BT-Drucksache 18/9011

Reale CO2-Messungen bei Pkw

Vom 8. Juni 2016


 

Deutscher Bundestag Drucksache 18/9011
18. Wahlperiode 08.06.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie Wilms,
Matthias Gastel, Tabea Rößner, Markus Tressel und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reale CO2-Messungen bei Pkw

Die Diskrepanz zwischen offiziellen und realen CO2-Emissionen für Neufahr-
zeuge ist in Europa in den letzten Jahren deutlich angestiegen und beträgt inzwi-
schen rund 40 Prozent (vgl. Studie des International Council on Clean Transpor-
tation – ICCT, „Official vs. real-world road-load parameters in EU vehicle effi-
ciency testing“, Mai 2015). Ein Großteil der CO2-Minderung, zu denen die Auto-
mobilhersteller verpflichtet sind, findet damit nicht auf der Straße, sondern nur
auf dem Papier statt. Fahrzeuge werden offenbar immer zielgerichteter auf Tests
im Labor optimiert, die im realen Straßenbetrieb erreichten Verbrauchseinspa-
rungen fallen wesentlich geringer aus. Etwa ein Drittel der Abweichungen bei
CO2-Werten ist nach Einschätzung der Fragesteller auf das systematische Aus-
nutzen von Gesetzeslücken in Testverfahren zurückzuführen, so etwa bei den
Ausrollversuchen und den daraus errechneten Widerstandswerten. Weitere
Schlupflöcher sind seit vielen Jahren bekannt – ungeklärt ist jedoch die Frage, ob
auch Anpassungen der Motorsteuerung mit dem Ziel der Verbrauchsreduzierung
infolge einer Zykluserkennung stattfinden (sog. Öko-Tuning).
Der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt,
hat nach kritischen Medienberichten zu zurückgehaltenen CO2-Messwerten ein-
geräumt, dass bezüglich Kohlendioxid ein gesonderter Bericht vorgelegt und die
Untersuchungskommission „Volkswagen“ weiterhin gebraucht werde. Er habe
den Anspruch, „Auffälligkeiten zu finden und abzustellen" (vgl. Hannoversche
Allgemeine Zeitung vom 2. Mai 2016). Der Bundesverkehrsminister hatte aller-
dings bereits in seiner Parlamentsrede am 4. November 2015 angekündigt: „Die
Fahrzeuge werden sowohl auf der Rolle als auch auf der Straße und auch in Cross-
tests geprüft. Bei diesen Prüfungen werden auch die CO2-Werte gemessen. (…)
In diesem Gesamtergebnis werden auch die entsprechenden CO2-Werte ausge-
wiesen sein“. Diese Zusage wurde aus Sicht der Fragesteller nicht eingehalten.
Abweichungen zwischen Labormessungen und realem Straßenbetrieb betreffen
sowohl Dieselautos als auch Benziner. Offen ist, ob das Bundesministerium für
Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) daher seine Untersuchungen auch über
die bislang 53 getesteten Diesel-Pkw auf andere Antriebsarten ausweiten wird.

Drucksache 18/9011 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

 

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wieso hat das BMVI in seinem Bericht der Untersuchungskommission

„Volkswagen“ vom 22. April 2016 keine Ergebnisse über CO2-Emissions-
messungen veröffentlicht, obwohl dies der Bundesverkehrsminister in seiner
Rede im Deutschen Bundestag am 4. November 2015 für den Gesamtbericht
angekündigt hatte, und obwohl bei den durchgeführten Messungen im Labor
und auf der Straße auch CO2-Werte erfasst wurden?

2. Wann wird das BMVI die Ergebnisse der CO2-Messungen – wie nun ver-
sprochen – gesondert vorlegen, und was sind die Gründe für die eingetretene
Verzögerung?

