BT-Drucksache 18/8356

Funktionsweise des Informationsaustauschs zwischen Polizeibehörden in Deutschland

Vom 28. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8356
18. Wahlperiode 28.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Jan Korte,
Katrin Kunert, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Funktionsweise des Informationsaustauschs zwischen Polizeibehörden
in Deutschland

Im Nachgang zu den terroristischen Anschlägen vom 22. März 2016 in Brüssel
wurde im politischen Raum mehrfach die Forderung nach einem Ausbau des Da-
tenaustauschs der Polizeibehörden in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
erhoben. So äußerte der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière in den
„ARD-Tagesthemen“ noch am Tag der Anschläge, eine Verknüpfung der bislang
getrennten „Datentöpfe“ der Sicherheitsbehörden sei nötig. „Datenschutz ist
schön, aber in Krisenzeiten hat Sicherheit Vorrang“, führte der Bundesminister
im Interview weiter aus.
Es bestehen allerdings schon erhebliche Zweifel, ob ein mehr an Daten und Zu-
griff auf mehr Datenbanken, die immer auch mit Grundrechtseingriffen einherge-
hen, überhaupt zu einer verbesserten Gefahrenabwehr führen. So führte Sascha
Lobo in einer Kolumne unter dem Titel „Terror und Datenwahn“ auf „SPIEGEL
ONLINE“ vom 30. März 2016 aus, dass alle identifizierten Attentäter der ein-
schlägigen Anschläge der letzten zwei Jahre zuvor polizeilich bekannt waren.
Auch wird immer wieder darüber berichtet, dass bestehende Möglichkeiten des
Informationsaustauschs zwischen den EU-Staaten kaum genutzt werden oder die
zugelieferten Daten aufgrund stark abweichender Erfassungspraxen nicht zu be-
lastbaren Lagebildern führen („Warum Europa im Kampf gegen den Terror ver-
sagt“, Süddeutsche Zeitung vom 24. März 2016).
Auch bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland ist eine kritische Analyse der
polizeilichen Aufgabenwahrnehmung erforderlich. Auf dem Internetportal police-
it.org, das sich mit der Polizei und ihren Informationssystemen beschäftigt, wurden
in einem Beitrag unter der Überschrift „Reine Schaufensterpolitik: De Maizière will
‚ran an die Datentöpfe‘“ deutliche Zweifel geäußert, ob die Polizei derzeit überhaupt
in der Lage ist, ihre bereits bestehenden Befugnisse und Pflichten zur Weitergabe
von Daten untereinander nach bestehenden Rechtsgrundlagen wahrzunehmen.
Selbst vom gleichen Anbieter (rola Security Solutions GmbH) beschaffte, so ge-
nannte Fallbearbeitungssysteme, die beim Bundeskriminalamt (BKA), der Bun-
despolizei (dort b-case) und zwei Dritteln der Landeskriminalämter (LKA; dort
RSCase) genutzt würden, seien demnach nicht in der Lage, miteinander Informa-
tionen auszutauschen.
Um in der urwüchsig entstandenen IT-Landschaft der deutschen Polizeibehörden
überhaupt zu einem digitalen Datenaustausch zu kommen, seien in der Vergan-
genheit unterschiedliche Lösungen entwickelt worden. Schon seit Jahren existie-

