BT-Drucksache 18/840

Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland und in der EU

Vom 18. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/840
18. Wahlperiode 18.03.2014

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, Christine
Buchhol , evi Da delen, Annette roth, nge ger, Andre unko,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau, Martina Renner, Kersten
Steinke, Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in
Deutschland und in der EU

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Zahl der schutzbedürftigen syrischen Flüchtlinge steigt weiter drastisch
an. Die Nachbarländer Syriens sind mit der Aufnahme von etwa 3,5 Millio-
nen Flüchtlingen längst überfordert. Gleichzeitig hält die Europäische Union
unverändert an ihrer auf Abschottung und Vorverlagerung und Perfektionie-
rung der Grenzabwehr setzenden Politik fest. Syrische Flüchtlinge können im
Regelfall nur auf illegalen und höchst gefährlichen Wegen in die EU gelan-
gen – oder aber sie sterben an den Außengrenzen der EU, wie bereits vielfach
geschehen. Der Bundestag fordert vor diesem Hintergrund alle politisch Ver-
antwortlichen auf allen Ebenen dazu auf, syrische Flüchtlinge offen aufzu-
nehmen und ihnen sicheren Schutz zu gewähren.

2. Zwar nimmt die Bundesrepublik Deutschland im EU-Vergleich relativ viele
syrische Flüchtlinge auf. Während durch die Bundesrepublik Deutschland die
Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen zugesagt wurde, sind es aus anderen EU-
Staaten zusammen weniger als 3 000 Menschen. Doch das schlechte Beispiel
anderer europäischer Staaten darf für Deutschland kein Vorbild sein. Die
Aufnahmezahlen relativieren sich auch, wenn man sie ins Verhältnis zur Be-
völkerungszahl setzt. So ist die Bevölkerung in Jordanien durch die Flücht-
lingsaufnahme bereits um 9 Prozent, im Libanon sogar um 19 Prozent ge-
wachsen. Deutschland als bevölkerungsreiches und wirtschaftlich starkes
Land steht in der Verpflichtung, weitere Flüchtlinge aufzunehmen und zu-
gleich eine großzügige gemeinsame Aufnahme-Initiative der EU einzufor-
dern und voranzutreiben.

3. Bisherige Beschlüsse im Rahmen der Innenministerkonferenz zur Aufnahme
besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge oder Regelungen der Bundesländer
zur Aufnahme von syrischen Flüchtlingen zu hier lebenden Verwandten rei-
chen nicht aus. Die Aufnahme verläuft einerseits zu bürokratisch und schlep-
pend, zudem gibt es Beschränkungen der jeweiligen Aufnahmekontingente
und -programme, die humanitären Anforderungen nicht gerecht werden. Da-
zu gehört insbesondere die Forderung nach Verpflichtungserklärungen von

Drucksache 18/840 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Verwandten zur Übernahme sämtlicher zu erwartender Kosten der Aufnah-
me.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rahmen der Innenministerkonferenz dafür einzusetzen, bestehende
Kontingente zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger syrischer Flüchtlinge
deutlich aufzustocken;

2. sich für eine unkomplizierte und uneingeschränkte Aufnahme zu hier leben-
den Verwandten syrischer Flüchtlinge einzusetzen, was insbesondere durch
entsprechende Anweisungshinweise zum Nachzug von Familienangehörigen
zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte im Sinne von § 36 Absatz 2
des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sichergestellt werden könnte;

3. sicherzustellen, dass syrische Flüchtlinge nach ihrer Einreise nach Deutsch-
land weder zur Vorbereitung einer Überstellung nach der Dublin-Verordnung
inhaftiert noch in ein anderes EU-Land überstellt werden, d. h., dass
Deutschland bei syrischen Flüchtlingen grundsätzlich vom Selbsteintritts-
recht Gebrauch macht, es sei denn, Asylsuchende wünschen eine Familien-
zusammenführung in einem anderen Land;

4. sich für eine großzügige gemeinsame Aufnahme-Initiative der EU einzuset-
zen und dafür, dass Schutzsuchende aus Syrien nicht an den Außengrenzen
der EU abgewiesen, sondern ihnen legale und sichere Einreisemöglichkeiten
eröffnet werden (vgl. Bundestagsdrucksache 18/288). Statt Milliarden für die
Abschottung der Außengrenzen und die technologische Aufrüstung der
Grenzkontrolle auszugeben, müssen die Mittel für die Unterstützung der
Mitgliedstaaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen erhöht werden;

5. die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Flüchtlinge in den
Kommunen menschenwürdig untergebracht werden und die notwendige Un-
terstützung erhalten.

