BT-Drucksache 18/849

Das psychiatrische Entgeltsystem überarbeiten und das Versorgungssystem qualitativ weiterentwickeln

Vom 19. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/849
18. Wahlperiode 19.03.2014

Antrag
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai
Gehring, Tabea Rößner, Ulle Schauws, Doris Wagner, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das psychiatrische Entgeltsystem überarbeiten und das Versorgungs-
system qualitativ weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach den Regelungen des § 17d des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG),
der 2009 eingeführt wurde, ist für psychiatrische und psychosomatische Fach-
krankenhäuser und Abteilungen an allgemeinen Krankenhäusern sowie der Kin-
der- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie „ein durchgängiges, leistungs-
orientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem auf der Grundlage von ta-
gesbezogenen Entgelten einzuführen“. Am 14. Juni 2012 verabschiedete der
Bundestag das Gesetz zur Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für
psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen (Psych-Entgeltgesetz -
PsychEntG) und erteilte einen Auftrag zur Systementwicklung, der sich auch auf
andere sektorenübergreifende Vergütungseinheiten sowie die Einbeziehung von
Institutsambulanzen bezog.

Als lernendes System konzipiert, erfolgte die Einführung des pauschalierenden
Entgeltsystems Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) mit einer vierjährigen
Einführungsphase (budgetneutrale Phase von 2013 bis 2016) und einer fünfjähri-
gen Überführungsphase (Konvergenzphase von 2017 bis 2021). Für die Jahre
2013 und 2014 (Optionsphase) können die psychiatrischen und psychosomati-
schen Einrichtungen frei entscheiden, ob sie von dem neuen Entgeltsystem Ge-
brauch machen. Ab dem Jahr 2015 soll die Anwendung für alle Einrichtungen
verpflichtend sein.

Die Verordnung zum neuen pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und
Psychosomatik (PEPP) trat trotz massiver Kritik von Fachgesellschaften und Pa-
tientenverbänden per Ersatzvornahme des Bundesgesundheitsministers zum
1. Januar 2013 in Kraft.

Seither steht das PEPP in massiver öffentlicher Kritik, die u. a. in einem gemein-
samen Standpunktepapier von 15 Fachverbänden gebündelt wurde. Zugleich
haben sich Organisationen wie attac, der Paritätische Gesamtverband, medico
international, der Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte sowie ver.di mit

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einer gemeinsamen Initiative an die Mitglieder des Bundestages gewandt. Zudem
haben Selbsthilfeverbände Psychiatrieerfahrener eine Petition an den Bundestag
gestartet, die von über 43 500 Mitzeichnenden unterstützt wurde.

Diese Aktivitäten bestärken auch im Nachhinein die Kritik, die bereits bei Ein-
führung des PEPP geäußert wurde. Grundlegende Punkte waren u. a., dass vor
Eintritt in die Reform und vor der Ersatzvornahme die 100-Prozent-Umsetzung
der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) nie erzielt und schon gar nicht
überprüft worden ist, sodass deren Mindeststandards nicht realistisch in die Kal-
kulationsgrundlagen eingehen. Mit Wegfall der Psych-PV ab 2017 existiert keine
verbindliche Regelung zur Sicherstellung von Personalstandards. Zudem wurden
die Kosten für die Sicherstellung der Rund-um-die-Uhr-Pflichtversorgung nicht
berücksichtigt. Auch wurde beklagt, dass die Besonderheiten und die notwendige
Strukturqualität der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht systematisch berück-
sichtigt werden. Nach Veröffentlichung des PEPP-Kataloges gibt es außerdem
massive Kritik an dem dort verfolgten Ansatz einer fallbasierten Tageskostenkal-
kulation innerhalb von diagnosebezogenen Fallgruppen mit festgelegten degres-
siven Vergütungsstufen. Dabei bestehe die große Gefahr, dass Anreize zu einer
nicht angemessenen Verweildauerverkürzung gesetzt werden und insbesondere
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen zukünftig nicht mehr indivi-
duell angemessen behandelt werden.

Die im Gesetz zwar vorgesehenen Modellvorhaben für eine sektorübergreifende
Versorgung sind halbherzig ausgestaltet. Auf dieser Grundlage können keine für
eine grundlegende Reform der Versorgung tragfähigen Erkenntnisse über neue
flexible gemeindenahe Versorgungsformen gewonnen werden. Bisher ist bun-
desweit nur ein neues Modellvorhaben in der laut Gesetz „besonders zu berück-
sichtigenden“ Kinder- und Jugendpsychiatrie vereinbart worden.