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ren zahlreiche, so genannte Verbunddateien, „Datentöpfe“ für spezifische An-
wendungsbereiche, in die die Polizeibehörden der Länder und des Bundes Infor-
mationen einstellen und im Gesamtbestand suchen können. Die meisten dieser
Verbunddateien nutzen das vom BKA selbst (weiter-)entwickelte Informations-
system INPOL-Fall. Seit dem Jahr 2006 stellt das BKA hierfür die Bund-Länder-
Datei-Schnittstelle (BLDS) zur Verfügung. Dabei handelt es sich um ein standar-
disiertes Verfahren, das die IT-Systeme der Teilnehmer (sprich der Länder) nut-
zen kann, um Informationen aus den Landessystemen elektronisch bei der Ver-
bunddatei im BKA anzuliefern und von dort abzurufen.
Die technischen Schwierigkeiten beim Datenaustausch bestünden jedoch fort.
Auch eine von der Innenministerkonferenz im Herbst 2011 beschlossene An-
schaffung einer Gemeinsamen Ermittlungsdatei – GED – „Zwischenlösung“, die
insbesondere dann zum Einsatz kommen solle, wenn das BKA im Rahmen der
Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem internati-
onalen Terrorismus aktiv wird, habe die altbekannten technischen Schwierigkei-
ten. „Police-it.org“ berichtet unter Bezugnahme auf die Pressestelle des Bundes-
ministeriums des Innern (BMI), dass die GED derzeit nicht über Schnittstellen
verfüge, die eine Datenanlieferung aus den Landesfallbearbeitungssystemen er-
laube. Dazu müssten eigens installierte Terminals genutzt werden, was zu Dop-
pelarbeit bei den Landesbehörden führe.
Mit der GED sollte ohnehin nur eine Zwischenlösung gefunden werden, so lange
die schon im Jahr 2008 beschlossene Schaffung eines „Polizeilichen Informa-
tions- und Analyseverbundes“ (PIAV) noch nicht realisiert ist. Dieses neue Ver-
bundsystem PIAV hinkt den Planungen weit hinterher. Mit den Vorarbeiten war
bereits im Jahr 2007 begonnen worden. PIAV soll den Informations- und Nach-
richtenaustausch zwischen Polizeibehörden des Bundes und der Länder verbes-
sern und erweitern: Anders als bei bisherigen Verbundlösungen sollen auch sol-
che Informationen untereinander geteilt werden, die im Rahmen der polizeilichen
Gefahrenabwehr bzw. noch vor dem Abschluss eines strafrechtlichen Ermitt-
lungsverfahrens erhoben und erfasst werden. Dazu sollen die PIAV-Teilnehmer-
systeme über ein standardisiertes Verfahren und auf der Basis des von allen ein-
heitlich verwendeten, gemeinsamen Informationsmodells Polizei (IMP) Informa-
tionen beim PIAV-Zentralsystem im BKA anliefern sowie dort bearbeiten und
recherchieren können. Außerdem soll es möglich sein, Informationen und Nach-
richten auch bi- bzw. multilateral zwischen einzelnen PIAV-Teilnehmern auszu-
tauschen. Der Auftrag für das Zentralsystem PIAV Operativ Zentral wurde an das
Unternehmen rola Security Solutions GmbH vergeben. Die Inbetriebnahme einer
ersten, funktional und fachlich auf den Bereich der Waffen- und Sprengstoffde-
likte beschränkten Ausbaustufe von PIAV ist nach Angaben der Bundesregierung
gegenüber dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dennoch erst für
„Mitte 2016“ geplant, die letzte Ausbaustufe soll im Jahr 2020 mit dem Staatsschutz-
bereich erreicht werden (https://police-it.org/schaufensterpolitik-de-maiziere-will-
ran-an-die-datentoepfe-11031).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Zu bzw. nach welchen Ereignissen wurde in diesem Jahr und in den vergan-

genen beiden Jahren die GED „Zwischenlösung“ genutzt?
a) Aus welchen der am jeweiligen Verfahren beteiligten Ländern erfolgte

die Dateneingabe
 via eigens installierter GED-Terminals bzw.
 via direkter elektronischer Schnittstelle zwischen Landessystem und

GED-System bzw.
 mit anderen Verfahren (z. B. Übermittlung von Informationen via

Email, Fax oder E-POST)?

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b) Trifft es zu, dass das Zentralsystem der GED „Zwischenlösung“ beim
BKA nicht über eine Schnittstelle verfügt, die gegenüber den Ländern of-
fengelegt ist und somit die Entwicklung einer Prozedur zur elektronischen
Anlieferung von Informationen bei der GED ermöglicht?

c) Wie hoch war das Aufkommen an Meldungen an die GED durch die Län-
der anteilig pro Ereignis bzw. über sämtliche Einsatzfälle der GED in die-
sem Zeitraum?

