BT-Drucksache 18/8519

Zuverlässigkeit des digitalen Bahn-Funknetzes GSM-R und Rolle der Bundesnetzagentur

Vom 17. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8519
18. Wahlperiode 17.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Leidig, Caren Lay, Herbert Behrens,
Eva Bulling-Schröter, Birgit Menz, Dr. Kirsten Tackmann und der
Fraktion DIE LINKE.

Zuverlässigkeit des digitalen Bahn-Funknetzes GSM-R und Rolle der
Bundesnetzagentur

Die Deutsche Bahn AG (DB AG) begann im Jahr 1999 damit, den seit den 70er-
Jahren verwendeten analogen Zugfunk auf den digitalen Standard GSM-R umzu-
stellen. Bei GSM-R handelt es sich um einen internationalen Standard, der im
Jahr 1992 von der UIC (Internationaler Eisenbahnverband) speziell für die Ver-
wendung bei Eisenbahnen entwickelt wurde und der auch in anderen Ländern
zum Einsatz kommt.
Inzwischen ist mit etwa 29 000 von etwa 33 000 Kilometern der überwiegende
Teil des von der DB Netz AG betriebenen Bahnnetzes mit GSM-R ausgerüstet.
Im Jahr 2015 vergab die DB Netz AG zwei Aufträge zur Modernisierung des
GSM-R-Netzes, in deren Rahmen bis zum Jahr 2024 3 000 Basisstationen aus-
getauscht werden sollen.
Offensichtlich gibt es im von der DB Netz AG betriebenen Bahnnetz jedoch min-
destens 250 Bereiche im Netz, in denen die Verfügbarkeit von GSM-R einge-
schränkt ist (vgl. Bundestagsdrucksache 18/8054, Antwort der Bundesregierung
zu den Fragen 2 und 3). Solche Lücken im GSM-R-Netz bedeuten einerseits, dass
Triebfahrzeugführer das zuständige Stellwerk nicht direkt erreichen können – bei-
spielsweise um eine wichtige Meldung weiterzugeben, eine Weisung entgegen-
zunehmen oder eine Rückfrage zu stellen. Solche Lücken bedeuten aber auch,
dass der zuständige Fahrdienstleiter im Stellwerk die Triebfahrzeugführer, die in
dem entsprechenden Streckenabschnitt unterwegs sind, nicht zuverlässig errei-
chen kann. Im Notfall bedeuten solche Lücken auch insbesondere, dass Notrufe
die Triebfahrzeugführer nicht erreichen. Es gibt zwar die Vorgabe, dass beim
Vorhandensein solcher Lücken ersatzweise das öffentliche Mobilfunknetz
P-GSM verwendet werden solle; dieses Netz gewährleistet aber keine ebenso
schnelle Erreichbarkeit wie das für den Bahnbetrieb konzipierte GSM-R-Netz
und hat vor allem nicht die Fähigkeit, Notrufe zu übermitteln.
Offensichtlich gab es im Vorfeld der Vergabe weiterer Funkfrequenzen im GSM-
Bereich im Jahr 2012 einen Disput zwischen der DB Netz AG und der Bundes-
netzagentur über die Freihaltung von Frequenzbereichen, die den Betrieb des
Bahnfunknetzes GSM-R beeinträchtigen können (vgl. Brief der DB Netz AG an
die Bundesnetzagentur, Referat 2012, vom 11. August 2011). Die Entscheidung
der Bundesnetzagentur hat die Einwände der DB Netz AG jedoch nicht berück-
sichtigt (vgl. „Konzept zur Vergabe weiteren Spektrums unterhalb von 1,9 GHz“,
BK 1-12/001).

Drucksache 18/8519 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Mit „Funklöchern“ sind in den folgenden Fragen solche Bereiche des Bahnnetzes
gemeint, in denen Triebfahrzeugführer über das Bahn-Funksystem GSM-R nicht
zu jeder Zeit zuverlässig erreicht werden können.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hat sich die Gesamtzahl und Länge der Funklöcher seit der Einführung

des Systems GSM-R im Jahr 2004 nach Kenntnis der Bundesregierung bei
der DB Netz AG entwickelt (bitte nach Jahren die Anzahl und Gesamtlänge
entsprechend den öffentlich zugänglichen Informationen in den Verzeichnis-
sen der Langsamfahrstellen – La-Verzeichnisse – angeben)?