Eine Rückkehr zum alten System ist dennoch keine Alternative, dieses war in-
transparent und nicht leistungsgerecht ausgestaltet. Zugleich darf ein neues Ent-
geltsystem nicht auf ein Sparmodell reduziert werden, sondern es muss die not-
wendige Weiterentwicklung der Versorgung unterstützen und flexible patienten-
orientierte Versorgungsformen ermöglichen.

Die Umsetzung des Psych-Entgeltgesetzes sollte auf dieser Grundlage nicht fort-
gesetzt werden, sondern die derzeitige Optionsphase sollte verlängert werden und
zur dringend erforderlichen grundlegenden Überarbeitung der Grundsystematik
und des darauf aufbauenden Kalkulationsschemas für ein neues Entgeltsystem
genutzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Gesetz mit folgenden Eckpunkten vorzulegen:
1. Der seit Anfang 2013 laufende Einführungsprozess des pauschalierenden

Entgeltsystems Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) wird unterbro-
chen und die Optionsphase verlängert, um die vorgesehene Übergangs-
zeit bis 2022 zu nutzen, um das Entgeltsystem Psychiatrie und Psycho-
somatik zu überarbeiten und gleichzeitig die Versorgungsstruktur zu re-
formieren. Dabei müssen auch die ambulante Versorgung und der Be-
handlungsbedarf von schwerst psychisch Kranken im besonderen sach-
gerecht abgebildet werden.

2. Die Bundesregierung beruft bis zum Juni 2014 eine Expertenkommissi-
on, bestehend aus Sachverständigen zu den drei Bereichen Erwachse-
nenpsychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychosomatik. Dazu
gehören Sachverständige unterschiedlicher Träger und Versorgungskon-

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stellationen, Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassen, Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Patienten- und Angehörigen-
vertreterinnen und -vertreter. Diese Kommission sorgt für eine interes-
senneutrale und unabhängige Prozessbegleitung, bewertet die Arbeits-
aufträge aus dem PsychEntgeltG und dem Krankenhausreformgesetz und
gibt Empfehlungen für den weiteren Umsetzungsprozess.

3. Den fachspezifischen Anforderungen und regionalen Besonderheiten der
Kinder- und Jugendpsychiatrie wird im Verfahren zur Überarbeitung des
neuen Entgeltsystems dadurch Rechnung getragen, dass auf das Gebiet
Kinder- und Jugendpsychiatrie spezialisierte Expertinnen und Experten
einberufen werden und unter Beteiligung von Elternvertreterinnen und
Elternvertretern Vorschläge erarbeitet werden, die Eingang in die Exper-
tenkommission finden. Im Rahmen der Begleitforschung werden Mittel
zur Evaluation, der Versorgung und von Versorgungsmodellen im Be-
reich der Kinder- und Jugendpsychiatrie gesondert ausgewiesen.

4. Die Personalstandards zur Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV)
bleiben für alle Krankenhäuser als Mindeststandard erhalten; ihre tat-
sächliche Umsetzung und deren Überführung in das neue Entgeltsystem
wird transparent und nachprüfbar ausgestaltet. Grundbedingung für den
Einstieg in eine Konvergenzphase ist die flächendeckende Umsetzung
von einer Personalausstattung entsprechend 100 Prozent der Psych-PV.
Der Wegfall der Psychiatrie-Personalverordnung 2017 erfolgt nur, wenn
dieses Ziel nachweislich vorher erreicht wurde. Ansonsten wird auch die
Geltung der Psychiatrie-Personalverordnung entsprechend verlängert.
Weiterentwicklungen hinsichtlich Anforderungen durch den technischen
Fortschritt, durch die Veränderung der Versorgung und aus neueren in-
haltlichen Vorgaben und Leitlinien sind z. B. durch einen Forschungs-
auftrag mit einzubeziehen. Gleichzeitig werden der veränderte Personal-
bedarf und die aktuellen Strukturqualitätsmerkmale durch eine wissen-
schaftliche Erhebung erfasst.

5. Es werden Regelungen vorgesehen, die die Beteiligung bzw. Nichtbetei-
ligung an der Sicherstellung einer flächendeckenden regionalen Versor-
gung durch eine entsprechende Vergütung abbilden.