Berlin, den 18. März 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Als Asylsuchende können syrische Flüchtlinge nur illegal und auf risikoreichen und zum Teil lebensgefähr-
lichen Wegen in die EU und nach Deutschland fliehen. Diese Abschottungspolitik gegenüber offenkundig
schutzbedürftigen Menschen – in Deutschland werden sie zu nahezu 100 Prozent als schutzbedürftig aner-
kannt – ist unverantwortlich und eine Schande für Europa. Inakzeptabel ist auch, dass syrische Flüchtlinge,
wenn sie die scharf bewachten Außengrenzen der EU überwinden konnten, innerhalb der EU mit ihrer In-
haftierung und Abschiebungen infolge des EU-Dublin-Systems rechnen müssen. Statt der erhofften Sicher-
heit und einer Aufnahme in der Nähe ihrer Verwandten, erleben viele syrische Flüchtlinge in der EU erneut
Gewalt und Zwang. Die Nachrichtenagentur AFP meldete am 12. März 2014, dass ein 23-jähriger Syrer,
der das Schiffsunglück im Mittelmeer vom 11. Oktober 2013 mit über 250 Toten, das durch unzureichende
Rettungsmaßnahmen Italiens bzw. Maltas mitverursacht worden war (www.proasyl.de/de/news/detail/news/
left_to_die_verweigerte_seenotrettung_kostet_mehr_als_260_bootsfluechtlingen_das_leben/), überlebt hat-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/840

te und von Malta in die Niederlande weitergeflohen – und dann wieder zurückgeschickt – worden war, in
Malta wegen dieser „illegalen“ Weiterreise zu sechs Monaten Haft verurteilt wurde.

Die EU stellt sich für diese Flüchtlinge als ein Raum der Unfreiheit, der Unsicherheit und des Unrechts dar.
Deutschland hat im Jahr 2013 bei 1 223 syrischen Asylsuchenden ein Ersuchen an andere EU-Mitglied-
staaten zur Übernahme des Asylverfahrens gerichtet, in 113 Fällen wurden syrische Flüchtlinge tatsächlich
in andere EU-Länder überstellt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/705, Frage 5). Diese unwürdige Praxis des
Hin- und Herschiebens von traumatisierten und schutzbedürftigen Menschen muss sofort beendet werden.
Wie die Zahlen zeigen, ergäbe sich hieraus für Deutschland auch nur eine sehr geringfügige Zahl zusätzli-
cher Flüchtlinge. Die Europäische Union gibt hohe Beträge für die „Sicherung der Grenzen“ und Frontex-
Einsätze, für die Entwicklung neuer Technologien zur Grenzkontrolle und -überwachung und zur Imple-
mentierung automatisierter Grenzkontrollen aus. Allein für die Einführung eines elektronischen Ein- und
Ausreisesystems und eines Programms für registrierte Reisende, die zur millionenfachen Speicherung von
Daten von Drittstaatsangehörigen führen werden, sind 1,1 Mrd. Euro eingeplant. Für den Ausbau der
Grenzsicherung an den griechischen Außengrenzen der EU wurden von 2011 bis 2013 insgesamt 227 Mio.
Euro ausgegeben, für den Flüchtlingsschutz in Griechenland im gleichen Zeitraum hingegen nur 12,2 Mio.
Euro. Diese Zahlen zeigen, dass die Prioritäten der EU im Rahmen ihres „Globalen Ansatzes zu Migration
und Mobilität“ völlig falsch gewählt sind und allen pathetischen Erklärungen zur Bedeutung von Grund-
rechten und Flüchtlingsschutz Hohn sprechen.

