BT-Drucksache 18/821

Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken

Vom 13. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/821
18. Wahlperiode 13.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Oliver Krischer, Peter Meiwald, Annalena Baerbock,
Dr. Julia Verlinden, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Christian
Kühn (Tübingen), Steffi Lemke und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken

In der Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8776
stellte die Bundesregierung im Jahr 2012 fest: „Ein Vergleich der deutschen
Emissionsgrenzwerte gemäß der 13. BImSchV mit den Grenzwerten der Final
Rule für US-Kraftwerke ist nicht möglich, weil Letzteren völlig andere Rand-
bedingungen bezüglich Kohlequalität, Heizwert, Bezugszeitraum, unter ande-
rem zugrunde liegen. Auch eine Umrechnung der US-Werte auf deutsche Werte
ist deshalb nicht möglich.“ Das ist nach Ansicht der Fragesteller fachlich unzu-
treffend; eine Umrechnung war und ist ohne Weiteres möglich. Zwischenzeitlich
haben die neuen Grenzwerte in den USA für beispielsweise Quecksilber Rechts-
kraft erhalten und werden umgesetzt (www.epa.gov, 77 FR 9304). Daher kann
jetzt ein Vergleich der Situation in den USA und Deutschland auf gesicherter
Basis erfolgen.
Die Fragesteller vertreten entgegen der Bundesregierung die Auffassung, dass
man die Emissionsgrenzwerte in den USA und in Deutschland sehr wohl mit-
einander vergleichen kann. Dazu eine kurze allgemeinverständliche Erläute-
rung: In Deutschland wird die emittierte Quecksilbermenge auf das Abgasvolu-
men bezogen, d. h. die deutschen Emissionsgrenzwerte werden in Mikrogramm
je Normkubikmeter an trockenem Abgas angegeben (Abgasvolumen bei festge-
legtem Standarddruck von 1 atm, Standardtemperatur von 0° C und einem
Sauerstoffgehalt von beispielsweise 6 Vol.-Prozent). So liegt bei Kohlekraftwer-
ken der Tagesmittelwert für Quecksilber bei 30 Mikrogramm und der Jahresmit-
telwert bei 10 Mikrogramm je Normkubikmeter. In den USA werden tatsächlich
andere Einheiten für die Begrenzung der Quecksilberemissionen verwendet. So
wird die emittierte Quecksilbermenge nicht auf das Abgasvolumen bezogen,
sondern auf den „Energie-Eintrag“ mit der Kohle, beschrieben durch ihren
„Brennwert“ (oberer Heizwert). Dieses US-amerikanische Grenzwertkonzept
hat den Vorteil, dass die Emissionsbegrenzung unabhängig von der wechselnden
Zusammensetzung der Kohlen ist.
Sowohl deutsche wie auch US-amerikanische Messgeräte zur Überwachung der
Emissionen messen nach Information der Fragesteller zunächst die Quecksilber-
konzentration im aktuellen Abgasvolumen. Während man in Deutschland dann
von hier aus auf das Abgasvolumen im Normzustand (bei einem vorgegebenen
Bezugssauerstoffgehalt) umrechnet, rechnet man in den USA auf die oben ge-
nannten energetischen Bezugsgrößen um; für letzteres benötigt man die Kohle-
zusammensetzung („Elementaranalyse“) und den am Messort vorliegenden
Sauerstoffgehalt. Ein US-Grenzwert unterscheidet sich daher von einem deut-
schen Grenzwert nur durch die Art der Umrechnung; beides sind vergleichbare