6. Zur Umsetzung der Vorgaben der UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
und zusätzlich der UN-Kinderrechtskonvention werden der dazu erfor-
derliche Personalbedarf gesondert erfasst und die entsprechenden Auf-
wendungen in das neue Entgeltsystem einbezogen.

7. Für Modellvorhaben nach § 64b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- SGB V - (Modellvorhaben zur Versorgung psychisch kranker Men-
schen) werden gesetzliche Vorgaben und Qualitätsstandards festgelegt,
die eine wirkliche Weiterentwicklung des bestehenden Versorgungssys-
tems, auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und eine Vergleich-
barkeit mit herkömmlichen Versorgungsstrukturen erlauben. Es wird si-
chergestellt, dass nach Ablauf der vereinbarten Erprobungszeit erfolgrei-
che Modellvorhaben in die Regelversorgung überführt und gemeinsam
und einheitlich durch alle Krankenkassen finanziert werden.

8. Die Begleitforschung zum Psych-Entgeltsystem wird schnellst möglich
vergeben; es wird sichergestellt, dass für die Überarbeitung des Entgelt-
systems vor Beginn der Konvergenzphase eine empirisch gesicherte
Ausgangslage erfasst wird sowie die Modellvorhaben einbezogen wer-
den.

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9. Dem Deutschen Bundestag und den Bundesländern wird zum Jahresende
2016 ein detaillierter Bericht zu den Daten aus den Regelhäusern und
den Modellvorhaben vorgelegt; finanz- und versorgungspolitische Er-
kenntnisse und Konsequenzen werden aufgezeigt.

Berlin, den 18. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Anders als die auf den Körper bezogene Medizin, bei der überwiegend Leistungen erbracht werden, die
durch die Diagnose bedingt sind, bezieht sich die psychiatrische Leistungserbringung individualisiert auf
das aktuelle Befinden und das gesamte Lebens- und Beziehungsgefüge des Patienten. Deshalb können die
Verfahren zur Einführung der DRGs (Diagnosebezogene Fallgruppen) aus dem somatischen Bereich nicht
auf die Psychiatrie übertragen werden. Es bedarf vielmehr der umfangreichen Zusammenarbeit mit der
klinischen Praxis, um angemessene und transparente pauschale Vergütungssystematiken zu entwickeln.

Die Weiterentwicklung des stationären Entgeltsystems darf nicht zur Senkung der Qualitätsstandards miss-
braucht werden, vielmehr ist sicherzustellen, dass dem individuellen Behandlungsbedarf unter Einbezie-
hung der jeweiligen Leitlinien mit ausreichendem und entsprechend qualifiziertem Personal entsprochen
werden kann.

Zugleich muss ein neues Entgeltsystem in eine umfassende Reform der psychiatrischen und psychosomati-
schen Versorgung in Deutschland eingebettet werden und es muss die qualitative Weiterentwicklung der
Krankenhausbehandlung und der Versorgung insgesamt unterstützen. Die Finanzierung, Organisation und
der Aufbau der Angebotsformen müssen sich mehr als heute am individuellen Behandlungs- und Unterstüt-
zungsbedarf psychisch kranker Menschen und ihrer Angehörigen orientieren. Ziel muss ein bedarfsgerech-
tes, regionales psychiatrisch-psychotherapeutisches und psychosoziales Versorgungssystem sein, das pati-
entenzentrierte und lebensweltbezogene Behandlungsformen ermöglicht. Ambulante und stationäre Ange-
bote müssen sinnvoll ineinander greifen, heute bestehende Versorgungsbrüche und Defizite vermieden
werden. Die komplementäre Versorgung sollte in partnerschaftlicher Kooperation und Abstimmung mit
anderen Leistungsbereichen ergänzend zum Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erbracht werden.