Statt einer Abschottungspolitik bedarf es sicherer, legaler Einreisemöglichkeiten in die EU und nach
Deutschland. Insbesondere muss die Zuflucht zu bereits hier lebenden Verwandten, die in größter Sorge um
das Schicksal und die Sicherheit ihrer Angehörigen sind, schnell und unkompliziert ermöglicht werden.
Bislang gibt es zwei im Rahmen der Innenministerkonferenz beschlossene Aufnahmekontingente von je-
weils 5 000 Personen. Zudem haben die Bundesländer unterschiedliche Aufnahmeregelungen zu bereits
hier lebenden Verwandten getroffen, die jedoch von entsprechenden Verpflichtungserklärungen zur Kos-
tenübernahme (in unterschiedlichem Umfang) abhängig und vielfach ebenfalls kontingentiert sind. Viele
Angehörige können die gestellten Bedingungen nicht erfüllen oder scheitern an der zahlenmäßigen Begren-
zung der Programme. Der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen Ralf Jäger hob vor diesem Hin-
tergrund eine ursprünglich geltende Höchstgrenze auf und erklärte, es entspreche einem Gebot der Mensch-
lichkeit, mehr Schutzsuchende aufzunehmen (www.mik.nrw.de/en/presse-mediathek/aktuelle-meldungen/
archiv/archiv-meldungen-im-detail/news/hilfe-fuer-syrische-fluechtlinge-verstaerkt-nrw-setzt-programm-
zur-aufnahme-von-angehoerigen-fort.html ).

Nach einer Umfrage von dpa (Meldung vom 1. März 2014) meldeten in Deutschland lebende Verwandte
bis Ende Februar 2014 mehr als 50 000 aufzunehmende syrische Angehörige den Behörden – doch nur etwa
5 000 Plätze stehen für diese Menschen zur Verfügung. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius er-
klärte deshalb: „Auch das zweite 5000er-Aufnahmeprogramm des Bundes ist leider völlig unzureichend“.
Der Meldung zufolge hat das Bundesinnenministerium erklärt, dass Bund und Länder sich einig seien, auch
nach Ausschöpfung der Kontingente weitere syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Doch die Aufstockung der
Kontingente darf angesichts der akuten Notlage der Menschen nicht auf die lange Bank geschoben werden
und muss sofort und in einer bedeutenden Größenordnung erfolgen. Aus den Reihen der Kirchen wurde
beispielsweise eine verstärkte Aufnahme von mindestens 100 000 Personen gefordert (www.domradio.de/
themen/oekumene/2014-01-30/evangelische-kirche-aufnahme-von-mindestens-100000-fluechtlingen).

Unabhängig von diesen Kontingenten muss aber stets die sichere Einreise und Aufnahme von Asylsuchen-
den und der Nachzug zu Verwandten ohne zahlenmäßige Beschränkung gewährleistet werden. Dies fordert
unter anderem die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL, die auch dargelegt hat, wie die Aufnahme von
Verwandten außerhalb von Kontingenten durch eine entsprechende Anwendung der Nachzugsregelung
nach § 36 Absatz 2 AufenthG realisiert werden könnte und sollte (www.proasyl.de/de/presse/detail/news/
pro_asyl_zur_aufnahme_syrischer_fluechtlinge/). Am 6. März 2014 startete der Europäische Flüchtlingsrat
ECRE gemeinsam mit 100 Partnerorganisationen in 34 Ländern die Aktion „Europe Act Now“, mit der Eu-
ropas Politiker aufgefordert werden, einen sicheren Weg für syrische Flüchtlinge nach Europa anzubieten,
keine Flüchtlinge an den Außengrenzen abzuweisen, sondern ihnen Schutz zu bieten, und die Zusammen-
führung von Familien zu ermöglichen, die auf der Flucht getrennt wurden (www.helpsyriasrefugees.eu).

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.