2. Wo im Bahnnetz sind diese Funklöcher nach Kenntnis der Bundesregierung
zu finden (bitte tabellarisch nach Bundesländern mit genauer Angabe der
Streckennummern und Kilometerangaben für Beginn und Ende der Bereiche
entsprechend den öffentlich zugänglichen Informationen in den La-Ver-
zeichnissen auflisten)?

3. Welche dieser Funklöcher sind nach Kenntnis der Bundesregierung bereits
seit mindestens einem halben, einem, zwei, drei, vier, fünf oder sogar mehr
Jahren bekannt (bitte tabellarisch entsprechend den öffentlich zugänglichen
Informationen in den La-Verzeichnissen auflisten)?

4. Welche Kosten würde eine vollständige Funkausleuchtung der Strecken, die
prinzipiell mit GSM-R ausgestattet sind, nach Kenntnis der Bundesregierung
verursachen, und wodurch würden diese im Einzelnen verursacht (Energie-
kosten für höhere Sendeleistung, Installationskosten für zusätzliche Anlagen,
weitere Kosten)?

5. Wann wurde das GSM-R-Netz an der Strecke Holzkirchen – Rosenheim
(Strecke 5622) nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren
durch Messfahrten oder andere Methoden überprüft, und wo wurden dabei
jeweils Funklöcher oder Schwachpunkte der Funkverbindung festgestellt
(bitte mit Datum und Kilometerangaben für Beginn und Ende der Bereiche
angeben)?

6. Wenn das Funkloch in Kolbermoor, wie aus der Antwort der Bundesregie-
rung auf Bundestagsdrucksache 18/8174 (Antwort zu Frage 5) hervorgeht,
offensichtlich bereits im Oktober 2010 durch Inbetriebnahme eines Füllsen-
ders beseitigt wurde, wie erklärt sich dann, dass dieser Bereich im wöchent-
lich aktualisierten La-Verzeichnis noch bis vor Kurzem enthalten war – ins-
besondere in Anbetracht der Tatsache, dass jeder Abschnitt des Netzes nach
Aussage der Bundesregierung mindestens alle 24 Monate überprüft wird
(vgl. Bundestagsdrucksache 18/8054, Antwort zu Frage 7) und folglich in
der Zwischenzeit mindestens zwei Messungen mit positivem Ergebnis (keine
mangelhafte Funkausleuchtung) erfolgt sein müssen?

7. Wie bewertet die Bundesregierung in Anbetracht dieser Abweichung über
diesen Zeitraum in weit mehr als 300 La-Verzeichnissen die Zuverlässigkeit
dieser La-Verzeichnisse, die für die Triebfahrzeugführer das relevante Ori-
entierungsdokument während der Fahrt sind?
Welche Verbesserungen im Prozess der Erstellung dieser Verzeichnisse wer-
den das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) oder das Bundesministerium für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur (BMVI) der DB Netz AG vorschreiben, um
die Übereinstimmung des Verzeichnisses mit der Realität zu gewährleisten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8519
 

8. Hält die Bundesregierung Ausgaben von mehreren Millionen Euro für die
Installation des Funknetzes GSM-R entlang dem weit überwiegenden Teil
des Bahnnetzes für angemessen, wenn dieses nach Angaben der Bundesre-
gierung nur eine „unterstützende Funktion“ (Bundestagsdrucksache
18/8174, Antwort zu Frage 8), damit aber keine notwendige Funktion für die
Sicherheit hat?

9. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Aussage der DB Netz AG, dass die Bahnen „zahlreiche Bahnfunkan-
wendungen betreiben, von denen die meisten für die Sicherheit und Leich-
tigkeit des Bahnverkehrs in Deutschland unabdingbar sind und entsprechend
besonderen gesetzlichen Anforderungen an Verfügbarkeit und Qualität un-
terliegen“ und dem expliziten Bezug dabei auf das GSM-R-Netz (vgl. Brief
der DB Netz AG an die Bundesnetzagentur, Referat 2012, vom 11. August
2011)?