2. Welche Kosten sind für die Entwicklung der GED angefallen, wer waren
bzw. sind die Auftragnehmer für Entwicklung, Beratungsleistungen, An-
schluss an die bestehende EDV-Infrastruktur des BKA und laufende Kosten
für die Wartung (bitte mit jeweiliger Art der Auftragsvergabe und Kosten
auflisten)?

3. Bei welchen der einschlägigen terroristischen Großlagen der vergangenen
zwei Jahre im Aus- und Inland (insbesondere den Anschlägen in Paris im
Januar und November 2015, den Anschlägen in Brüssel, der Länderspielab-
sage in Hannover, der Lage in München in der Silvesternacht) war ein ent-
sprechender „BAO-Lagefall“ ausgerufen mit der Folge, dass einschlägige In-
formationen aller Behörden in entsprechenden Verbunddateien zu melden
waren?
a) Welche Verbunddatei (BAO-Lagefall o. Ä.) wurde jeweils für den Infor-

mationsaustausch entsprechender relevanter Informationen genutzt?
b) Wie erfolgte in diesen Fällen ein Informationsaustausch zwischen Län-

dern und Bund, wenn im Einzelfall kein BAO-Lagefall ausgerufen
wurde?

c) Welche Teilnehmerbehörden haben Informationen elektronisch via BLDS
angeliefert?

d) Wie erfolgte die Anlieferung von Informationen von solchen Teilnehmer-
behörden, die nicht die BLDS genutzt haben?

e) Wie gestaltet sich in diesem Fall das Verfahren der Informationserfas-
sung, -aufbereitung, -übermittlung an das BKA, ggf. die erneute Erfas-
sung und Einspeicherung im Zielsystem?

f) Von welchem Datum stammen die Errichtungsanordnung(-en) zu den ent-
sprechend der Frage 3a genutzten Verbunddatei(-en)?

4. Welche Verfahren der Informationsanlieferung bei der BKA-Zentralstelle
wurden seitens der Länderpolizeibehörden und der beiden Bundespolizeibe-
hörden zwischen dem Jahr 2013 und heute tatsächlich praktisch im dauerhaf-
ten Wirkbetrieb genutzt zur Anlieferung von Informationen
a) bei der vom BKA geführten Antiterrordatei (ATD),
b) bei der vom BKA geführten Rechtsextremismusdatei (RED),
c) bei den zentral vom BKA gehosteten Verbunddateien BAO-Lagefall,

Streugut, FUSION, DOK Europa-Ost (DOK-DEO) und IFIS (bitte ein-
zeln ausführen)?

5. Welches Verfahren zum Informationsaustausch wurde im Zeitraum von
2013 bis heute in welchen Fällen tatsächlich praktisch genutzt für den Infor-
mationsaustausch zwischen Ländern und Bund im Fall einer Großschadens-
lage im Sinne der Anwendung GSL?

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6. Welche vertraglichen Möglichkeiten der Einsichtnahme und Prüfung des
Quellcodes für die Anwendungskomponenten auf den Clients als auch für
die Serverkomponenten stehen den beschaffenden Bundesbehörden zu für
die bei dem Unternehmen rola Security Solutions GmbH beschafften Informa-
tionssysteme (z. B. RSFrame) und Fallbearbeitungssysteme (z. B. RSCase
bzw. b-case) und die auf dieser Basis betriebenen Informationssysteme von
Sicherheitsbehörden des Bundes (Zentralsystem für das Nachrichtendienst-
liche Informationssystem NADIS-neu beim Bundesamt für Verfassungs-
schutz, Zentralsystem für PIAV Operativ Zentral, für die GED und die ATD
beim BKA, Fallbearbeitungssystem b-case für BKA und Bundespolizei)?
a) Wurden solche Einsichtnahmen und Prüfungen in der Vergangenheit be-

reits durchgeführt, und wenn ja, wann, und durch wen?
b) Welcher Änderungs-, Korrektur- und Erweiterungsbedarf ergab sich in

