufgedeckt und zerschlagen werden müssen, um zu einem nachhalti-
gen und gerechten Frieden in Kolumbien beizutragen.

https://amerika21.de/2014/07/103055/kongress-uribe-paras
https://amerika21.de/2014/07/103055/kongress-uribe-paras
http://www.spiegel.de/politik/ausland/kolumbien-morden-gegen-den-frieden-a-1096408.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/kolumbien-morden-gegen-den-frieden-a-1096408.html
http://www.quetzal-leipzig.de/nachrichten/kolumbien_/kolumbien-kein-ende-der-gewalt-in-buenaventura-19093.html
http://www.quetzal-leipzig.de/nachrichten/kolumbien_/kolumbien-kein-ende-der-gewalt-in-buenaventura-19093.html
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9026
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die kolumbianischen zivilgesellschaftlichen Organisationen beim Aufbau eines
nachhaltigen Friedens zu unterstützen, Sicherheitsgarantien für deren Arbeit bei
der kolumbianischen Regierung einzufordern, ihre aktive Rolle bei der Umset-
zung der Vereinbarung zu stärken und darauf zu drängen, dass sie bei der Ver-
wendung der Gelder der internationalen Kooperation konsultiert werden;

2. die finanziellen Mittel im Rahmen der deutschen EZ für zivilgesellschaftliche
Organisationen im Bereich Menschenrechte und zivile Konfliktbearbeitung aus-
zuweiten und im Rahmen der EZ auszuschließen, dass die geplante wirtschaft-
liche Entwicklung der ehemaligen Konfliktregionen zu neuen Konflikten bei
Landbesitz und Rohstoffabbau führt;

3. sich dafür einzusetzen, dass nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens
mit den FARC-EP die politische Partizipation, wie im Friedensabkommen ver-
handelt, gewährt und Sicherheitsgarantien gegeben werden;

4. gegenüber der kolumbianischen Regierung auf ein ernsthaftes Vorgehen gegen
die (neo-)paramilitärischen Gruppen und die Straflosigkeit zu drängen und die
immer noch rückständige Opferentschädigung endlich umzusetzen;

5. die Politikkohärenz von deutscher Seite aus sicherzustellen. Wirtschaftsförde-
rung und Aktivitäten deutscher Unternehmen müssen menschenrechtliche Stan-
dards einhalten und in Einklang mit den Zielen des Teilabkommens zur ländli-
chen Entwicklung gebracht werden;

6. die Übergangsjustiz und die Umsetzung des Abkommens kritisch zu unterstüt-
zen mit dem Ziel, dass internationale Normen und Standards garantiert und eine
effiziente Umsetzung gefördert werden. Dies gilt insbesondere für die Überset-
zung des Abkommens in einen gesetzlichen Rahmen und die umfassende Betei-
ligung und Stärkung der Arbeit der Opfergruppen;

7. ein politisches und mit Mitteln der deutschen EZ langfristig angelegtes interna-
tionales Monitoring-Programm zur Umsetzung der Vereinbarungen zu unter-
stützen;

8. sich dafür einzusetzen, dass das Mandat des Büros des Hochkommissariats für
Menschenrechte der VN in Kolumbien in seiner Monitoring- und Berichtsrolle
zur Menschenrechtssituation im Land für die Zukunft weiter gestärkt wird;

9. die Menschenrechtsorganisationen in Kolumbien bei ihrer Forderung zu stärken,
eine hochrangig besetzte Kommission einzusetzen, als Garantie für die Nicht-
wiederholung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gravierenden
Menschenrechtsverletzungen;

10. die Verhandlungen mit der Guerilla ELN soweit wie möglich zu unterstützen,
damit eine umfassende Friedenslösung und Beilegung aller bewaffneten Kon-
flikte in Kolumbien erreicht werden kann;

11. erneut anzuregen, dass die Streichung der FARC-EP und ELN von der „EU-
Terrorliste“ überprüft wird.

Berlin, den 5. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/9026 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Die Arbeit und der Rückhalt von zivilgesellschaftlichen Akteuren, u. a. MenschenrechtsverteidigerInnen, ist ein
Grundpfeiler für eine demokratische und sozial gerechte Gesellschaft. Trotz der Fortschritte bei den Friedens-
verhandlungen in Havanna, die erst durch die Unterstützung der Regierungen der Republik Kubas und Norwe-
gen als Garanten möglich geworden sind, häufen sich jedoch Übergriffe gegen MenschenrechtsverteidigerIn-
nen, Gewerkschaftern sowie Landrechts-, Friedens- und UmweltaktivistInnen.
Erfahrungen aus anderen Friedensprozessen, wie in Guatemala und El Salvador, zeigen, dass allein die Unter-
zeichnung eines Abkommens die zugrundeliegenden Konflikte nicht lösen wird, denn das hohe Maß an Straf-
losigkeit sowie massive Menschenrechtsverletzungen verringern sich nicht automatisch. Zudem sind die trau-
matischen Erfahrungen mit der Demobilisierung der Guerillagruppe M-19 und der anschließenden Ermordung
zahlreicher Funktionäre sowie die Ermordung von mehr als 5000 Union Patriotica-Parteimitgliedern durch Pa-
ramilitärs tief in das kolumbianische Gedächtnis eingegraben.
Dem neuesten Kolumbien-Bericht des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen
(OHCHR) zufolge war die Anzahl ermordeter MenschenrechtsverteidigerInnen 2015 höher als die durchschnitt-
liche Jahreszahl in den vorangehenden zwei Jahrzehnten (http://www.hchr.org.co/documentoseinformes/infor-
mes/altocomisionado/informe_anual_2015.pdf). Die kolumbianische Nichtregierungsorganisation „Somos De-
fensores“ („Wir sind Menschenrechtsverteidiger“) stellt ihrerseits fest, dass seit Beginn der Friedensverhand-
lungen mindestens 1.868 MenschenrechtsverteidigerInnen Übergriffe jeglicher Art, wie versuchter Mord, tele-
fonische und schriftliche Todesdrohungen, illegale geheimdienstliche Beschattung, erlitten haben, in der glei-
chen Zeit wurden zudem 287 Menschen ermordet. Für 2015 sind 682 Übergriffe und 63 Morde registriert
worden (http://somosdefensores.org/index.php/en/publicaciones/informes-siaddhh/137-santos-se-raja-en-pro-
teccion-a-defensores-en-colombia). Dies geht einher mit einer fast 97-prozentigen Straflosigkeit bei der Auf-
klärung dieser Morde. Im Gegenteil, der Staat seinerseits kriminalisiert durch Strafanzeigen und strafrechtliche
Verfahren, auf Grundlage zweifelhafter Beweise und Zeugen, MenschenrechtsverteidigerInnen, Menschen-
rechtsorganisationen und linke, oppositionelle PolitikerInnen. Die bekanntesten Fälle betreffen die Politiker
Piedad Córdoba und Iván Cepeda Castro, den Soziologen Miguel Ángel Beltrán, den Menschenrechtsverteidi-
ger David Rabelo, den Gewerkschafter Hubert Ballesteros und Feliciano Valencia, Kämpfer für die indigene
Rechte.
Die internationale Gemeinschaft, die Europäische Union und die Bundesregierung haben deshalb die Pflicht
und Verantwortung auf allen Ebenen dem Friedensprozess nicht nur durch Standarderklärungen ihre Unterstüt-
zung zuzusichern.

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Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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