10. Wie passt die Klassifizierung des GSM-R-Netzes durch das EBA „als eine
Anlage mit sicherheitsrelevanten Aufgaben für bahnspezifische Anwendun-
gen“ (Brief der DB Netz AG an die Bundesnetzagentur, Referat 2012, vom
11. August 2011) mit der oben zitierten Einordnung durch die Bundesregie-
rung als lediglich „unterstützendes System“ zusammen?

11. Hatte die Bundesregierung von dem Brief der DB Netz AG an die Bundes-
netzagentur (Brief der DB Netz AG an die Bundesnetzagentur, Referat 2012,
vom 11. August 2011) und der darin dargestellten Problematik Kenntnis?
Wenn ja, welche Schritte hat sie daraufhin eingeleitet?

12. Wie ging die Bundesnetzagentur mit dem zitierten Brief (Brief der DB Netz
AG an die Bundesnetzagentur, Referat 2012, vom 11. August 2011) um, und
wie wurde den darin durch die DB Netz AG dargestellten Problemen und
Risiken begegnet?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Entscheidung der Präsidentenkammer
der Bundesnetzagentur zum „Konzept zur Vergabe weiteren Spektrums un-
terhalb von 1,9 GHz“ (GSM-Konzept, BK 1-12/001) vom 23. Januar 2012,
in dem trotz der Einwände der DB AG die kommerzielle Nutzung der in di-
rekter Nachbarschaft zum Frequenzbereich von GSM-R liegenden Frequenz-
bereiche ohne einen bis dahin üblichen Sicherheitsabstand von 100 kHz ge-
stattet wurde, insbesondere nachdem die Anzahl der Funklöcher im
GSM-R-Netz bereits seit Mitte 2007 „stark ansteigt“ und die Bundesnetza-
gentur über diese Tatsache seitens der DB Netz AG informiert war (Brief der
DB Netz AG an die Bundesnetzagentur, Referat 2012, vom 11. August 2011
sowie Stellungnahme der DB Netz AG zur Aufstellung des Frequenznut-
zungsplans mit Schreiben vom 9. Mai 2011)?

14. Welche Handlungsnotwendigkeiten sieht die Bundesregierung angesichts
der immer wieder auftretenden Funklöcher im GSM-R-Bereich in Hinblick
auf die Tatsache, dass das Europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS Le-
vel 2, das zukünftig entsprechend den Vorgaben der Europäischen Union zu-
nehmend auf Bahnstrecken in Deutschland installiert werden soll, ebenfalls
teilweise das GSM-R-Netz für die Kommunikation nutzt?

15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der DB Netz AG, dass sich aus
den Verbindungsabbrüchen von GSM-R im Zusammenhang mit ETCS „er-
hebliche Gefahren für die Betriebssicherheit und damit für Leib und Leben
der Fahrgäste ergeben“ könnten (Brief der DB Netz AG an die Bundesnetz-
agentur, Referat 2012, vom 11. August 2011)?

Drucksache 18/8519 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

16. Warum wurden die von der DB Netz AG vorgeschlagenen Maßnahmen zum
Schutz des GSM-R-Netzes durch „entsprechende Nutzungsbestimmungen“
nebst konkreter Formulierungsvorschläge seitens der Bundesnetzagentur
verworfen (Brief der DB Netz AG an die Bundesnetzagentur, Referat 2012,
vom 11. August 2011)?

17. Wie ist generell gewährleistet, dass die Bundesnetzagentur die Nichtbeein-
trächtigung sicherheitsrelevanter Frequenzbereiche wie des von GSM-R ver-
wendeten Bereichs über mögliche wirtschaftliche Erwägungen bei der Fre-
quenzvergabe stellt?

18. Waren auch beim analogen Zugfunk, der ab dem Jahr 1999 schrittweise
durch GSM-R abgelöst wurde, solche Funklöcher bekannt, und falls ja, in
welcher Anzahl und Länge bezogen auf das von der DB Netz AG betriebene
Gesamtnetz?

Berlin, den 17. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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