Zu Nummer 1

Der laufende Einführungsprozess des PEPP muss unterbrochen und die Optionsphase verlängert werden,
um grundsätzliche Korrekturen vornehmen zu können. Der Gesamtzeitraum für die Einführung eines neuen
Entgeltsystems muss genutzt werden, um ein Entgeltsystem zu entwickeln, das eine sektorübergreifende
Versorgungsstruktur unterstützt. Am Ende des Prozesses muss eine am individuellen Bedarf ausgerichtete
Vergütung stehen, die während und nach einer stationären, teilstationären oder ambulanten Krankenhaus-
behandlung und gegebenenfalls einer Behandlung durch eine Institutsambulanz die Überleitung in die ge-
meindenahen sozialpsychiatrischen Hilfen, die Einbeziehung von Angehörigen sowie die ambulante Kri-
senbegleitung ermöglicht. Dabei sind neuere Erkenntnisse zur Ausweitung von Psychotherapie, zur Einbe-
ziehung des familiären Umfeldes, von Peer-to-peer-Ansätzen einzubeziehen. Auch die Vorgaben zur Um-
setzung der UN-Behindertenkonvention zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen und in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention müssen in der Personalbemessung adä-
quat Berücksichtigung finden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/849

Zu Nummer 2

Die Einführung eines neuen Entgeltsystems wird am ehesten gelingen, wenn auf eine breite Unterstützung
gesetzt wird. Deshalb sollte der Prozess durch eine Expertenkommission fachlich begleitet werden, der
auch Sachverständige aus Patienten- und Angehörigenverbänden und den Bundesländern angehören. Der
methodisch-technische und gesundheitsökonomische Sachverstand wird ergänzt um trialogische Elemente,
also unter Einbeziehung von Betroffenen, Angehörigen und Professionellen. Dies hat sich in der Psychiatrie
als innovativ bewährt. Die Expertenkommission jenseits der beteiligten Selbstverwaltungspartner sollte
zügig noch bis Juni 2014 durch die Bundesregierung einberufen werden.

Zu Nummer 3

Die Besonderheiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie müssen besonders berücksich-
tigt werden, da bereits heute teilweise eine erhebliche Unterversorgung besteht. Die Versorgungssituation
ist regional sehr verschieden und in starkem Maße angewiesen auf die Einbeziehung des ambulanten Ver-
tragsarztsystems.

Obwohl das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie
prozentual über den besten Rücklauf und die beste Beteiligung am „lernenden System“ berichtet, ist auf-
grund der geringen Einrichtungsgrößen, unterschiedlicher Trägerkonstellationen und besonderer regionaler
Versorgungskonstellationen die Generierung von belastbaren Aussagen für die Kalkulation nur schwer
möglich.

Die bisherigen Regelungen nach der Psych-PV für Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind
einzuhalten und deren Einhaltung muss transparent gemacht werden. Nur gesonderte Mittel zur Begleitfor-
schung der Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erlauben eine angemessene Darstellung der
Besonderheiten dieses Fachgebiets. Die Verwendung von Kennzahlen wie die Größe des Versorgungsge-
biets und die Erreichbarkeit der Patienten und ihrer Familien bieten sich als spezifische Qualitätsmerkmale
dieses Fachgebiets an.

Kinder- und Jugendpsychiatrie ist, wegen der Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-
Behindertenrechtskonvention für Kinder und Jugendliche besonders personalintensiv, der Auftrag zur In-
klusion von Kindern mit (drohender) seelischer Behinderung aus der UN-Behindertenrechtskonvention
erfordert aufsuchende Ansätze.

Zu Nummer 4

Die 1991 eingeführte Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) hat erstmalig einen verbindlichen Rah-
men für eine angemessene berufsübergreifende Personalausstattung in den psychiatrischen Krankenhäusern
geschaffen. Wurde diese Norm in den ersten Jahren im Vollzug beachtet, wurden in den letzten Jahren be-
reits vor Eintritt in das PEPP die Regelungen und Personalstandards der Psych-PV nicht flächendeckend
umgesetzt. Zudem hat sich in den letzten Jahrzehnten die Intensität der stationären Behandlung in der Psy-
chiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie durch kürzere Liegezeiten und gestiegene Fallzahlen massiv ver-
dichtet.

Mit dem geplanten Wegfall der Psych-PV ab 2017 ist ohne eine Anschlussregelung mit einer weiteren
Verschlechterung der Personalsituation in den psychiatrischen Krankenhäusern zu rechnen. Der
§ 137 Absatz 1c SGB V, der einen Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss formuliert, ist nicht
hinreichend konkret und verbindlich genug.

