BT-Drucksache 18/8441

Belastung von Rentnerinnen und Rentnern mit niedrigen Einkommen in der privaten Krankenversicherung

Vom 11. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8441
18. Wahlperiode 11.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche, Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner,
Kai Gehring, Ulle Schauws, Tabea Rößner, Doris Wagner,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Belastung von Rentnerinnen und Rentnern mit niedrigen Einkommen in der
privaten Krankenversicherung

In der privaten Krankenversicherung (PKV) sind systembedingt überwiegend
Menschen mit höheren Einkommen versichert. Dennoch fällt es einem Teil der
Versicherten in der PKV zunehmend schwerer, die erheblich steigenden Kran-
kenversicherungsbeiträge zu tragen. So wurden kürzlich Beitragssteigerungen
von bis zu 16,4 Prozent bei einzelnen Versicherern bekannt (DER TAGESSPIE-
GEL vom 3. März 2016). Experten kamen im Auftrag der Bundesregierung be-
reits im Jahr 2010 zu dem Ergebnis, dass trotz Altersrückstellungen sprunghafte
Beitragssteigerungen in der PKV insbesondere für ältere Versicherte möglich
seien (IGES „Die Bedeutung von Wettbewerb im Bereich der privaten Kranken-
versicherungen vor dem Hintergrund der erwarteten demografischen Entwick-
lung“, Berlin 2010). Eine Untersuchung zeigte für langjährige PKV-Bestandsver-
sicherte Prämiensteigerungen von mehr als 200 Prozent im Zeitraum von 1985
bis 2005 (Jacobs et al. Fairer Wettbewerb oder Risikoselektion? Bonn 2006).
Starke Beitragssteigerungen bei älteren Versicherten in der privaten Krankenver-
sicherung sind indes keine neue Entwicklung. Bereits zwischen 1994 und 1996
beschäftigte sich auf Beschluss des Deutschen Bundestages eine Unabhängige
Kommission mit diesem Thema (Bundestagsdrucksache 13/4945). Schon damals
diagnostizierten die Experten im Zeitraum von 1970 bis 1993 Steigerungen um
durchschnittlich bis zu 928 Prozent bei den Beiträgen älterer Versicherter (ebd.
S. 15).
Die für die PKV augenscheinlich nicht unüblichen enormen Prämiensteigerungen
führen vor allem für ältere Versicherte mit einem niedrigen Einkommen zu er-
heblichen Belastungen. Unter den PKV-Versicherten mit potentiell prekärer Ein-
kommenssituation (Einkommen unter 15 550 Euro) sind zu fast einem Drittel
Menschen über 60 Jahre vertreten (vgl. Haun: „Quo vadis, GKV und PKV. Ent-
wicklung der Erwerbs- und Einkommensstrukturen von Versicherten im dualen
System“ in Jacobs, Schulze, Hrsg.: Die Krankenversicherung der Zukunft. Berlin
2013, S. 99). Auch Versicherte mit Anspruch auf staatliche Beihilfe, so ein wei-
teres Ergebnis der Studie, befanden sich in einkommensschwacher, prekärer
Lage, fast die Hälfte von ihnen – überwiegend Frauen – im Alter von über 60 Jah-
ren (Haun 2013 ebd.). Da verwundert es kaum, dass sich mehr als die Hälfte der
in der PKV versicherten Rentnerinnen und Rentner für ein Ende des bislang zwei-
geteilten Krankenversicherungssystems und für einen einheitlichen Krankenver-
sicherungsmarkt nach dem Vorbild der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
ausspricht (WIdOmonitor 2/2012, S. 8).

Drucksache 18/8441 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Die Bundesregierung hält dennoch weiter an dem bestehenden zweigeteilten
Krankenversicherungssystem aus PKV und GKV fest. Das System habe sich „be-
währt“, meint etwa der Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, (vgl.
Deutsches Ärzteblatt vom 20. Juni 2014). Auch der Patientenbeauftragte der Bun-
desregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, lehnt eine Weiterentwicklung
des jetzigen zweigeteilten Systems aus PKV und GKV beispielsweise zu einer
Bürgerversicherung ab (vgl. Handelsblatt vom 4. März 2016). Bei einer Bürger-
versicherung würden sich die Beiträge an den wirtschaftlichen Möglichkeiten der
Versicherten und nicht wie heute in der PKV an deren Alter oder Gesundheitszu-
stand orientieren.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie groß ist aktuell der Anteil der in der PKV versicherten Rentnerinnen und

Rentner?
2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Einkommens- und Ge-

schlechtsverteilung der in der PKV versicherten Rentnerinnen und Rentner?
3. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, dass sich einer Befragung

des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zufolge mehr als die
Hälfte aller in der PKV versicherten Rentnerinnen und Rentner für ein ein-
heitliches Krankenversicherungssystem nach dem Vorbild der gesetzlichen
Krankenversicherung ausspricht (WIdOmonitor 2/2012, S. 8)?