3. Sind die technischen Untersuchungen des Abgasverhaltens in Bezug auf CO2
abgeschlossen, und wenn ja, seit wann?

4. Welche Testbedingungen (z. B. Klimaanlage, Last, Reifen) wurden bei den
CO2-Messungen zu Grunde gelegt?

5. Kann die Bundesregierung Medienberichte bestätigen, denen zufolge in ei-
nem Dutzend der gemessenen Fälle Hersteller die Verbrauchsangaben um
mehr als 10 Prozent manipuliert haben („Der CO2-Schwindel“, BILD am
SONNTAG vom 8. Mai 2016), und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

6. Wann wird das BMVI den exakten Untersuchungsauftrag vorlegen, und
wenn nicht, warum nicht?

7. Welchen weiterführenden Untersuchungsauftrag hat die nach der Veröffent-
lichung des Ergebnisberichts weiter bestehende Untersuchungskommission
zur Aufklärung der Abgasaffäre?

8. Hat das BMVI mit den Herstellern Gespräche über die Ergebnisse der CO2-
Messungen geführt, und wenn ja, welchen Umfang und welche Ergebnisse
hatten diese Gespräche, und wie wurden sie dokumentiert?

9. Wird die Überprüfung der CO2-Emissionen auf weitere Fahrzeuge, die über
die 53 Fahrzeugmodelle der Felduntersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamts
(KBA) hinausgehen, erweitert, und wenn ja, sollen die angekündigten Über-
prüfungen der CO2-Werte auch Fahrzeuge mit Benzinmotoren umfassen?

10. Sind der Bundesregierung ältere unabhängige Tests oder Erhebungen hin-
sichtlich Realverbräuchen bekannt, und wenn ja, welche?

11. Wie haben sich die Diskrepanzen zwischen Labortests und realem Kraftstoff-
verbrauch nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten zehn Jahren
entwickelt, und was sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Gründe und
die Ursachen für die immer größeren Abweichungen zwischen Laborergeb-
nissen und realem Straßenbetrieb hinsichtlich der CO2-Emissionen?

12. Hat die Bundesregierung beziehungsweise das KBA als zuständige Bundes-
behörde in Reaktion auf Gerichtsurteile, Verbraucherbeschwerden oder
wissenschaftliche Studien, etwa vom ADAC e. V. oder der Zeitschrift
„AUTO BILD“, eigene Untersuchungen entwickelt, um die Ursachen der
Abweichungen zwischen Labordaten und Realverbrauch zu ergründen und
hinsichtlich ihrer Legalität zu prüfen, und wenn nein, warum nicht?

13. In welchem Umfang hat das KBA in den letzten fünf Jahren (Nach-)Prüfun-
gen vorgenommen, die mit Spritverbräuchen bzw. den CO2-Emissionen von
Pkw in Zusammenhang standen?

14. Zu welchen Ergebnissen kamen diese Untersuchungen, wurden Hersteller zu
Korrekturen aufgefordert, und welche Sanktionsmaßnahmen hat das KBA
ggf. ausgesprochen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9011
 

 

15. Waren seitens des KBA auch die vom Hersteller übermittelten Ausrollwerte
Gegenstand von Nachprüfungen?

16. Wie aussagekräftig ist nach Auffassung der Bundesregierung die Angabe,
wonach die durchschnittlichen zertifizierten CO2-Emissionen neuer Fahr-
zeugmodelle in Deutschland von 174,9 auf 136,1 g CO2/km zurückge-
gangen sind (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 18/5656)?

17. Auf welcher Grundlage kommt die Bundesregierung zu der Annahme, dass
die Abweichungen zwischen Real- und Normverbrauch im Pkw-Bestand im
Jahr 2020 durchschnittlich 20 Prozent betragen werden (vgl. Antwort der
Bundesregierung zu Frage 15 auf Bundestagsdrucksache 18/7444)?

18. Von welchen Abweichungen geht die Bundesregierung offiziell aus, und
welche Abweichungshöhe ist im Hinblick auf verbraucherschutzrechtliche
Vorgaben legitim?

19. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass sich aufgrund der zuneh-
menden Abweichungen der Realemissionen von den Herstellerangaben er-
hebliche Mindereinnahmen bei der Kfz-Steuer ergeben, und wenn ja, seit
wann ist sie sich dieses Problems bewusst, wie haben sich die Einnahmeaus-
fälle bei der Kfz-Steuer in den letzten fünf Jahren entwickelt, und welche
Maßnahmen hat die Bundesregierung gegen diese Fehlentwicklung ergrif-
fen?

20. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Ergebnissen der Studie „Official vs. real-world road-load parameters
in EU vehicle efficiency testing“ des ICCT?

21. Welche Praktiken zur Verbrauchsoptimierung sind der Bundesregierung be-
kannt?

22. Verfügt die Bundesregierung über eine kritische Analyse des bisherigen
Testverfahrens, und welche zulässigen Randbedingungen des Neuen Euro-
päischen Fahrzyklus (NEFZ) haben nach Auffassung der Bundesregierung
einer Realitätsnähe der Messsituation widersprochen (bitte auflisten und be-
gründen)?

23. Welche Praktiken zur Verbrauchsoptimierung im Rahmen des NEFZ sind
aus Sicht der Bundesregierung legal?

24. Sind der Bundesregierung mögliche Praktiken zur Verbrauchsoptimierung in
offiziellen Labortestsituationen bekannt, die als illegal zu bewerten wären,
und welche wären solche Praktiken?

25. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über den Einsatz von „Ab-
schalteinrichtungen“ in Neuwagen vor, und hat die Bundesregierung Er-
kenntnisse darüber, dass Software in Neuwagen Testsituationen im Labor
erkennen könnten und daraufhin energieverbrauchende Funktionen automa-
tisch abschalten oder die Motorleistung modifizieren?

26. Besitzt die Bundesregierung eine Prognose darüber, ob die deutschen Auto-
mobilhersteller die europäischen Vorgaben zu den Flottengrenzwerten ange-
sichts der Marktentwicklung (hinsichtlich Fahrzeuggewicht, Motorleistung,
Ausstattung) der letzten Jahre einhalten werden, und wenn ja, wie fällt diese
Prognose aus?

27. Hat der Bundesverkehrsminister gegenüber der ARD jemals die Aussage ge-
troffen, dass im Zuge der Umstellungen der Testverfahren „die Emissionen
(…) und Verbräuche auf der Rolle und mit den RDE (Real Driving Emissi-
ons)“ getestet werden sollen?

Drucksache 18/9011 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

 

28. Hat das BMVI die in Frage 27 zitierte Aussage des Bundesverkehrsministers
gegenüber der ARD (vgl. http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2015/
abgasbetrug-das-maerchen-vom-klimaweltmeister,abgasbetrug100.html) wie-
der zurückgezogen, und wenn ja, weshalb?

29. Werden die von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt angekündigten
„Dopingtests“ auch eine Messung der CO2-Emissionswerte beinhalten, und
wie werden die Ergebnisse dieser Tests veröffentlicht?

30. Was spricht nach Auffassung der Bundesregierung dagegen, zur Ermittlung
des realen Kraftstoffverbrauchs bzw. des durchschnittlichen CO2-Ausstoßes
von Neuwagen künftig auch die Messung von RDE einzubeziehen?

31. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung nach den Erfahrungen der gro-
ßen Abweichungen zwischen Labortests und realem Straßenbetrieb bei
Stickoxid aus verbraucherpolitischer Sicht sinnvoll, auch hinsichtlich des
Verbrauchsverhaltens von Fahrzeugen, RDE-Tests einzuführen?

32. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Neuwagenflotten der deut-
schen Automobilhersteller die europäischen Verbrauchsvorgaben des Jahres
2020 von 95 g CO2/km auch im realen Straßenbetrieb einhalten werden, und
wenn ja, wie soll dies überprüft werden?

33. Geht die Bundesregierung davon aus, dass wie geplant im Jahr 2017 das neue
Testverfahren WLTP – Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test
Procedure – eingeführt wird?

34. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die im NEFZ bekannt geworde-
nen Manipulationsmöglichkeiten bei einer Umstellung auf den WLTP aus-
geschlossen werden können?

35. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, um wie viel Prozent der WLTP
die Verbrauchswerte von Neuwagen gegenüber dem alten Testverfahren
NEFZ schätzungsweise erhöhen wird, und wenn ja, um welchen Wert han-
delt es sich?