Zu Nummer 5

Die Beteiligung an der regionalen Pflichtversorgung führt zu höheren Personalvorhaltekosten, weil eine 24-
Stunden-Aufnahme und ein Krisendienst bereitgehalten werden müssen sowie kontinuierliche Aufwendun-
gen zur notwendigen Vernetzung des Krankenhauses mit anderen regionalen Leistungserbringern notwen-
dig sind. Krankenhäuser, die an der regionalen Pflichtversorgung teilnehmen, können und sollen sich die
Patientinnen und Patienten nicht danach aussuchen, ob diese zu einem vorteilhaften wirtschaftlichen Ergeb-

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nis führen. Die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung an der flächendeckenden psychiatrischen Versorgung
muss daher entsprechend honoriert werden.

Zu Nummer 6

Die Vorgaben zu der UN-Behindertenrechtskonvention zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen müssen
bei der Personalbemessung berücksichtigt werden. Die Weichen dafür, dass Zwangsmaßnahmen zukünftig
so weit wie möglich vermieden werden, wie dies nun auch gesetzlich vorgesehen ist, müssen jetzt gestellt
werden. Das Personal in psychiatrischen Kliniken muss die nötige Unterstützung und Assistenz leisten, zum
Beispiel durch Gespräche und Sitzwachen. Dies wird nur durch eine Aufstockung des Personals gewährleis-
tet.

Zu Nummer 7

Die Regelung des § 64b SGB V wurde durch das PsychEntG eingeführt. Sektorübergreifende Modellvorha-
ben können erheblich zur besseren Vernetzung zwischen stationärer, teilstationärer, ambulanter und kom-
plementärer Versorgung beitragen. Nach derzeitiger gesetzlicher Lage ist das Zustandekommen, die Ausge-
staltung und die Evaluation ohne weitere Vorgaben Sache der regionalen Vertragsparteien und somit nicht
geeignet, eine nachhaltige Reform der Versorgungsstrukturen einzuleiten. Daten aus den Modellvorhaben
fließen laut PsychEntG nicht in die Datengrundlage vor Eintritt in die Konvergenzphase ein, es werden nur
die Regelhäuser berücksichtigt. Dies ist zu korrigieren, damit die Weiterentwicklung im Versorgungsgebiet
bei der Einführung des neuen Psych-Entgeltsystems berücksichtigt wird.

In jedem Bundesland sollte mindestens ein sektorübergreifendes Modellvorhaben durchgeführt werden, das
alle psychiatrischen, psychotherapeutischen und psycho-somatischen Patientengruppen in das Versorgungs-
angebot einbezieht. Personaleinsatz und Professionsmix sollten sich an den Merkmalen der Psychiatrie-
Personalverordnung orientieren und professionsübergreifend ausgestaltet sein. Die Modellvorhaben sind zu
verpflichten, zu den Leistungsmerkmalen der Versorgung Daten an das InEK und die Bundesländer zu
übermitteln. Die Qualität der Daten soll eine Vergleichbarkeit mit der Regelversorgung erlauben.

Daneben sind auch Modellvorhaben einzelner Krankenkassen denkbar, die z. B. regionale Versorgungslü-
cken für einzelne Patientengruppen schließen. Bei Zielerreichung sind diese in die Regelversorgung zu
überführen.

Schon jetzt ist absehbar, dass in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bundesweit fast keine Modellvorhaben
zustande kommen. Gleichzeitig sind familienfreundliche Innovationen wie Hometreatment in diesem Be-
reich vielfach erfolgreich erprobt worden und müssen endlich im Rahmen der Regelversorgung Patientin-
nen und Patienten und ihren Familien zugutekommen können. Die Ausgestaltung des § 64b SGB V muss
den Besonderheiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie besser gerecht werden. Eine gesonderte Begleitfor-
schung muss die Auswertung dieser Modelle sicherstellen.

Zu den Nummern 8 und 9

Die Überarbeitung des Entgeltsystems für die psychiatrische Versorgung ist aufgrund der fehlenden Vorbil-
der eine große Herausforderung. Die Begleitforschung trägt dazu bei, dass ein reformiertes Vergütungssys-
tem die Verbesserung des Versorgungssystems bestmöglich unterstützt. Um die finanz- und versorgungspo-
litischen Konsequenzen rechtzeitig und zeitnah überprüfen zu können, ist ein Bericht zu den Daten aus den
Regelhäusern und Modellvorhaben ein notwendiger Schritt für eine verantwortungsvolle Psychiatriepolitik.
Dieser Bericht wird heruntergebrochen bis auf die Ebene der Regionen von Kreisen und kreisfreien Städten.

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