4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass einer Befragung des WIdO zufolge die in der PKV versicherten Rent-
nerinnen und Rentner im Vergleich zu anderen Gruppen überdurchschnitt-
lich mit ihrer Krankenversicherung unzufrieden sind (WIdOmonitor 2/2012,
S. 2)?

5. a) Wie viele Versicherte sind aktuell (Stand: 2015) im Standardtarif und im
Basistarif in der PKV versichert, und wie viele sind davon Rentnerinnen
und Rentner (bitte jeweils nach Tarif darstellen)?

b) Wie hat sich die Zahl der im Standardtarif und im Basistarif Versicherten
seit dessen Einführung entwickelt (bitte jeweils nach Tarif und nach Jah-
ren aufschlüsseln), und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung aus dieser Entwicklung?

c) Wie hat sich die Zahl der im Standardtarif und im Basistarif versicherten
Rentnerinnen und Rentner seit dessen Einführung entwickelt (bitte jeweils
nach Tarif und nach Jahren aufschlüsseln), und welche Schlussfolgerun-
gen zieht die Bundesregierung aus dieser Entwicklung?

d) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Alters-, Geschlechts-
und Einkommensverteilung der im Standardtarif und im Basistarif versi-
cherten Personen (bitte nach Tarif darstellen)?

6. a) Wie viele Versicherte sind aktuell (Stand: 2015) im Notlagentarif in der
PKV versichert, und wie viele sind davon Rentnerinnen und Rentner?

b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Alters- und Ge-
schlechtsverteilung der im Notlagentarif Versicherten?

7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Anzahl sowie die Alters-
und Geschlechtsverteilung der nicht in einem Notlagentarif versicherten
Nichtzahler in der PKV?

8. Zählen zu den Personen im Notlagentarif der PKV auch Beamte, Pensionäre
und deren Angehörige mit Anspruch auf staatliche Beihilfe, und wenn ja, um
wie viele Personen handelt es sich hierbei?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8441
 

9. a) Wie hoch ist aktuell der durchschnittliche Beitrag im Notlagentarif?
b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Zahl der im Notlagen-

tarif Versicherten, deren Vertrag nach § 153 Absatz 2 Satz 2 des Versi-
cherungsaufsichtsgesetzes (VAG) nur einen Teil der Behandlungskosten
abdeckt?

10. Können mit den im Notlagentarif vorgesehenen Prämien Altersrückstellun-
gen aufgebaut werden?
Wenn nein, was bedeutet das für die Höhe der Prämien im Alter, wenn die
Versicherten aus finanziellen Gründen für einen längeren Zeitraum im Not-
lagentarif verbleiben müssen?
Wenn ja, reichen diese Altersrückstellungen nach Auffassung der Bundesre-
gierung aus, um die Beitragslast im Alter zu reduzieren?

11. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die durchschnittliche Bei-
tragshöhe für Rentnerinnen und Rentner in der PKV?

12. Inwieweit ist nach Ansicht der Bundesregierung die Annahme der Stiftung
Warentest, nach der der PKV-Beitrag „im Rentenalter mindestens dreimal so
hoch ist wie bei Vertragsabschluss mit Mitte dreißig“ (Finanztest 5/2014,
S. 64) zutreffend?
Wenn die Bundesregierung diese Annahme für nicht zutreffend hält, auf wel-
cher Grundlage trifft sie diese Einschätzung?

13. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Empfehlung
der Stiftung Warentest für PKV-Versicherte bis zum Rentenalter einen Be-
trag von mindestens 109 000 Euro bis maximal 220 000 Euro anzusparen,
um den im Alter höheren PKV-Beitrag ohne Leistungseinschränkungen tra-
gen zu können (Finanztest 5/2014, S. 64)?

14. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die durchschnittlichen Bei-
tragssteigerungen für Rentnerinnen und Rentner in der PKV seit dem Jahr
1993?

15. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die durchschnittliche Höhe
der von Rentnerinnen und Rentnern in der PKV vereinbarten Selbstbehalte?

16. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund
des im Alter ansteigenden medizinischen Versorgungsbedarfes aus der Tat-
sache, dass fast die Hälfte der in der PKV versicherten Rentnerinnen und
Rentner ihren Versicherungsschutz reduziert und einen Tarif mit erhöhter
Selbstbeteiligung oder reduziertem Leistungsanspruch ausgewählt haben
(vgl. Befragung im Auftrag des WIdO, WIdOmonitor 2/2012, S. 4)?

17. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwieweit PKV-Versi-
cherte und insbesondere in der PKV versicherte Rentnerinnen und Rentner
wegen der Belastung eines Selbstbehalts auf notwendige medizinische Leis-
tungen verzichten?

18. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand, dass
fast ein Drittel der PKV-Versicherten in prekärer Einkommenssituation (Ein-
kommen mit weniger als 15 000 Euro im Jahr und ohne Absicherung durch
höhere Einkommen anderer Haushaltsmitglieder) älter sind als 60 Jahre (vgl.
Haun: „Quo vadis, GKV und PKV. Entwicklung der Erwerbs- und Einkom-
mensstrukturen von Versicherten im dualen System“ in Jacobs, Schulze: Die
Krankenversicherung der Zukunft, Berlin 2013. S. 99)?

19. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand,
dass sich entsprechend der vorgenannten Untersuchung auch privat versi-
cherte Senioren mit Beihilfeanspruch in prekärer Einkommenslage befinden?

Drucksache 18/8441 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

20. a) Wie viele Versicherte im Basistarif zahlen aktuell (Stand: 2015) wegen
Hilfebedürftigkeit einen nach § 152 Absatz 4 Satz 1 VAG halbierten Bei-
trag, und wie viele davon sind Rentnerinnen und Rentner?

b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Alters- und Ge-
schlechtsverteilung der wegen Hilfebedürftigkeit mit einem halbierten
Beitrag im Basistarif Versicherten?

21. Welche Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Beitragshöhe zieht die Bun-
desregierung aus dem Umstand, dass zwischen den Jahren 2009 und 2014 der
Anteil der Basistarif-Versicherten mit einem halbierten Beitragssatz auf mehr
als die Hälfte angestiegen ist (Auswertung auf www.pkv-zahlenportal.de)?

22. a) Bei wie vielen Versicherten im Basistarif beteiligt sich der zuständige Trä-
ger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch an den
Beiträgen, und wie viele davon sind Rentnerinnen und Rentner?

b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Alters- und Ge-
schlechtsverteilung der Versicherten im Basistarif, bei denen sich der zu-
ständige Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetz-
buch an den Beiträgen beteiligt?

23. Bei wie vielen Versicherten im Standardtarif beteiligt sich der zuständige
Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch an den
zu zahlenden Beiträgen, und wie viele davon sind Rentnerinnen und Rent-
ner?

24. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Gesamtsumme der jähr-
lichen Beteiligung der Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch an den Beiträgen von Versicherten in der privaten Kran-
kenversicherung?

25. a) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Anzahl der im Basis-
tarif versicherten Personen, die zur Reduzierung des Beitrags einen
Selbstbehalt vereinbart haben, und wie viele davon sind Rentnerinnen und
Rentner?

b) Wie viele Personen haben sich dabei für welchen der gesetzlich bestimm-
ten Selbstbehaltswerte entschieden (300, 600, 900 und 1 200 Euro)?

c) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die durchschnittliche
Höhe des vereinbarten Selbstbehalts der im Basistarif versicherten Perso-
nen (soweit sie über die Verteilung der Selbstbehaltswerte nichts weiß)?

26. Werden die Kosten eines im jeweiligen Tarif festgelegten Selbstbehalts hil-
febedürftiger Versicherter durch die Träger nach dem Zweiten oder dem
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch übernommen?
Wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8441
 

27. a) Inwieweit können die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte von der in § 75
Absatz 3a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) bzw. in einer
Vereinbarung gemäß § 75 Absatz 3b SGB V enthaltenen Vergütungshöhe
für vom Standardtarif oder vom Basistarif umfasste ärztliche und zahn-
ärztliche Leistungen abweichen?

b) Beteiligen sich die Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch in den Fällen an den zusätzlichen Kosten hilfebedürfti-
ger Versicherter, in denen die Vergütungshöhe der vom Standardtarif oder
vom Basistarif umfassten ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen über
der in § 75 Absatz 3a und 3b SGB V genannten Größenordnung liegt?
Wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 11. Mai 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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