36. Werden seitens der Bundesregierung Konformitätsfaktoren bei der Messung
von CO2-Emissionen gefordert, die Toleranzbereiche für die als akzeptabel
angesehene Grenzwertüberschreitungen schaffen, und wenn ja, mit welcher
Begründung, in welchem Maße, und für welche Zeiträume werden diese ge-
fordert?

37. Welche Position vertritt die Bundesregierung bei der Festlegung des neuen
Messverfahrens WLTP hinsichtlich der Korrelation mit dem NEFZ zur Ein-
haltung der vereinbarten Grenzwerte für 2020/2021, und welchen Flotten-
grenzwert gemäß Umrechnung auf WLTP-Basis hält die Bundesregierung
für angemessen?

38. Vertritt die Bundesregierung die Position, bestimmte Maßnahmen zur Flexi-
bilisierung des WLTP, wie etwa das Laden der Fahrzeugbatterie, die Anrech-
nung von kategorisierten Gewichtsklassen, eine pauschale grundsätzliche
Korrekturmöglichkeit des Ergebnisses und der Ermittlung der Ausrollwerte
auf abschüssigen Strecken, zuzulassen, und wenn ja, warum (bitte Maßnah-
men ggf. einzeln begründen)?

39. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Entscheidung der USA gegen eine Einführung des WLTP auf dem
US-amerikanischen Automobilmarkt?

40. Setzt sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür ein, künftig ähnlich wie
in den USA, Hersteller aufgrund von zu hohen Abweichungen beim Real-
verbrauch mit Sanktionen zu belegen, und wenn ja, mit welchen, und wenn
nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9011
 

 

41. Was versteht die Bundesregierung unter ihrer Antwort auf die Kleine An-
frage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (vgl. Bundestagsdrucksa-
che 18/5656, Frage 4), zur Erreichung der Klimaziele sei die Festlegung von
realistischen Zielwerten nach dem Jahr 2020 erforderlich, und unterstützt es
die Bundesregierung, Nachfolgegrenzwerte für die Jahre 2025 und 2030 fest-
zulegen, und wenn ja, welche realen Verbrauchsreduzierungen strebt sie an?

42. Aus welchem Grund hat die Bundesregierung im Jahr 2013 auf Ebene der
Europäischen Union nach Kenntnis der Fragesteller die Position vertreten,
die neuen Flottengrenzwerte für Neuwagen erst im Jahr 2022 vollumfänglich
einzuführen und vorerst keinen Nachfolgegrenzwert für das Jahr 2025 fest-
zuschreiben?

43. Welche Position vertritt die Bundesregierung aktuell hinsichtlich eines
Nachfolgegrenzwertes für Neuwagen ab dem Jahr 2025, insbesondere im
Hinblick auf die drängende Notwendigkeit, der weltweit starken Zunahme
des Pkw-Bestands und den weiter stark ansteigenden globalen Treibhaus-
gasemissionen, u. a. mit wesentlich effizienteren und verbrauchsärmeren
Fahrzeugangeboten, auf dem Automobilmarkt zu begegnen?

44. Erfasst das KBA die von den Herstellern übermittelten Ausrollwerte mit dem
Computer?

45. Was spricht nach Ansicht der Bundesregierung gegen die Veröffentlichung
der für die Typzulassung erforderlichen Fahrzeugdaten inkl. Ausrollwerten,
so wie dies in den USA der Fall ist?

46. Welche Möglichkeiten haben Verbraucherinnen und Verbraucher, um gegen
überhöhte Verbrauchsabweichungen von den offiziellen Herstellerangaben
rechtlich vorzugehen, und reichen die bisherigen veröffentlichten Verbrau-
cherinformationen und rechtlichen Möglichkeiten aus Sicht der Bundesre-
gierung aus, insbesondere in Hinblick auf mögliche Minderungen des Fahr-
zeugwertes infolge erhöhter abweichender Realverbräuche?

Berlin, den 8. Juni 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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