Folge solcher Prüfungen?
c) Welche Behörden des Bundes sind in diese Prüfungen eingebunden bzw.

eingebunden gewesen?
7. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung

angesichts der aktuell vorliegenden Erfahrungen mit dem polizeilichen In-
formationsaustausch aus dem Vorschlag des Bunds Deutscher Kriminalbe-
amter e. V. (BDK), „die im Grundgerüst bereits bestehende GED entspre-
chend für die Nutzung für Länder, welche beim BKA hosten möchten, aus-
zubauen“ und damit die landeseigenen Fallbearbeitungssysteme zu ersetzen
(siehe www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/artikel/polizeiliche-it-landschaft-gleicht-
einem-flickenteppich)?

8. Sind der Bundesregierung andere IT-Systeme/-Produkte im Einsatz von
Sicherheitsbehörden des Bundes bekannt, in denen der Hersteller an unter-
schiedliche Bedarfsträger miteinander nicht kompatible Versionen der glei-
chen Software ausliefert, sodass Schwierigkeiten beim Austausch von Infor-
mationen bestehen?
a) Wenn ja, welche IT-Systeme/-Produkte und Hersteller?
b) Inwiefern kann man dabei ein ökonomisches Interesse der Hersteller un-

terstellen, bei der öffentlichen Hand auf diesem Weg weitere Aufträge für
die notwendige Programmierung von Schnittstellen zwischen ihren eige-
nen IT-Systemen und -Produkten zu generieren?

c) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus diesem Umstand für den Aufbau eigener Fähigkeiten und Res-
sourcen für das Controlling von IT-Beschaffungsmaßnahmen?

d) Hat sich die Bundesregierung mit dieser Problematik im Rahmen der IT-
Strategie bzw. der IT-Konsolidierung Bund befasst?

9. Mit welcher Beschaffungsmaßnahme (bitte Nummer der Auftrags- und
Vergabebekanntmachung angeben) wurden für das BKA und die Bundespo-
lizei die für den Einsatz im PIAV notwendigen Erweiterungen bzw. Zusätze
(z. B. Schnittstellen) des bei den beiden Bundespolizeibehörden eingesetzten
Fallbearbeitungssystems b-case beauftragt, die in der Leistungsbeschreibung
für den veröffentlichten Rahmenauftrag für das System PIAV Operativ Zent-
ral nicht, z. B. als gesondertes Los, enthalten sind und daher durch diesen
Rahmenvertrag nicht abgedeckt sein können?

10. Wann rechnet die Bundesregierung mit der Aufnahme des Wirkbetriebs für
die erste Ausbaustufe von PIAV-Operativ für Waffen- und Sprengstoffde-
likte?

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11. Welche weiteren Deliktsbereiche sollen über PIAV-Operativ abgedeckt wer-
den, und für wann ist nach derzeitigem Stand mit der Aufnahme des Wirk-
betriebs für die entsprechenden PIAV-Ausbaustufen zu rechnen (bitte ein-
zeln aufführen)?

12. Wird der Aufbau der Komponente PIAV-Strategisch und der Module Lage-
bildmodul und Früherkennungsmodul ebenfalls weiterverfolgt, und wie sieht
die Planung zur Konzeption, Entwicklung und Vorbereitung des Wirkbe-
triebs und des Wirkbetriebs nach derzeitigem oder dem letzten bekannten
Stand aus?

13. Wie und wann erfolgt eine Erfolgskontrolle hinsichtlich der für PIAV defi-
nierten Ziele, und wer erhält wann und in welcher Form Kenntnis von den
Ergebnissen dieser Überprüfung?

14. Existierten Überlegungen oder Planungen für den Fall, dass die mit PIAV
beabsichtigten und definierten Ziele nicht bzw. nicht in dem für die innere
Sicherheit notwendigen Umfang bzw. dem der aktuellen Bedrohungslage
entsprechenden Zeitrahmen erreicht werden, und wenn ja, welche?

Berlin, den 27. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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