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Rechengrößen, die hier wie dort auf Konzentrationsmessungen im Reingas zu-
rückgehen (in Mikrogramm je Kubikmeter). Daher kann man natürlich den US-
Grenzwert mit den bekannten Grundrechenarten auch in Konzentrationswerte
des Reingases umrechnen und mit den in Deutschland vorhandenen Grenzwer-
ten vergleichen. Man muss den Brennwert und die Zusammensetzung der ver-
feuerten Kohlen ermitteln, daraus die Abgasmenge, die bei Verbrennung der
Kohle entsteht, und bei der weiteren Umrechnung auch den Sauerstoffgehalt am
Messort (Kamin) sowie den Bezugssauerstoffgehalt des deutschen Grenzwerts
beachten.
So kommt man nach Berechnung der Fragesteller für existierende Kraftwerke
bei Verfeuerung hochwertiger Steinkohlen am Ende auf einen US-Grenzwert
von 1,4 Mikrogramm je Normkubikmeter (für Braunkohle gibt es einen höheren
Grenzwert von 4,1 Mikrogramm je Normkubikmeter) – beides bei 6 Vol.-Pro-
zent Sauerstoff.
Der US-Grenzwert ist als Monatsmittelwert festgelegt, der über einen Zeitraum
von 30 Tagen fortschreitend ermittelt wird („rolling average“) und nicht über-
schritten werden darf. Auch hier macht der Vergleich mit Deutschland keine
Probleme. Der deutsche Grenzwert von 10 Mikrogramm je Normkubikmeter
beispielsweise stellt einen Jahresmittelwert dar. Hätte der Gesetzgeber den
deutschen Jahresmittelwert auch als Monatsmittelwert festgelegt, dann läge er
oberhalb von 10 Mikrogramm je Normkubikmeter, wenn man vom gleichen
Anforderungsniveau ausgeht. Somit ist es möglich, die Grenzwertregime zu ver-
gleichen.
Weiterhin sah die Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/8776) die
toxikologische Begründung für die Quecksilber-Emissionsreduzierung in den
USA im Wesentlichen darin, dass der Anteil der Risikogruppen (Bevölkerung
mit hohem Fischverzehr) in den USA deutlich höher sei (Great Lakes) als in
Deutschland. Nach „www.thru.de“ konnten im Jahr 2011 nur zwei Kohlekraft-
werke in Deutschland den US-amerikanischen Grenzwert einhalten. Ein Drittel
der Kraftwerke lag unter 3 Mikrogramm je Normkubikmeter, die Mehrzahl der
Kraftwerke wies Jahresmittelwerte im Bereich von 3 bis 20 Mikrogramm auf,
zwei Kraftwerke lagen im Bereich von 20 bis 25 Mikrogramm je Normkubik-
meter. Die gesamte Jahresfracht an Quecksilberemissionen in die Luft lag bei
4 950 kg.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist die Bundesregierung nach wie vor der Meinung, dass die Grenzwerte in

den USA mit den deutschen Grenzwerten nicht vergleichbar sind, und wenn
ja, wie begründet sie dies konkret?

2. Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung in diesem Zusammen-
hang daraus, dass die zuständigen Fachleute des Umweltbundesamtes im
gleichen Jahr der Beantwortung der Kleinen Anfrage auf dem 44. Kraft-
werkstechnischen Kolloquium in Dresden Umrechnungsergebnisse des US-
Grenzwertes auf die in Deutschland übliche Einheit veröffentlicht haben und
zahlenmäßig zu den gleichen Ergebnissen gekommen sind (1,5 bzw. 4,1 Mi-
krogramm/Normkubikmeter)?

3. Hat die Bundesregierung in der in der Vorbemerkung der Fragesteller zitier-
ten Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8776 hin-
sichtlich der Kohlequalität die Gehalte an Quecksilber, Chlor und Brom,
Schwefel sowie den Aschegehalt gemeint?

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Wenn ja, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die in den USA ver-
feuerten Kohlen aus Sicht des Quecksilbergehalts und der Quecksilber-
abscheidung grundsätzlich verschieden von in Deutschland verfeuerten
Importkohlen (wie Importkohlen aus den USA, Kolumbien, Südafrika,
Australien, Russland) sind?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die Mehr-
zahl der Importkohlen halogenarm ausfallen und daher Quecksilber(II)-oxid
(Hg0) als Hauptspezies im Abgas zu erwarten ist, und falls nein, warum
nicht?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Grenzwerte für Queck-
silber für die existierenden Steinkohlekraftwerke in den USA um rund den
Faktor 10 schärfer festgelegt sind, als dies für Deutschland der Fall ist, und
falls nein, wie begründet sie dies?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass aufgrund dieses Grenzwertes
in den USA in den vorhandenen Kohlekraftwerken spezielle Abgasreini-
gungstechnologien für die Quecksilberabscheidung installiert wurden und
dass es für Deutschland bei den hier festgelegten Grenzwerten nicht zu einer
derartigen Nachrüstung gekommen ist?

7. Ist der Bundesregierung bekannt, dass bis heute rund 100 Steinkohle-
kraftwerke in den USA den Grenzwert von 1,4 Mikrogramm je Normkubik-
meter im Routinebetrieb problemlos einhalten können (K. Dombrowski,
K. Arambasic, N. K. Sirinivasan, International conference on Environmen-
tal, Oktober 2013), und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus
für deutsche Steinkohlekraftwerke?

8. Schlussfolgert die Bundesregierung daraus, dass die Quecksilberabschei-
dung, wie sie in den USA betrieben werden, dem Stand der Technik entspre-
chen?

9. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung,
wenn Anwohner von Kohlekraftwerken vor dem Hintergrund der tech-
nischen Erfahrungen in den USA die Einhaltung eines Grenzwertes von
1,4 Mikrogramm je Normkubikmeter im Monatsmittel auf dem Klageweg
durchsetzen wollen?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Übernahme der US-
Grenzwerte in Deutschland die Quecksilberemissionen aus Kohlekraft-
werken um knapp 80 Prozent reduzieren würde, und falls nein, von wel-
chem Wert geht sie aus?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung im Zusammenhang mit ihrer toxikolo-
gischen Begründung für die Emissionsreduzierung in den USA (siehe Ant-
wort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8776) das Risiko
für vergleichbare Risikogruppen in Deutschland mit hohen Fischverzehrs-
gewohnheiten (regional: Nord- und Ostsee, Bodensee etc., Berufsgruppen,
wie Fischer oder Angler, und besondere Ernährungsgewohnheiten, wie
Pescetarier)?

12. Hält die Bundesregierung es daher aus dem im Bundes-Immissionsschutz-
gesetz normierten Vorsorgeprinzip heraus nicht angezeigt, die Quecksilber-
grenzwerte abzusenken, und falls nein, warum nicht?

13. Hält die Bundesregierung es für erforderlich, für diese Risikogruppen, ähn-
lich wie dies in Nordamerika erfolgt (M. Bunke, Universität Hamburg,
2007), Empfehlungen zur Begrenzung des Fischverzehrs zu geben, und wie
sieht sie in diesem Zusammenhang das besonders hohe Gesundheitsrisiko
für ungeborenes Leben sowie Säuglinge und Kleinkinder?

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14. Sieht die Bundesregierung hier auch eine Mitverantwortung Deutschlands
als Kohleland für die Emissionssituation in Skandinavien oder im Mittel-
meerraum, und falls nein, warum nicht?

15. Kann die Bundesregierung ihre Ankündigung (vgl. Antwort zu Frage 1 der
Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/276) einhalten, die Emis-
sionsdaten aus dem Jahr 2012 des Emissionskatasters „www.thru.de“ am
31. März 2014 online zu stellen, und falls nein, wann ist mit einer Veröffent-
lichung zu rechnen?

16. In welchem Umfang hat sich die Emissionsfracht in den Jahren 2012 und
2013 in Deutschland durch die zunehmende Erzeugung von Kohlestrom,
insbesondere Strom aus Braunkohlekraftwerken, erhöht?

Berlin, den 13. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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